Die Story vom strebsamen Sparer
Sparen und Konsumverzicht gelten als zentrale Quellen von Vermögen. In dieser gerne "den" Schwaben zugeordneten Denkweise wird die Vermögensentwicklung als Ergebnis individuellen Verhaltens interpretiert und konsequent eine ungleiche Vermögensverteilung vor einer angeblichen Neiddebatte zu immunisieren versucht. Jahrelang wurde nach der Stunde Null der Währungsreform von den Gruppen mit auch nur mittlerem Vermögen das Narrativ propagiert, bei der Einführung der D-Mark (oder anderen Währungsreformen) hätten sie ihr Handgeld von 40 DM gespart und investiert, während die Vermögenslosen diesen Betrag verkonsumiert hätten und damit Habenichtse geblieben sind.
Dabei sollte man annehmen können, dass zumindest die Rahmendaten für eine fundierte empirische Debatte entlang unbezweifelbarer Daten durch die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung zur Verfügung stehen. Aber schon hier beginnen die Probleme – und das hängt nicht nur mit der mehrmaligen Revision dieses volkswirtschaftlich-statistischen Rechenwerkes zusammen.
Die Abbildung "Ersparnis der privaten Haushalte 2010 bis 2019" zeigt für diesen Zeitraum ein Anwachsen dieser VGR-Größe von 162,4 auf 219,3 Milliarden Euro.
Wie der Anmerkung in dieser Abbildung zu entnehmen ist, vermischt die VGR außerdem die Ersparnis privater Haushalte mit derjenigen von privaten Haushalten ohne Erwerbszweck (z.B. Verbände, Stiftungen etc.). Dadurch entstehen weitere Unklarheiten.
Festzuhalten ist bezogen auf die VGR an dieser Stelle eine im Übrigen auch im internationalen Vergleich sehr hohe Sparquote der privaten Haushalte, deren zeitliche Entwicklung nur eingeschränkt mit anderen volkswirtschaftlichen Kennziffern korreliert (vgl. "Sparquote der privaten Haushalte 2010 bis 2019").
Dabei nimmt der Vermögenszuwachs bei Haushalten mit einem schon vorhandenen Grundstock an Vermögen – hier individuelle Nettovermögen – stark einkommensabhängig zu (vgl. "Zum Zusammenhang von Einkommen und Vermögen")
Die Story von den Erbschaften und Schenkungen
Eine ganz andere Geschichte wird von jenen erzählt, die einen eher kritischen Blick auf die Rolle von Erbschaften bzw. Schenkungen (als alternativem Weg der Vermögensübertragung vor dem Todesfall) pflegen (vgl. z. B. "Vermögensübertragungen aus Erbschaften und Vermächtnissen sowie Schenkungen").
Auch das Volumen dieser Quelle von Vermögen steigt offensichtlich über Zeit hier in Deutschland für die Jahre 2009 bis 2018, wie von den Finanzverwaltungen veranlagt. Aber auch hier treten kaum strukturell erklärbare Schwankungen auf. Rechts- und administrative Änderungen in der statistischen Erfassung spielen eine Rolle und systematische Untererfassungen spielen sowohl bei den großen wie auch den kleinen Vermögensübertragungen eine Rolle.
Damit hängen die Ergebnisse aller vorliegenden einfachen statistischen Auswertungen und so genannten multivariaten, auf die "Erklärung" von Zusammenhängen gerichteten Analysen immer von der Wahl des Untersuchungszeitraumes, der betrachteten (Teil-)Population, Datenbasis und des gewählten statistischen Verfahrens ab. Die Frage nach der Entstehung und Nachhaltigkeit der Positionen in der Verteilung soll und muss daher im Rahmen dieses Dossiers offen bleiben.