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Deutsche Einigung und Rentenversicherung | Rentenpolitik | bpb.de

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Deutsche Einigung und Rentenversicherung

Gerhard Bäcker Ernst Kistler Uwe G. Rehfeld

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Exakt an dem Tag, an dem sich die Mauer öffnete, dem 9. November 1989, verabschiedete der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit das lange vorbereitete und beratene Rentenreformgesetz 1992. Niemand konnte wissen, dass unmittelbar danach die Wiedervereinigung folgte und auf die Rentenversicherung neue Aufgaben und Belastungen zukamen.

Leipziger Rentner beim Bau von Nisthilfen. Obwohl eine vollständige Angleichung des Rentenrechts noch aussteht, ist der Wiedervereinigungsprozess für die Rentenversicherung im Resümee positiv zu beurteilen. (© picture-alliance/dpa)

Der Beitritt der DDR in die Bundesrepublik Deutschland sollte als Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion gestaltet werden. Dazu wurden für die Rentenversicherung gesetzliche Grundlagen (zunächst noch von der Volkskammer und nach der Wiedervereinigung vom neu gewählten Bundestag) geschaffen, bei denen davon ausgegangen wurde, dass sich der Osten sehr rasch an den Westen anpassen würde.

Der Einigungsprozess verlief unglaublich schnell und dynamisch. Er erforderte sowohl im Währungsbereich wie auch bei der sozialen Sicherung sehr rasche rechtliche Regulierungen. Dabei waren vorbereitend und in enger Zusammenarbeit die Regierungen beider Staaten befasst.

Durch das Gesetz zur Sozialversicherung vom 28.6.1990 wurden von der Volkskammer die beitragsrechtlichen Vorschriften der DDR denen der Bundesrepublik angenähert. Damit wurde in den neuen Bundesländern die Grundlage für die paritätisch finanzierte, selbstverwaltete Sozialversicherung gelegt. Auch die traditionelle Gliederung: Sozialversicherung, betriebliche Alterssicherung und Berufsständische Versorgungswerke wurde auf das Beitrittsgebiet übertragen.

Zum 1. Juli 1990 erfolgte die Währungsumstellung − für Renten im Verhältnis 1:1 von Mark der DDR auf DM − wobei gleichzeitig die Anhebung des Rentenniveaus verbunden war. Diese Maßnahmen waren richtig, denn durch die Währungsunion veränderten sich Löhne und Preise unmittelbar. Es war deshalb erforderlich, die Renten an die neuen Verhältnisse anzupassen. In das Verfahren waren nach dem Rentenangleichungsgesetz alle Renten einschließlich der Freiwilligen Zusatzversicherung einbezogen. Als Orientierung galt ein Netto-Rentenniveau von 70 Prozent, das im Staatsvertrag festgelegt worden war. Das durchschnittliche Nettogehalt in der DDR am 1. Juli 1990 betrug 960 DM, woraus sich für einen Versicherten mit 45 Versicherungsjahren (Standardrentner) eine Eckrente von 672 DM ergab. Die Rentenanhebung erfolgte technisch mit gesetzlich festgelegten Faktoren, die tabellarisch den Berentungsjahren und Arbeitsjahren zugeordnet waren .

Durch diese "nachgeholte Dynamik" wurden zwei wichtige Elemente des westdeutschen Rentenrechts berücksichtigt:

  • Beitragsäquivalenz und Entgeltentwicklung. Bei den Fällen, in denen die Rente unter 495 Mark lag, wurde ein Sozialaufschlag von bis zu 165 Mark gezahlt. Am 1.Juli 1990 wurden die angehobenen DDR-Renten einschließlich der Sozialzuschläge im Verhältnis 1:1 von Mark der DDR auf DM umgestellt.

  • Auch alle nach diesem Datum neu zugehenden Renten wurden 1990 und 1991 auf diese Weise an das Rentenniveau der Bundesrepublik angepasst. Faktisch sind mit diesen Regelungen somit fast alle Renten angehoben worden. Dabei lag der höchste Satz bei 62,04 Prozent für Fälle im Rentenbestand, die bis 1970 berentet worden waren. Für den Eckrentner (45 Arbeitsjahre) der Zugangsjahre bis zum Jahr 1970 betrug der Anhebungssatz 42,98 Prozent und für Zugänge des Jahres 1990 11,63 Prozent.

Rentenüberleitungsgesetz von 1991

Dieses Gesetz wurde vom Bundestag beschlossen und trat mit Wirkung vom 1. Januar 1992 zeitgleich mit den Neuregelungen der Rentenreform `92` in Kraft. Das Gesetz war nach langen, kontroversen Beratungen letztlich aus Gründen der Eilbedürftigkeit (der Termin zur Umsetzung am 1. Januar 1992 hätte nicht gehalten werden können) verabschiedet worden. Neben einem Finanzverbund der Rentenversicherung (d. h. einem damit verbundenen Finanztransfer West - Ost) wurden insbesondere DDR-Einkommen anhand von Tabellenwerten höher bewertet, damit den West-Einkommen vergleichbar gemacht und Renten und Anwartschaften im Niveau angehoben. Während Fälle mit Begünstigungen aus Übergangsvorschriften (z. B. Auffüllbeträge, Rentenzuschläge) in der Fallzahl stark zurückgegangen sind, wirken die Vorschriften, die an die Entgeltentwicklung gekoppelt sind, solange der Angleichungsprozess anhält (vgl. unten).

Gleiches Recht für Ost und West

Hauptziel des Rentenüberleitungsgesetzes war eine Neuberechnung der Ostrenten nach dem Rentenrecht der Bundesrepublik, d. h. insbesondere unter Berücksichtigung der Versicherungsjahre und der individuellen Verdienste. Dabei wurde auf die letzten 20 Arbeitsjahre abgestellt. Einerseits sollten die Entgelte auch oberhalb der relativ niedrigen und konstanten Beitragsbemessungsgrenze (von 600 Mark) berücksichtigt werden. Andererseits lagen die Entgelte generell sehr niedrig und hätten zu niedrigen Renten geführt. Es wurden daher alle DDR-Entgelte mittels Umrechnungsfaktoren für die einzelnen Jahre von 1950 - 1997 höher gewertet. Die errechneten Rentenbeträge wurden für Bestandsrentner und Rentenzugänge bis Ende 1996 mit dem Rentenbetrag zum Stichtag Dezember 1991 verglichen. Sofern sich eine niedrigere Rente ergab, wurde diese mit einem Auffüllbetrag angehoben. Von anfangs rund 2,4 Millionen Fällen mit einem Auffüllbetrag von durchschnittlich 121 Euro wurden im Rentenbestand Dezember 2014 noch 80.000 Fälle mit einem Auffüllbetrag von 112 Euro gezählt .

Verwaltungstechnisch präzise und erfolgreich

Zum 1. Januar 1992 wurden 3,6 Mio. Renten umgewertet. Es gab rund 200.000 Fälle, in denen die Unterlagen noch nicht vollständig waren, so dass die Rente zunächst in gleicher Höhe weiter gezahlt wurde. Bei rund 200.000 Fällen waren auch Anteile aus Zusatzversorgungen enthalten. Bei rund 2,4 Millionen umgewerteten Renten wurden Auffüllbeträge gezahlt (55,6 Prozent der Männer-, 96,7 Prozent der Frauenrenten).

Insgesamt erhielten durch Rentenüberleitung und Rentenerhöhung zum 1. Jan. 1992 96 Prozent der Rentner eine höhere Rente. So perfekt und präzise die Umsetzung des Gesetzes seitens der Verwaltung für die Mehrheit der Rentner gelang, so gab es insbesondere für einige sehr hohe Renten begrenzende Regelungen bei Zusatz- und Sonderversorgungssystemen. Dies führte zu längeren Diskussionen und Rechtstreitigkeiten bis zum Bundesverfassungsgericht (BVG), mit der Folge, dass die Höchstrentengrenze von 2.010 DM auf 2.700 DM rückwirkend für Versorgungen aus dem nicht-staatsnahen Systemen ab 1.8.1991 angehoben wurde.

Nur durch die gesetzliche Rentenversicherung konnte das sozialpolitisch bedeutsame Vorhaben für Versicherte und Rentner so erreicht werden, wie im Einigungsvertrag in den Eckpunkten vereinbart. Dazu gab es keine Alternative (vgl. Kasten).

QuellentextOhne Umlageverfahren keine Wiedervereinigung

"Bei der Vereinigung hat sich das Umlageverfahren in der GRV bewährt. Die Übernahme der Rentner in die Solidargemeinschaft der bundesdeutschen Rentenversicherung wäre nicht möglich gewesen, wenn statt diesem Verfahren, in dem die Renten aus den laufenden Beitragseinnahmen der Versicherten bezahlt werden, ein Kapitaldeckungsverfahren - wie in jeder Privatversicherung bestanden hätte. Für eine lange Übergangszeit hätten dann bis zum Aufbau eines eigenen Kapitalstocks durch die Rentner des Ostens diese Renten allein vom Staat gezahlt werden müssen. Das hätte zwangsläufig zu sehr viel niedrigeren Renten geführt und den Bundeshaushalt zusätzlich stark belastet."

Quelle: Ritter (2012), S. 77.

Weitere Inhalte

Gerhard Bäcker, Prof. Dr., geboren 1947 in Wülfrath ist Senior Professor im Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. Bis zur Emeritierung Inhaber des Lehrstuhls "Soziologie des Sozialstaates" in der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Forschungsschwerpunkte: Theorie und Empirie des Wohlfahrtsstaates in Deutschland und im internationalen Vergleich, Ökonomische Grundlagen und Finanzierung des Sozialstaates, Systeme der sozialen Sicherung, insbesondere Alterssicherung, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Lebenslagen- und Armutsforschung.

Ernst Kistler, Prof. Dr., geboren 1952 in Windach/Ammersee ist Direktor des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie, INIFES gGmbH in Stadtbergen bei Augsburg. Forschungsschwerpunkte: Sozial- und Arbeitsmarktberichterstattung, Demografie, Sozialpolitik, Armutsforschung.

Uwe G. Rehfeld, Dipl.-Volkswirt, geb. 1945 in Freital/Dresden war nach Studium mit Schwerpunkten Finanzwissenschaft, Sozialpolitik und Statistik langjähriger Leiter der Statistik der Rentenversicherung - zunächst beim Verband und bis zum Ruhestand bei der Deutschen Rentenversicherung Bund. Dort leitete er den Geschäftsbereich Volkswirtschaftliche Grundfragen der Sozialpolitik dem auch das Statistische Berichtswesen, Forschungsnetzwerk Alterssicherung(FNA) und das Forschungsdatenzentrum zugeordnet waren. Er leitete eine Reihe wichtiger empirischer Projekte zur sozialen Sicherung, war Mitglied mehrerer nationaler und internationaler Gremien und langjährig Dozent an Fachhochschulen.
Arbeits- und Publikationsthemen: Grundsatzfragen und Empirie zur Renten- und Sozialpolitik, Förderung der Forschung zur Alterssicherung.