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Pakistan | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Pakistan

Dr. Niels Hegewisch Hamayoun Khan Thomas Lehmann / Katja Schubert

/ 8 Minuten zu lesen

Nach dem Sturz der Regierung Imran Khans im April 2022 stehen Pakistan innenpolitisch unruhige Zeiten bevor. Auch die Sicherheitslage hat sich verschlechtert. Denn die Machtübernahme der Taliban im benachbarten Afghanistan hat islamistischen Extremisten und separatistischen Nationalisten in Pakistan Aufwind verschafft.

Pakistanische Sicherheitskräfte halten sich für die anstehende Auflösung der Nationalversammlung in Islamabad bereit. (© picture-alliance, AA)

Aktuelle Situation

Nach den Parlamentswahlen von 2018 übernahm der populäre ehemalige Cricket-Spieler Imran Khan mit seiner religiös-populistischen Partei Pakistan Tehrik-e-Insaf (PTI) an der Spitze einer Koalitionsregierung das Amt des Premierministers in Pakistan. Damit wurde die jahrzehntelange Dominanz der beiden Parteien Muslim League-Nawaz (PML-N) und Pakistan People’s Party (PPP) mit ihren von Korruption geprägten dynastischen Netzwerken gebrochen. Doch Khan konnte seine im Wahlkampf gemachten großen Versprechungen auf einen Bruch mit dem Status Quo und einer Verbesserung der Lebensbedingungen für die breite Schichten der verarmten Bevölkerung nicht einlösen. Im Gegenteil, die Wirtschaftslage verschlechterte sich so dramatisch, dass Khan im Frühjahr 2022 die Unterstützung des einflussreichen Militärs verlor und die geeinte Opposition erfolgreich einen Misstrauensantrag stellte. Khan sieht sich als Opfer einer Verschwörung aus dem westlichen Ausland und spricht seinem Nachfolger Shehbaz Sharif (PML-N) jede Legitimation ab. Seitdem schwelt in Pakistan eine Verfassungskrise und die Polarisierung zwischen den politischen Lagern führt immer wieder zu Demonstrationen und gewaltsamen Auseinandersetzungen.

Im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus hatte Pakistan in den vergangenen Jahren einige Erfolge vorzuweisen. Eine Militäroffensive gegen Aufständische und die pakistanischen Taliban (Tehrik-i-Taliban Pakistan - TTP) beendete 2014-2016 eine unruhige und blutige Zeit. Um diesen Zustand abzusichern, werden im Rahmen der Operation "Radd-ul-Fassad" (Operation zur Beseitigung der Zwietracht) seit 2017 weitere Militär- und Geheimdienstoperationen durchgeführt. Seit dem überstürzten Abzug westlicher Truppen aus Afghanistan im Herbst 2021 hat sich die Sicherheitslage jedoch wieder deutlich verschlechtert. Die Machtübernahme der afghanischen Taliban eröffnete auch in Pakistan neue Handlungsräume für Terrorgruppen, wie die TTP oder den IS. Pakistan hatte gehofft, durch gute Beziehungen zu den afghanischen Taliban einen mäßigenden Einfluss auf die TTP auszuüben. Doch diese Hoffnung hat sich als trügerisch herausgestellt.

Besonders besorgniserregend ist die zunehmende Präsenz des sogenannten Islamischen Staates (IS) in Pakistan. Der afghanisch-pakistanische IS-Ableger Islamic State - Khorasan Province übernahm im März 2022 die Verantwortung für einen der größten Terroranschläge seit längerer Zeit. Bei dem Angriff auf eine schiitische Moschee in Peschawar starben mehr als 65 Personen und mehr als 200 wurden verletzt. Ebenfalls zugenommen haben die Aktivitäten der orthodox-sunnitischen Barelwi-Bewegung mit ihrem politischen Arm Tehreek-e Labbaik Pakistan (TLP), die sich für drakonische Blasphemie-Gesetze bis hin zur Todesstrafe einsetzt. Barelwi-Anhänger verüben immer wieder Gewalttaten gegen Menschen, die sie der Gotteslästerung bezichtigen. Der Aufstieg der Barelwi-Bewegung ist symptomatisch für das konservativ geprägte gesellschaftliche Klima in Pakistan, wo staatliche Organe religiösem Extremismus mit großer Nachsicht begegnen.

Eine weitere Quelle für massive politische Gewalt in Pakistan sind die Aktivitäten nationalistischer und separatistischer Gruppen ethnischer Minderheiten. Das gilt vor allem für die Provinz Belutschistan und mit Blick auf Großprojekte im Rahmen des Chinese-Pakistan Economic Corridor (CPEC). Terroranschlägen der Belutschischen Befreiungsarmee (BLA) sind seit 2004 vor allem Angehörige pakistanischer Sicherheitsbehörden und in neuerer Zeit auch chinesische Staatsbürger zum Opfer gefallen.

Ursachen und Hintergründe des Konfliktes

Die Konflikte und die anhaltende politische Instabilität Pakistans hängen eng mit dem bis heute nicht vollendeten Prozess der Nations- und Identitätsbildung zusammen. Seit der Staatsgründung 1947 dominierte das Militär in dem multiethnischen Staat. Der Auf- und Ausbau militärischer Macht hatte stets Vorrang vor der Entwicklung des Landes, dem es bis heute z.B. an einem effizienten staatlichen Gesundheits- und Bildungssystem mangelt. Das Militär ist zudem seit jeher ein wichtiger Faktor in der Politik und Wirtschaft. Die strukturellen Probleme Pakistans werden noch dadurch verschärft, dass die herrschenden Eliten ihre eigenen Interessen oft über die Überwindung der sozialen und politischen Missstände des Landes stellen. Auch die von vielen mit großer Hoffnung verbundene Wahl Imran Khans hat hieran nichts geändert. Nach dessen Abwahl liegt die Macht wieder in den Händen der etablierten politischen Kräfte und das Militär hat einmal mehr die Rolle des Krisenmanagers und Königsmachers gespielt.

Seit der Unabhängigkeit bestehen in Pakistan drei zentrale Konfliktlinien innerstaatlicher Auseinandersetzungen:

(1) Der Gegensatz zwischen islamistischen Fundamentalisten und eher zivil-demokratischen Kräften: Hier treffen zwei unvereinbare Ziele aufeinander – zum einen die weitere Islamisierung der Gesellschaft und die Etablierung eines Gottesstaates mit Scharia-Gesetzgebung und zum anderen die Beibehaltung und Stärkung eines säkular-demokratischen Staatsmodells. In der mehrheitlich konservativ eingestellten Bevölkerung finden extreme Forderungen einen fruchtbaren Nährboden. Dem stellen sich vor allem die im Westen ausgebildeten und in religiösen Fragen oft säkularer eingestellten Eliten entgegen, die sich allerdings in der Öffentlichkeit streng religiös geben, wenn sie sich davon politische Vorteile erhoffen.

(2) Der Konflikt zwischen der zivil-demokratischen Staatsführung und dem Militär: Seit 1947 hat in Pakistan mehr als 30 Jahre lang direkt das Militär geherrscht, das inzwischen zum Staat im Staate avanciert ist. Und auch in Zeiten ziviler Regierungen ist das Militär ein mächtiger Strippenzieher im Hintergrund. Zivile Regierungen haben der Macht des Militärs nur wenig entgegenzusetzen. Gegen das Militär kann niemand regieren.

(3) Die Auseinandersetzungen zwischen religiösen und ethnischen Gemeinschaften und dem pakistanischen Staat: Die Vielzahl ethnischer, religiöser und tribaler Bindungen und das Fehlen einer genuin pakistanischen Identität führen zu zahlreichen Konflikten, in denen sich islamische Strömungen, ethnisch motivierte separatistische Bewegungen und der pakistanische Staat gegenüberstehen. Regionale Schwerpunkte sind die Provinzen Khyber-Pakhtunkhwa und Belutschistan sowie die ehemaligen Stammesgebiete (FATA).

Verteilung der Ethnien in Pakistan (mr-kartographie) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Im entlegenen Nordwesten der Provinz Khyber-Pakhtunkhwa, im historischen Siedlungsgebiet der Paschtunen, kommt es immer wieder zu ethnisch und religiös motivierten Aufständen. Das paschtunische Gebiet wird durch die afghanisch-pakistanische Grenze entlang der "Durand-Linie" nahezu in der Mitte geteilt. Um illegale Grenzübertritte zu unterbinden, hat Pakistan 2014 mit dem Bau eines Grenzzaunes begonnen, der mittlerweile zu 97 Prozent fertiggestellt ist. Dies sorgt für Unzufriedenheit bei der lokalen Bevölkerung auf beiden Seiten der Grenze, die diese Teilung als künstlich empfindet. Die separatistischen Forderungen nach einem unabhängigen "Paschtunistan" haben durch den Sieg der Taliban in Afghanistan neue Nahrung erhalten.

In den ehemaligen Stammesgebieten (FATA) mit ihrer unzugänglichen Topographie und tribalen Gesellschaftsordnungen fanden lange Zeit afghanische Taliban einen Rückzugsort. Mittlerweile wird vermutet, dass sich die Situation umgekehrt hat, und pakistanische Taliban und Aufständische inzwischen jenseits der afghanischen Grenze über sichere Rückzugsorte vor pakistanischen Sicherheitskräften verfügen. Die Angriffe und Attentate der pakistanischen Taliban richten sich sowohl gegen den pakistanischen Staat als auch gegen Angehörige religiöser Minderheiten und anderer islamischer Konfessionen.

Auch in der dünn besiedelten, aber flächenmäßig größten Provinz Belutschistan kommt es regelmäßig zu separatistisch motivierten Aufständen. Forderungen nach größerer wirtschaftlicher Teilhabe und mehr Selbstbestimmung wurden von der Regierung in Islamabad bislang weitgehend ignoriert. Allerdings kommt Belutschistan mit seinen Rohstoffvorkommen und dem Hafen in Gwadar eine Schlüsselstellung im Rahmen des gigantischen chinesisch-pakistanischen Infrastrukturprojektes China-Pakistan Economic Corridor (CPEC) zu. In der lokalen Bevölkerung gibt es große Widerstände gegen das Projekt, weil man befürchtet, dass es kaum Nutzen für die Menschen vor Ort abwirft und traditionelle Wirtschafts- und Lebensformen verdrängt.

Bearbeitungs- und Lösungsansätze

Lösungsstrategien pakistanischer Regierungen zur Konfliktbewältigung oszillieren stets zwischen sporadischen Friedensgesprächen mit militanten Gruppen und selektiven Militäroperationen. Beide Strategien haben sich bislang als wenig wirkungsvoll erwiesen. Im Herbst 2021 scheiterte der Versuch, einen Waffenstillstand mit den TTP auszuhandeln. Im Frühjahr 2022 wurde unter Vermittlung der afghanischen Taliban ein neuer Anlauf unternommen, doch es gibt nur wenig Anlass zu Optimismus.

Die Lösung der innerstaatlichen Konflikte in Pakistan wird besonders durch die einflussreiche Stellung des Militärs erschwert. Um das Machtgleichgewicht mit dem Erzrivalen Indien auszubalancieren und eigene wirtschaftliche sowie geostrategische Interessen zu befördern, kollaborieren die pakistanische Armee und ihr Geheimdienst Inter Services Intelligence (ISI) vermutlich immer wieder mit islamistischen Fundamentalisten. Religiöser Extremismus wird solange toleriert oder gar gefördert, wie er taktisch gegen äußere oder innere Feinde in Stellung gebracht werden kann. Über die Fokussierung auf Sicherheitsfragen geraten zudem die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung aus dem Blick. Pakistan steht vor wirtschaftlich großen Herausforderungen, auf die das Land schlecht vorbereitet ist. Damit fehlt es breiten Bevölkerungsschichten an ökonomischen Perspektiven, das macht sie empfänglich für Extremismus.

Darüber hinaus hat sich auch in Pakistan in den vergangenen Jahren durch eine steigende Bedeutung sozialer Medien eine starke Polarisierung in Medien und Politik entlang ethnischer, religiöser und parteipolitischer Grenzen ergeben, die Dialoge und Kompromisse zunehmend erschwert. Demokratische Entscheidungs- und Inklusionsprozesse sind unter diesen Bedingungen nur eingeschränkt möglich. Die tumultartige Ablösung Imran Khans, die das Land an den Rand einer Verfassungskrise führte, und ihre Folgen wirkten wie ein Brandbeschleuniger für eine extreme parteipolitische Polarisierung. Immerhin scheinen die beiden großen Parteien PML-N und PPP entschlossen, demokratische und parlamentarische Spielregeln in Zukunft zu respektieren, um keine Vorwände für eine neuerliche Machtübernahme des Militärs zu schaffen.

Ein Schritt in die richtige Richtung war die weitgehende Föderalisierung Pakistans, die 2013 von der damals regierenden PPP durchgesetzt wurde und den Provinzen durch eine Verfassungsänderung mehr Selbstbestimmung und Eigenverantwortung zubilligte. Das Grundproblem von Korruption und Patronage sowie zum Teil stark differierender Lebensbedingungen in den unterschiedlichen Provinzen, wurde hierdurch jedoch nicht gelöst.

Geschichte des Konflikts

Einfluss der Taliban in Pakistan (mr-kartographie) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Pakistan, das "Land der Reinen", wurde gegründet, um den Millionen Muslimen des indischen Subkontinents eine Heimat zu geben. Die britische Kolonialverwaltung legte mit der unterschiedlichen Behandlung ethnischer Bevölkerungsgruppen und ihren Teilungsplänen den Grundstein für die Konflikte. Während die gut ausgebildeten Hindus überproportional stark in der Regierung, Verwaltung und im Militär vertreten waren, blieb Muslimen der privilegierte Zugang zu Bildung und Entwicklung verwehrt. Um der drohenden Dominanz der Hindus zu entfliehen, trieben muslimische Intellektuelle die Gründung eines eigenständigen Staates voran. Grundlage war die sogenannte "Zwei-Nationen-Theorie", die bis heute ein zentrales identitätsstiftendes Element darstellt.

Unter dem Druck der Modernisierung sind die patriarchalen und quasi-feudalen Strukturen zum Hindernis für den Aufbau eines modernen und demokratischen Staates geworden. Aufgrund der allgegenwärtigen Armut folgen viele, vor allem junge Menschen, den Heilsversprechen der religiösen Parteien und Organisationen. Denn Organisationen, wie Jamaat-i Ulema i Pakistan (JUI) oder Jamaat-i Islami (JI), sind keineswegs nur für Spiritualität zuständig. Mit ihrem Netz an Versorgungseinrichtungen, Moscheen und Schulen haben sie spätestens seit den 1980er Jahren unter der Militärherrschaft General Zia-ul Haqs (1977-88) ein Parallelsystem zum pakistanischen Staat geschaffen.

Die zivilen Regierungen der 1990er Jahre unter den Ministerpräsidenten Benazir Bhutto und Nawaz Sharif konnten aufgrund interner Machtkämpfe und externer Probleme den Trend zur Islamisierung nicht aufhalten. Um das von Zerfall bedrohte Land zu stabilisieren, hat das Militär unter den Generälen Ayub Khan (1958), Zia-ul Haq (1977) und Pervez Musharraf (1999) bereits dreimal die Macht für mehrere Jahre an sich gerissen. Das jahrzehntelange Kriegsrecht hat die demokratische Kultur nachhaltig beschädigt. Doch aufgrund dauerhafter negativer Erfahrungen mit der korrupten politischen Elite wird das Militär bis heute als zuverlässiger Stabilisator der in ihrem Zusammenhalt bedrohten Nation gesehen. Es ist jederzeit in der Lage, sich wieder an die Macht zu putschen.

Weitere Inhalte

ist Politikwissenschaftler und Landesvertreter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Islamabad, Pakistan. Zuvor arbeitete er für die Friedrich-Ebert-Stiftung in Ulaanbaatar (Mongolei) und Hamburg.

ist Programmkoordinator der Friedrich-Ebert-Stiftung in Islamabad, Pakistan.