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Kommentar: Erinnerungskultur in der "Zeitenwende". Die deutsche Weltkriegserinnerung und der Ukrainekrieg | Ukraine-Analysen | bpb.de

Ukraine Verhältnis zur belarusischen Opposition (28.11.2024) Analyse: Kyjiws strategische Distanz zur belarusischen Opposition dekoder: "Die Belarussen müssen verstehen, dass unsere Zukunft von uns selbst abhängt" Umfragen: Meinung in der Ukraine zu Belarus’ Kriegsbeteiligung Umfragen: Unterstützung in Belarus von Russlands Krieg gegen die Ukraine Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik Energieversorgung / Grüne Transformation (09.10.2024) Analyse: (Wie) Lässt sich die Energiekrise in der Ukraine abwenden? Analyse: Eine stärkere Integration des Stromnetzes in die EU kann der Ukraine helfen, die nächsten Winter zu überstehen Statistik: Stromimporte aus EU-Staaten Analyse: Resilienz wieder aufbauen: Die Rolle des ukrainischen Klimabüros bei der grünen Transformation Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik EU-Beitrittsprozess (29.07.2024) Analyse: Die Ukraine und die EU: Erweiterungspolitik ohne Alternative? Analyse: Wie schnell bewegt sich die Ukraine auf die EU zu, in welchen Bereichen gibt es große Fortschritte und in welchen nicht? Statistik: Stand der Ukraine im EU-Beitrittsprozess Umfragen: Öffentliche Meinung in der Ukraine und in ausgewählten EU-Ländern zum EU-Beitritt der Ukraine Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik Beziehungen zu Polen / Beziehungen zur Slowakei (26.06.2024) Analyse: Die Entwicklung der ukrainisch-polnischen Beziehungen seit Beginn der russischen Vollinvasion Analyse: Pragmatisch, indifferent, gut? Über den Zustand der ukrainisch-slowakischen Beziehungen Statistik: Handel der Ukraine mit ihren Nachbarländern Statistik: Ukrainische Geflüchtete in den Nachbarstaaten der Ukraine Umfragen: Die Einstellung der ukrainischen Bevölkerung zu den Nachbarländern der Ukraine Umfragen: Die Einstellung der polnischen Bevölkerung zu Geflüchteten aus der Ukraine Chronik: 21. bis 31. Mai 2024 Exekutiv-legislative Beziehungen und die Zentralisierung der Macht im Krieg (30.05.2024) Analyse: Das Verhältnis zwischen Legislative und Exekutive in Zeiten des Krieges: Die Ukraine seit Beginn der russischen Vollinvasion Analyse: Wie schnell werden Gesetzentwürfe von der Werchowna Rada verabschiedet? Wie kann der Prozess effizienter gestaltet werden? Chronik: 1. bis 30. April 2024 Arbeitsmarktintegration ukrainischer Geflüchteter / Ukrainische Community in Deutschland / Deutsch-ukrainische kommunale Partnerschaften (29.04.2024) Analyse: Arbeitsmarktintegration der ukrainischen Geflüchteten in Deutschland Statistik: Integration in den Arbeitsmarkt Analyse: Die ukrainische Community in Deutschland Analyse: (Un)genutzte Potenziale in den deutsch-ukrainischen Kommunal- und Regionalpartnerschaften Dokumentation: Übersicht deutsch-ukrainischer Partnerschaften Chronik: 11. bis 31. März 2024 10 Jahre Krim-Annexion / Donbas nach der Annexion 2022 (21.03.2024) Analyse: Zehn Jahre russische Annexion: Die aktuelle Lage auf der Krim Dokumentation: Reporters Without Borders: Ten years of Russian occupation in Crimea: a decade of repression of local independent journalism Dokumentation: Europarat: Crimean Tatars’ struggle for human rights Statistik: Repressive Gerichtsverfahren auf der Krim und in Sewastopol Analyse: Die Lage im annektierten Donbas zwei Jahre nach dem 24. Februar 2022 Umfragen: Öffentliche Meinung zur Krim und zum Donbas Chronik: 22. Februar bis 10. März 2024 Wirtschaft / Rohstoffe / Kriegsschäden und Wiederaufbau Analyse: Wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit in einer schwierigen Gesamtlage Analyse: Die Rohstoffe der Ukraine und ihre strategische Bedeutung Analyse: Schäden und Wiederaufbau der ukrainischen Infrastruktur Chronik: 11. Januar bis 21. Februar 2024 Zwei Jahre Angriffskrieg: Rückblick, aktuelle Lage und Ausblick (23.02.2024) Analyse: Zwei Jahre russischer Angriffskrieg. Welche politischen, militärischen und strategischen Erkenntnisse lassen sich ziehen? Kommentar: Die aktuelle Lage an der Front Kommentar: Wie sich der russisch-ukrainische Krieg 2024 entwickeln könnte Kommentar: Die Ukraine wird sich nicht durchsetzen, wenn der Westen seine eigene Handlungsfähigkeit verleugnet Kommentar: Wie funktioniert das ukrainische Parlament in Kriegszeiten? Kommentar: Wie die Wahrnehmung des Staates sich durch den Krieg gewandelt hat Umfragen: Stimmung in der Bevölkerung Statistik: Verluste an Militärmaterial der russischen und ukrainischen Armee Statistik: Russische Raketen- und Drohnenangriffe, Verbrauch von Artilleriegranaten, Materialverluste im Kampf um Awdijiwka Folgen des russischen Angriffskriegs für die ukrainische Landwirtschaft (09.02.2024) Analyse: Zwischenbilanz zum Krieg: Schäden und Verluste der ukrainischen Landwirtschaft Analyse: Satellitendaten zeigen hohen Verlust an ukrainischen Anbauflächen als Folge der russischen Invasion Statistik: Getreideexporte Chronik: 17. Dezember 2023 bis 10. Januar 2024 Kunst, Musik und Krieg (18.01.2024) Analyse: Ukrainische Künstler:innen im Widerstand gegen die großangelegte Invasion: Dekolonialisierung in der Kunst nach dem 24. Februar 2022 Analyse: Musik und Krieg Dokumentation: Ukrainische Musiker:innen, die durch die russische Invasion umgekommen sind Statistik: "De-Russifizierung" der ukrainischen Youtube-Musik-Charts Umfragen: Änderung des Hörverhaltens seit der großangelegten Invasion Chronik: 21. November bis 16. Dezember 2023 Eintritt in eine neue Kriegsphase? / Selenskyjs Appelle an Russland (19.12.2023) Interview: "Dieser Krieg bleibt in erster Linie ein Artilleriekrieg, der die Munitionslieferungen zu einem sehr wichtigen Faktor macht" Statistik: Geländegewinne seit Beginn der Großinvasion Kommentar: Deutschland: Ein Schlüsselakteur in der neuen Kriegsphase? Statistik: Internationale Hilfen für die Ukraine Analyse: Selenskyjs Appelle an russische Staatsbürger:innen im ersten Jahr des russischen Aggressionskriegs gegen die Ukraine Dokumentation: Ansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj an das russische Volk am Vorabend der großangelegten Invasion Chronik: 28. Oktober bis 20. November 2023 Der Globale Süden und der Krieg (24.11.2023) Analyse: Der Blick aus dem Süden: Lateinamerikanische Perspektiven auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine Analyse: Russlands Krieg gegen die Ukraine und Afrika: Warum die Afrikanische Union zwar ambitioniert, aber gespalten ist Analyse: Eine Kritik der zivilisatorischen Kriegsdiplomatie der Ukraine im Globalen Süden Umfragen: Umfragedaten: Der Globale Süden und Russlands Krieg gegen die Ukraine Dokumentation: Abstimmungen in der Generalversammlung der Vereinten Nationen Chronik: 16. bis 27. Oktober 2023 Zwischen Resilienz und Trauma: Mentale Gesundheit (02.11.2023) Analyse: Mentale Gesundheit in Zeiten des Krieges Karte: Angriffe auf die Gesundheitsinfrastruktur der Ukraine Analyse: Den Herausforderungen für die psychische Gesundheit ukrainischer Veteran:innen begegnen Umfragen: Umfragen zur mentalen Gesundheit Statistik: Mentale Gesundheit: Die Ukraine im internationalen Vergleich Chronik: 1. bis 15. Oktober 2023 Ukraine-Krieg in deutschen Medien (05.10.2023) Kommentar: Der Kampf um die Deutungshoheit. Deutsche Medien zu Ukraine, Krim-Annexion und Russlands Rolle im Jahr 2014 Analyse: Die Qualität der Medienberichterstattung über Russlands Krieg gegen die Ukraine Analyse: Russlands Aggression gegenüber der Ukraine in den deutschen Talkshows 2013–2023. Eine empirische Analyse der Studiogäste Chronik: 1. bis 30. September 2023 Ökologische Kriegsfolgen / Kachowka-Staudamm (19.09.2023) Analyse: Die ökologischen Folgen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine Analyse: Ökozid: Die katastrophalen Folgen der Zerstörung des Kachowka-Staudamms Dokumentation: Auswahl kriegsbedingter Umweltschäden seit Beginn der großangelegten russischen Invasion bis zur Zerstörung des Kachowka-Staudamms Statistik: Statistiken zu Umweltschäden Zivilgesellschaft / Lokale Selbstverwaltung und Resilienz (14.07.2023) Von der Redaktion: Sommerpause – und eine Ankündigung Analyse: Die neuen Facetten der ukrainischen Zivilgesellschaft Statistik: Entwicklung der ukrainischen Zivilgesellschaft Analyse: Der Beitrag lokaler Selbstverwaltungsbehörden zur demokratischen Resilienz der Ukraine Wissenschaft im Krieg (27.06.2023) Kommentar: Zum Zustand der ukrainischen Wissenschaft in Zeiten des Krieges Kommentar: Ein Brief aus Charkiw: Ein ukrainisches Wissenschaftszentrum in Kriegszeiten Kommentar: Warum die "Russian Studies" im Westen versagt haben, Aufschluss über Russland und die Ukraine zu liefern Kommentar: Mehr Öffentlichkeit wagen. Ein Erfahrungsbericht Statistik: Auswirkungen des Krieges auf Forschung und Wissenschaft der Ukraine Innenpolitik / Eliten (26.05.2023) Analyse: Zwischen Kriegsrecht und Reformen. Die innenpolitische Entwicklung der Ukraine Analyse: Die politischen Eliten der Ukraine im Wandel Statistik: Wandel der politischen Elite in der Ukraine im Vergleich Chronik: 5. April bis 3. Mai 2023 Sprache in Zeiten des Krieges (10.05.2023) Analyse: Die Ukrainer sprechen jetzt hauptsächlich Ukrainisch – sagen sie Analyse: Was motiviert Ukrainer:innen, vermehrt Ukrainisch zu sprechen? Analyse: Surschyk in der Ukraine: zwischen Sprachideologie und Usus Chronik: 08. März bis 4. April 2023 Sozialpolitik (27.04.2023) Analyse: Das Sozialsystem in der Ukraine: Was ist nötig, damit es unter der schweren Last des Krieges besteht? 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Annual Report (Ausschnitt) Dokumentation: Terror, disappearances and mass deportation Dokumentation: Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) gegen Wladimir Putin wegen der Verschleppung von Kindern aus besetzten ukrainischen Gebieten nach Russland Analyse: Die Wiedereingliederung des Donbas nach dem Krieg: eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung Chronik 11. bis 21. Februar 2023 Internationaler Frauentag, Feminismus und Krieg (13.03.2023) Analyse: 8. März, Feminismus und Krieg in der Ukraine: Neue Herausforderungen, neue Möglichkeiten Umfragen: Umfragen zum Internationalen Frauentag Interview: "Der Wiederaufbau braucht einen geschlechtersensiblen Ansatz" Statistik: Kennzahlen und Indizes geschlechterspezifischer Ungleichheit Korruptionsbekämpfung (08.03.2023) Analyse: Der innere Kampf: Korruption und Korruptionsbekämpfung als Hürde und Gradmesser für den EU-Beitritt der Ukraine Dokumentation: Statistiken und Umfragen zu Korruption Analyse: Reformen, Korruption und gesellschaftliches Engagement Chronik: 1. bis 10. Februar 2023 Kriegsentwicklung / Jahrestag der Invasion (23.02.2023) Analyse: Unerwartete Kriegsverläufe Analyse: Die Invasion der Ukraine nach einem Jahr – Ein militärischer Rück- und Ausblick Kommentar: Die Unterstützung der NATO-Alliierten für die Ukraine: Ursachen und Folgen Kommentar: Der Krieg hat die Profile der EU und der USA in der Ukraine gefestigt Kommentar: Wie der Krieg die ukrainische Gesellschaft stabilisiert hat Kommentar: Die existenzielle Frage "Sein oder Nichtsein?" hat die Ukraine klar beantwortet Kommentar: Wie und warum die Ukraine neu aufgebaut werden sollte Kommentar: Der Krieg und die Kirchen Karte: Kriegsgeschehen in der Ukraine (Stand: 18. Februar 2023) Statistik: Verluste an Militärmaterial der russischen und ukrainischen Armee Chronik: 17. bis 31. Januar 2023 Meinungsumfragen im Krieg (15.02.2023) Kommentar: Stimmen die Ergebnisse von Umfragen, die während des Krieges durchgeführt werden? Kommentar: Vier Fragen zu Umfragen während eines umfassenden Krieges am Beispiel von Russlands Krieg gegen die Ukraine Kommentar: Meinungsumfragen in der Ukraine zu Kriegszeiten: Zeigen sie uns das ganze Bild? Kommentar: Meinungsforschung während des Krieges: anstrengend, schwierig, gefährlich, aber interessant Kommentar: Quantitative Meinungsforschung in der Ukraine zu Kriegszeiten: Erfahrungen von Info Sapiens 2022 Kommentar: Meinungsumfragen in der Ukraine unter Kriegsbedingungen Kommentar: Politisches Vertrauen als Faktor des Zusammenhalts im Krieg Kommentar: Welche Argumente überzeugen Deutsche und Dänen, die Ukraine weiterhin zu unterstützen? Dokumentation: Umfragen zum Krieg (Auswahl) Chronik: Chronik 9. bis 16. Januar 2023 Ländliche Gemeinden / Landnutzungsänderung (19.01.2023) Analyse: Ländliche Gemeinden und europäische Integration der Ukraine: Entwicklungspolitische Aspekte Analyse: Monitoring der Landnutzungsänderung in der Ukraine am Beispiel der Region Schytomyr Chronik: 26. September bis 8. Januar 2023 Weitere Angebote der bpb Redaktion

Kommentar: Erinnerungskultur in der "Zeitenwende". Die deutsche Weltkriegserinnerung und der Ukrainekrieg

Dr. Stephan Scholz Von Stephan Scholz (Universität Oldenburg)

/ 7 Minuten zu lesen

Neben Kanzler Olaf Scholz scheinen auch breite Teile der Gesellschaft in Deutschland bei Waffenlieferungen in die Ukraine zu zögern. Eine Ursache liegt in der viel gelobten deutschen Erinnerungskultur.

Bundeskanzler Olaf Scholz besucht auf seiner Ukraine-Reise im Juni 2022 die zerstörte Stadt Irpin bei Kyjiw. (© picture alliance/dpa | Kay Nietfeld)

Zusammenfassung

Neben Kanzler Olaf Scholz und den Verfasser:innen Offener Briefe scheinen auch breite Teile der Gesellschaft in Deutschland bei Waffenlieferungen in die Ukraine zu zögern. Ein Grund für dieses Zaudern ist die viel gelobte deutsche Erinnerungskultur.

Viele Deutsche tun sich schwer damit, die Ukraine in ihrem Widerstand gegen den russischen Angriffskrieg militärisch zu unterstützen. Eine in der Regierungspolitik vor allem auf Seiten der SPD deutlich erkennbare Zögerlichkeit scheint – wenn man aktuellen Umfragen glauben darf – auch in Teilen der Bevölkerung verbreitet zu sein. Personen des öffentlichen Lebens bringen in Talkshows, Zeitungsartikeln und offenen Briefen nicht nur ihre Ablehnung gegenüber der Lieferung von schweren Waffen zum Ausdruck. Sie äußern auch generell Unbehagen und Zweifel an einer militärischen Gegenwehr, deren letztendlicher Nutzen ihnen angesichts der Opfer und einer möglichen Ausweitung des Krieges fraglich erscheint.

Gelegentlich explizit und noch häufiger implizit wird dabei auf die deutsche Erfahrung des Zweiten Weltkriegs Bezug genommen und auf die Lehren, die daraus zu ziehen sind. Generationsbedingt spielen dabei eigene Erinnerungen nur noch bei wenigen Akteuren eine Rolle (und führen auch zu höchst unterschiedlichen Schlussfolgerungen, zum Beispiel bei Klaus von Dohnanyi und Gerhart Baum). Manche rekurrieren, wie Harald Welzer, auf familiäre Kriegserinnerungen. Von noch größerer Bedeutung ist heute aber wohl die öffentliche Erinnerungskultur, die sich in den vergangenen Jahrzehnten herausgebildet hat und den gesellschaftlichen Blick auf Geschichte und Gegenwart gleichermaßen prägt.

Eine "offene und selbstreflexive Debatte um erneuerte historische Vergewisserung" sei in einem "Deutschland der "Zeitenwende"" dringend nötig, schreibt Michael Wildt im Zusammenhang der Debatte über das Verhältnis von Holocaust und Kolonialismus. Aber gerade auch der Krieg in der Ukraine stellt die deutsche Erinnerungskultur auf den Prüfstand. Es stellt sich die Frage, auf welche Weise sie zu einer zurückhaltenden und zögerlichen Haltung gegenüber einer militärischen Unterstützung der Ukraine beigetragen hat. Bedürfen bestimmte erinnerungskulturelle Gewissheiten und Gewichtungen vor diesem Hintergrund einer neuen Bewertung oder veränderten Justierung?

"Nie wieder Auschwitz" – "Nie wieder Krieg"

Konstitutiver Bezugspunkt und negatives Zentralereignis der deutschen Erinnerungskultur ist heute unbestreitbar der Holocaust. "Nie wieder Auschwitz!" ist seit den 1980er Jahren erinnerungskultureller Kernbestand und handlungsleitende Maxime zugleich. Vor allem im politisch eher linken Spektrum verband sich damit vielfach das pazifistische Diktum "Nie wieder Krieg!". Zusammen wirkten beide lange Zeit wie zwei Seiten derselben Medaille. Tatsächlich war der Holocaust nur vor dem Hintergrund des deutschen Eroberungskrieges möglich geworden. Andererseits wurde Auschwitz aber auch nur durch die Kriegführung der Alliierten befreit und die Shoah durch ihren militärischen Einsatz beendet.

Dass eine Umsetzung von "Nie wieder Auschwitz!" bedeuten konnte, auch militärisch eingreifen zu müssen, wurde in den 1990er Jahren im Zusammenhang mit den Kriegen im zerfallenden Jugoslawien in einem für viele schmerzhaften und kontrovers geführten Prozess zunehmend erkannt. Trotz dieser Erkenntnis blieb dennoch die Ansicht dominierend, dass Deutschland sich wegen seiner Geschichte bei militärischen Aktionen besonders zurückhalten sollte.

Aufgrund der historischen Erfahrung, mit dem Zweiten Weltkrieg unermessliches Leid über andere Völker gebracht zu haben und an seinem Ende auch selbst Opfer dieses Krieges geworden zu sein, hielt sich die Überzeugung, dass Krieg prinzipiell ein illegitimes Mittel sei und insbesondere von deutscher Seite nicht angewendet werden dürfe. Dies galt vor allem für Konflikte, die nicht eindeutig mit genozidalen Verbrechen einhergingen.

Die Verhinderung bzw. Beendigung des Völkermordes an den Juden und Jüdinnen war auf Seiten der Alliierten im Zweiten Weltkrieg allerdings weder Ursache noch primäres Motiv ihrer Kriegsführung. Sie reagierten vielmehr auf die aggressive Expansionspolitik Deutschlands. Die damit verbundenen deutschen Verbrechen unterhalb der Schwelle des Völkermords – der deutsche Angriffskrieg, die Bombardierung von Städten, massenhafte Verschleppungen von Zivilisten zur Zwangsarbeit, die rassistische und brutale Besatzungspolitik gegenüber der Bevölkerung nicht nur, aber vor allem in Osteuropa – sind in der deutschen Erinnerungskultur weniger verankert. In den davon betroffenen Ländern sind sie dagegen nach wie vor präsent. Sie legitimieren hier rückblickend den Kampf gegen das nationalsozialistische Deutschland ebenso wie die grundsätzliche Überzeugung, dass Kriege notwendig sein können.

Kämpfen lohnt sich nicht

Anders als ihre ehemaligen Kriegsgegner haben die Deutschen nicht die Erfahrung eines breiten und letztlich erfolgreichen Widerstandes sowie der Selbstbefreiung vom Nationalsozialismus gemacht. In die deutsche Erinnerungskultur ging vielmehr die Erfahrung ein, im Zweiten Weltkrieg für die falsche Sache und nur in sehr wenigen Fällen und zudem vergeblich gegen den Nationalsozialismus gekämpft zu haben. Die deutsche Bilanz aus dem Zweiten Weltkrieg war, dass der Kampf der Soldaten schlecht und die wenigen Beispiele gewaltsamen Widerstandes erfolglos geblieben waren.

"Unsere Großeltern […] haben Widerstand geleistet. Und das müssen wir auch heute tun." Ein solcher Satz, den der britische Publizist Paul Mason kürzlich zum Ukrainekrieg schrieb, ist in der deutschen Debatte noch nicht gefallen und auch nur schwer vorstellbar. Die historische Erfahrung eines notwendigen Kampfes für eine gerechte Sache fehlt in der jüngeren deutschen Erinnerungskultur ebenso wie die Erfahrung, dass gewaltsamer Widerstand gegen einen verbrecherischen Gegner nicht nur moralisch geboten, sondern auch erfolgreich sein kann. Die deutsche Erfahrung, dass es sich nicht zu kämpfen lohnt, fundierte dagegen eine Nachkriegserinnerung, die langfristig zu einer weitverbreiteten Distanz zu jeglichen Formen von Krieg und Gewalt führte.

Damit hatte sich auch das Modell einer heroischen Kriegserinnerung für die Deutschen erledigt. Anders in der Erinnerungskultur der Alliierten und der ehemals besetzten Länder: Die Erinnerung an Soldat:innen, Widerstandskämpfer:innnen und Partisan:innen, die den Nationalsozialismus nach langem Kampf schließlich erfolgreich besiegt und dafür Gesundheit oder Leben geopfert hatten, begründete und festigte hier durchaus auch ein heroisches Gedächtnis. Es wirkt bis in die Gegenwart fort und wird von deutscher Seite oft mit einer sich postheroisch gebenden Überheblichkeit als vermeintlich aus der Zeit gefallen belächelt. Erst spät und ganz allmählich verankerte sich in der deutschen Erinnerungskultur die Überzeugung, durch den Kampf der anderen nicht nur besiegt, sondern ebenfalls befreit worden zu sein.

Opferidentität und Aufarbeitungsstolz

Die Erinnerung an die siegreichen alliierten Soldaten blieb jedoch ambivalent. Vor allem die Sowjetsoldaten der Roten Armee – schon bei Kriegsende oft verkürzt als "die Russen" bezeichnet – wurden und werden bis heute vor allem als Vergewaltiger deutscher Frauen, als Vertreiber der deutschen Bevölkerung aus dem Osten oder als spätere Besatzer im Ostteil des Landes erinnert. Nicht zuletzt aus dieser Erinnerung heraus resultiert heute eine besondere Furcht vor "den Russen", die als potenziell brutale Gewalttäter besser nicht provoziert, sondern mit denen lieber eine gütliche Einigung gesucht werden sollte.

Die Deutschen selbst bildeten dagegen ein ambivalentes Opfer-Täter-Gedächtnis aus. Dem lange dominierenden Selbstbild als Opfer der Niederlage, alliierter Siegerwillkür oder des Krieges selbst stellte sich später ein Täterbewusstsein an die Seite, das sich vor allem auf die Erinnerung an den Holocaust gründete. Heute gehört die "Aufarbeitung" besonders dieses Teiles der deutschen Geschichte fest zum erinnerungskulturellen Selbstverständnis. Dies führt in Talkshows oder bei anderen Gelegenheiten allerdings gelegentlich auch zu selbstgefälliger Überheblichkeit gegenüber Repräsentanten nichtdeutscher Gesellschaften, die in dieser Hinsicht als rückständig betrachtet werden – wenn sie sich zum Beispiel noch nicht gleichermaßen intensiv mit ihrer Kollaborationsgeschichte auseinandergesetzt haben – oder denen signalisiert wird, dass man in historischer Hinsicht keiner weiteren Belehrung mehr bedürfe, weil man seine Hausaufgaben bereits gemacht habe.

Solidarität und Zurückhaltung

Trotz der Verankerung des Täterbewusstseins in der deutschen Erinnerungskultur verstärkte sich seit dem Ende des Kalten Krieges wieder das Selbstverständnis, auch selbst Opfer des Zweiten Weltkrieges gewesen zu sein. Das deutsche Opferbewusstsein war insbesondere seit der Jahrtausendwende medial präsent. Die derzeitige Solidarität mit den ukrainischen Opfern des russischen Angriffskrieges und die umfangreiche Bereitschaft, sie zu unterstützen, erklärt sich auch vor dem Hintergrund dieser kulturellen Erinnerung an eigene Kriegserfahrungen.

Insbesondere die Empathie und Hilfsbereitschaft gegenüber den ukrainischen Flüchtlingen – meist Frauen und Kinder – scheinen auch eine Folge des etablierten deutschen Opferselbstbildes in der Erinnerung an die meist weiblich visualisierten deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen vor und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu sein. Die Vergegenwärtigung der Männer, die heute und damals als Soldaten kämpfen, ruft im deutschen Fall dagegen das Täterbewusstsein auf. Kämpfende Männer im Krieg – das ist in der deutschen Erinnerung ein negativ besetztes Motiv, das ebenfalls nachwirkt, wenn es um die militärische Unterstützung der Ukraine geht.

Erinnerungskulturelle Selbstbezogenheit und politische Zaghaftigkeit

Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat die deutsche Gesellschaft über die Jahrzehnte hinweg eine wechselhafte erinnerungskulturelle Entwicklung genommen. Sie hat dabei die Fähigkeit bewiesen, etablierte Formen des historischen Selbstverständnisses immer wieder selbstreflexiv zu hinterfragen und gegebenenfalls zu regulieren. Das wurde auch außerhalb Deutschlands mit großer Anerkennung registriert. Kürzlich meinte dagegen zum Beispiel der liberale polnische Oppositionsführer und ehemalige EU-Ratspräsident Donald Tusk, man könne den Eindruck gewinnen, dass Deutschland die falschen Lehren aus der Geschichte gezogen habe.

Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine wird deutlich, dass die deutsche Erinnerungskultur immer noch von einer starken Selbstbezogenheit bestimmt ist. Zu wenig sind die Kriegserinnerungen der europäischen Nachbarn und ehemaligen Kriegsgegner wahr- und ernstgenommen worden. Zu wenig sind sie in eine auf sich selbst gerichtete Beschäftigung mit der Geschichte eingegangen und konnten hier eine regulative Wirkung entfalten. In der Folge davon zeigt sich heute gegenüber der Ukraine vielfach eine ebenso zurückhaltende und zaghafte wie selbstgefällige und überhebliche Haltung. Sie wird der existenziellen Bedrohung der Ukraine durch Russland ebenso wenig gerecht wie der damit verbundenen Gefährdung der Demokratie in Europa, für deren Bestand auch die deutsche Erinnerungskultur eine Mitverantwortung trägt.

Der Text ist zuerst erschienen auf der Website "Geschichte der Gegenwart", Externer Link: https://geschichtedergegenwart.ch/erinnerungskultur-in-der-zeitenwende-die-deutsche-weltkriegserinnerung-und-der-ukrainekrieg/ . Wir danken dem Autoren für die Erlaubnis zum Nachdruck.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Dr. Stephan Scholz ist Privatdozent am Institut für Geschichte der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und arbeitet zu deutscher Erinnerungskultur und historischer Migrationsforschung. Er schrieb u. a. zur deutschen Vertreibungserinnerung in der Flüchtlingsdebatte 2015 und zu Denkmälern für Geflüchtete in der postmigrantischen Gesellschaft.