Post-Konfliktgesellschaften sind besonders zerbrechlich und rückfallgefährdet. Die Rückfallquote liegt bei bis zu 50% (Fiedler/Mroß 2017). Die betroffenen Länder haben große Schwierigkeiten, in die Spur einer nachhaltigen friedlichen Entwicklung zurückzufinden. Das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben ist auf lange Zeit von den Spaltungen und Zerwürfnissen des Krieges und den massiven Gewalterfahrungen geprägt (Baumann 2008):
Das Verhältnis zwischen den ehemaligen Konfliktparteien wird nach stark durch verfestigte Feindbilder und Vorurteile bestimmt.
In der öffentlichen Meinung und in der politischen Auseinandersetzung behalten Hardliner, die jegliche Verständigung mit der anderen Seite ablehnen, einen großen, z.T. dominierenden Einfluss.
Die Angehörigen der ehemaligen Konfliktparteien gehen sich aus dem Weg; sie leben – durch sichtbare und unsichtbare Mauern getrennt – in parallelen Welten, in ihren eigenen Stadtvierteln, Dörfern und Landesteilen.
Das Festhalten an Symbolen, Ritualen und Mythen der Ausgrenzung, Stigmatisierung und der Gewalt verhindert die konstruktive Begegnung zwischen den Gemeinschaften und schafft immer wieder Anlässe für Konfrontation.
Kollektiv geteilte Traumata, Opfer- und Siegeserfahrungen bilden ein Reservoir an schnell aktivierbaren Emotionen und Vorurteile; sie können von unverantwortlichen Eliten jederzeit für ihre Ziele instrumentalisiert werden.
Von der Konfliktnachsorge zur proaktiven Friedensförderung
Angesichts der besonderen Herausforderungen ist die externe Unterstützung von Friedensprozessen in Post-Konfliktgesellschaften seit Mitte der 1990er Jahre zu einem eigenständigen Handlungsfeld der internationalen Politik geworden. Die konzeptionelle Blaupause dafür liefert die "Agenda für den Frieden" (1992). Danach umfasst die Friedenskonsolidierung alle "Maßnahmen zur Bestimmung und Förderung von Strukturen, die geeignet sind, den Frieden zu festigen und zu konsolidieren, um das Wiederaufleben eines Konflikts zu verhindern" (Boutros-Ghali 1992: Ziffer 21).
Seitdem durchläuft die internationale Gemeinschaft einen Lernprozess, der längst noch nicht abgeschlossen ist. Als Reaktion auf die hohe Rückfallquote wurden zunächst die Friedensmissionen verlängert und "robuster" gestaltet. Das Mandat der UN-Missionen war nicht mehr nur auf defensive und Schutzaufgaben beschränkt, sondern schloss die Möglichkeit ein, Bürgerkriegsparteien mit militärischen Mitteln zur Einhaltung des Gewaltverbots zu zwingen.
Als weitere "Ausbaustufe" des UN-Engagements folgte mit dem Brahimi-Bericht (2000) die Einrichtung "Integrierter Friedensmissionen", die eine größere und längere Präsenz ziviler Experten, wie Ingenieuren, Verwaltungsfachleuten, Juristen und Entwicklungshelfern, vorsehen. Zu den Aufgaben der Missionen gehört u.a. die Durchführung von Wahlen, die Reform des Sicherheitssektors, der (Wieder-)Aufbau tragfähiger staatlicher und Verwaltungsstrukturen, der wirtschaftliche Wiederaufbau sowie die Aufarbeitung und Verfolgung von Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen.
Im Juni 2006 wurde die UN-Kommission für Friedenskonsolidierung eingerichtet, um die verfügbaren Ressourcen zu bündeln und eine effektive Strategie der Befriedung und des Wiederaufbaus in Post-Konfliktgesellschaften erarbeiten. Die Kommission soll vor allem eine Plattform bieten, die die alle maßgeblichen Akteure inner- und außerhalb der Vereinten Nationen zusammenführt. An den laufenden UN-Friedensmissionen
Eine wichtige Lernleistung der internationalen Gemeinschaft aus den ersten Jahren externer Friedensförderung besteht wohl darin, dass die Unterstützung auf die konkrete Situation jedes einzelnen Landes zugeschnitten sein muss. Ein Ergebnis ist der "New Deal für fragile Staaten", der 2011 in Busan (Südkorea) beschlossen wurde. Der Fokus liegt auf der Eigenverantwortung der betroffenen Staaten. Reformschritte sollen von den Regierungen selbst festgelegt und gesteuert werden. Die Geldgeber verstehen sich als Partner. In einer Pilotphase wird der "New Deal" derzeit in acht Konflikt- bzw. Post-Konfliktländern getestet (Afghanistan, Zentralafrikanische Republik, DR Kongo, Liberia, Sierra Leone, Südsudan, Osttimor und Somalia).
Als Reaktion auf die erneute Zunahme innerstaatlicher Konflikte und die Krise zahlreicher Friedensprozesse initiierte der damalige UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon 2014 eine grundlegende Revision der Friedens- und Sicherheitsarchitektur der Vereinten Nationen (Bernstein 2017). Nach zwei hochrangigen Expertenberichten und einer internationalen Studie über die Umsetzung der Resolution 1325 des Sicherheitsrates "Frauen, Frieden, Sicherheit"
Die Reformbemühungen werden vom aktuellen Generalsekretär Antonio Guterres fortgesetzt. In seinem Bericht "Friedensförderung und Aufrechterhaltung des Friedens". (Peacebuilding and Sustaining Peace) vom 18. Januar 2018 hat er mit Blick auf die Friedensförderung u.a. folgende Aspekte und Ziele hervorgehoben (United Nations 2018):
die Entwicklung einer "gemeinsamen Vision von Gesellschaft", die die Ursachen für Krisen und Gewalt berücksichtigt,
die Verdopplung der Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Gewaltprävention und Friedensförderung,
die stärkere Beachtung der konkreten Bedingungen und Bedarfe und die Hinwendung zu inklusiven Prozessen, die die Menschen vor Ort in den Mittelpunkt stellen,
die Adressierung und Überwindung der strukturellen Konfliktursachen durch die Förderung der Menschenrechte und eine nachhaltige und inklusive Entwicklung,
die breitere und substanziellere Beteiligung von Frauen an Konfliktprävention, Konfliktlösung und Friedensförderung,
die Ausweitung von Friedenspartnerschaften, insbesondere mit Regionalorganisationen, Mitgliedsstaaten, zivilgesellschaftlichen Organisationen und dem privaten Sektor,
die Verbesserung der Kohärenz und Leitungsfähigkeit des UN-Systems durch die Straffung der Abläufe in der Zentrale und eine bessere Abstimmung zwischen den Missionen und Landesteams der Vereinten Nationen sowie den nationalen, regionalen und internationalen Entwicklungsakteuren vor Ort.
Fünfzehn Friedensprozesse
In Kapitel 5 des Online-Dossiers werden fünfzehn Friedensprozesse vorgestellt. Während Aceh/Indonesien, Baskenland, Namibia, Ruanda, Nordirland, Nord-Uganda, Sierra Leone und Südafrika insgesamt als "Erfolgsgeschichten" gelten können, werden Kambodscha, Nicaragua, Guatemala, Bosnien-Herzegowina und Mosambik aus unterschiedlichen Gründen als mehr oder weniger deviante und blockierte Friedensprozesse angesehen. Mazedonien hat nach der Überwindung der Staatskrise (2015 bis 2017) eine positive Entwicklung genommen. In Kolumbien steht der Friedensprozess angesichts der ablehnenden Haltung des rechtspopulistischen Präsidenten Iván Duque und seiner Anhänger wieder auf der Kippe.
Defizitäre und deviante Friedensprozesse
Hinter der Fassade eines brüchigen Friedens und einer formalen Demokratie wird der Konflikt meist mit einem Mix aus Manipulation, politischer Einschüchterung, polizeilicher Repression und verdeckten Aktionen fortgesetzt. Ziel der dominierenden Eliten ist die möglichst ungeteilte Kontrolle des Staates und damit des Zugangs zu den Instrumenten der Machtsicherung (z.B. Sicherheitsorgane, Medien, Verwaltung) und den wirtschaftlichen Ressourcen des Landes. Die regierenden Parteien nutzen ihre Position mehr oder weniger skrupellos, um ihre eigene Anhängerschaft zu versorgen, ihre politische Klientel an sich zu binden und die politische Opposition zu diskreditieren und zu schwächen.
Alle Post-Konfliktgesellschaften im globalen Süden gehören zu den ärmsten Ländern der Welt. Gemäß der Definition der Weltbank handelt es sich um Länder mit geringem oder niedrigem mittlerem Einkommen (Fiedler/Mroß 2017). Die Situation wird noch zusätzlich durch die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich verschärft. Meist ist es so, dass die Anhänger des dominierenden politischen Lagers in größerem Maße von den wirtschaftlichen Ressourcen des Landes, darunter dem Zugang zu Land, Arbeit und Bildung sowie anderen Privilegien, profitieren.
Ein weiterer "Webfehler" defizitärer Friedensprozesse besteht in der Unterschätzung und politischen Instrumentalisierung der Aufarbeitung der Konfliktvergangenheit. Zwar scheinen zunächst alle Konfliktparteien von der stillschweigenden Übereinkunft zu profitieren, "Vergangenheitsarbeit" und "Versöhnung" auf pauschale Amnestien, einige Reparationsleistungen und Wiedereingliederungshilfen zu beschränken. Selbst dort, wo Vergangenheitsarbeit in größerem Umfang stattfindet, wird sie von den regierenden Eliten meist abgeschwächt, auf bestimmte Täter- und Opfergruppen beschränkt und für die eigenen Interessen funktionalisiert (z.B. Bosnien-Herzegowina, Guatemala, Kambodscha).
Die verschleppte Aufklärung der systematischen Gewalt und Menschenrechtsverbrechen sowie die Nichtanerkennung des Leids der Opfer untergraben den Friedensprozess. Solange die Wahrheit über die Ursachen, Entscheidungen und Abläufe, die zum Bürgerkrieg und zu den Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung geführt haben, nicht öffentlich gemacht wurde, haben die Kräfte, die von den alten Spaltungen profitieren bzw. von der Offenlegung der Vergangenheit Strafverfolgung und Machtverlust befürchten müssen, die Möglichkeit, ihre eigenen Deutungen und Mythen in Umlauf zu bringen. Die Post-Konfliktgesellschaften bleiben tief gespalten, und selbst neu aufbrechende Streitigkeiten werden in den Sog der alten Konfrontationen hineingezogen (z.B. Bosnien-Herzegowina, Kolumbien, Mazedonien).
Überwiegend erfolgreiche Friedensprozesse
Erfahrungsgemäß haben jene Post-Konfliktgesellschaften bessere Startbedingungen, in denen der Bürgerkrieg weniger verbissen und opferreich geführt wurde und in denen eine wichtige Konfliktpartei in der Post-Konfliktphase keine Rolle mehr spielt. Sei es, weil sie militärisch eindeutig besiegt und ihrer Machtbasis beraubt wurde oder weil sie sich – wie etwa Südafrika aus Namibia und Mosambik – gänzlich aus dem Konflikt zurückgezogen hat.
Ein weiterer begünstigender Faktor ist eine stabile und den Friedensprozess unterstützende regionale Konstellation. Die fragilen Friedensprozesse in Bosnien-Herzegowina und Mazedonien wären wahrscheinlich längst gescheitert, wenn die EU und die OSZE nicht massiv Einfluss nähmen. In Mittel- und Südamerika schufen die Beschlüsse der Nachbarstaaten im Rahmen der Contadora-Gruppe Ende der 1980er Jahre die Voraussetzungen für den Beginn der Friedensverhandlungen und der Demokratisierung. Unter der Obama-Regierung unterstützten die USA den Friedensprozess in Kolumbien.
Im Innern der erfolgreicheren Post-Konfliktgesellschaften waren die Dominanz einer politischen Kraft in Parlament und Regierung (z.B. Südafrika, Namibia, Ruanda) oder der Konsens zwischen den ehemals verfeindeten Lagern (z.B. "Elitenpakt" in Nicaragua und Machtteilung in Nordirland) wichtige Garanten für Stabilität. Dass jedoch ein solcher institutioneller Ordnungsrahmen allein nicht ausreicht, wird durch alle analysierten Friedensprozesse bestätigt. Denn die Dominanz einer Partei scheint tendenziell eine Politik der Verantwortungslosigkeit und Willkür gegenüber der breiten Bevölkerung zu befördern. Demokratiedefizite verstärken die Tendenz zu Selbstbereicherung, Korruption und Klientelismus und untergraben die Legitimität der politischen Ordnung. Nicht zuletzt sehen sich von der Machtteilung ausgeschlossene politische und ethnische Minderheiten oft einer verstärkten Diskriminierung ausgesetzt (z.B. Mazedonien, Mosambik, Nicaragua).
Zudem erweisen sich Friedensprozesse dann als stabiler, wenn die Propaganda der ethnischen Diskriminierung, der religiösen Feindschaft und des Rassismus zwischen den (ehemaligen) Konfliktparteien ihre Kraft verliert und ein inklusiver nationaler Diskurs an ihre Stelle tritt (z.B. Südafrika, Namibia, Ruanda, Aceh, Nordirland). Allerdings können neue Identitätskonstruktionen, wie nationale oder religiöse Ursprungs- und Gründungsmythen, ihrerseits schnell wieder zu Ideologien der Ausgrenzung mutieren (z.B. Aceh, Mazedonien). Für eine zukunftsfähige Entwicklung bedarf es einer alle Bevölkerungsgruppen und Parteien übergreifenden nationalen politischen Identität. Ein Beispiel dafür ist der Narrativ der "Regenbogen-Nation" in Südafrika.
Schließlich kann internationale Unterstützung einen wichtigen Beitrag zur Vermeidung erneuter bewaffneter Konflikte leisten. Vergleicht man Länder mit und ohne Wiederausbruch, zeigt sich, dass in Ländern, in denen überdurchschnittlich viel Unterstützung geleistet wurde, der Frieden stabiler war (Fiedler/Mroß 2017: 3/4). Beispielsweise erhielten auf dem Gebieten Politik und Governance Länder, die keine erneuten Konflikte erlebten, rd. 50% mehr Unterstützung als der Durchschnitt; bei Ländern mit erneut ausgebrochenen bewaffneten Konflikten waren es 60% weniger.
Schlussfolgerungen
Die Herausforderung besteht darin, eine Strategie der Friedenskonsolidierung zu entwerfen, die auch funktioniert, wenn im regionalen Umfeld und im Inneren die negativen und blockierenden Faktoren überwiegen. Bedingung ist ein tragfähiger Konsens zwischen den neuen Eliten und unbelasteten Vertretern der alten Eliten. Dieser Konsens darf keine politische, ethnische, religiöse oder soziale Gruppe ausschließen oder gar diskriminieren. Damit werden zugleich die Voraussetzungen für eine schrittweise Überwindung der strukturellen Konfliktursachen und eine konsequente Aufarbeitung der Konfliktvergangenheit geschaffen. Die wichtigsten Eckpunkte und Maßnahmen sollten möglichst konkret und verbindlich in Verträgen (z.B. im Friedensvertrag) sowie in der Verfassung und in den Gesetzen verankert werden. Langfristig stehen die Chancen am besten, wenn der Friedensprozess als gemeinsames, integratives gesellschaftliches Projekt verstanden und in Angriff genommen wird, das einen selbstbestimmten Weg des Landes in Richtung Demokratie und wirtschaftliche Entwicklung eröffnet.