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Mittelamerika: Regionale Ansätze der Konfliktbearbeitung und -lösung | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Mittelamerika: Regionale Ansätze der Konfliktbearbeitung und -lösung

Ellen Skuza

/ 9 Minuten zu lesen

Der Friedensprozess von Esquipulas machte Mittelamerika in den 1980er und 1990er Jahren zu einer Pionierregion für regionale Friedensbemühungen. In El Salvador, Guatemala und Nicaragua wurden Friedensabkommen geschlossen. Doch die Konfliktursachen blieben bis heute weitgehend unangetastet. Die neue US-Regierung hat einen Kurswechsel angekündigt.

Die Statue mit den beiden nach oben reichenden Händen erinnert an des Friedensabkommen von 1996 in Guatemala, das den langjährigen Bürgerkrieg beendete. Sie steht im Nationalpalast in Guatemala Stadt. (© picture-alliance, Photononstop | Frédéric Soreau)

Als Reaktion auf die Bürgerkriege in Nicaragua, El Salvador und Guatemala in den 1980er Jahren starteten mehrere Regierungen Vermittlungsinitiativen. Angesichts der Flüchtlingsströme und der Operationsbasen von Rebellen in Nachbarländern wurde längst von einer "zentralamerikanischen Krise" gesprochen, die auch einer regionalen Lösung bedurfte (Bollin 2004: 6). Nach Vorarbeiten der Contadora-Gruppe trafen sich die Präsidenten von fünf zentralamerikanischen Staaten im Mai 1986 und im Februar 1987 in der guatemaltekischen Kleinstadt Esquipulas, um einen regionalen Friedensplan zu entwerfen und Schritte zur Beendigung der Konflikte einzuleiten.

Die zentralen Punkte des Esquipulas-II-Abkommens, das im August 1987 in Guatemala City von den fünf Präsidenten unterzeichnet wurde, waren die Einrichtung von Foren zur Förderung der nationalen Versöhnung, die Einstellung der Unterstützung irregulärer bewaffneter Kräfte und die Durchführung freier Wahlen. Zudem sollte die Einstellung jeglicher Feindseligkeiten, eine strikte Rüstungskontrolle und die Beobachtung von Militärmanövern sowie eine stärkere politische Kooperation zwischen den Regierungen vorangetrieben werden.

Das Ende des Kalten Krieges eröffnete den Vereinten Nationen und ihren Mitgliedsstaaten neue Spielräume der Einflussnahme. Insbesondere die "Gruppe der Freunde" (bestehend aus Kolumbien, Mexiko, Norwegen, Spanien, Venezuela und den USA) übten mehrfach Druck aus, um ein Scheitern der Friedensverhandlungen zu verhindern. Die Verhandlungen mündeten schließlich in die Unterzeichnung der Friedensverträge von Nicaragua (1990), El Salvador (1992) und Guatemala (1996). Die Erfahrungen und Lehren, insbesondere des salvadorianischen Friedensprozesses, flossen auch in die "Agenda für den Frieden" des damaligen UN-Generalsekretärs Boutros-Ghali ein und bildeten die Grundlage für zahlreiche Friedensprozesse, die von der UNO begleitet wurden.

Die weitere Gestaltung der Friedensprozesse wurde durch die internationale Gemeinschaft unterstützt. So entsandte die UNO in Kooperation mit der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in die drei Länder Beobachtermissionen: die ONUSAL nach El Salvador, die MINUGUA nach Guatemala und die ONUCA bzw. OEA-CIAV nach Nicaragua. Ihre größten Erfolge waren die Demilitarisierung der Guerillagruppen und die Verkleinerung der nationalen Streitkräfte.

Regionale Abkommen als Fundament einer Friedenszone (zona de paz)

Auf regionaler Ebene gründete sich 1991 das zentralamerikanische Integrationssystem (Sistema de la Integración Centroamericana – SICA). Ähnlich der Europäischen Union einigten sich die Mitgliedsstaaten unter anderem auf die Einführung eines gemeinsamen Passes und einer gemeinsamen Währung. El Salvador, Guatemala, Honduras und Nicaragua schlossen 2004 ein Freizügigkeitsabkommen (Convenio Centroamericano de libre movilidad, CA-4), für das das europäische Schengen-Abkommen Pate stand. 2014 erklärte sich die SICA gemeinsam mit der CELAC (Gemeinschaft der lateinamerikanischen und karibischen Staaten (Comunidad de Estados Latinoamericanos y Caribeños)) medienwirksam zu einer "Friedenszone" und verpflichtete sich zur dauerhaften friedlichen Konfliktbeilegung.

Der Grundgedanke des regionalen Ansatzes besteht in der Kooperation, Integration und Vernetzung, um innerhalb und zwischen den beteiligten Staaten künftig gewaltsame Konflikte zu vermeiden. Beispielsweise kann durch eine Zollunion und grenzfreien Personen- und Warenverkehr ein höheres Wirtschaftswachstum erreicht werden. So würden, laut dem guatemaltekischen Präsidenten, Alejandro Giammattei, "Mauern der Prosperität" entstehen, die dazu beitragen, die Migrationsbewegungen nachhaltig zu stoppen (Blickpunkt Lateinamerika 2020).

Kriege und Konflikte in Mittelamerika. (© bpb)

Transitional Justice und Wahrheitskommissionen

Im Zuge der Umsetzung von Esuipulas-II und der nationalen Friedensabkommen wurden in allen drei Ländern Versöhnungskommissionen eingesetzt. Mittelamerika wurde international auch als "Pionierregion" oder "Laboratorium" für Wahrheitskommissionen bezeichnet. Ihre Aufgabe war es, alle im Zusammenhang mit den Bürgerkriegen begangenen Verbrechen zu dokumentieren und in einen Gesamtzusammenhang zu stellen.

In Guatemala bildeten die Recherchen des Menschenrechtsbüros der Erzdiözese (ODHAG) die Grundlage für die Arbeit der Wahrheitskommission (Comisión para el Esclarecimiento Histórico, CEH). Angesichts der Tatsache, dass rund vier Fünftel aller Kriegsopfer den Maya angehörten, kam die Kommission zu dem Schluss, dass der guatemaltekische Staat während der Diktatur von Efrain Rios Montt (März 1982 bis August 1983) in einzelnen Regionen Völkermord an der indigenen Bevölkerung begangen hat. Im Jahr 2013 verurteilte das Oberste Gericht Montt wegen des Genozids an den Maya und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu 80 Jahren Haft.

Montt war damit der erste Politiker weltweit, der wegen Völkermord von einem einheimischen Gericht verurteilt wurde. Bereits zehn Tage später wurde das Urteil jedoch aufgrund angeblicher Verfahrensfehler vom Verfassungsgericht angefochten. Dies ging unter anderem auf die öffentlichkeitswirksame Kampagne "No hubo genozido" (Es gab keinen Genozid) des guatemaltekischen Unternehmerverbands (Comerciales, Industriales y Financieras, CACIF) zurück. Dieser argumentierte, dass eine Verurteilung dem inneren Frieden und dem Ansehen Guatemalas schaden würde. Daraufhin erließ der Kongress eine Resolution, die den Genozid leugnete. Erst im Jahr 2017 wurde das Verfahren erneut aufgenommen. Montt starb jedoch am 01. April 2018 vor seiner Verurteilung im Hausarrest.

Auch in El Salvador behinderten Militärs und rechtskonservative Politiker die Arbeit der Wahrheitskommission. Nachdem die Kommission zu dem Schluss gekommen war, dass das Militär für rund 90 % aller ca. 75.000 zivilen Opfer während des Bürgerkriegs (1980-1991) verantwortlich ist, startete eine öffentliche Kampagne, die den Bericht als "tendenziös" diffamierte. Der Oberste Gerichtshof schloss sich dieser Einschätzung an. Erst der Druck seitens der UNO und insbesondere der finanziell stark beteiligten USA führte zur Entlassung der im Abschlussbericht genannten Militärangehörigen. Als Reaktion erließ die Nationalversammlung ein umfassendes Amnestiegesetz, was unter anderem die Freilassung zweier ranghoher Militärs ermöglichte. Erst im Jahr 2016 erklärte der Oberste Gerichtshof die Amnestiegesetzgebung für rechtswidrig. Doch noch im September 2020 verweigert das salvadorianische Militär die Herausgabe von Unterlagen zur Untersuchung eines der größten Massaker des Krieges, bei dem das Militär 1981 in einer Operation gegen die Guerillabewegung mehr als tausend Bewohner der Kleinstadt El Mozote ermordet hatte.

In Nicaragua einigte sich die Nachkriegsregierung unter Violeta Chamorro (1990-1997), die dem von den USA geförderten antisandinistischen Parteibündnis "Unión Nacional Opositora" (UNO) vorstand, auf eine "Politik des Vergessens" und erließ umfassende Amnestiegesetze. Insbesondere die Machtteilung zwischen Konservativen und Sandinisten sowie die repressive Politik des aktuellen sandinistischen Präsidenten, José Daniel Ortega, führten dazu, dass in Nicaragua bis heute keine juristische Aufarbeitung stattfindet. Wie in den anderen mittelamerikanischen Staaten fehlen auch in Nicaragua Opfer- und Menschenrechtsorganisationen, die eine vergangenheitspolitische Aufarbeitung vorantreiben. Die Tatsache, dass die meisten Taten ungesühnt bleiben, wird allenfalls von der katholischen Kirche angeprangert.

Menschenrechtsorganisationen setzen nun darauf, dass ausländische Gerichte auf der Grundlage der von den Wahrheitskommissionen dokumentierten Verbrechen tätig werden. So wurde im September 2020 der ehemalige salvadorianische Verteidigungsminister durch ein spanisches Gericht für die Ermordung von fünf spanischen Jesuiten während des Bürgerkriegs verurteilt.

Die Revanche der alten Eliten

Die anfängliche Aufbruchsstimmung der 1980er und 1990er Jahre ist längst verflogen. Von Geist und Buchstaben der Friedenverträge ist nicht viel übriggeblieben. In allen drei mittelamerikanischen Staaten wurden zwar die autoritären Systeme durch eine formale Demokratie ersetzt, doch hinter der Fassade blieben die autoritären Strukturen erhalten. Die alten, einflussreichen Familien nutzen nach wie vor ihre wirtschaftliche, gesellschaftliche oder politischen Macht, um die Regeln den eigenen Interessen anzupassen. Die Befugnisse des kaum kontrollierten Militärs blieben ebenso unangetastet wie die weitgehende Straffreiheit von Militärangehörigen für begangene Menschenrechtsverbrechen. Die Gerichte fügen sich in aller Regel den Vorgaben der Mächtigen und der Politik.

Die Globalisierung und die Öffnung der Märkte führten dazu, dass die Regierungen die neoliberale Agenda in den Vordergrund rückten, ohne dass die nationalen Ökonomien nachhaltig davon profitierten. Die gesamtgesellschaftliche Teilhabe blieb ebenso auf der Strecke wie die Bekämpfung der Armut. Doch die Eliten fanden Wege, um sich durch die Zusammenarbeit mit Kartellen und Gangs neue Einnahmequellen zu verschaffen. Hierbei spielen ihnen insbesondere die schwachen, fragmentierten staatlichen Strukturen in die Hände.

Auch gibt es Bestrebungen populistischer Präsidenten, sich von den letzten noch verbliebenen Beschränkungen der Friedensverträge und der daraus resultierenden Gesetze und Verordnungen zu lösen. So kündigte der guatemaltekische Präsident, Jimmy Morales, im Jahr 2019 einseitig die Vereinbarungen mit den Vereinten Nationen auf und forderte die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Internationalen Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (ICIG) auf, innerhalb von 72 Stunden das Land verlassen.

Die ICIG, die seit 2007 schwere Verbrechen aufklären und Straffreiheit verhindern sollte, war aufgrund ihrer Ermittlungen gegen den Präsidenten und weitere führende Politiker immer wieder in Konflikt mit den politischen Eliten und dem Präsidenten selbst geraten. Bereits im Vorfeld hatte Morales den Vorsitzenden, Iván Velásquez, als "öffentliches Sicherheitsrisiko" bezeichnet und die Ausweisung und Aufhebung der diplomatischen Immunität aller Beteiligten angestrebt. Die vorzeitige Aufhebung der UNO-Vereinbarung unterstrich Morales durch eine öffentlichkeitswirksame Machtdemonstration, wobei er den ICIG-Sitz und die Botschaften der unterstützenden Staaten von Militäreinheiten belagern ließ.

Friedensprozess in der Sackgasse

Als Folge des unverantwortlichen Handelns der alten und neuen politischen Eliten sind tief gespaltene und orientierungslose Gesellschaften entstanden mit einer seit Jahren explosionsartig ansteigenden Gewalt und Bandenkriminalität sowie zerrütteten nationalen Wirtschaften. Immer mehr Menschen sehen den Ausweg darin, sich entweder einer Bande oder den Flüchtlingstrecks in Richtung USA anzuschließen.

Weil die Bandenkriminalität immer mehr außer Kontrolle gerät, gehen die Regierungen zunehmend mit "harter Hand" gegen die Bandenstrukturen und -kriminalität vor. Anders als in Esquipulas-II und anderen Vereinbarungen vorgesehen, bleiben die nationalen Sicherheitsapparate und Militärs weiterhin zentrale politische Akteure. Aus Sicht der populistisch und repressiv regierenden Präsidenten sind sie für die Eindämmung der Gewalt und zur Sicherung eigener Machtstrukturen unverzichtbar. Doch wie die Erfahrungen z.B. aus Mexiko zeigen, führt eine einseitige repressive Politik bestenfalls zu einer kurzen Phase des Rückgangs der Gewalt, um dann in eine neue Eskalationsspirale zu münden. Eine wirksame Politik muss deshalb an den strukturellen Wurzeln der endemischen Gewaltkultur in der Region ansetzen.

Ausblick

Die International Crisis Group sieht das Zusammenspiel von Wirtschaft, Politik und Kriminalität nach wie vor als zentralen Anknüpfungspunkt für die Eindämmung der Gewalt und die Wiederbelebung der Friedensprozesse (International Crisis Group 2021). Nationale Programme müssten sich daher vor allem auf die sozio-ökonomischen Probleme in besonders betroffenen Gebieten fokussieren, die Chancen und Aufstiegsmöglichkeiten junger Menschen fördern und die Möglichkeiten lokaler Friedensverhandlungen mit Gewaltakteuren sondieren. Dies sei nur durch eine Abkehr von der "Politik der harten Hand" möglich.

Während eines ersten virtuellen Treffens am 1. März 2021 mit seinem mexikanischen Kollegen, Andrés Manuel López Obrador, betonte der neugewählte US-Präsident, Joe Biden, dass eine Partnerschaft auf Augenhöhe angestrebt werden müsse. Beide Länder vereinbarten eine enge Kooperation in der Entwicklungszusammenarbeit im Süden Mexikos und in Mittelamerika. Biden stellte hierfür 4 Mrd. US$ in Aussicht, um die Ursachen von Flucht und Migration umfassend und mit humanen Mitteln zu bekämpfen (The Biden Plan 2020). In den Fokus rückte er dabei vor allem die Armutsbekämpfung und die regionale wirtschaftliche Entwicklung. Hierfür sollen beispielsweise Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung gefördert, aber auch der Boden für private Investitionen bereitet werden. Biden kündigte diesbezüglich eine "erneuerte US-Führungsrolle" in der Zusammenarbeit mit den Staaten Nord- und Mittelamerikas an.

In einem offenen Brief an den neugewählten Präsidenten fordert eine breite Koalition von 75 US-amerikanischen zivilgesellschaftlichen Organisationen, die zu Mittelamerika arbeiten, "einen grundsätzlich veränderten Ansatz für die US-Außenpolitik" in der Region. Mittelamerika dürfe nicht länger als "Hinterhof" der USA behandelt werden. Stattdessen müssten die Beziehungen von einer Partnerschaft auf Augenhöhe geprägt sein. Zu den konkreten Forderungen gehören u.a.:

  • Schutz der Menschenrechte von Migrantinnen und Migranten, die Mittelamerika auf der Suche nach Asyl in den USA durchqueren.

  • Überprüfung der Unterstützung und Ausrüstung mittelamerikanischer Militär- und Polizeikräfte, die für zahllose Übergriffe auf Aktivisten, die Niederschlagung von Protesten und die gewaltsame Vertreibung von indigenen Gemeinschaften verantwortlich sind.

  • Stopp für extraktive und ausbeuterische Entwicklungsmodelle, die primär den lokalen Eliten zugutekommen, sich negativ auf das Klima und die Umwelt sowie auf indigene Gemeinschaften auswirken, zu ungleicher Verteilung des Wohlstands beitragen und so die Migration fördern.

  • Beendigung der Unterstützung korrupter rechter Regime und Akteure, die für Menschenrechtsverletzungen und Ungleichheit in der Region verantwortlich sind.

Weitere Inhalte

Ellen Skuza hat einen Masterabschluss in Friedensforschung und Internationaler Politik der Universität Tübingen und promoviert am Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) der Universität Duisburg-Essen zur Versicherheitlichung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Zuvor arbeitete sie bei der Berghof Foundation für das Projekt Peace Education in Iran sowie im Bereich der interreligiösen Mediation. Darüber hinaus sammelte sie Erfahrungen beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sowie der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Außerdem ist sie Mediengestalterin im Bereich des Cross-Media-Publishings.