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Bosnien-Herzegowina | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Bosnien-Herzegowina

Martina Fischer

/ 7 Minuten zu lesen

Bosnien-Herzegowina ist durch die Machtkämpfe konkurrierender ethnopolitischer Parteien tief gespalten. Angesichts eines dysfunktionalen politischen Systems, schlechter wirtschaftlicher Aussichten und hoher Arbeitslosigkeit emigrieren vor allem junge Menschen. Der gesellschaftlichen und politischen Aufarbeitung der Vergangenheit sind enge Grenzen gesetzt.

Gedenkstätte und Friedhof für die Opfer des Massakers von Srebrenica in Potočari im Juli 2020 (© picture-alliance/AP, Kemal Softic)

Der Weg zum Frieden

Der Bosnien-Krieg begann im April 1992, als nach einem Referendum das unabhängige "Bosnien und Herzegowina" ausgerufen worden war. Eine Mehrheit der Bosniaken und der kroatischen Volksgruppe unterstützte die Gründung des neuen Staates, während die Mehrheit der in Bosnien lebenden Serben den Verbleib im jugoslawischen Staat befürwortete und deshalb das Referendum boykottierte. Zahlreiche bosnisch-serbische Politiker riefen eine "serbische Republik" aus. In der Folge betrieben auch die bosnischen Kroaten die Teilung des Landes. Mehr als 100.000 Menschen wurden durch die Kämpfe getötet. Vergewaltigungen wurden zu einem Teil der systematischen Kriegsführung. Die Gewaltexzesse und die ethnisch motivierte Vertreibung fast der Hälfte der Bevölkerung führten zur Auslöschung ganzer Gemeinden.

Der Vielvölkerstaat Jugoslawien 1981
Interner Link: Hier finden Sie die Karte als hochauflösende pdf-Datei. (mr-kartographie) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Nach dem von den USA erzwungenen und vermittelten Friedensschluss von Dayton 1995 durchlief das Land einen sehr widersprüchlichen Transitionsprozess. Das Abkommen, das von den Regierungen Kroatiens und Restjugoslawiens mitgetragen wurde, sorgte dafür, dass Bosnien als ungeteilter, souveräner Staat in den international anerkannten Grenzen bestehen blieb. Bosnien und Herzegowina – wie es fortan heißt – setzt sich aus zwei Teilrepubliken (Entitäten) zusammen: der überwiegend von bosnischen Serben bewohnten Republika Srpska (RS) (49% des Territoriums) und der bosniakisch-kroatischen Föderation (51% des Territoriums). Auf gesamtstaatlicher Ebene wurden ein Zwei-Kammer-Parlament, ein dreiköpfiges Staatspräsidium (zur Wahrung des ethnopolitischen Proporzes), ein Ministerrat, ein Verfassungsgericht und eine Zentralbank errichtet. Die gesamtstaatlichen Institutionen besitzen jedoch nur wenige Kompetenzen, darunter die Zuständigkeit für die Außen- und Handelspolitik, Zoll- und Geldpolitik, Einwanderungsfragen, die Kontrolle des Luftverkehrs und seit 2005 auch für die Militär- und Verteidigungspolitik. Alle weiteren Kompetenzen liegen bei den Entitäten.

Der Dayton-Vertrag verpflichtete das Land zur Einführung der Marktwirtschaft, Privatisierung von Staatsfirmen und Anpassung an die Vorgaben internationaler Finanzinstitutionen. Ein internationaler Beauftragter (High Representative) übernahm die Aufsicht über die Einhaltung der Vertragsbestimmungen. Eine NATO-geführte Schutztruppe (IFOR, später SFOR) und anschließend die von Mitgliedsstaaten der EU gestellte EUFOR begleiteten das Land in der Nachkriegskonsolidierung, die zudem von internationalen entwicklungspolitischen Maßnahmen und humanitärer Hilfe flankiert wurde.

Karte der Jugoslawienkriege 1991-1999
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Erfolge und Fortschritte

Der Dayton-Vertrag gewährte Flüchtlingen und Vertriebenen das Recht auf Rückkehr in ihre Wohnorte und ebnete den Weg für demokratische Wahlen. Die internationalen Aufbauhilfen im Umfang von rd. 14 Mrd. US-Dollar haben zwar zur zügigen Beseitigung von Kriegsschäden beigetragen, doch wurden zugleich ca. 1 Mrd. US Dollar veruntreut. Polizeimissionen der UNO und der EU trugen zur Modernisierung der Sicherheitskräfte bei, konnten den Machenschaften illegaler Netzwerke (z.B. Drogen- und Menschenhandel) aber nur wenig entgegensetzen. Die wirtschaftliche Entwicklung leidet unter ineffizienten Staatsbetrieben, Korruption, bürokratischen Hürden und einem großen informellen Sektor. Aufgrund der Situation kommen kaum ausländische Direktinvestitionen ins Land. Das hohe Leistungsbilanzdefizit wird nur notdürftig durch Devisentransfers aus der bosnischen Diaspora im Ausland gemildert.

Die Verbände der Kriegsparteien wurden aufgelöst und die Soldaten in einer gemeinsamen Armee zusammengeführt. Auch die Aufarbeitung von Kriegsverbrechen wurde unterstützt. Führend war dabei das 1993 von der UNO geschaffene Internationale Strafgericht für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) mit Sitz in Den Haag. Das Tribunal hat bisher 161 Personen angeklagt und 84 rechtskräftig verurteilt. Die vom ICTY initiierten nationalen Strafkammern haben noch einige Tausend offene Fälle zu verhandeln.

Wie konfliktreich sich die gesellschaftliche Auseinandersetzung über die Verantwortung der verschiedenen Gruppen und Akteure gestaltet, zeigte sich beispielhaft an den Reaktionen auf Urteile in Gerichtsverfahren gegen namhafte politische und militärische Verantwortliche. Der Freispruch des bosnischen Staatsgerichts im Fall Naser Oric, des ehemaligen Befehlshabers der bosniakischen Einheiten zur Verteidigung Srebrenicas im Oktober 2017, löste ebenso Zustimmung und Proteste aus wie die Verurteilung des bosnisch-serbischen Politikers Radovan Karadzic zu 40 Jahren im März 2016 und des ehemaligen bosnisch-serbischen Generals Ratko Mladic (lebenslänglich) im November 2017 durch das Haager Tribunal. Wen die einen hinter Gittern sehen wollen, verehren die anderen als Helden.

25 Jahre nach dem Abkommen von Dayton wird deutlich, dass der Krieg in Bosnien von den unterschiedlichen politischen Lagern weiterhin sehr kontrovers bewertet wird. Streit entzündet sich u.a. an den Ereignissen von Srebrenica, wo in der Zeit vom 11.-19. Juli 1995 mehr als 8.000 bosniakische Männer und Jungen von bosnisch-serbischen Milizen getötet wurden. Inzwischen ist belegt, dass auch paramilitärische Verbände aus Serbien beteiligt waren. Dieses Massaker wurde vom Haager Kriegsverbrechertribunal als Völkermord eingestuft.

Am 11. Juli 2020, dem 25. Jahrestag des Völkermords, wurden neun weitere identifizierte Opfer auf dem Friedhof von Potočari beigesetzt. Dieser befindet sich gleich neben dem ehemaligen UN-Standort, wo 2003 eine Gedenkstätte errichtet wurde. Seit Ende des Kriegs wurden dort 6.643 Menschen beerdigt, deren Leichen an über 570 Orten exhumiert wurden. Die Massaker hatten sich über mehrere Tage hingezogen, und es kam an verschiedenen Orten zu gezielten Tötungen. Aufgrund der Corona-Beschränkungen konnte an der Gedenkfeier zum 25 Jahrestag nur eine begrenzte Zahl von Menschen teilnehmen. Zahlreiche amtierende und ehemalige Regierungsangehörige aus den USA und Europa waren mit Videobeiträgen vertreten. Die Regierung der RS, die in Person ihres Ministerpräsidenten Milorad Dodik diese Verbrechen immer unverhohlener zu relativieren versucht, war weder vor Ort noch virtuell dabei.

Um die gesellschaftliche Aufarbeitung der Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen zu unterstützen, haben internationale Geldgeber auch zivilgesellschaftliche Initiativen gefördert. Seit 2004 arbeiten NGOs aus Bosnien, Serbien und Kroatien gemeinsam an diesen Themen. Eine Kampagne zur Errichtung einer überregionalen Wahrheitskommission (REKOM) unter Einschluss aller Länder des ehemaligen Jugoslawien wurde von 1.800 Mitgliedern und mehr als 130 NGOs aus der Friedens- und Menschenrechtsarbeit, von Jugend- und Frauengruppen sowie einigen Opfer- und Veteranenverbänden getragen. Zwar erhielt die Initiative zeitweilig auch Unterstützung von Regierungsmitgliedern aus Kroatien, Serbien, Montenegro und Kosovo, aber die Implementierung eines gemeinsamen Mechanismus zur Aufarbeitung steht weiterhin aus.

Karte der ethnischen Gruppen in Bosnien-Herzegowina 2013
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Probleme und Defizite

Bosnien hat Anfang 2016 offiziell einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft gestellt, doch aufgrund der inneren Blockade sind Aussichten auf den Beginn von Beitrittsverhandlungen gering. Der EU-Erweiterungsprozess im westlichen Balkan vollzieht sich mittlerweile in einer sehr ungleichen Dynamik, was zu Problemen im Grenzverkehr und zu starken Frustrationen in der bosnischen Bevölkerung führt. Kroatien ist seit August 2013 Mitglied, Serbien, Montenegro und Nordmazedonien sind Beitrittskandidaten. Um den inneren Reformprozess endlich in Gang zu bringen, starteten 2014 einige EU-Mitglieder (darunter Deutschland, Großbritannien und Österreich, sowie Polen) diplomatische Initiativen. Letztlich aber sind internationale Akteure mit ihren Bemühungen, die innerbosnischen Machtkämpfe zu beeinflussen und das Land zu einen, in den vergangenen Jahren nicht sehr weit vorangekommen.

Aus den Wahlen im Oktober 2018 sind die nationalistischen Parteien SDA und SNSD wiederum als klare Sieger hervorgegangen. Als besonderer Scharfmacher tut sich weiterhin der Ministerpräsident der RS Dodik hervor, der seit Jahren die gesamtstaatlichen Institutionen verächtlich macht und regelmäßig mit Abspaltung droht. Dodik löste obendrein im Präsidium des Gesamtstaats den gemäßigten Mladen Ivanić (PDP) ab. Von politischen Beobachtern wird dies als ein weiterer Rückschlag auf dem Weg zur Befriedung des Landes und als Auftakt für weitere Dauerblockaden gewertet.

Eine neue Regierung kam erst nach zehn Monate im August 2019 zustande. Zentraler Streitpunkt war die Haltung zur NATO. Die bosnisch-serbischen Repräsentanten sind gegen einen NATO-Beitritt, die bosniakischen und bosnisch-kroatischen Regierungsmitglieder dafür. Schließlich einigte man sich auf die Sprachregelung, dass die Beziehungen zum westlichen Militärbündnis vertieft werden sollten, dass dies aber eine künftige Entscheidung über eine Mitgliedschaft nicht vorwegnehme. Mit Dodik hat die Fraktion an Einfluss gewonnen, die sowohl der NATO als auch der EU skeptisch bis feindlich gegenübersteht und eher die Beziehungen mit Russland ausbauen möchte.

2019 lag die Arbeitslosenquote bei 16%, die Jugendarbeitslosigkeit wird doppelt so hoch geschätzt. Noch immer fungiert die staatliche Administration als wichtigster Arbeitgeber, die nur mit dauerhafter Verschuldung alimentiert werden kann. Die zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie notwendigen Wirtschaftshilfen sind angesichts der institutionellen Blockade erst durch die Vermittlung internationaler Akteure zustande gekommen. Jedoch konnte die Soforthilfe in Höhe von 330 Mio. € fast zwei Monate lang nicht genutzt werden, weil sich die Regierungsparteien nicht über die Verteilung einigen konnten. Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise sind besorgniserregend. Schon im Juni 2020 hatten schätzungsweise 28.000 in der Föderation und etwa 2.000 in der RS ihre Arbeit verloren. Die Dienstleistungsbranche war besonders stark betroffen. Fonds und Verordnungen zur Milderung der Corona-Folgen entfalten bislang nur begrenzte Wirkung. Vielen Menschen, die von bescheidenen Gehaltszahlungen leben müssen, droht Verarmung.

Internationale Beobachter befürchten, dass die Unzufriedenheit im Land weiter wachsen wird, weil anders als in der Vergangenheit die finanziellen Möglichkeiten nicht mehr ausreichen, den Protest durch soziale Leistungen zu befrieden. Besonders groß ist die Gefahr, dass sich junge Menschen politisch oder religiös radikalisieren. Um dem entgegenzuwirken und der ungebremsten Abwanderung entgegenzuwirken, sind u.a. Maßnahmen zur Minderung der Jugendarbeitslosigkeit erforderlich. Ein weiterer Weg wäre die Ermöglichung internationaler Kontakte, z.B. durch Stipendien sowie Schüler- und Jugendaustauschprogramme. So könnten die für einen Neustart unverzichtbaren Entwicklungspotenziale im Land gehalten werden.

Ein zusätzliches Thema für Streit zwischen den ethnopolitischen Lagern und Fraktionen ist die Flüchtlingsproblematik auf der sogenannten Balkanroute. Im Zuge der EU-Grenzschließungen sind seit 2015 zahlreiche Menschen in Bosnien-Herzegowina gestrandet. Viele stammen aus Pakistan und versuchen in die Europäische Union zu gelangen. Die meisten werden nicht menschenwürdig untergebracht und viele sind erkrankt. Aus der Sicht bestimmter Regierungskreise stellen diese Menschen eine Bedrohung dar. Eine Änderung dieser humanitären Notlage ist dringend geboten.

Karte der Nachfolgestaaten in Jugoslawien 2017
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Weitere Inhalte

Dr. Martina Fischer ist Friedensforscherin und Politikwissenschaftlerin in Berlin. Sie war von 1998 bis 2016 an der Berghof Foundation tätig, u.a. als stellvertretende Leiterin des früheren Berghof Forschungszentrums sowie als Direktorin des Südosteuropaprogramms. Aktuell unterstützt sie das Referat Menschenrechte und Frieden bei Brot für die Welt als Beraterin auf Zeit.