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Lohnstückkosten im verarbeitenden Gewerbe
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Bei einer Bewertung der Lohnkosten werden meistens nicht allein die Bruttolöhne sondern die Lohnstückkosten verglichen. Diese sind sowohl von der Produktivität als auch von der Höhe der gezahlten Löhne abhängig.
Fakten
Die Lohnkosten stehen immer wieder im Mittelpunkt bei der Diskussion über die Wettbewerbsfähigkeit von Standorten. Dies gilt insbesondere für die Europäische Union (EU), da der gemeinsame Binnenmarkt den freien Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital voraussetzt und die Arbeitnehmereinkommen in den Bewerberländern häufig unter dem EU-Durchschnitt liegen.
Bei einer Bewertung der Lohnkosten sollten allerdings nicht allein die Bruttolöhne der Arbeitnehmer sondern die Lohnstückkosten verglichen werden. Zur Ermittlung der Lohnstückkosten werden die Lohnkosten ins Verhältnis zur Arbeitsproduktivität gesetzt. Die Höhe der Lohnstückkosten ist damit sowohl von der Produktivität als auch von der Höhe der gezahlten Löhne abhängig. Beispielsweise können die Lohnstückkosten eines Standortes mit niedrigen Löhnen und einer geringen Produktivität höher sein als die Lohnstückkosten eines Standortes mit hohen Löhnen und einer hohen Produktivität. Durch den Einsatz neuer Technologien, die effiziente Arbeitsorganisation, eine ausgebaute Infrastruktur und ein hohes Qualifikationsniveau der Beschäftigten wird die Arbeitsproduktivität gesteigert und somit ein Teil der höheren Lohnkosten ausgeglichen.
In der Gruppe der hier betrachteten Staaten sanken zwischen 1990 und 2008 die Lohnstückkosten (auf Basis der jeweiligen Landeswährung) am stärksten in Finnland (minus 31,4 Prozent) und Schweden (minus 26,9 Prozent). Beide Staaten konnten den zuvor über Jahre andauernden Trend steigender Lohnstückkosten Anfang der 1990er-Jahre umkehren. Zudem erfolgte der Rückgang der Lohnstückkosten bei beiden Staaten relativ linear.
Hingegen ist für Norwegen (plus 69,4 Prozent), Spanien (plus 66,1 Prozent), Italien (plus 53,9 Prozent), Großbritannien (plus 25,4 Prozent) und Dänemark (plus 21,2 Prozent) eine relativ lineare Erhöhung der Lohnstückkosten von 1990 bis 2008 festzustellen. Auch in den vorangehenden Jahrzehnten waren die Lohnstückkosten in diesen Staaten stetig gestiegen.
In Deutschland stiegen die Lohnstückkosten zwischen 1990 und 1996 um 20,1 Prozent und blieben dann bis zum Jahr 2002 relativ stabil. Bis 2008 sanken die Lohnstückkosten wiederum um 8,2 Prozent. Noch stärker als in den anderen Staaten stellt in Deutschland die Entwicklung der Lohnstückkosten zwischen 2008 und 2009 eine Ausnahme dar. Aufgrund der Wirtschafts- und Finanzkrise sank in vielen Staaten die Arbeitsproduktivität stärker als die Lohnkosten, was eine Steigerung der Lohnstückkosten bedeutet. In Deutschland brach die Produktion durch die Hohe Exportabhängigkeit überdurchschnittlich stark ein. Gleichzeitig hielten die Unternehmen die Zahl ihrer Beschäftigten nahezu konstant. In der Folge stiegen die Lohnstückkosten in Deutschland zwischen 2008 und 2009 um 15,8 Prozent – die größte Veränderung innerhalb eines Jahres seit 1950. Aber auch in Finnland, Schweden und Italien stiegen die Lohnstückkosten um zwölf oder mehr Prozent.
Ob und warum sich Unternehmen an einem Standort niederlassen, ist von großem Interesse für politische Entscheidungen, da die Standortwahl unmittelbare Auswirkungen auf Investitionen, Steuereinnahmen und Arbeitsplätze hat. Eine vom Statistischen Bundesamt 2009 veröffentlichte Erhebung hat die Verlagerungsaktivitäten im Bereich der nichtfinanziellen gewerblichen Wirtschaft in Deutschland untersucht. Danach verlagerten rund 14 Prozent der Unternehmen zwischen 2001 und 2006 Aktivitäten vom heimischen Standort ins Ausland. Bei Industrieunternehmen lag der Anteil sogar bei 20 Prozent. Das europäische Ausland ist dabei mit Abstand das wichtigste Verlagerungsziel: 63 Prozent aller verlagernden Industrieunternehmen verlegten Teile ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten in mindestens einen der zwölf neuen Mitgliedstaaten der EU, 25 Prozent in mindestens einen der EU-15-Staaten und 19 Prozent in andere europäische Staaten. Zum Vergleich: Nach China verlegten 38 Prozent der verlagernden Industrieunternehmen Teile ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten, nach Indien lediglich 16 Prozent.
Schon auf die Frage, wie die Wettbewerbsfähigkeit eines Standortes zu messen ist, können verschiedene Antworten gegeben werden. Fest steht lediglich, dass bei der Beurteilung der Wettbewerbsfähigkeit mehrere Faktoren berücksichtigt werden müssen. Über die Wettbewerbsfähigkeit eines Standortes bestimmen unter anderem die infrastrukturellen Voraussetzungen (Kommunikationsnetze, Verkehrswege, Umschlagplätze, Logistiknetzwerke, Transport- und Energiekosten etc.), die Forschungsbedingungen, das allgemeine Ausbildungsniveau, der Aufbau und die Flexibilität der staatlichen Bürokratie, staatliche Förderungen, gesetzliche Auflagen, die Steuer- und Abgabenbelastung sowie das Lohnniveau und andere Kostenfaktoren.
Traditionelle Unternehmens- und Marktverflechtungen, der Zugang und die Nähe zu großen oder neuen Märkten, natürliche Ressourcen bzw. die Verfügbarkeit von Rohstoffen, räumliche Voraussetzungen, die Einkommens- und Vermögensstruktur, politische und rechtsstaatliche Stabilität, das Image eines Standortes sowie das Vorhandensein von spezialisierten Unternehmen und Fachkräften beeinflussen ebenfalls die Investitionsentscheidungen. Und ob wiederum die Fachkräfte an einen Standort gebunden werden können, hängt neben den rein ökonomischen Voraussetzungen auch vom Wohnumfeld, der Umweltqualität, der medizinischen Versorgung, den Fürsorgeeinrichtungen sowie den Bildungs-, Erholungs-, Kultur- und Freizeitangeboten ab.
Abseits der zahlreichen Faktoren, die die Kosten eines Produkts beeinflussen, ist zu bedenken, dass bei vielen Produkten die Löhne der Arbeitnehmer einen immer geringer werdenden Anteil haben und sich unternehmerischer Erfolg auch auf Produktimage, Produktqualität, Kundenservice, Lieferpünktlichkeit und Innovationsfähigkeit gründet.
In einer vom Verein Deutscher Ingenieure (VDI) in Auftrag gegebenen Studie des Fraunhofer Instituts für System- und Innovationsforschung wird darauf hingewiesen, dass die Lohnkosten in vielen Betrieben nur noch 10 Prozent der Gesamtkosten ausmachen. Während die Einsparmöglichkeiten überschätzt werden, unterschätzen laut der Studie viele Unternehmen die Kosten einer Verlagerung durch Anlaufzeiten, Betreuung, Koordination, Qualitätssicherung und betriebliche Kontrolle. Auch verschiedene Kommunikations- und Arbeitsstile können die Kosten erhöhen.
Datenquelle
U.S. Bureau of Labor Statistics, Division of International Labor Comparisons: International Comparisons of Manufacturing Productivity and Unit Labor Cost Trends; Statistisches Bundesamt: Verflechtung deutscher Unternehmen mit dem Ausland 2009, STATmagazin: Engagement deutscher Unternehmen im Ausland; Verein Deutscher Ingenieure e.V. (VDI): www.vdi.de
Begriffe, methodische Anmerkungen oder Lesehilfen
Zur Bestimmung der Lohnstückkosten werden die Lohnkosten je Arbeitnehmer beziehungsweise je Arbeitnehmerstunde ins Verhältnis zur Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigen (Personenkonzept) beziehungsweise je Erwerbstätigenstunde (Stundenkonzept) gesetzt. Die Lohnkosten setzen sich aus den Bruttolöhnen und -gehältern der Arbeitnehmer sowie den Sozialbeiträgen der Arbeitgeber zusammen.
Beim Vergleich der Lohnstückkosten muss berücksichtigt werden, dass diese hier auf Basis der jeweiligen Währung dargestellt werden. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit hängt aber auch stark von Wechselkursänderungen ab. Um die Wechselkurse mit einzubeziehen, muss die Entwicklung der Lohnstückkosten in einer einheitlichen Währung abgebildet werden. Allerdings geht diese Darstellungsform zu Lasten der Faktoren, die die Lohnstückkosten in den einzelnen Staaten abseits der Wechselkurse beeinflussen (zum Beispiel die Entwicklung der Lohnkosten und der Produktivität).
Ein Beispiel: In der Tschechischen Republik sanken die Lohnstückkosten in nationaler Währung zwischen 2002 und 2009 um 11,4 Prozent. In Schweden hingegen stiegen sie im selben Zeitraum um 1,2 Prozent. Bei einem Vergleich der Lohnstückkosten auf US-Dollar Basis hat sich die Wettbewerbsposition der Tschechischen Republik trotzdem verschlechtert: Die Lohnstückkosten stiegen hier um 49,8 Prozent gegenüber 28,5 Prozent in Schweden. Der Grund dafür ist, dass die Aufwertung der Tschechischen Krone gegenüber dem US-Dollar in diesem Zeitraum noch deutlich stärker ausfiel als die Aufwertung der Schwedischen Krone.
Tabelle: Lohnstückkosten im verarbeitenden Gewerbe
Auf der Basis der jeweiligen Währung, Index (2002 = 100), europäische Staaten, 1990 bis 2009
Belgien | Tschech. Rep. | Dänemark | Finnland | Frankreich | Deutsch- land | |
1990 | 93,8 | – | 86,4 | 124,4 | 101,2 | 85,5 |
1991 | 98,9 | – | 89,2 | 132,7 | 104,3 | 88,3 |
1992 | 100,8 | – | 91,0 | 124,0 | 107,8 | 94,9 |
1993 | 103,1 | – | 92,9 | 116,5 | 110,0 | 99,9 |
1994 | 98,7 | – | 85,6 | 111,8 | 107,1 | 97,2 |
1995 | 97,2 | 73,8 | 87,3 | 117,5 | 106,1 | 100,8 |
1996 | 97,5 | 82,4 | 94,0 | 118,2 | 107,7 | 102,7 |
1997 | 95,2 | 86,7 | 90,0 | 114,2 | 104,8 | 98,9 |
1998 | 95,4 | 100,4 | 92,9 | 112,5 | 100,4 | 99,9 |
1999 | 97,4 | 92,2 | 93,7 | 108,8 | 99,3 | 99,7 |
2000 | 95,3 | 89,2 | 92,3 | 101,5 | 97,6 | 98,1 |
2001 | 99,0 | 98,7 | 96,5 | 104,3 | 98,3 | 98,6 |
2002 | 100,0 | 100,0 | 100,0 | 100,0 | 100,0 | 100,0 |
2003 | 100,3 | 106,1 | 102,5 | 97,0 | 97,9 | 98,7 |
2004 | 98,0 | 100,1 | 100,6 | 94,5 | 98,3 | 95,7 |
2005 | 98,0 | 94,5 | 103,0 | 94,4 | 97,4 | 92,9 |
2006 | 100,5 | 88,7 | 101,8 | 87,7 | 98,9 | 89,6 |
2007 | 100,2 | 87,9 | 105,1 | 82,6 | 100,2 | 89,3 |
2008 | 102,5 | 86,7 | 104,7 | 85,3 | 103,9 | 91,8 |
2009 | 107,6 | 88,6 | 109,2 | 97,2 | 114,0 | 106,3 |
Italien | Nieder- lande | Norwegen | Spanien | Schweden | Groß- britannien | |
1990 | 78,6 | 90,5 | 66,6 | 73,7 | 123,4 | 83,2 |
1991 | 85,2 | 95,2 | 70,0 | 78,9 | 132,9 | 89,6 |
1992 | 87,0 | 98,7 | 70,9 | 85,9 | 132,5 | 84,5 |
1993 | 89,7 | 99,4 | 72,0 | 92,3 | 119,9 | 84,8 |
1994 | 86,8 | 95,0 | 74,2 | 92,8 | 111,4 | 84,7 |
1995 | 87,7 | 93,8 | 78,5 | 93,6 | 110,4 | 87,6 |
1996 | 92,0 | 93,5 | 79,4 | 97,0 | 115,1 | 88,3 |
1997 | 94,4 | 95,7 | 82,7 | 98,4 | 110,6 | 90,4 |
1998 | 94,0 | 96,9 | 89,9 | 97,4 | 107,8 | 96,3 |
1999 | 95,6 | 96,2 | 91,8 | 95,6 | 102,0 | 97,3 |
2000 | 93,2 | 94,1 | 94,1 | 96,0 | 98,9 | 96,5 |
2001 | 96,1 | 97,6 | 97,0 | 97,6 | 106,1 | 97,6 |
2002 | 100,0 | 100,0 | 100,0 | 100,0 | 100,0 | 100,0 |
2003 | 106,0 | 101,8 | 95,8 | 102,5 | 96,5 | 100,7 |
2004 | 108,1 | 99,5 | 93,4 | 104,1 | 89,3 | 98,9 |
2005 | 110,0 | 96,6 | 94,5 | 107,0 | 86,7 | 100,2 |
2006 | 110,3 | 95,7 | 102,4 | 110,0 | 82,2 | 102,2 |
2007 | 112,9 | 93,8 | 107,7 | 114,4 | 84,8 | 102,4 |
2008 | 121,0 | 99,6 | 112,8 | 122,4 | 90,2 | 104,3 |
2009 | 135,5 | 108,0 | 118,0 | 125,9 | 101,2 | 110,9 |
Quelle: U.S. Bureau of Labor Statistics, Division of International Labor Comparisons: International Comparisons of Manufacturing Productivity and Unit Labor Cost Trends
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