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Innerstaatliche Kriege seit 1945 | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Innerstaatliche Kriege seit 1945

Wolfgang Schreiber

/ 9 Minuten zu lesen

Vor dem Hintergrund der Langzeittrends in Bezug auf die Häufigkeit, Ursachen und Dynamiken innerstaatlicher Konflikte seit dem Ende des Zweiten Weltkrieg weist das Jahr 2020 einige Besonderheiten auf – z.B. häufigere Beteiligung externer Mächte, zunehmende Regionalisierung und Auflösung der Grenzen zwischen inner- und zwischenstaatlichen Kriegen.

Die malische Armee macht in der Sahel-Wüste im Norden Malis mit Unterstützung französischer Soldaten Jagd auf Dschihadisten. (© picture-alliance, Hans Lucas | Frédéric Pétry)

Für das Jahr 2020 zählte die AKUF 25 Kriege, einen mehr als im Vorjahr. Neu eskaliert sind die Konflikte zwischen Aserbaidschan und Armenien in der Region Berg-Karabach sowie der Konflikt in der Region Tigray, Äthiopien. Der Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien wurde nach wenigen Wochen wieder beendet und erwies sich damit, wie die meisten zwischenstaatlichen Kriege seit 1945, von kurzer Dauer. Dagegen vermeldete die äthiopische Regierung in Tigray zwar früh einen Erfolg. Jedoch organisierten sich die Rebellen neu und gingen zu einem Guerillakrieg über. Dagegen haben sich die Kampfhandlungen im Südsudan so weit abgeschwächt, dass sie unter die Kriegsschwelle gefallen sind. Die größte Zahl von Kriegen fand mit insgesamt 9 im Nahen und Mittleren Osten statt. In Subsahara-Afrika waren es 8, im übrigen Asien 6 und in Lateinamerika und Europa je ein Krieg.

Um die aktuellen Entwicklungen einordnen und bewerten zu können, erscheint ein Vergleich mit den langfristigen Tendenzen der Entwicklung zwischen- und innerstaatlicher Kriege seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs angebracht. Bevor die wichtigsten Langzeittrends vorgestellt werden, sollen zunächst die verschiedenen Kriegs- und Konflikttypen nach der AKUF-Methodologie definiert und klassifiziert werden.

Wann spricht man von einem Krieg?

Die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) definiert Kriege als gewaltsam ausgetragene Massenkonflikte zwischen zwei oder mehr bewaffneten Gruppen, von denen mindestens eine Seite reguläre Streitkräfte der Regierung sind. Die Kampfhandlungen müssen ein Mindestmaß an zentral gelenkter Organisation aufweisen und mit einer gewissen Kontinuität geführt werden.

Andere Definitionen (z.B. des Projektes "Correlates of War") berücksichtigen ausschließlich größere Kriege, in denen u.a. pro Jahr mindestens 1.000 Toten in bewaffneten Auseinandersetzungen registriert wurden (siehe auch Interner Link: Nicolas Schwank: "Konzepte und Methoden zur Erfassung von Kriegen und politisch motivierter Gewalt").

Welche Kriegstypen werden unterschieden?

Für das aktuelle Kriegsgeschehen am bedeutendsten ist die Einteilung in zwischenstaatliche und innerstaatliche Kriege. Für den Blick auf die letzten 75 Jahre relevant sind auch noch die Dekolonisationskriege. Darüber hinaus gibt es einige Kriege, die sich nicht eindeutig klassifizieren lassen (z.B. Mischtypen).

In der Literatur wird häufig die zahlenmäßige Dominanz innerstaatlicher Kriege als eines der Hauptmerkmale des Kriegsgeschehens seit 1945 genannt. Allerdings zeigen die Langzeitdaten des "Correlates of War"-Projektes (CoW), dass bereits für das 19. Jahrhundert signifikant mehr inner- als zwischenstaatliche Kriege geführt wurden.

Betrachtet man die Zeit nach 1945 genauer, so ergibt sich für die innerstaatlichen Kriege ein Anteil von 70 % am weltweiten Kriegsgeschehen. Üblicherweise wird dabei zwischen zwei großen Typen innerstaatlicher Kriege unterschieden (vgl. Abbildung 2): In Antiregimekriegen, die gut die Hälfte der innerstaatlichen Kriege seit 1945 ausmachten, kämpfen Rebellen für den Sturz der Regierung bis hin zur Umgestaltung des politischen Systems. Sezessionskriege werden um die Abtrennung eines Teils des Territoriums eines Staates geführt. Auf diesen Typ entfielen in diesem Zeitraum etwas mehr als ein Drittel der innerstaatlichen Kriege.

Der Anteil innerstaatlicher Kriege am Kriegsgeschehen ist noch größer, wenn man bedenkt, dass innerstaatliche Kriege im Durchschnitt wesentlich länger dauern als Krieg zwischen Staaten. So endeten rein zwischenstaatliche Kriege in über 70 % der Fälle innerhalb eines Jahres, und nach 1945 dauerte keiner länger als 10 Jahre. Dagegen wurden weniger als 30 % der innerstaatlichen Kriege innerhalb eines Jahres beendet; über 20 % dauerten länger als 10 Jahre.

Innerstaatliche Kriege

Das Attribut "innerstaatlich" darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Kriege durchaus mit äußerer Beteiligung und Einmischung stattfinden. Finanzielle oder militärische Unterstützung der innerstaatlichen Kriegsparteien – zum Beispiel durch Waffenlieferungen von Nachbarstaaten oder regionalen und globalen Großmächten – sind eher die Regel als die Ausnahme. Nachweislich waren seit 1945 ausländische Truppen etwa an einem Drittel der innerstaatlichen Kriege direkt beteiligt.

Innerstaatliche Kriege weisen nach ihrer Austragungsform eine große Spannbreite auf. Die Zahl der Rebellen kann einige Hundert oder mehrere Zehntausend betragen. Taktik und Bewaffnung reichen von Guerilla-Angriffen mit Kleinwaffen bis zu großen Auseinandersetzungen mit einem breiten Waffenarsenal. In einigen Kriegen ist ein ganzes Land von Kampfhandlungen betroffen, in anderen sind es nur bestimmte Gebiete.

Auch die Konfliktkonstellation kann sehr unterschiedlich sein. In einigen innerstaatlichen Kriegen kämpft nur eine Rebellengruppe gegen den Staat, in anderen gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Gewaltakteure, die sich unter Umständen aufspalten, untereinander bekämpfen oder die Seiten wechseln.

Die Kriegsdauer reicht von wenigen Tagen bis zu vielen Jahren und Jahrzehnten. Mit über 55 Jahren ist der Konflikt in Kolumbien der am längsten währende Krieg. Die Zahl der Todesopfer variiert zwischen einigen Hundert und über einer Million. Die Grenze von einer Million getöteten Soldaten und Zivilisten wurde beispielsweise im Chinesischen Bürgerkrieg in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre, im Biafra-Krieg (Nigeria) Ende der 1960er Jahre und im Südsudan in den 1980er und 1990er Jahren überschritten.

Trends des Kriegsgeschehens seit 1945

Für die Zeit zwischen 1945 und 2020 klassifiziert die AKUF 170 der 242 ausgetragenen Kriege als innerstaatlich, d.h. etwa 70 % (vgl. Abbildung 2). In Bezug auf das innerstaatliche Kriegsgeschehen seit 1945 ergeben sich sowohl im Zeitverlauf als auch in der geografischen Verteilung signifikante Trends und Unterschiede. Zweimal verzeichnet die Kurve des Kriegsverlaufs innerhalb von wenigen Jahren einen deutlichen Anstieg: in der ersten Hälfte der 1960er Jahre und Anfang der 1990er Jahre (vgl. Abbildung 1). Beide Perioden fallen mit der Gründung einer vergleichsweise großen Zahl neuer Staaten zusammen.

Der erste Anstieg Anfang der 1960er Jahre steht im Zusammenhang mit der Dekolonialisierung in Afrika. Allein 1960, dem "Afrikanischen Jahr", erlangten 18 ehemalige Kolonien ihre staatliche Unabhängigkeit. Bis 1968 folgten 16 weitere. Die neuen Regierungen waren häufig umstritten. Die Folge waren zahlreiche innere Auseinandersetzungen. Eines der bekanntesten Beispiele ist die "Kongo-Krise" im ehemaligen Belgisch-Kongo. Hier wurden bis 1965 gleich mehrere Kriege sowohl um die Zentralregierung des neuen Staates als auch um die Abspaltung der ressourcenreichen Region Katanga geführt.

Der zweite starke Anstieg Anfang der 1990er Jahre fällt mit der Auflösung der Sowjetunion und dem Zerfall Jugoslawiens zusammen. Aus dem Zusammenbruch der Sowjetunion gingen 15 unabhängige Staaten hervor. Bereits kurz nach der Unabhängigkeit waren alle Nachfolgestaaten im Kaukasus und fast alle in Zentralasien von Kriegen betroffen. In Europa eskalierten nur in Moldawien die Spannungen in einen Krieg. In Jugoslawien wurden die Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens, Kroatiens und Bosnien-Herzegowinas zum Auslöser kriegerischer Auseinandersetzungen.

Die Zahl innerstaatlicher Konflikte erreichte 1992 mit 53 innerstaatlichen Kriegen (von 55 Kriegen insgesamt) einen historischen Höchststand. Nach 1992 erfolgte zunächst ein deutlicher Rückgang. Bis 2000 halbierte sich die Zahl innerstaatlicher Kriege. Sie ist seither relativ konstant, wenn man die Kriegsdefinition der AKUF zugrunde legt. Die Zahl größerer Kriege nach der CoW-Definition halbierte sich zwischen 1992 und 2020 ebenfalls, ging zwischenzeitlich aber sogar noch stärker zurück (Abbildung 1). Die Zahl der aktuellen Kriege entspricht damit dem Niveau von Mitte der 1960er bis Mitte der 1970er Jahre.

Dieser Rückgang lässt sich aus mehreren Faktoren erklären: Zum einen waren die Kriege in Osteuropa und auf dem Territorium der früheren Sowjetunion von vergleichsweise kurzer Dauer. Zum anderen verloren etliche Akteure in bereits länger andauernden innerstaatlichen Kriegen mit dem Ende des Ost-West-Konflikts die Unterstützung durch eine der beiden Supermächte bzw. ihre Verbündeten und damit die materielle Grundlage für ihre Kriegsführung. Beispiele dafür finden sich vor allem in Zentralamerika und dem südlichen Afrika. Häufig spielte auch die UNO bei der Herbeiführung und anschließenden Absicherung von Friedensverträgen eine größere Rolle.

Dies erklärt auch eine weitere auffällige Veränderung im Kriegsgeschehen seit Anfang der 1990er Jahre. Bis zum Ende des Ost-West-Konflikts wurden Kriege in der Mehrzahl (56 % zu 44 %) militärisch entschieden – und zwar mehrheitlich von den Regierungen. Rebellen waren nur in einem Fünftel der Fälle erfolgreich. Seit Anfang der 1990er Jahre überwiegen dagegen knapp die Verhandlungslösungen (52 % zu 48 %), wobei hier in vier Fünftel der Fälle externe Vermittler einen wesentlichen Beitrag leisteten.

Die regionale Verteilung innerstaatlicher Kriege und Konflikte

Nach 1945 wurden über 90 % der Kriege in der sogenannten Dritten Welt ausgetragen. Bei den innerstaatlichen Kriegen rangieren Afrika, Asien sowie der Nahe und Mittlere Osten mit einem Anteil von jeweils über 20 % an der Spitze. Es folgen Lateinamerika mit 14 % und Europa mit 7 % (vgl. Abbildung 3). Blickt man auf die letzten Jahre, so haben sich die Anteile Afrikas, Asiens sowie des Nahen und Mittleren Ostens auf jeweils fast ein Drittel erhöht. In Lateinamerika fand lediglich ein Krieg statt (Kolumbien). In Europa eskalierte 2014 erstmals nach 15 Jahren wieder in der Ukraine ein Krieg.

Bezüglich der beiden bedeutenden innerstaatlichen Kriegstypen bestehen große regionale Unterschiede. Der Anteil der Antiregimekriege, die weltweit etwa die Hälfte der innerstaatlichen Kriege ausmachen, liegt in Lateinamerika bei 90 % und in Afrika bei fast 60 %. Umgekehrt dominieren in Asien und Europa mit jeweils fast 60 % Sezessionskriege. Auch im Nahen und Mittleren Osten liegen diese Kriege mit etwa 50 % vor dem Anteil der Antiregimekriege.

Für Lateinamerika scheint die Erklärung relativ einfach. Die Dekolonisation war im Wesentlichen bereits im 19. Jahrhundert abgeschlossen. Grundsätzliche territoriale Konflikte spielten spätestens seit 1945 sowohl inner- als auch zwischenstaatlich keine Rolle mehr. Umgekehrt waren in Asien sowie im Nahen und Mittleren Osten Gebietskonflikte vergleichsweise häufig Anlass für kriegerische Auseinandersetzungen. Innerstaatlich waren das vor allem Kämpfe ethnischer Minderheiten für einen eigenen Staat. Auch zwischen Staaten wurde vergleichsweise häufig Krieg um Territorien geführt, von denen einige mehrfach eskalierten: China gegen Taiwan (1954/55, 1958), Indien gegen Pakistan (1948/49, 1965, 1984-89, 1998/99) sowie Israel gegen seine arabischen Nachbarstaaten (1948/49, 1956, 1967, 1973).

Fazit: Das Jahr 2020 vor dem Hintergrund der Langfristtrends

Mit 25 innerstaatlichen Kriegen liegt das Jahr 2020 im Durchschnitt der letzten 20 Jahre, in denen die Zahl der jährlich geführten Kriege zwischen 22 und 27 lag. Bei näherer Betrachtung zeigen sich jedoch einige qualitative Besonderheiten:

Erstens lag der Anteil der Kriege mit direkter Beteiligung von Soldaten aus anderen Staaten mit 50 % (12 von 24 innerstaatlichen Kriegen) deutlich über dem seit 1945 erhobenen Durchschnitt von "nur" einem Drittel. Zu den Interventionen im Jahr 2020 gehörten z.B. die Operationen französischer Streitkräfte in Mali und weiteren Staaten der Sahel-Region, die NATO-geführte Mission in Afghanistan sowie die Truppen Saudi-Arabiens im Jemen, Eritreas in Äthiopien sowie Russlands in Syrien und der Ukraine. In Libyen haben sogar auf Seiten beider Konfliktparteien ausländische Mächte interveniert.

Zweitens lässt sich bei einigen Kriegen nicht mehr eindeutig ausmachen, ob es sich um eine inner- oder zwischenstaatliche Auseinandersetzung handelt. So wird der Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien um Berg-Karabach zwar als zwischenstaatlich angesehen und gezählt. Beteiligt waren aber auch armenische Rebellen aus der betreffenden Region, sodass es sich genau genommen um einen Mischtyp handelt.

Drittens beschränkten sich in der Vergangenheit die Ziele von Rebellengruppen fast immer auf einen Staat. Das Territorium von Nachbarstaaten wurde in der Regel nur als Rückzugsgebiet genutzt. Doch das änderte sich mit der Formierung des sogenannten Islamischen Staates (IS). Zunächst dehnte der IS sein Operationsgebiet nach und nach vom Irak auf Syrien aus. 2020 waren vor allem zwei IS-Ableger grenzüberschreitend aktiv: zum einen der "IS in der Größeren Sahara" mit einem Operationsgebiet von Mali über Niger bis in den Tschad und zum anderen der "IS in Westafrika", der in Nigeria, Tschad und Kamerun aktiv ist.

Viertens hing in früheren Jahren die öffentliche und politische Aufmerksamkeit für Kriege vor allem von ihrer geografischen Nähe zu Europa oder der Beteiligung westlicher Staaten ab. Weitere Gründe waren massive Menschenrechtsverbrechen oder Flüchtlingsbewegungen. Das änderte sich in den Zeiten der Covid19-Pandemie. Im Corona-Jahr 2020 waren die beiden neuen Kriege in Äthiopien sowie zwischen Aserbaidschan und Armenien im Westen nur von kurzzeitigem Interesse. Das Schlagwort von den "vergessenen Kriegen" traf fast für das gesamte weltweite Konfliktgeschehen zu.

Fünftens konnten 2020 auch positive Entwicklungen registriert werden. So wurde seit langer Zeit der Konflikt im Südsudan nicht mehr als Krieg gezählt. Das Zustandekommen einer Friedensvereinbarung zeigt einmal mehr, wie wichtig eine langfristig angelegte internationale Vermittlung ist. Im Südsudan wurden während des sieben Jahre dauernden Krieges mehrere Waffenstillstände gebrochen. Aber die Vereinbarung von 2019 könnte zu einer dauerhaften Beendigung der Kämpfe führen. Damit ist der Konflikt jedoch noch nicht gelöst, und das Engagement der UNO für das Land bleibt daher weiter wichtig.

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Wolfgang Schreiber, geb. 1961, ist Lehrbeauftragter am Institut für Politikwissenschaft der Universität Hamburg. Er ist Leiter der Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) und verantwortet die jährlichen Berichte "Das Kriegsgeschehen".