Die gesetzlichen Renten, aber auch Betriebsrenten und geförderte Riester-Renten, werden auf den Grundsicherungsbedarf angerechnet, so dass es im Ergebnis für die Einkommenslage von Grundsicherungsempfängern völlig unerheblich ist, ob Rentenansprüche erworben worden sind oder nicht.
Dieses Verfahren entspricht der Logik eines Fürsorgesystems, das das soziokulturelle Existenzminimum unabhängig von irgendwelchen Vorleistungen absichern will, jedoch nur leistet, soweit Hilfebedürftigkeit vorliegt.
Empfänger von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung und Rentenansprüche 2017 (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Empfänger von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung und Rentenansprüche 2017 (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Einen interessanten Einblick in die Struktur der Grundsicherungsempfänger erhält man, wenn man fragt, wie groß die Gruppe derer ist, die überhaupt keine Rente beziehen: Bei der Grundsicherung im Alter verfügen 23 Prozent über keine Rente, bei Grundsicherung bei Erwerbsminderung sind es hingegen 63 Prozent (vgl. Abbildung "Empfänger von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung und Rentenansprüche 2017")
Bei denjenigen Älteren, die keinen Rentenanspruch haben, handelt es sich um Personen, die selbst die minimale Bezugsvoraussetzung für eine Regelaltersrente, nämlich die Wartezeit von 5 Jahren nicht erfüllen. Hier dürfte es sich in erster Linie um Selbstständige sowie um Migranten handeln
Aufstockung von Alters- und Erwerbsminderungsrenten durch die Grundsicherung 2003 – 2017 (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Aufstockung von Alters- und Erwerbsminderungsrenten durch die Grundsicherung 2003 – 2017 (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Wenn auf der anderen Seite allein die Rentner der Gesetzlichen Rentenversicherung betrachtet werden, zeigt sich, dass der Anteil der Altersrentner, die eine Aufstockung ihrer Rente durch die Grundsicherung erhalten, mit 2,6 Prozent (2016) recht gering ist. Er hat sich seit 2003 zwar erhöht, bleibt aber auf einem niedrigen Niveau. Bei den Beziehern einer Erwerbsminderungsrente sehen die Verhältnisse allerdings anders aus. Hier finden sich im Jahr 2016 zu 14,7 Prozent Aufstocker. Gegenüber 2003 hat sich dieser Anteil nahezu verdreifacht (2003: 4,1 %) (vgl. Abbildung "Aufstockung von Alters- und Erwerbsminderungsrenten durch die Grundsicherung 2003 - 2017").
Grundsicherung trotz langjähriger Beitragszahlung?
Für die politische Stabilität und Akzeptanz der Rentenversicherung kann es aber zu einem gravierenden Problem werden, wenn das Grundsicherungsniveau nicht nur in Fällen kurzer Versicherungsdauer höher liegt als individuelle Renten, sondern auch nach einem langen Versicherungsleben (Stichwort z. B. Niedriglohn). Während nämlich nicht erwartet wird und erwartet werden kann, dass nach nur wenigen Beitragsjahren eine ausreichend hohe Rente erworben wird, ist dies anders, wenn über Jahrzehnte hinweg Pflichtbeiträge entrichtet worden sind und dennoch die Renten noch nicht einmal das sozial-kulturelle Existenzminimum erreichen.
Die Gefahr eines ergänzenden Grundsicherungsbedarfs zu Rentenzahlungen ist entsprechend den Konstruktionsmechanismen der Rentenformel (vgl.
Anhand einer auf das Jahr 2015 bezogenen Modellrechnung lässt sich dieser Zusammenhang verdeutlichen: Ein Durchschnittsverdiener (Entgeltposition von 100 %) braucht 28,5 Beitragsjahre, um eine Rente in Höhe des Grundsicherungsbedarfs einschließlich (durchschnittliche) Warmmiete von 747 Euro (Alleinstehende/r) zu erhalten. Liegt die Entgeltposition jedoch nur bei 50 Prozent, erhöht sich die rechnerisch notwendige Beitragsdauer auf 56,9 Jahre.
Überschneidung von Grundsicherungsbedarf und Rente bei sinkendem Rentenniveau (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
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Dieser für das Jahr 2015 ermittelte Verlauf des Verhältnisses von Entgeltposition und Beitragsdauer bezieht sich auf ein Rentenniveau von 47,6 Prozent (zum Rentenniveau vgl.
Die Zahl der Versicherungsjahre, die für eine Rente in Höhe des Grundsicherungsbedarfs erforderlich sind, wird immer größer:
Bei einem Netto-Rentenniveau vor Steuern von 46,0 Prozent, wie es die Bundesregierung für das Jahr 2025 annimmt, muss ein Durchschnittsverdiener schon 29,5 Beitragsjahre aufweisen, ein Beschäftigter mit einer Entgeltposition von 50 Prozent sogar 58,9 Jahre. Bei einem Niveau von 43 Prozent, das nach dem Gesetz für 2030 die Untergrenze darstellt, erhöhen sich die entsprechenden Werte auf 32 bzw. 64 Beitragsjahre (vgl. Abbildung "Überschneidung von Grundsicherungsbedarf und Rente bei sinkendem Rentenniveau").
Unabhängig von der Frage, ob ein Regelsatz von 399 Euro (2015) als armutsvermeidend angesehen werden kann, bleibt festzustellen, dass die preis- und lohnbezogene Anpassung des Regelsatzes in den Jahren zwischen dem fünfjährigen Neuberechnungsrhythmus (auf der Basis der Auswertung der EVS) wohl höher ausfallen wird als die Rentenanpassung. Denn die Rentenanpassung folgt der Lohnentwicklung ja nur gebremst und berücksichtigt die Preisentwicklung überhaupt nicht. Dies lässt erwarten, dass es auch von daher häufiger und schneller zu einer Überschneidung zwischen Renten und Grundsicherungsniveau kommt.
Mit der (wachsenden) Überschneidung ist nicht gesagt, dass all jene, die eine Rente unterhalb des Grundsicherungsbedarfs beziehen, tatsächlich auch einen Anspruch auf eine aufstockende Grundsicherungsleistung haben. Denn nicht allein die Individualrente, sondern sämtliche Einkommen und Vermögen − und zwar im Haushaltskontext − werden angerechnet. Aber es bleibt das Legitimations- und Akzeptanzproblem einer beitragsfinanzierten Rentenversicherung, wenn trotz einer jahrzehntelangen Versicherungspflicht das Alterseinkommen womöglich nicht höher liegt als bei denen, die keine Vorsorge geleistet haben.