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Der Syrien-Konflikt und die Regionalmächte | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Der Syrien-Konflikt und die Regionalmächte Militärische Interessendurchsetzung statt konstruktiver Konfliktbearbeitung

Muriel Asseburg

/ 8 Minuten zu lesen

Das massive Eingreifen Russlands in den Syrien-Konflikt hat zur Zurückdrängung des IS und zur Konsolidierung des Assad-Regimes beigetragen. Doch eine politische Lösung ist nach wie vor nicht in Sicht. Ein wichtiger Grund liegt in den unvereinbaren Interessen der Regionalmächte.

11. Dezember 2017: Russlands Präsident Putin beim Besuch in Syrien. (© picture-alliance/AP)

Innerstaatliche Krisen und Konflikte

Im Laufe der Jahre 2016 und 2017 gelang es dem Assad-Regime und seinen Verbündeten, die Kontrolle über große Teile des syrischen Territoriums zurückzuerlangen. Die Rebellen wurden zurückgedrängt; der sogenannte Islamische Staat (IS) büßte die territoriale Basis seines "Kalifats" in Syrien (und im Irak) nahezu vollständig ein. Diese Entwicklungen haben bei vielen internationalen Akteuren zu der Wahrnehmung geführt, dass der IS besiegt und das Ende des Bürgerkrieges gekommen sei. In der Folge wurden zunehmend Forderungen nach einem Arrangement mit dem Assad-Regime, einem finanziellen Engagement für den Wiederaufbau und der Rückführung von Flüchtlingen aus Europa und den Nachbarländern laut.

Allerdings ist ein Ende des Konflikts noch weit entfernt. So hat der syrische Präsident angekündigt, weitere Gebiete zurückerobern zu wollen. Und einflussreiche Regionalmächte beeilen sich, ihre Interessen in Syrien – auch militärisch – zu sichern, anstatt sich für eine friedliche Konfliktbearbeitung einzusetzen. Damit ist die Konfliktkonstellation noch komplexer geworden. Sie birgt nicht nur die Gefahr einer erneuten Eskalation in Teilen Syriens, sondern auch darüber hinaus. Vor diesem Hintergrund ist es unwahrscheinlich, dass es mittelfristig gelingen wird, einen landesweiten Waffenstillstand oder gar eine Konfliktregelung durch einen verhandelten Übergang zu erzielen, wie von den Vereinten Nationen auf Basis von Sicherheitsratsresolution 2254 vom Dezember 2015 angestrebt.

Russische Dominanz und Bemühungen um Deeskalation

Seit seinem direkten militärischen Eingreifen im September 2015 hat sich Russland als dominante militärische, politische und diplomatische Kraft im Syrien-Konflikt etabliert. Dank seiner militärischen Stärke hat Moskau eine Trendwende im Bürgerkrieg erreicht und seinem Verbündeten Assad die Rückeroberung strategisch wichtiger Gebiete ermöglicht. Dabei wirkte sich begünstigend aus, dass die USA ihr Engagement seit 2014 zunehmend auf den Kampf gegen den IS statt auf die Unterstützung des Aufstands gegen das Regime konzentrierten. Außerdem konkurrierten die regionalen Unterstützer der syrischen Opposition, vor allem die Türkei, Saudi-Arabien und Katar, von Anfang miteinander und förderten hauptsächlich ihnen ideologisch nahestehende Gruppierungen, statt die Einigung der Anti-Regimekräfte in den Vordergrund zu rücken. Insgesamt fuhren sie ihre Unterstützung für die Rebellen in den letzten Jahren deutlich zurück. Mitte November 2017 kontrollierten nach Angaben des Omran Centers, das der syrischen Opposition nahesteht, das Regime rund 55%, die kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) 24%, die Rebellen 12% und der IS 10% des Territoriums.

Russland hat versucht, seine militärische Dominanz auch in eine politische Konfliktregelung zu übersetzen. Seit Mai 2017 gelang es Moskau in Kooperation mit den beiden Regionalmächten Iran und Türkei im Rahmen des sogenannten Astana-Prozesses eine vorübergehende Beruhigung in einigen Landesteilen herbeizuführen. Dazu wurden in vier der noch von Rebellen kontrollierten Gebieten sukzessive sogenannte "Deeskalationszonen" mit dem Ziel eingerichtet, dort die bewaffneten Auseinandersetzungen zu stoppen. Allerdings kam es immer wieder zu Verletzungen der Waffenstillstände – in erster Linie von Seiten des Regimes. Auch der Zugang für humanitäre Hilfstransporte verbesserte sich nur graduell.

Vor allem aber ist es Russland nicht gelungen, ernsthafte Verhandlungen über eine Konfliktregelung oder auch nur einen landesweiten Waffenstillstand zu erwirken. Denn das Assad-Regime sah sich durch die Gebietsgewinne gestärkt und durch die Unterstützung des Iran und iran-geführter Milizen gegenüber russischem Druck weitgehend immunisiert. Damaskus zeigte sich daher nicht bereit, eine Machtteilung zu akzeptieren oder über eine Übergangsregierung zu verhandeln. Auch die Bemühungen Moskaus, einen "Kongress der syrischen Völker" einzuberufen, der eine Konfliktregelung durch einen nationalen Dialog legitimieren sollte, drohen an den Widersprüchen zwischen den syrischen Fraktionen und den Regionalmächten zu scheitern. Entgegen der Ankündigung kam das Forum Mitte November 2017 nicht zustande. Die im Hohen Verhandlungskomitee repräsentierten Vertreter der syrischen Opposition lehnten eine Teilnahme aufgrund der Überzahl der eingeladenen regimenahen Gruppierungen ab. Russland und die Türkei konnten sich nicht über die Teilnahme der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) einigen. Die PYD ist der syrische Ableger der türkischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Letztere wird von Ankara (wie auch im Westen) als terroristische Organisation eingestuft und als Hauptfeind des türkischen Staates angesehen.

Gegensätzliche Interessen der Regionalmächte

Die Rückeroberung von Gebieten verdankte das syrische Regime nur sehr eingeschränkt der Schlagkraft seiner eigenen Armee. Vielmehr stützte es sich dabei, neben seinen Verbündeten Russland und Iran, ganz wesentlich auf die Hisbollah und weitere vom Iran geführte Milizen. Der Iran konnte in der Folge seinen Einfluss in Syrien deutlich ausweiten. Er hat u.a. begonnen, einen von ihm und verbündeten Milizen direkt kontrollierten Korridor zu etablieren, der ungehinderten Zugang, etwa für Truppen und Waffenlieferungen, aus dem Iran über den Irak und Syrien bis in den Libanon und ans Mittelmeer ermöglichen soll.

Dies beobachten insbesondere Israel, Jordanien und Saudi-Arabien mit großer Sorge. Zwar einigten sich Russland, die USA und Jordanien im Juli 2017 auf eine Deeskalationszone im Südwesten Syriens, was dem israelischen und jordanischen Interesse an einer Beruhigung der Situation im Grenzgebiet entgegenkam. Doch eine dauerhafte Präsenz von iranischen Truppen und Hisbollah-Milizen nahe der Grenze zu Israel wurde durch das Abkommen nicht ausgeschlossen. Trotz einer neuerlichen trilateralen Vereinbarung vom November 2017, nicht zuletzt über den Abzug aller ausländischen Kämpfer aus Syrien, gibt es dafür bislang keinen Zeitplan. Zudem bleiben die Absprachen in Bezug auf den Abstand, den vom Iran geführte Milizen von den Grenzen der Nachbarstaaten halten sollten, weit hinter den israelischen und jordanischen Erwartungen zurück. Auch betonte der russische Außenminister, dass sich die iranischen Verbände und ihre Verbündeten (im Gegensatz zu den US-geführten Kräften der Anti-IS-Koalition) legitimerweise, da auf Einladung der syrischen Regierung, in Syrien aufhielten.

Die Sorge, dass sich Iran und Hisbollah dauerhaft in Grenznähe festsetzen und von dort aus eine weitere Front gegen Israel eröffnen könnten, veranlasste die israelische Regierung, ihre diplomatischen Aktivitäten insbesondere gegenüber Russland und den USA zu verstärken. Da Israel seine Sicherheitsinteressen nicht hinreichend gewährleistet sah, ging es zu einer aktiven Eindämmungspolitik in Syrien über und weitete seine Luftschläge auf iranische und Hisbollah-Ziele aus. Das Ziel ist, die dauerhafte Etablierung von Stützpunkten und Militärbasen, die Stationierung iranischer Waffen, den Bau von Rüstungsfabriken sowie die Weitergabe strategischer Waffen an die Hisbollah zu verhindern. Auch wenn Israel und Hisbollah sich gegenseitig signalisierten, dass sie keine militärische Zuspitzung anstrebten, birgt das israelische Vorgehen dennoch ein hohes Risiko einer regionalen Eskalation.

Dies ist umso mehr der Fall, als auch die saudische Politik in der Region unter Führung von Kronprinz und Verteidigungsminister Mohammed bin Salman immer aggressiver geworden ist. Zwar fuhr das Königreich seine Unterstützung für die Rebellen in Syrien zurück, doch erhöhte es zugleich den Druck auf Verbündete und Konkurrenten, um den seit 2003 deutlich gestiegenen iranischen Einfluss in der Region zurückzudrängen. So beschloss Riad im Juni 2017 im Verein mit den VAE, Bahrain und Ägypten den Abbruch der diplomatischen Beziehungen und eine Teilblockade gegen Katar, um das Land zu einer Abkehr von Iran und dessen Verbündeten zu zwingen. Als Reaktion auf einen Raketenangriff der jemenitischen Huthi-Rebellen auf den Flughafen Riad, den es Iran und der Hisbollah zuschrieb, intensivierte Saudi-Arabien Anfang November 2017 seine Bombardierungen im Jemen und verhängte eine vollständige See-, Luft- und Landblockade über das südliche Nachbarland. Gleichzeitig setzte die saudische Führung allem Anschein nach den libanesischen Premierminister Saad al-Hariri in Riad unter Druck, um ihn zu einer härteren Gangart gegenüber der Hisbollah im Libanon zu veranlassen. Noch ist nicht klar, ob die saudischen Maßnahmen dem Iran nicht eher in die Hände spielen, als ihn zurückzudrängen. Auf jeden Fall aber bergen sie das Risiko einer erneuten Destabilisierung des Libanon und die Gefahr einer regionalen Eskalation.

Der Kampf gegen den IS, die SDF und die Türkei

Im Kampf gegen den IS stützte sich die US-geführte Koalition in Syrien vor allem auf die SDF. Sie ermutigte diese, auch Orte jenseits der kurdisch besiedelten Gebiete im Norden und Nordosten des Landes von den Dschihadisten zu befreien – nicht zuletzt Rakka, die Hauptstadt des IS-Kalifats. Abgesehen davon, dass unklar blieb, wie die vom IS befreiten Gebiete stabilisiert werden sollten, war die internationale Unterstützung für die SDF der Türkei von Anfang an ein Dorn im Auge, da die SDF von der PYD angeführt werden.

Die Türkei protestierte daher heftig gegen die US-amerikanische Kooperation mit den SDF und ihre Unterstützung, auch mit schweren Waffen. Außerdem intervenierte Ankara 2016 im Rahmen der Operation "Schutzschild Euphrat" militärisch in Syrien, um eine zusammenhängende kurdische Selbstverwaltungszone entlang ihrer Grenze zu verhindern. Dies war wohl auch das Hauptziel, als sie einmal mehr im Oktober 2017 Truppen ins Nachbarland verlegte, nun mit dem Mandat, als eine der Garantiemächte der Astana-Vereinbarungen die "Deeskalationszone" in der Provinz Idlib zu beruhigen. Damit haben sich die Prioritäten der Türkei im Syrienkonflikt gegenüber 2011 deutlich verändert: Im Vordergrund steht nicht mehr der Regimewechsel in Damaskus, sondern die Sicherung vitaler innenpolitischer Interessen Ankaras. Dies erklärt sich vor allem durch den Abbruch des Friedensprozesses mit der PKK und die erneute Eskalation des Bürgerkriegs im Südosten der Türkei.

Schlussfolgerungen

Die Regionalmächte im Nahen und Mittleren Osten hatten von Anfang an wenig gemeinsame Prioritäten, die sie zu einer konstruktiven, gemeinsamen Konfliktbearbeitung in Syrien motiviert hätten. Selbst die von Russland initiierte Kooperation mit der Türkei und Iran im Rahmen des Astana-Prozesses nutzten und nutzen diese in erster Linie dazu, um ihre militärische Präsenz zu rechtfertigen und ihre jeweiligen Interessen durchzusetzen. Auch eine zunehmend intensive und offene Kooperation zwischen Israel und Saudi-Arabien dient nicht der Konfliktberuhigung in Syrien oder der Region, sondern ist auf die Einhegung des Iran und der mit ihm verbündeten Milizen gerichtet. Dabei sind vor allem die Türkei, Iran und Israel bereit, ihre als vital angesehenen Interessen in Syrien auch militärisch durchzusetzen. Dies birgt die Gefahr erneuter militärischer Eskalation in Teilen Syriens, aber auch darüber hinaus.

Hinzu kommt, dass der syrische Präsident bereits angekündigt hat, die von den Rebellen kontrollierte Provinz Idlib, die von den SDF befreite Stadt Rakka sowie die Ölfelder im Osten des Landes zurückerobern zu wollen. Und selbst in den vom Regime kontrollierten Gebieten dürfte es kaum zu einer nachhaltigen Stabilisierung kommen. Denn dazu bräuchte es Angebote für eine Aussöhnung, eine inklusive und partizipative Regierungsführung und grundlegende institutionelle Reformen, die Vertrauen schaffen. Diese aber sind von Bashar al-Assad kaum zu erwarten.

Letztlich gehen alle plausiblen Szenarien davon aus, dass Gewalt, Kriegswirtschaft und Milizenherrschaft mittelfristig fortdauern dürften, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Eine Rückführung von Flüchtlingen wäre daher zum jetzigen Zeitpunkt unverantwortlich. Ein substanzielles Engagement für den Wiederaufbau würde nicht der Friedenskonsolidierung dienen, sondern Milizenherrschaft und Kriegswirtschaft zementieren und Vertreibungen und Enteignungen legitimieren – und damit neue Konflikte schaffen, statt eine nachhaltige Stabilisierung zu unterstützen. Daher sollten bei den deutschen und europäischen Stabilisierungsbemühungen – neben umfassender humanitärer Hilfe vor Ort und dem Ausbau der Unterstützung für Flüchtlinge in den Nachbarstaaten Syriens – insbesondere diplomatische Anstrengungen für eine Deeskalation zwischen den Regionalmächten und die Etablierung von Prinzipien des gewaltfreien Konfliktaustrags im Vordergrund stehen.

Weitere Inhalte

Dr. Muriel Asseburg (geb. 1968) ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Deutsches Institut für internationale Politik und Sicherheit in Berlin. Dort leitet sie die Projekte "Elitenwandel und neue soziale Mobilisierung in der arabischen Welt" und "Die Fragmentierung Syriens". Asseburg hat Politikwissenschaft, Völkerrecht und Volkswirtschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München studiert. Sie hat u.a. in Jerusalem, Ramallah, Damaskus und Beirut gelebt und gearbeitet bzw. studiert. Sie unterrichtet immer wieder auch an der Freien Universität Berlin bzw. an deren Seasonal Schools.