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Kaschmir | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Kaschmir

Sandra Destradi Katja Schubert / Jakob Rösel

/ 8 Minuten zu lesen

Nach der Aufhebung des Autonomiestatus durch die indische Regierung im August 2019 ist die Lage in Kaschmir sehr angespannt. Die Beziehungen zu Pakistan haben sich weiter verschlechtert. Am Grenzverlauf in Ladakh kam es zu Auseinandersetzungen zwischen der indischen und chinesischen Armee.

Indische Paramilitärs stehen vor einem geschlossenen Laden in Srinagar in Jammu und Kaschmir, 17.12.2019. Kurz vor der Verkündung der Aufhebung der Autonomie von Kaschmir wurden zehntausende zusätzliche Truppen in das Gebiet entsandt und alle wichtigen Politiker der Region unter Hausarrest gestellt. (© picture-alliance, ZUMAPRESS.com | Idrees Abbas)

Aktuelle Situation

Nach dem deutlichen Wahlsieg der Indischen Volkspartei (Bharatiya Janata Party – BJP) bei den Parlamentswahlen von 2019 konsolidierte der indische Premierminister Narendra Modi seine Macht und setzte einige der zentralen Vorhaben seines hindu-nationalistischen Programms um. Hierzu zählte insbesondere die Aufhebung des Autonomiestatus des Unionsstaats Jammu und Kaschmir im August 2019. Dazu wurden Art. 370 und Art. 35A der indischen Verfassung aufgehoben, die dem einzigen Unionsstaat mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung ein hohes Maß an Autonomie eingeräumt hatten. Der Unionsstaat wurde aufgelöst und in zwei Unionsterritorien (Jammu und Kaschmir sowie Ladakh) aufgeteilt, die unter die Kontrolle der Zentralregierung gestellt wurden und somit deutlich weniger Autonomie genießen. Nun können auch Personen aus anderen Teilen Indiens in Kaschmir Land erwerben, was eine Veränderung der Demographie der Region durch den Zuzug von Hindus zur Folge haben könnte.

Die Aufhebung der Autonomie von Jammu und Kaschmir wurde mit der Absicht begründet, die wirtschaftlich schwache und politisch instabile Region zu "normalisieren" und stärker in das restliche Indien zu integrieren. Doch in Wahrheit ging es darum, die Region unter die direkte Kontrolle des indischen Staates zu bringen. Kurz vor der Verkündung der Aufhebung der Autonomie wurden zehntausende zusätzliche Truppen in das Gebiet entsandt und alle wichtigen Politiker der Region unter Hausarrest gestellt. Um Widerstand und Unruhen im Keim zu ersticken, verhängte die indische Regierung zudem eine Ausgangssperre und schottete die Region von jeglicher Kommunikation mit der Außenwelt ab. Telekommunikation- und Internetdienste wurden monatelang blockiert.

Erst ab Januar 2020 wurde schrittweise der Zugang zum Internet mit niedriger Datenübertragungsgeschwindigkeit wieder ermöglicht. In der am stärksten militarisierten Region der Welt wird die lokale Bevölkerung massiv unterdrückt, sodass zunächst kaum Widerstand gegen die Maßnahmen möglich war. Menschenrechtsorganisationen berichten, dass tausende Menschen inhaftiert wurden und vermisst werden. Längerfristig ist jedoch davon auszugehen, dass die Unterdrückung erneut zu Protesten und zu einem Zulauf für Rebellenorganisationen führen wird, die für die Abspaltung der Region von Indien kämpfen.

Die Veränderung des Autonomiestatus Kaschmirs hat auch internationale Auswirkungen. Für Pakistan stellt jede Veränderung des Status der Region eine Provokation dar, da sie ein Gebiet betrifft, das auch Pakistan beansprucht. Somit verschlechterten sich die bereits angespannten Beziehungen zwischen Indien und Pakistan weiter. Die bilateralen Spannungen hatten sich bereits ab Mitte der ersten Amtszeit Modis (2014-19) verschärft, nachdem es im Jahr 2016 zu Angriffen auf indische Militäreinrichtungen gekommen war, für die Indien durch Pakistan unterstützte Terroristen verantwortlich machte. Die indische Regierung hatte darauf mit gezielten Luftschlägen gegen Trainingscamps islamistischer Terroristen auf von Pakistan kontrolliertem Territorium reagiert.

Im Februar 2019 verübte die Terrororganisation Jaish-e-Mohammed einen Anschlag auf indische Sicherheitskräfte in Pulwama in Jammu und Kaschmir, bei dem 40 indische Sicherheitskräfte starben. Es folgte erstmals ein Angriff der indischen Luftwaffe auf Ausbildungslager militanter Gruppen auf pakistanischem Territorium. Seitdem sind die indisch-pakistanischen Beziehungen extrem angespannt. An der umstrittenen Grenze zwischen Indien und Pakistan kommt es immer wieder zu kleineren Feuergefechten mit Todesopfern unter der Zivilbevölkerung und dem Militär.

Modi nutzte den Konflikt mit Pakistan zur politischen Mobilisierung im Wahlkampf 2019. Dadurch wurde die pakistanfeindliche Stimmung in Indien so stark angeheizt, dass eine erneute Annäherung Indiens an Pakistan immer schwieriger wird. Seit der Veränderung des Status von Jammu und Kaschmir haben die Verletzungen des Waffenstillstands am Grenzverlauf zwischen Indien und Pakistan ("Line of Control") deutlich zugenommen.

Auch die chinesische Regierung protestierte gegen die Veränderung des Status quo in Kaschmir. China besetzte 1962 die benachbarte Region Aksai Chin und sieht seine territorialen Ansprüche durch die Schaffung eines indischen Unionsterritoriums im angrenzenden Ladakh bedroht. An der "Line of Actual Control", dem umstrittenen Grenzverlauf zwischen Indien und China, kam es im Sommer 2020 zu Auseinandersetzungen zwischen indischen und chinesischen Truppen – mit Dutzenden Toten auf beiden Seiten.

Verwaltungsgliederung Kaschmirs. Interner Link: Hier finden Sie die Karte als hochauflösende PDF-Datei (mr-kartographie) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Ursachen und Hintergründe

Kaschmir steht seit der Unabhängigkeit von Indien und Pakistan im Jahr 1947 im Mittelpunkt des bilateralen Konflikts zwischen beiden Staaten. Die Unabhängigkeit ging mit der Teilung Britisch-Indiens in das säkulare Indien und das muslimische Pakistan einher. So wie andere Fürstentümer musste Kaschmir entscheiden, ob es Indien oder Pakistan beitreten will. Die Entscheidung gestaltete sich besonders schwierig, da der Herrscher hinduistischen Glaubens, die Bevölkerung dagegen mehrheitlich muslimisch war.

Kaschmir wollte zunächst ein unabhängiger Staat werden und lavierte deshalb zwischen Indien und Pakistan. Erst als pakistanische Freischärler vollendete Tatsachen zugunsten Pakistans schaffen wollten, akzeptierte der Maharadscha den Beitritt zur Indischen Union. Das war die Gegenleistung, die Neu-Delhi für die Entsendung indischer Streitkräfte verlangte. Der Krieg endete am 1. Januar 1949 mit einem von der UNO vermittelten Waffenstillstand, der zur De-facto-Teilung Kaschmirs zwischen Indien und Pakistan führte. Die Waffenstillstandlinie von 1949 entspricht der heutigen "Line of Control", der De-facto-Grenze zwischen beiden Ländern.

Bis heute beanspruchen sowohl Indien als auch Pakistan das gesamte Gebiet Kaschmirs für sich. Aus historischen Gründen sahen beide Staaten Kaschmir lange Zeit nicht nur als essentiellen Bestandteil des eigenen Territoriums, sondern vor allem der eigenen Identität an. Pakistan beansprucht Kaschmir aufgrund dessen mehrheitlich muslimischer Bevölkerung. Pakistan versteht sich seit seiner Gründung 1947 als Staat für die Muslime Südasiens. Mit der Unabhängigkeit Bangladeschs von Pakistan (1971) hat dieses Selbstbild zwar Risse bekommen, doch der Anspruch wird bis heute aufrechterhalten.

Indien ist hingegen laut Verfassung ein säkularer Staat. Dieser Aspekt wurde jahrzehntelang von der indischen Regierung als wichtiges Abgrenzungsmerkmal gegenüber dem Rivalen im Nordwesten verstanden, sodass aus indischer Sicht die Zugehörigkeit Kaschmirs zu Indien den säkularen und pluralistischen Charakter des indischen Staates verdeutlichte. Der Kaschmirkonflikt war somit lange Zeit viel mehr als ein reiner Territorialkonflikt zwischen zwei Atommächten, sondern für beide Staaten von identitätsstiftender Bedeutung.

Unter der BJP-geführten Regierung von Premierminister Modi hat der Säkularismus allerdings an Bedeutung verloren. Stattdessen hat sich ein hindu-nationalistischer Mehrheitsdiskurs etabliert, der mit der zunehmenden Marginalisierung und Verfolgung der muslimischen Minderheit einhergeht. Die hindu-nationalistische Ideologie ("Hindutva") beruht auf der Gleichsetzung der indischen Identität mit dem Hinduismus. Sie wird von einer Vielzahl hindu-nationalistischer Organisationen aus dem Umfeld der BJP propagiert, u.a. von der Kaderorganisation Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS).

Diese Organisationen verhalfen nicht nur Modi zum Wahlsieg, sondern waren auch in den vergangenen Jahren für die Stimmungsmache gegen Muslime verantwortlich. So kam es beispielsweise vermehrt zu Fällen von Lynchjustiz gegen Muslime, die z.B. beschuldigt wurden, Kühe getötet zu haben. Radikale Hindu-Nationalisten machen gegen einen "Love Jihad" muslimischer Männer mobil, die angeblich junge hinduistische Mädchen verführen. In den sozialen Medien verunglimpfen hindu-nationalistische Organisationen mit Troll-Armeen jegliche Kritiker als "anti-national". Hindu-Nationalisten geht es darum, Kaschmir als mehrheitlich muslimisches Gebiet stärker zu kontrollieren und u.a. durch die Ansiedlung von Hindus dem Rest Indiens anzugleichen.

Die hindu-nationalistische Ideologie gibt zudem vor, Indien solle ein "starker Staat" sein, der eine entschlossenere Außenpolitik als in der Vergangenheit betreibt. Indien solle insbesondere gegenüber den Rivalen Pakistan und China selbstbewusster auftreten. Das führt dazu, dass sich die Regierung Modi in Bezug auf den Status Kaschmirs noch weniger verhandlungsbereit zeigt als die Vorgängerregierungen.

Schließlich trägt auch die Vernachlässigung Kaschmirs durch den indischen Staat zur Verschärfung des Konflikts bei. Insbesondere jüngere Menschen sind von Arbeitslosigkeit und mangelnden Perspektiven betroffen. Die offizielle Arbeitslosenquote ist in Jammu und Kaschmir die zweithöchste in ganz Indien (Spitzenreiter ist der Unionsstaat Rajasthan). Auch die massive Militarisierung trägt zur Unzufriedenheit der Bevölkerung bei. Inzwischen dürfte die geschätzte Präsenz von mindestens 700.000 indischen Sicherheitskräften in der Region weiter gestiegen sein. Die lokale Bevölkerung leidet seit Jahrzehnten unter einem Sicherheitsgesetz, nach dem Sicherheitskräfte erst nach Erlaubnis vorgesetzter Behörden strafrechtlich verfolgt werden können (Armed Forces Special Powers Act – AFSPA).

Bearbeitungs- und Lösungsansätze

Seit dem ersten indisch-pakistanischen Krieg von 1947 bis 1948 wurden immer wieder Versuche unternommen, eine Lösung für den Konflikt zu finden. Die UNO sah 1949 eine Volksabstimmung zur Zukunft der Region vor, die jedoch bis heute nicht durchgeführt wurde, u.a. weil Indien dies dezidiert ablehnt. Außerdem entsandte die UNO eine Beobachtermission zur Überwachung des am 1. Januar 1949 erklärten Waffenstillstands. Die UNMOGIP genannte Mission wurde seitdem immer wieder verlängert, agiert aber wenig effektiv.

Indien und Pakistan haben sehr unterschiedliche Ansätze, was die Konfliktregelung betrifft. Während Pakistan auf die Einhaltung bestehender UN-Resolutionen pocht, möchte Indien das Problem bilateral lösen – unter Ausschluss von Vertretern kaschmirischer Gruppen und ohne internationale Vermittler. Der bisher bedeutsamste und vielversprechendste Ansatz war der im Jahr 2003 vom indischen Premierminister Vajpayee lancierte "Verbunddialog". Die grundlegende Idee war dabei, eine möglichst breite Palette an Themen und Problemen zu behandeln – beispielsweise auch Fragen von Handel und Transport – und sich nicht ausschließlich auf die Kaschmirfrage zu fokussieren.

Der Verbunddialog führte zwischen 2004 und 2008 zu einer deutlichen Verbesserung der bilateralen Beziehungen, bis der Prozess durch den Anschlag einer pakistanischen Terrorgruppe auf die indische Metropole Mumbai im November 2008 unterbrochen wurde. Nach einer langsamen Normalisierung haben sich die Beziehungen seit 2014 von beiden Seiten wieder verschlechtert. Die Modi-Regierung verfolgt einen deutlich härteren Kurs gegenüber Pakistan. Darüber hinaus wird insbesondere in den (sozialen) Medien eine anti-pakistanische Stimmung geschürt, die die Regierung dazu bringen könnte, im Falle eines erneuten Anschlags noch dezidierter zu reagieren. Gleichzeitig scheint Premierminister Modi darauf bedacht zu sein, eine weitere Eskalation des Konflikts mit dem nuklear bewaffneten Nachbarstaat zu vermeiden.

Geschichte des Konflikts

Nach dem ersten Krieg um Kaschmir 1948/49 wurde der indische Teil Kaschmirs im Jahr 1957 zum Unionsstaat Jammu und Kaschmir. Dem Unionsstaat wurden weitreichende Autonomierechte gewährt. Der pakistanische Teil Kaschmirs besteht aus der autonomen Teilregion Azad Kaschmir und dem Sonderterritorium Gilgit-Baltistan. Auch China ist an dem Konflikt um Kaschmir beteiligt, da es 1962 das im Osten Kaschmirs gelegene Hochlandgebiet Aksai Chin eroberte und bis heute kontrolliert.

Der zweite Kaschmirkrieg, den Pakistan 1965 in der Hoffnung begann, das gesamte Territorium zu erobern, veränderte den Grenzverlauf nicht. 1972 unterzeichneten Indien und Pakistan das Shimla-Abkommen, in dem sie erklärten, die als Line of Control bezeichnete Waffenstillstandslinie zu respektieren und eine endgültige Lösung für Kaschmir bilateral, ohne die Beteiligung weiterer Akteure, auszuhandeln.

1999 trugen Indien und Pakistan in der Hochgebirgsregion Kargil einen weiteren kurzen bewaffneten Konflikt aus. Nachdem beide Länder 1998 Atomwaffen getestet hatten, kam es 1999 zu einer begrenzten militärischen Konfrontation beider Staaten. Der Kargil-Konflikt, in dem sich indische Truppen und von Pakistan unterstützte Einheiten bekämpften, blieb regional begrenzt und endete mit dem Rückzug der pakistanischen Einheiten aus den zuvor besetzten Gebieten. Die Lage in Kaschmir blieb unverändert.

Neben dem indisch-pakistanischen Konflikt ist Kaschmir seit Jahrzehnten von den Aktivitäten mehrerer bewaffneter Gruppen betroffen. Hierzu gehören Separatisten, die aus Teilen Kaschmirs auf beiden Seiten der Line of Control einen unabhängigen Staat bilden wollen, sowie aus Pakistan unterstützte islamistische Gruppen, die in Jammu und Kaschmir operieren. Die insbesondere seit 1989 wiederholt aufflammenden Unruhen im indischen Teil Kaschmirs werden vor allem durch die massiven Menschenrechtsverletzungen seitens der indischen Armee angestachelt. Die Proteste und Akte des Widerstands finden weitgehend ohne pakistanische Unterstützung statt.

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Prof. Dr. Sandra Destradi ist Professorin für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen an der Universität Freiburg.