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Fazit und Ausblick | Gesundheitspolitik | bpb.de

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Fazit und Ausblick

Thomas Gerlinger

/ 4 Minuten zu lesen

Welche Phasen gab es in der Entwicklung der Kostendämpfungspolitik der gesetzlichen Krankenversicherung? Welche Probleme sind bei der zukünftigen Gestaltung der GKV von besonderer Bedeutung?

Menschen rennen und halten sich an den Händen. (© Thinkstock)

Seit Mitte der 1970er-Jahre zählt die Kostendämpfung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu den vordringlichsten Zielen der Gesundheitspolitik. Zentrales Leitmotiv der Kostendämpfungspolitik ist die Überzeugung politischer Entscheidungsträger, dass sich angesichts globalisierter Wirtschaftsbeziehungen die Sozialpolitik an der Reduzierung von Arbeitskosten zu orientieren habe. Es lassen sich seitdem zwei Phasen der Gesundheitspolitik identifizieren, die sich vor allem in der Wahl der Steuerungsinstrumente voneinander unterscheiden. Die erste Phase reichte von der Mitte der 1970er-Jahre bis zum Jahr 1992, zum Vorabend der Verabschiedung des Gesundheitsstrukturgesetzes. In dieser Phase kann die Reformpolitik im Gesundheitswesen als traditionelle Kostendämpfungspolitik charakterisiert werden. Sie ließ die historisch gewachsenen Strukturen der GKV weitgehend unberührt. Diese Politik wurde als einnahmeorientierte Ausgabenpolitik bezeichnet. Sie setzte stark auf gesundheitspolitische Appelle und Empfehlungen an die Akteure des Gesundheitswesens. Diese sollten durch die Übertragung von Aufgaben an die gemeinsame Selbstverwaltung (Korporatisierung) und durch die Bildung der "Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen" in diese Strategie eingebunden werden.

Mit der Verabschiedung des Gesundheitsstrukturgesetzes 1992 wurde ein Paradigmenwechsel in der Gesundheitspolitik eingeleitet, der in seinen wesentlichen Koordinaten bis heute die Reformpolitik im Gesundheitswesen bestimmt. Dieser Paradigmenwechsel lässt sich charakterisieren als ein Übergang zu einer Politik des regulierten Wettbewerbs. Die Beziehungen zwischen Krankenkassen, Leistungserbringern und Versicherten beziehungsweise Patientinnen und Patienten sollen durch die Ausweitung marktförmiger Regulierungselemente restrukturiert werden. Im Zuge dieses Umbaus sollen die Handlungsanreize für die beteiligten Akteure so umgestaltet werden, dass ihre individuellen finanziellen Interessen sie veranlassen, sich bei der Erbringung, Finanzierung und Inanspruchnahme medizinischer Leistungen am Ziel der Ausgabenbeschränkung zu orientieren. Damit geht auf der Nachfragseite eine forcierte Privatisierung von Krankheitskosten einher. Diese Entwicklung zielt auf die Etablierung einer spezifisch deutschen Variante eines regulierten Marktes, die an den institutionellen Besonderheiten des deutschen Gesundheitswesens anknüpft. Diese Politik wird seitdem auf inkrementellem Wege weitergeführt. Von dieser Neuausrichtung der Gesundheitspolitik erhofft man sich eine Modernisierung der Versorgungsstrukturen und zu einer effizienteren Versorgung führen.

Der Paradigmenwechsel führte zu tief greifenden Veränderungen in der gesetzlichen Krankenversicherung, der sowohl seine Versorgungsstrukturen als auch seine Finanzierungs- und die Regulierungsstrukturen erfasst. Der Paradigmenwechsel zielt mit Blick auf die Versorgungsstrukturen auf eine Modernisierung und Rationalisierung der medizinischen Leistungserbringung. Im Mittelpunkt stehen dabei die Stärkung der Hausärzte und die Integration von Versorgungsstrukturen. In der Finanzierung der Krankenversorgung entwickelt sich ein neuer Wohlfahrtsmix: Kosten werden von der Solidargemeinschaft auf die Versicherten verlagert, insbesondere die Arbeitgeber werden finanziell entlastet. Außerdem zeichnet sich ein schrittweiser Anstieg des Anteils der steuerfinanzierter Mittel zulasten der arbeitseinkommensabhängigen Versicherungsbeiträge ab. Im Hinblick auf die Regulierung ist der Paradigmenwechsel gekennzeichnet durch eine Implementierung wettbewerbszentrierter Strukturreformen. Gleichzeitig werden verbleibende korporatistische Regulierungskompetenzen zunehmend bundesweit vereinheitlicht.

Darüber hinaus verstärkt der Staat seine Eingriffe in die Selbstverwaltung, um unerwünschte Nebenwirkungen der anvisierten Wettbewerbsordnung zu vermeiden. Die Einführung von Wettbewerbselementen wurde begleitet von einer intensivierten staatlichen Re-Regulierung. Darunter fällt auch die Praxis, korporatistische Entscheidungsgremien wie den Gemeinsamen Bundesausschuss mit immer neuen Regulierungsaufgaben zu betrauen. Sie geht zurück auf die Erfahrung, dass unter Leistungserbringern und den Krankenkassen die egoistisch-rationale Umgehung gesetzlicher Regelungen (z.B. Risikoselektion, implizite Rationierung, private Abrechnung von Kassenleistungen; Rückzug von Versorgungseinrichtungen aus der Fläche) weit verbreitet ist. Die flankierende Re-Regulierung wettbewerblicher Reformen soll solchen Praktiken entgegenwirken.

Seit dem Übergang zu wettbewerbsorientierten Reformen ist ein deutlicher Privatisierungstrend in der GKV zu erkennen. Dennoch blieb die gesetzliche Krankenversicherung als öffentlich-rechtlich regulierte Sozialversicherung mit Selbstverwaltung im Kern erhalten. Sie präsentiert sich als ein Gebilde, in dem wettbewerbliche Mechanismen an Bedeutung gewinnen und eine Dynamik in Richtung auf ein Privatversicherungssystem freigesetzt wurden.

Fragen zur Zukunft der gesetzlichen Krankenversicherung stellen sich zum einen im Hinblick auf die Organisation der Krankenversicherung insgesamt, zum anderen im Hinblick auf die Weiterentwicklung des Versorgungs-, Finanzierungs- und Regulierungssystems der GKV im Besonderen.

Gesetzliche und private Krankenversicherung

Die eine Zeitlang intensiv geführte Debatte über die Umstellung der GKV-Finanzierung auf eine Kopfpauschale spielt mittlerweile kaum noch eine Rolle. Auch die Diskussion über die Einführung einer Bürgerversicherung ist in den letzten Jahren eher in den Hintergrund getreten. Das 2007 verabschiedete GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz hatte mit der Einführung einer Krankenversicherungspflicht für alle Bürgerinnen und Bürger und des an den Leistungsprinzipien der GKV orientierten Basistarifs in der PKV zwar noch Maßnahmen vorgesehen, die sich als Schritte in Richtung auf eine Bürgerversicherung interpretieren ließen. , Seitdem hat es in dieser Sache keine Bewegung mehr gegeben. Dennoch schwelt diese Auseinandersetzung unter der Oberfläche öffentlicher Aufmerksamkeit weiter. Die Einführung einer Bürgerversicherung könnte aus verschiedenen Gründen schnell wieder größere Beachtung finden, denn die strukturellen Gerechtigkeits- und Effizienzdefizite, die das Nebeneinander zweier Versicherungszweige mit sich bringt, dürften fortbestehen. Zudem gibt es verbreitete Zweifel an der Zukunftsfähigkeit des dualen Krankenversicherungssystems, die keineswegs nur von den Befürwortern einer Bürgerversicherung geteilt werden.

Herausforderungen in der gesetzlichen Krankenversicherung

Im Hinblick auf die Weiterentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung stellen sich zahlreiche Fragen und Probleme. Hier sollen nur einige ausgewählte Aspekte benannt werden:

  • Die Sicherstellung einer wohnortnahen Versorgung und damit eines gerechten Zugangs zu Versorgungseinrichtungen. Dies betrifft zum einen die ambulante (vor allem hausärztliche) Versorgung, aber auch – angesichts zum heraufziehender Veränderungen in der Krankenhausplanung – auch die stationäre Versorgung.

  • Die Sicherstellung einer gerechten Finanzierung auch innerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung (und nicht allein im Verhältnis von gesetzlicher und privater Krankenversicherung).

  • Die Verbesserung der Qualität von Leistungen, nicht zuletzt auch angesichts der problematischen Auswirkungen des neuen Vergütungssystems für Krankenhausleistungen.

  • Die Sicherstellung einer effektiven hausärztlichen Versorgung.

Weitere Inhalte

Prof. Dr. Dr. Thomas Gerlinger ist Professor an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld, AG 1: Gesundheitssysteme, Gesundheitspolitik und Gesundheitssoziologie.