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Empfängerzahlen der Grundsicherungsleistungen und Dunkelziffer der Nicht-Inanspruchnahme | Verteilung von Armut + Reichtum | bpb.de

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Empfängerzahlen der Grundsicherungsleistungen und Dunkelziffer der Nicht-Inanspruchnahme Grundsicherung als Einkommensminimum

Gerhard Bäcker Ernst Kistler

/ 3 Minuten zu lesen

Am Jahresende 2021 mussten in Deutschland etwa 6,6 Millionen Menschen wegen ihres zu niedrigen Einkommens Leistungen der Grundsicherung beziehen. Auffällig sind die großen regionalen Unterschiede. Zu erkennen ist auch, dass längst nicht alle, die leistungsberechtigt sind, auch einen Antrag stellen.

Ein paar Münzen liegen auf einem Antragsformular für Grundsicherung. Acht Prozent der Bevölkerung Deutschlands waren 2021 ganz oder teilweise auf Leistungen der Grundsicherung angewiesen. (© picture-alliance, Andreas Gora)

Unter den Grundsicherungsempfänger:innen befinden sich zu 78 Prozent Personen, die Leistungen im Rahmen des SGB II (Bürgergeld und Sozialgeld) erhalten. Demgegenüber haben die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie die Hilfe zum Lebensunterhalt mit Anteilen von 14,6 Prozent und 1,7 Prozent eine weit geringere Bedeutung (vgl. Abbildung "Empfänger*innen von Geldleistungen der Grundsicherung insgesamt"). Dies kann nicht verwundern, da der nach dem SGB XII leistungsberechtigte Personenkreis (Erwerbsunfähige und ihre Angehörigen) deutlich kleiner ist als der Personenkreis, der nach dem SGB II Leistungen beantragen kann.

Empfänger von Geldleistungen der Grundsicherung nach Art der Leistung 2021 (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Bezogen auf die Gesamtbevölkerung machen die rund 6,6 Mio. Leistungsempfänger 8 Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland aus (2021). Bei etwa jedem/r 12. Einwohner:in lag demnach das Einkommen – dazu zählen das Erwerbseinkommen und/oder Sozialeinkommen sowie private Unterhaltsleistungen – noch unterhalb des sozialkulturellen Existenzminimums und wurden aufgestockt (vgl. Abbildung "Empfängerzahlen und -quoten von Geldleistungen der Grundsicherung").

Empfängerzahlen und -quoten von Geldleistungen der Grundsicherung 2006–2021 (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Die Empfängerquote der Grundsicherung zeigt sich im Verlauf der Jahre zwischen 2006 und 2012 leicht rückläufig. Bis 2015 kommt es zu einem deutlichen Anstieg. Seitdem setzte erneut eine rückläufige Entwicklung ein. Dies liegt in erster Linie an der Entwicklung der ebenfalls leicht rückläufigen Empfängerquoten der Leistungen nach dem SGB II.

Der Anteil der Grundsicherungsempfänger an der Bevölkerung weist regional sehr starke Unterschiede auf. So liegt die Empfängerquote in Bremen bei 17,4 Prozent, in Bayern hingegen nur bei 4,6 Prozent (vgl. Abbildung "Empfängerquoten von Leistungen der Grundsicherung insgesamt nach Bundesländern 2021"). Dies bedeutet für Bremen, dass hier gut jeder sechste Einwohner sein niedriges Einkommen durch Grundsicherungsleistungen aufstocken muss.

Bei dieser Aufschlüsselung nach Bundesländern zeigt sich

  • eine Spaltung zwischen den neuen und alten Bundesländern,

  • eine Abstufung zwischen Nord und Süd in den alten Bundesländern,

  • eine Abweichung zwischen Flächenstaaten und Stadtstaaten.

Hinter diesen Unterschieden stehen vor allem ökonomische und soziale Faktoren. Insbesondere die schlechte Wirtschaftslage und die hohe Arbeitslosigkeit in einzelnen Regionen führen zu einer hohen Abhängigkeit von Grundsicherungsleistungen. Aber auch die Unterschiede in den Lebensformen haben einen Einfluss auf den Grundsicherungsbedarf. So liegt in Großstädten der Anteil der Alleinlebenden und Alleinerziehenden deutlich höher als im ländlichen Raum. Zu berücksichtigen sind schließlich die Einkommensunterschiede: In Regionen, in denen Niedriglöhne und auch Niedrigrenten verbreitet sind, dürfte auch die Grundsicherungsabhängigkeit stärker ausfallen. Auf der anderen Seite fallen die Wohnungskosten im ländlichen Raum und in Niedriglohnregionen merklich niedriger aus als in den großstädtischen Ballungsräumen.

Die genannten Empfängerzahlen und -quoten beziffern nur jene Personen, die tatsächlich Leistungen der Grundsicherung beanspruchen. Über die Größenordnung derer, die aufgrund ihres niedrigen Einkommens zwar einen Anspruch hätten, diesen aber nicht wahrnehmen ("Dunkelziffer der Nicht-Inanspruchnahme"), gibt es naturgemäß keine exakten und aktuellen Daten .

Auf der Basis von Bevölkerungsbefragungen (SOEP) ist in den letzten Jahren immer wieder geschätzt worden, welches Ausmaß die Dunkelziffer aufweist. Untersuchungen zeigen, dass vor allem ältere Menschen ihre Leistungsansprüche nicht wahrnehmen ("verschämte Altersarmut"). Das DIW geht für 2018 davon aus, dass rund 60 Prozent der anspruchsberechtigten Seniorinnen und Senioren die Grundsicherung nicht in Anspruch nehmen .

Aber auch Beschäftigte mit Niedrigeinkommen sind über die Möglichkeit, ergänzende Grundsicherung beanspruchen zu können, häufig nicht informiert. Einkommenslücken werden eher durch Überstunden oder Nebenbeschäftigungen ausgeglichen, nicht aber durch den als diskriminierend empfundenen Gang zum Jobcenter. Die Nicht-Inanspruchnahme ist in jenen Fällen besonders hoch, in denen das anzurechnende Einkommen relativ hoch und der Zahlbetrag der aufstockenden Grundsicherung entsprechend niedrig liegt, der Aufwand der Beantragung also in Relation zum Ertrag recht hoch wäre.

Die Ursachen für die Nicht-Inanspruchnahme sind vielfältig:

  • Es fehlen Kenntnisse über Höhe und Bedingungen der Leistungsansprüche oder es liegen Falschinformationen vor.

  • Die Betroffenen haben Angst vor der sozialen Kontrolle und der Offenlegung persönlicher Verhältnisse bei der Bedürftigkeitsprüfung sowie vor einer Schädigung der Familienbeziehungen durch den möglichen Rückgriff auf unterhaltsverpflichtete Kinder bzw. Eltern. Es ist fraglich, ob die weitgehende Befreiung vom Rückgriff auf die Kinder bzw. auf die Eltern den Betroffenen tatsächlich bekannt ist.

  • Die Inanspruchnahme unterbleibt aus Scham oder Bescheidenheit.

Weitere Inhalte

Gerhard Bäcker, Prof. Dr., geboren 1947 in Wülfrath ist Senior Professor im Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. Bis zur Emeritierung Inhaber des Lehrstuhls "Soziologie des Sozialstaates" in der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Forschungsschwerpunkte: Theorie und Empirie des Wohlfahrtsstaates in Deutschland und im internationalen Vergleich, Ökonomische Grundlagen und Finanzierung des Sozialstaates, Systeme der sozialen Sicherung, insbesondere Alterssicherung, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Lebenslagen- und Armutsforschung.

Ernst Kistler, Prof. Dr., geboren 1952 in Windach/Ammersee, verstorben 2021, war Direktor des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie, INIFES gGmbH in Stadtbergen bei Augsburg. Forschungsschwerpunkte: Sozial- und Arbeitsmarktberichterstattung, Demografie, Sozialpolitik, Armutsforschung.