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Nördliches Afrika: Einfluss und Rolle des Islamismus und dschihadistischen Terrorismus | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Nördliches Afrika: Einfluss und Rolle des Islamismus und dschihadistischen Terrorismus

Christian Ederer

/ 11 Minuten zu lesen

Die Frontstellung zwischen säkularen und islamistischen Kräften prägt spätestens seit dem "Arabischen Frühling" die regionalen Konflikte im nördlichen Afrika. Die Verquickung zwischen lokalen Milizen, kriminellen Netzwerken und externen Terrororganisationen trägt maßgeblich zur weiteren Verankerung fundamentalistischer Akteure und Ideen in der Region bei.

Januar 2013 in Kairo: Ägyptische Islamisten beten bei einer Demonsttration gegen die französische Intervention in Mali. (© picture-alliance, abaca)

Im Januar 2013 sah sich die französische Regierung gezwungen, Truppen nach Mali zu entsenden, um den Vormarsch von militanten Islamisten auf die Hauptstadt Bamako zu stoppen. Bis dahin hatten Kämpfer von Ansar Dine, Al-Qaida des islamischen Maghreb (AQIM) und die Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika (MUJAO) weite Teile Nord-Malis unter ihre Kontrolle gebracht. Mali ist zwar ein Extrem-, aber kein Einzelfall in der Region. Islamistische Milizen und Terrororganisationen haben ihren Einfluss im nördlichen Afrika, trotz zahlreicher militärischer Rückschläge, seit den 2000er Jahren sukzessive ausgebaut.

Allein für 2016 wurden in Algerien, Tschad, Libyen, Mali, Niger und Tunesien 235 islamistisch motivierte, terroristische Vorfälle gezählt. Die hauptsächlich im Nordosten Nigerias aktive Terrororganisation Boko Haram hat in den Jahren 2014 und 2015 mehr Menschen getötet als der Islamische Staat (IS) in Syrien und Irak im selben Zeitraum. Die ägyptische Regierung führt seit Jahren einen stillen, aber erbitterten Kampf gegen die "Soldaten der Provinz Sinai", einen auf der Sinai-Halbinsel aktiven IS-Ableger, der bis dato hunderte Menschenleben gefordert hat. Der Einfluss islamistischer Akteure und Terrororganisationen auf innerstaatliche Konflikte im nördlichen Afrika kann allerdings nicht isoliert betrachtet werden, sondern nur im Zusammenhang mit den lokalen und regionalen Spannungs- und Konfliktherden.

Konfliktursachen

Die Ursachen innerstaatliche Auseinandersetzungen im Maghreb und der Sahelregion reichen von der politischen und sozioökonomischen Marginalisierung von Randgruppen über schwache nationale und kommunale Regierungsstrukturen bis hin zu Nepotismus und Korruption. Die Spannungen wurden vom salafistisch geprägten Saudi-Arabien und einigen Golfstaaten gezielt durch die finanzielle und ideelle Unterstützung lokaler islamistischer Bewegungen verschärft. Unter diesen Bedingungen haben sich in der Region seit den 1970er Jahren zahlreiche militante islamistische Gruppierungen und transnationale Terrornetzwerke festgesetzt.

Gebiete, in denen al-Qaida- und IS-Ableger sowie lokale Gruppen, wie Ansar Dine und Boko Haram, Fuß fassen konnten, gehören zu den sozioökonomisch am meisten gefährdeten der Welt. Wichtige Entwicklungsindikatoren, wie Kindersterblichkeit, Bildungsniveau und Frauenrechte, liegen noch deutlich unter den ohnehin schon vergleichsweise niedrigen Durchschnittswerten im Maghreb und der Sahelregion. Fortschreitende Globalisierungsprozesse und wirtschaftliche Liberalisierungspolitik haben besonders ländliche Gemeinden hart getroffen und diese nicht selten in Armut, Massenarbeitslosigkeit und die Kooperation mit kriminellen Netzwerken gedrängt. Das gilt für Teile der Tuareg in Libyen, Mali und Algerien ebenso wie für Beduinenstämme auf der Sinaihalbinsel. Meist verläuft der gesellschaftliche Bruch zwischen vernachlässigten Peripherien und urbanen Regionen. Angesichts des starken Bevölkerungswachstums im Maghreb und der Sahelregion (1950: rd. 85 Millionen, 2017: rd. 440 Millionen) machen Arbeitslosigkeit, Armut und Entwurzelung auch vor der Stadtbevölkerung nicht Halt und haben auch dort den Kampf um Arbeit und Ressourcen eskalieren lassen.

Islamisierung politischer Auseinandersetzung

Breite soziale Unzufriedenheit im nördlichen Afrika der 1970er und 1980er Jahre war besonders eine Folge der Abwärtsspirale der sozialistisch geprägten Volkswirtschaften. Die Versprechungen des "Arabischen Sozialismus", der vor allem auf rapide Industrialisierungsprozesse, Verstaatlichungen von Privateigentum und einen massiven Ausbau des öffentlichen Dienstes gesetzt hatte, wurden von der Realität eingeholt. "Infitha" (Öffnung) war das Schlagwort, mit dem der ägyptische Präsident Anwar as-Sadat ab Mitte der 1970er Jahre ein Kurswende einleitete und die Öffnung der Wirtschaft für Privatunternehmen und ausländisches Kapital ermöglichte. Die Reformen wurden allerdings durch herbe Einschnitte im Sozialsektor erkauft; sie ließen die Arbeitslosenzahlen in die Höhe schnellen und führten zu einer Polarisierung der Massen.

Islamistische Bewegungen, allen voran die 1928 gegründeten Muslimbrüder, federten die soziale Not in der Bevölkerung durch ihre sozialen Einrichtungen teilweise ab. Sie nutzen ihren neu gewonnenen Einfluss, um die islamistische Ideologie in die politische Auseinandersetzung in Ägypten und der Region hineinzutragen. Ableger der Bewegung sind u.a. in Tunesien (Ennahda), Libyen (Partei für Gerechtigkeit und Aufbau), Sudan und dem Gazastreifen (Hamas) aktiv. Der Aufbau islamistischer Netzwerke in der Region wäre ohne finanzielle Mittel und ideelle Unterstützung externer Kräfte, insbesondere salafistische Kreise in Saudi-Arabien und Akteure in den Golfstaaten, kaum möglich gewesen. Ursprünglich wurden radikale islamische Ideen und Inhalte über so finanzierte Moscheen, Medressen (Koranschulen) und Prediger verbreitet. Heutzutage erreichen sie ihre bevorzugte Zielgruppe – junge Menschen – hauptsächlich über soziale Medien. Auf diese Weise hat sich in den letzten Jahrzehnten in der Region eine markante ideologische Verlagerung zu mehr konservativen, exklusiveren und vermeintlich "reinen" Formen des Islam vollzogen. Und extreme Formen des Islamismus sind zur einflussreichsten politischen Ideologie aufgestiegen.

Etablierung terroristischer Netzwerke

Die Muslimbrüder schrieben die anhaltende Identitätskrise und die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten in den 1970er und 1980er Jahre besonders der "Verwestlichung" der Arabischen Regime und dem Abfall vom "reinen" Glauben (Jahiliya) zu. Damit wurde implizit zum Sturz arabischer Regime aufgerufen. Inhaltlich gehen die Rufe nach einer Re-Islamisierung auf Sayyid Qutb (1906-1966) zurück, einen einflussreichen Vordenker der Muslimbrüder und ideologischen Wegbereiter zahlreicher islamistischer Untergrundgruppen, wie Gamaa Islamija und al-Dschihad. Auch Osama bin Laden kam über die Muslimbrüder in Saudi-Arabien früh in Kontakt mit den Lehren Qutbs und sollte beim Aufbau transnationaler terroristischer Netzwerke im nördlichen Afrika die entscheidende Rolle spielen.

Bin Laden war in den 1980er Jahren dem Ruf Abdallah Azzams in den "heiligen Krieg" nach Afghanistan gefolgt und baute mit ihm Einheiten aus arabischen Freiwilligen für den Kampf gegen die sowjetischen Truppen auf. Die Gründung von al-Qaida fiel in die Endphase des Krieges und diente der Vernetzung der in Afghanistan und Pakistan präsenten dschihadistischen Verbände. Nachdem Bin Laden sich Anfang der 1990er Jahren mit der saudischen Regierung über die Rolle der USA im 1. Golfkrieg überworfen hatte, siedelte er 1992 auf Einladung Hassan al-Turabis in den Sudan über. Militante salafistische Bewegungen, nach dem sowjetisch-afghanischen Krieg in ihren Heimatstaaten verfolgt und unerwünscht, fanden in Khartum ab 1989 eine Basis, um sich zu vernetzen und zu organisieren. Al-Qaida baute im Sudan nicht nur Trainingslager für Dschihadisten auf und begann nun auch gezielt, Einfluss auf lokale Konflikte in der Region zu nehmen. Im algerischen Bürgerkrieg (1992-2004) drängte Bin Laden mit seinen finanziellen Mitteln moderate Islamisten ins Abseits und förderte z.B. die "Groupe Islamique Arme" (GIA) und ihre maßlosen Gewalttaten. Aus der "Salafistengruppe für Predigt und Kampf", einer Abspaltung der GIA, ging 2007 AQIM hervor.

Konfessionalisierung lokaler Konfliktherde

Nach dem Scheitern des "Arabischen Frühlings" 2011/12 haben sich die Spannungen zwischen säkularen und radikalen konfessionellen Kräften im nördlichen Afrika zur zentralen Achse der politischen Auseinandersetzung entwickelt. Dadurch werden die innerstaatlichen Konflikte der Region auf ganz unterschiedlicher Weise geprägt. Während das ägyptische Militär-Regime nach dem Sturz des den Muslimbrüdern angehörenden Präsidenten, Mohammed Mursi, die Bruderschaft mit harter Hand verfolgt und kurzerhand zur Terrororganisation erklärt hat, stehen sich im bürgerkriegsgeplagten Libyen ein islamistischer und ein vordergründig säkularer Machtblock gegenüber. In Mali haben sich die seit Jahrzehnten immer wieder aufflammenden Unabhängigkeitsbestrebungen lokaler Tuareg-Stämme stark islamisiert.

Mali ist traditionell vom Sufismus geprägt – einer mystischen und toleranten Strömung innerhalb des Islam. Seit dem Einflussgewinn salafistischer Kräfte in Norden, u.a. auch der pakistanischen Tablighi Jama'at, sehen sich die malische Regierung und andere Institutionen mit dem Vorwurf konfrontiert, einen falschen Glauben anzuhängen und zu vertreten. Auch wenn religiöse Kräfte bislang in der politischen Auseinandersetzung keine federführende Rolle spielen, hat sich eine Frontstellung zwischen Sufi-Predigern und wahhabitischen Wortführern etabliert. Zentraler Streitpunkt ist die staatliche Regulierung und Verfolgung religiöser Bewegungen, besonders im Umgang mit fundamentalistischen Kräften. Obwohl es seit der Unterzeichnung eines Friedensvertrages mit säkulären Oppositionskräften im Jahr 2015 keine größeren militärischen Auseinandersetzungen mehr gegeben hat, bleibt der Frieden brüchig. Interner Link: Insbesondere militante islamistische Tuareg-Gruppen drängen weiterhin mit Gewalt auf die Einführung der Scharia.

In den meisten Konflikten der Region fungieren islamistische Lehren als ideologische Basis und Legitimationsressource für die Rekrutierung und Mobilisierung lokaler Rebellengruppen. Dabei ist der Schulterschluss lokaler Akteure mit transnationalen Terrornetzwerken oft strategisch motiviert und folgt nicht selten militärischen Niederlagen, drohendem Bedeutungsverlust und politischer Verfolgung. Auf wenige trifft das so sehr zu wie auf Iyad Ag Ghaly. Ghaly, selbst einflussreicher Anführer der Tuareg in Mali, brach im März 2012 mit dem vornehmlich säkularen Führungszirkel der "Nationale Bewegung für die Befreiung des Azawad" (MNLA). Vorausgegangen waren Streitigkeiten über die ideologische Ausrichtung der MNLA, besonders um die Einführung der Scharia in den bereits besetzen Gebieten. Was folgte, war die Gründung von Ansar Dine unter Führung Ghalys und ein vorerst loses Bündnis mit regionalen al-Qaida-Ablegern (AQIM und MUJAO). Al-Qaida hatte bereits seit einiger Zeit versucht, durch Eheschließungen und finanzielle Unterstützung die Grundlage für Bündnisse mit lokalen Tuareg-Stämmen zu schaffen.

Unter dem Druck der französischen Intervention (Operation Serval) und der Entsendung von UN Truppen (MINUSMA) haben sich die Verbindungen zwischen Ghaly und al-Qaida noch verstärkt. Der Zusammenschluss von Ansar Dine, den in der Sahara aktiven Teilen von AQIM und Al-Mourabitoun zu "Nusrat al-Islam" und Treueschwur zu Al-Qaida-Führer, Ayman Al-Zawahiri, im März 2017, ist dabei nur der letzte in einer ganzen Reihe von Bündnissen und wechselnden Beziehungen zwischen lokalen Rebellenorganisationen und global operierenden salafistisch-dschihadistischen Terrororganisationen. Die Entstehung, Wandlung und Neuformierung militanter islamistischer Gruppierungen lassen sich dabei weniger durch Übereinstimmung klar definierter gemeinsamer strategischer Ziele als durch ideologische Konformität und Rationalität der verschiedenen Akteure erklären. Lokale Bewegungen profitieren dabei von überregionalen Netzwerken transnationaler terroristischer Organisationen.

Auswirkungen transnationaler Beziehungen in der Sahelzone

Internationale Gegenmaßnahmen haben Ansar Dine & Co. schnell an die Grenzen ihrer klassischen operativen Fähigkeit gebracht. Militärisch in weiten Teilen des nördlichen Afrika geschlagen und aus urbanen Regionen zurückgedrängt, haben sich in der Sahelzone aktive militante Islamisten auf eine asymmetrische Kriegsführung verlegt. Während sich die Vorgängerorganisationen von Nusrat al-Islam nach der französischen Intervention in Mali auf "Hit and Run"-Strategien auf militärische Ziele konzentriert haben, gingen Teile der Gruppen in Mali und in Anrainerstaaten 2016 dazu über, gezielt Zivilisten zu töten. Auch Boko Haram hat seit militärischen Niederlagen gegen Ende 2015 vermehrt auf Selbstmordattentate und Angriffe gegen "weiche" Ziele gesetzt. Die Verbreitung von Strategien, Taktiken, Waffen und Personal über nationale Grenzen hinweg sowie die gegenseitige Gewährung von Rückzugsräumen tragen so entscheidend dazu bei, dass dschihadistische Gruppen in die Lage versetzt werden, ihren Kampf unter den neuen Umständen fortzusetzen. Besonders ausländische Kämpfer schrecken dabei nicht vor extremen Formen von Gewalt zurück. Terrorismus wird zu einer effektiven Form der (asymmetrischen) Kriegsführung.

Die einseitig militärische Bekämpfung von islamistischen Milizen und Terrororganisationen in der Region hat sich als wenig zielführend und kontraproduktiv erwiesen. So hat die Vorgängerorganisation von AQIM nach Rückschlägen in Algerien Anfang der 2000er Zuflucht in Nord-Mali gefunden und entschieden zu Radikalisierungsprozessen und Konfessionalisierung der Unabhängigkeitsbestrebungen der Tuareg-Stämme beigetragen. In Nigeria zieht sich Boko Haram zum Schutz vor Militäroffensiven immer wieder in unzugängliche Waldgebiete oder nach Niger und in den Tschad zurück. Dabei können militante Bewegungen oft auf intakte Logistik- und Unterstützungsnetzwerke in lokalen Gemeinden zurückgreifen, die nicht nur auf ideologischer Konformität beruhen, sondern auch eng mit lokalen Parallelstrukturen verwoben sind.

Schwache staatliche Institutionen haben in der Vergangenheit die Ausbreitung krimineller Netzwerke in der Region begünstigt, die sich oft entlang historischer Handelsrouten in der Sahara festgesetzt haben. Terroristische Kräfte agieren mit, in und neben diesen Netzwerken. Ethnische Rebellen, Schmuggler und Hehler sowie auf eigene Rechnung handelnde staatliche Akteure sind so oftmals nur schwer von islamistischen Terrororganisationen zu unterscheiden. Allein die Gewinne aus dem Rauschgifthandel, der über die Sahelregion abgewickelt wird, beziffert die UNO auf 800 Mio. US Dollar pro Jahr. Ein nicht unerheblicher Teil davon fließt in die Finanzierung des islamistischen Terrorismus in der Region. AQIM und MUJAO haben seit den 2000er Jahren auch Beziehungen zu korrupten staatlichen Akteuren in Mali etabliert, um Lösegeldzahlungen für Geiseln abzuwickeln. Über dieselben Netzwerke wurde in der Folge auch der Drogenhandel organisiert. In Libyen generiert das Geschäft mit Flüchtlingen, u.a. durch Sklavenhandel, inzwischen mehr Gewinn als mit Kokain. Auch hier profitieren militante islamistische Gruppen.

Bislang ist bei der Bekämpfung terroristischer und krimineller Netzwerke keine Trendwende absehbar. Im Gegenteil, die Verbindungen – formell wie informell – zwischen islamistischen Milizen, Terrororganisation, lokalen Sezessions- und Unabhängigkeitsbewegungen sowie kriminellen Netzwerken wachsen weiter und erklären die feste Verankerung dieser Akteure in der Region. Schon jetzt ist zu befürchten, dass sich nach der Niederlage des IS und anderer islamistischer Terrororganisationen in Syrien und im Irak die Aktivitäten islamistisch motivierter Gruppen und Netzwerke noch stärker in Richtung nördliches Afrika verlagern werden.

Weitere Inhalte

ist Doktorand und Research Fellow am German Institute of Global and Area Studies in Hamburg. Zuvor hat er in Hamburg, St. Andrews und Washington DC Politikwissenschaften, Internationale Beziehungen und Konfliktforschung studiert. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen neben zivil-militärischen Beziehungen und Eskalationsprozessen in Bürgerkriegen auch Terrorismus und politische Gewalt.