Inwieweit vermindert der Sozialstaat durch die Doppelwirkung von staatlichen Leistungen auf der einen, Steuer- und Beitragsabzügen auf der anderen Seite die Ungleichheiten bei der Einkommensverteilung? Zur Beantwortung dieser Frage müssen die Haushaltsmarkteinkommen mit den verfügbaren Haushaltseinkommen verglichen werden. Für die Messung der Umverteilungswirkungen von Abgaben an den Staat und staatlicher Transferleistungen werden verschiedene Indikatoren verwendet, die aber alle
nur relativ ungenau bzw.
isoliert betrachtet nur relativ unvollständig sind und zu Fehlinterpretationen führen können.
Die Ungenauigkeit beginnt bereits mit der mehrfach beklagten Unvollständigkeit der Messung der Einkommen von Personen bzw. Haushalten − insbesondere im Bereich der höchsten Einkommen. Wenn die Bezugsbasis (z. B. bei der Einkommensteuer) schon nicht stimmt, so sind sich daraus ergebende Quoten der Steuerbelastung automatisch ungenau. Wo − wie durch die Abgeltungssteuer − Einkommen aus Kapitalerträgen dem Finanzamt in ihrer Höhe zum größten Teil gar nicht bekannt werden, ist etwa die Errechnung einer Steuerlast mit den Daten der Steuerstatistik eigentlich ein vergebliches Bemühen. Als weitere Stichworte möge der Hinweis auf Schwarzgelder oder Schwarzarbeit (durch Arbeitnehmer*innen wie Gewerbetreibende) ausreichen.
Verteilungswirkungen von Realtransfers
Zwingend unvollständig ist die Messung und Diskussion von Umverteilungseffekten dort, wo große Bereiche der staatlichen Aktivitäten und Leistungen außerhalb der Betrachtung bleiben. Das gilt insbesondere für diejenigen Leistungen, die wie die öffentliche Infrastruktur und die sozialen Sach- und Dienstleistungen nicht in Geld ausgezahlt werden, sondern (weitgehend) kostenfrei in Anspruch genommen werden können. Ein Problem ist dabei, dass sich diese Realtransfers den Individuen oder Haushalten nur schwer zuordnen lassen. Auch ist es zweifelhaft, ob bei der Nutzung von Leistungen des Gesundheitssystems (z.B. Krankenhausaufenthalte) oder von Angeboten der Jugendhilfe (z.B. Inobhutnahme) wirklich von einem zurechenbaren geldwerten Vorteil gesprochen werden kann.
Da die Inanspruchnahme von Sach- und Dienstleistungen und die Nutzung öffentlicher Einrichtungen nicht von der Höhe der Steuer- und Beitragszahlung abhängig sind, sondern bedarfsbezogen erfolgen, könnte man erwarten, dass reale Transfers annähernd gleich verteilt werden. Doch es spricht auch viel für die Vermutung, dass gerade einkommensschwache Bevölkerungsgruppen von manchen Realtransfers unterproportional profitieren. Eine solche sozial selektive Inanspruchnahme öffentlicher Güter und Dienste ist u.a. eine Folge von
fehlenden formalen Voraussetzungen, da z.B. der Besuch einer Hochschule eine Hochschulzugangsberechtigung (Abitur) voraussetzt,
fehlenden finanziellen Voraussetzungen, wenn z.B. eine weiterführende Ausbildung an einer unzureichenden Ausbildungsförderung scheitert oder die Benutzung öffentlicher Kultureinrichtungen (Oper, Theater) durch die zwar subventionierten, aber immer noch hohen Eintrittspreise verhindert wird,
selektiven Angebotsstrukturen, wenn sich z.B. die medizinische, schulische und weitere infrastrukturelle Versorgung in "besseren" Wohnvierteln und Stadtteilen konzentriert,
mangelnder Bedarfsartikulation bestimmter Bevölkerungsgruppen aufgrund von Informationsdefiziten oder eines schichtdifferenten Verhaltens (soziale Distanz gegenüber Ärzten oder Lehrern, soziale Unterschiede im Umgang mit Krankheiten).
Rückläufige Verringerung der Armutsbetroffenheit
Eine gängige Betrachtungsweise der Umverteilung durch den Staat ist die Frage, wie sich durch die (nur monetären) Sozialtransfers und die Abgaben die Armutsrisikoquoten verändern (vgl. Abbildung "Armutsrisikoquoten vor und nach Sozialtransfers").