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Mittelamerika: Einfluss und Rolle der organisierten Kriminalität | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Mittelamerika: Einfluss und Rolle der organisierten Kriminalität

Anne Gehrmann

/ 9 Minuten zu lesen

In Mittelamerika erzielen grenzüberschreitend organisierte Gruppen mit Schmuggel enorme Gewinne. Dies geht mit einer der weltweit höchsten Mordraten einher. Die schwachen staatlichen Institutionen haben den kriminellen Strukturen nur wenig entgegenzusetzen. Dies hat schwerwiegende Folgen für die politische Stabilität und wirtschaftliche Entwicklung der Region.

Verhaftete Mitglieder der Gang "Mara Salvatrucha" werden in einem Hochsicherheitsgefängnis in El Salvador von Sicherheitskräften bewacht. (© picture-alliance/dpa, Vladimir Chicas)

Mittelamerika ist aufgrund seiner Lage zwischen Süd- und Nordamerika ein wichtiger Korridor für Drogen und andere illegale Güter. Lange Küstenlinien, dichte Regenwälder und unübersichtliche Grenzregionen bieten ideale Voraussetzungen für organisierte Kriminalität. Das in den Andenländern produzierte Kokain erreicht Mittelamerika über den Luft- und Seeweg und wird von dort weiter durch Mexiko in die USA und andere Abnehmerländer transportiert. Schätzungen zufolge sind das jährlich mehrere hundert Tonnen. Allein 2018 haben die USA 254 Tonnen Kokain mit einem Straßenverkaufswert von rund 24,4 Mrd. US$ beschlagnahmt (UNOC 2020).

In Honduras, Guatemala und El Salvador – dem "nördlichen Dreieck" – kontrollieren lokale Gruppen und Organisationen die Umschlagplätze für Drogen und organisieren den Weitertransport nach Mexiko. Die Transportistas, die überwiegend in schwer zugänglichen Landesteilen agieren, verfügen häufig über Verbindungen in die Politik, Justiz und Sicherheitsapparate. Auch mexikanische Drogenkartelle sind mit ihrem internationalen Vertriebsnetz in Mittelamerika zu einflussreichen Akteuren geworden. Neben dem Drogenhandel sind die kriminellen Netzwerke auch an anderen illegalen Aktivitäten beteiligt: Waffenschmuggel und Geldwäsche, Menschen- und Kinderhandel, Schleusen von Migranten, Handel mit exotischen Tieren, illegaler Holzeinschlag sowie Raub, Mord und Entführungen (Insight Crime 2019 a u. b).

Zusätzlich agieren vor allem in den urbanen Zentren der mittelamerikanischen Staaten kriminelle Straßenbanden. Die verfeindeten Barrio 18 und Mara Salvatrucha (MS13) zählen mit mehreren Zehntausend Mitgliedern zu den größten Gruppen. Obwohl sie in allen Ländern des nördlichen Dreiecks vertreten sind, agieren die einzelnen Verbände weitestgehend unabhängig. Seit den 2000er Jahren verfolgen die Regierungen von Honduras, Guatemala und El Salvador eine "Politik der harten Hand" (mano dura) gegen die Straßenbanden und brachten in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Mitglieder hinter Gitter. Ihren kriminellen Aktivitäten hat dies jedoch keinen Abbruch getan. Die überfüllten Gefängnisse haben sich zu regelrechten Hauptquartieren entwickelt, von wo aus u.a. die Erpressung von Bus- und Taxiunternehmern, Straßenhändlern, Ladenbesitzern und Privatpersonen beauftragt und gesteuert wird.

Die Sicherheitslage im nördlichen Dreieck ist katastrophal. Zwar ist in den vergangenen Jahren die Mordrate etwas gesunken, was auf eine leichte Entspannung der Lage hindeuten könnte. Dennoch weist die Region im internationalen Vergleich nach wie vor eine der höchsten Mordraten auf. In El Salvador, Honduras und Guatemala sterben jährlich durchschnittlich mehr als 40 Menschen pro 100.000 Einwohner. Die meisten dieser Morde gehen auf professionelle Auftragsmörder, sogenannte Sicarios, der Banden MS13 und Barrio 18 zurück. In Kostarika, Nicaragua und Panama sind es knapp 10 Tötungen pro 100.000 Einwohner (UNOC 2019).

Auswirkung auf Staat und Gesellschaft

Das organisierte Verbrechen hat einen großen Einfluss auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Kriminelle Netzwerke unterwandern die lokalen Institutionen des Staates und übernehmen de facto die Kontrolle in ihren Einflussgebieten. Beispielsweise werden in El Salvador rund 70 % der Privathändler und Unternehmen gezwungen, Schutzgeldzahlungen an die Straßenbanden zu entrichten (Briscoe/Keseberg 2019; International Crisis Group 2017). Die Erpressungen haben ein solches Ausmaß angenommen, dass die honduranische Handelskammer ihr Mitgliederverzeichnis nicht mehr veröffentlicht. Um ihren Einfluss zu sichern, achten die Straßenbanden auf die Einhaltung von Regeln, ahnden Verstöße und treten als Streitschlichter auf. In den von Banden kontrollierten Stadtgebieten liegt deshalb die Kleinkriminalität nicht selten auf einem sehr niedrigen Niveau. Die Behörden können dem kaum etwas entgegensetzen.

Kriminelle Netzwerke bestechen auch Politiker, erzwingen Stillschweigeabkommen oder leisten Wahlkampfunterstützung, um der Strafverfolgung zu entgehen oder sich günstige Geschäftsbedingungen zu sichern. Kurz vor den Präsidentschaftswahlen in Guatemala 2019 wurde beispielsweise der Kandidat Mario Estrada von Beamten der amerikanischen Drogenbehörde DEA verhaftet, die sich als mexikanische Kartell-Mitglieder ausgegeben hatten. Estrada hatte ihnen versprochen, als Präsident gegen eine Zahlung von 12 Mio. Euro den Drogenschmuggel von guatemaltekischen Häfen in die USA aus zu erleichtern (Prensa Libre 2020).

Die organisierte Kriminalität untergräbt die politische Stabilität und die wirtschaftliche Entwicklung Mittelamerikas. Zum einen mindert der Aderlass der lokalen Wirtschaft infolge der Unsicherheit und der Schutzgeldzahlungen den Umsatz der Unternehmen und das Steueraufkommen des Staates. Zum anderen sind die durch Geldwäsche oder Drogenschmuggel erwirtschafteten enormen Gewinne der Besteuerung entzogen. Die Einnahmen werden wiederum in Immobilien- und anderen Projekten gewaschen und treiben so die Lebenshaltungskosten in die Höhe. Oder die Gewinne werden ins Ausland verbracht und so ganz der nationalen Wirtschaft entzogen. Auch die Arbeitskraft schwindet. Denn es sind vor allem junge und erwerbsfähige Menschen, die sich den Banden anschließen, hinter Gittern sitzen, das Land verlassen oder der Bandengewalt zum Opfer fallen. Darüber hinaus entstehen den Ländern enorme Kosten für den Bau und Unterhalt von Gefängnissen.

Besonders die Menschen in den schwer erreichbaren Regionen profitieren aber auch von den Gewinnen, die vor allem mit dem Drogenhandel erzielt werden. Durch die Verbindung zum Drogenhandel hat sich eine neue kaufkräftige Schicht entwickelt, die u.a. den Bau von öffentlichen Einrichtungen vorantreibt. So entstehen Schulen, Krankenhäuser, Sportplätze oder Restaurants in Gebieten, in denen der Staat bisher nur eine mangelhafte Infrastruktur zur Verfügung gestellt hat. Deshalb ist gerade in den strukturschwachen, ländlichen Gebieten die Akzeptanz der organisierten Kriminalität besonders hoch (Briscoe/Keseberg 2019).

Organisierte Kriminalität bedroht und gefährdet massiv die Sicherheit der Bevölkerung. In El Salvador und Honduras sind die Opferzahlen ähnlich hoch wie sonst nur in Bürgerkriegsländern. Zwischen den Banden kommt es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen, bei denen auch Unbeteiligte in die Schusslinie geraten. Schutzgeldzahlungen werden zudem unter Androhung von Gewalt oder Mord eingetrieben. Insbesondere Frauen sind von sexueller Gewalt betroffen. Auch das z.T. massive Vorgehen der staatlichen Sicherheitsbehörden gegen die Banden treibt die Todeszahlen in die Höhe.

Die Angst vor der Gewalt ist neben Armut und Perspektivlosigkeit zu einer zentralen Fluchtursache für viele Menschen geworden. Rund 7,5 Mio. illegal Eingewanderte aus Mexiko und Zentralamerika leben in den USA. Die Internationale Organisation für Migration schätzt zudem, dass jährlich rund 100.000 Migranten aus El Salvador, Honduras und Guatemala in den Vereinigten Staaten Asyl beantragen. Um nicht festgenommen zu werden, müssen die Flüchtlinge Schlepper und korrupte Grenzbeamte bezahlen und riskante Fluchtrouten nehmen. Während ihrer Flucht werden Migranten immer wieder verschleppt, misshandelt und sexuell missbraucht. Viele gelten als vermisst. Ende 2018 bildete sich daher in Honduras ein großer Migrationstreck, dem sich tausende Menschen aus El Salvador und Guatemala anschlossen, um im Schutz der Masse und zu Fuß durch Mexiko in die USA zu gelangen. Der Grenzübertritt wurde ihnen jedoch mit der Begründung verweigert, dass sie nicht aus einem Kriegsland kommen und deshalb keinen Anspruch auf Asyl haben.

Dass die schwachen staatlichen Institutionen in Mittelamerika nur wenig gegen den Drogenschmuggel und die organisierte Kriminalität ausrichten können, belastete auch die politischen Beziehungen zu den USA unter der Präsidentschaft von Donald Trump. Er hatte mit massiven Kürzungen der finanziellen Hilfen an die mittelamerikanischen Länder gedroht, falls sie die Migrationstrecks nicht stoppen. Joe Biden hat derweil angekündigt, die Beziehungen zu Lateinamerika wieder zu stärken. Seinen Schwerpunkt setzt er dabei auf die Fluchtursachenbekämpfung in Mexiko und dem Nördlichen Dreieck. Trotz der milliardenschweren Zusagen zur Bekämpfung von Kriminalität und Armut zeichnet sich jedoch auch unter der Regierung Biden ab, dass die Region auf der außenpolitischen Agenda weiterhin keine Priorität genießt (GIGA 2021).

Kriege und Konflikte in Mittelamerika. (© bpb)

Ursachen und Hintergründe

Eine zentrale Ursache für die organisierte Kriminalität ist eine Kultur der Gewalt und des Rechtsbruchs, die sich unter den Bedingungen oft jahrzehntelanger politischer Instabilität etabliert hat. So sind in der Vergangenheit immer wieder bewaffnete Konflikte ausgebrochen. Über Jahrzehnte erschütterten Bürgerkriege, Militärputsche und gewaltsame Aufstände die Region. In diesen langen Phasen politischer Unruhen florierte die organisierte Kriminalität. Rebellengruppen und paramilitärische Einheiten, aber auch die Militärregime haben sich mit dem Handel illegaler Güter finanziert. Viele der damals etablierten Schmuggelrouten und Netzwerke bestehen bis heute.

Aufgrund der hohen Nachfrage nach illegalen Drogen in den USA forcierte die Regierung in den 1980er Jahren einen "War on Drugs" gegen die kolumbianischen Drogenkartelle. Dabei wurden u.a. massive Kontrollen von Leichtflugzeugen durchgeführt, um den Schmuggel über karibische Inseln zu stoppen. In der Folge verlagerten sich die Schmuggelrouten auf den Landweg, wo die Kartelle ideale Bedingungen vorfanden.

Zudem deportierten die US-Behörden Mitte der 1990er Jahre straffällig gewordene Einwanderer zurück in ihre Herkunftsländer. Darunter befanden sich zahlreiche Mitglieder der in Los Angeles gegründeten Banden MS-13 und Barrio 18. Inmitten der politischen Unruhen und den bereits vorhandenen kriminellen Strukturen konnten die Bandenmitglieder in Interner Link: Honduras, Guatemala und Interner Link: El Salvador schnell Fuß fassen und eigene Ableger aufbauen.

Schwache politische Institutionen und weit verbreitete Korruption begünstigen bis heute das organisierte Verbrechen. Denn obwohl in den Ländern Mittelamerikas nach den politischen Unruhen die Sicherheitsapparate reformiert wurden, weisen diese nach wie vor erhebliche Mängel auf. So führen beispielsweise die schlechte Ausbildung und chronische Unterfinanzierung der Polizeieinheiten zu einer hohen Anfälligkeit für Korruption. Immer wieder tauchen Waffen aus Polizei- und Armeebeständen auf dem Schwarzmarkt oder in den Händen von kriminellen Gruppen auf.

Zudem sind die Grenzen zwischen Politik und organisiertem Verbrechen fließend. Gegen zahlreiche hochrangige Politiker wird ermittelt, oder sie sind bereits verurteilt worden. So wurde beispielsweise der Sohn des ehemaligen honduranischen Präsidenten Porfirio Lobo (2010-2014) in den USA wegen Drogenschmuggels zu 24 Jahren Haft verurteilt. Auch der ehemalige guatemaltekische Finanzminister Valladares Urruela wurde in den USA wegen Geldwäsche im Umfang von 10 Mio. US-Dollar aus dem Drogenhandel und Bestechung von Politikern angeklagt (Washington Post 2020).

Ein weiterer wesentlicher Faktor ist die verbreitete Straflosigkeit. Die Justiz ist häufig korrupt und wird von der Politik beeinflusst. Im Rule of Law Index rangieren El Salvador, Guatemala, Nicaragua und Honduras bei der Verurteilung krimineller und korrupter Machenschaften auf den letzten Plätzen (World Justice Project 2020). Nur ein kleiner Teil der zur Anzeige gebrachten Vorfälle landet auch tatsächlich vor Gericht. Dabei werden Schätzungen zufolge 80 % aller Straftaten aufgrund des mangelnden Vertrauens in die Justiz gar nicht erst zur Anzeige gebracht. Nach massiven Protesten der Bevölkerung gegen die verbreitete Straflosigkeit und auf Druck der UNO haben Guatemala und Honduras Kommissionen zur Bekämpfung der Straflosigkeit in Fällen von organisierter Kriminalität eingerichtet. Obwohl international gelobt, wurden in beiden Fällen die Mandate 2020 nicht verlängert, wohl weil der Politik die Arbeit der Kommissionen ein Dorn im Auge ist.

Schließlich begünstigt auch die Armut, von der ein Großteil der mittelamerikanischen Bevölkerung betroffen ist, die Verbreitung und Akzeptanz der organisierten Kriminalität. Junge Menschen haben aufgrund geringer Schulbildung und schlechter Jobaussichten kaum eine Perspektive. Die Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation verspricht ein stabiles Einkommen, Rückhalt in der Gruppe, soziales Ansehen und eine gemeinsame Identität als "Ausgestoßene". Sie vermittelt das Gefühl der Zugehörigkeit und Sicherheit. Dies erklärt, warum sowohl kriminelle Banden als auch transnationale Drogennetzwerke einen steten Zulauf an neuen Mitgliedern verzeichnen.

Ausblick

Die Regierungen der betroffenen Länder haben mehrere Anläufe genommen, um die organisierte Kriminalität einzudämmen. In Mexiko hatte über viele Jahrzehnte ein Stillhalteabkommen zwischen den Drogenkartellen und den regierenden Parteien eine relativ friedliche Phase ermöglicht. Die im Jahr 2006 von dem neu gewählten konservativen Präsidenten Felipe Calderón ausgerufene Militäroffensive gegen die Kartelle setzte jedoch eine Spirale der Gewalt in Gang. Ihr fielen innerhalb von fünf Jahren rund 120.000 Menschen zum Opfer (Heinle et. al. 2017; ICG 2020). Vergleichbares ließ sich auch in El Salvador beobachten, als die Regierung 2012 mit den Straßenbanden zuerst einen Waffenstillstand aushandelte, diesen dann aber 2014 wieder aufkündigte.

Es bleibt abzuwarten, wie nachhaltig der Erfolg der "Politik der harten Hand" des aktuellen salvadorianischen Präsidenten, Nayib Bukele, sein wird. In den ersten zwei Jahren seiner Amtszeit ist die Mordrate auf ein Rekordtief gesunken, was wohl sowohl auf die massiv verstärkten Sicherheitsmaßnahmen der Regierung als auch auf einen erneuten informellen Pakt mit den Gangs zurückzuführen ist (vgl. epd 2020). Nicaragua und Kostarika konzentrieren sich mit scharfen Kontrollen und der Beschlagnahmung von Drogen auf eher traditionelle Maßnahmen. Große Drogenfunde in den vergangenen Jahren belegen, dass beide Länder, entgegen den öffentlichen Bekundungen ihrer Regierungen, nach wie vor wichtige Teile der Schmuggelrouten sind.

Nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte lässt sich der tief verwurzelten Organisierten Kriminalität langfristig weder mit Stillhalteabkommen noch mit militärischen Offensiven oder harten Strafen beikommen. Eine wichtige Voraussetzung für dauerhafte Erfolge wäre die nachhaltige Stärkung der staatlichen Institutionen, um Straflosigkeit und Korruption wirksam zu bekämpfen, sowie die Bekämpfung der sozialen und wirtschaftlichen Ursachen der Kriminalität.

Weitere Inhalte

Anne Gehrmann absolvierte ihren Master in Friedensforschung und Internationale Politik an der Eberhard Karls Universität Tübingen und hat mehrere Jahre in Lateinamerika gelebt. Zu ihren Schwerpunkten gehören Friedensprozesse, Migrationsforschung und Organisierte Kriminalität. Sie arbeitet als Flüchtlingsbeauftragte für die Gemeinde Allensbach.