In der Studie TOP wurden die Personen in allen drei Wellen wiederholt gefragt, ob sie es sich grundsätzlich vorstellen können, im Ruhestand noch eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, egal ob in Teil- oder in Vollzeit. Diese Frage dient als Hinweis auf das Vorhandensein von Erwerbsabsichten im Ruhestandsalter, die auf Arbeitsmarktpotenziale bei älteren Menschen jenseits der amtlichen Berichterstattung hindeuten. Sie wurde sowohl Personen gestellt, die sich bereits im Ruhestand befanden, also mindestens 60 Jahre alt waren und eine Altersrente oder -pension bezogen und keiner bezahlten Tätigkeit nachgingen, als auch Personen, die zum jeweiligen Befragungszeitpunkt noch keine Altersrente erhielten. Es kann vermutet werden, dass sich die Erwerbsabsichten für das Ruhestandsalter sowohl nach individuellen Merkmalen und Ressourcen als auch nach betrieblichen Rahmenbedingungen bei der aktuellen oder letzten Berufstätigkeit unterscheiden. Zudem ist anzunehmen, dass sich die Erwerbsabsichten im Zeitverlauf verändern und dass sie mit zunehmendem Lebensalter weniger häufig zu beobachten sind.
Tatsächlich geht die Häufigkeit, mit der die Befragten eine Erwerbsabsicht für das Ruhestandsalter äußern, sowohl bei Männern als auch bei Frauen mit zunehmendem Alter stetig zurück. Waren es im Jahr 2013 noch knapp ein Drittel der Frauen (32 %) und 40 % der Männer, die eine solche Absicht angaben, so verringerten sich die Anteile im Jahr 2019 auf 18 % bei den Frauen und 29 % bei den Männern. Angesichts der Tatsache, dass es sich hierbei um (noch) nicht verwirklichte Erwerbsabsichten im Ruhestandsalter handelt, weist dieses Ergebnis auf die hohen Erwerbspotenziale älterer Menschen hin. Zugleich verdeutlicht es auch, dass die Häufigkeit von Erwerbsabsichten bei Frauen mit Ausnahme der zweiten Welle im Jahr 2016 geringer ausfällt als bei den Männern.
Neben dem Alter und dem Geschlecht ist in der Studie TOP ein klarer Unterschied des Anteils der Erwerbsabsichten zwischen Altersrentenbezieherinnen und -beziehern und Personen, die noch keine Altersrente oder -pension erhielten, zu beobachten. So äußerte im Jahr 2013 fast jede / jeder zweite Befragte, die oder der zu diesem Zeitpunkt keine Altersrente oder -pension bezog, eine grundsätzliche Bereitschaft, im Ruhestand noch einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Bei den Personen, die bereits eine Altersrente oder -pension erhielten, waren es im Jahr 2013 lediglich 17 %, die eine Erwerbsabsicht bekundeten. Darüber hinaus stieg die Erwerbsabsicht bei Befragten ohne Altersrente oder -pension im Jahr 2019 auf 54 %, während sie bei den Altersrentenbezieherinnen und -beziehern auf 11 % absank.
Als ein weiterer Faktor beeinflusst die Gesundheit die grundsätzliche Bereitschaft, im Ruhestandsalter noch erwerbstätig zu sein. Zur Messung der funktionalen Gesundheit wurde den Befragten in TOP in allen drei Wellen unter anderem die Frage gestellt, ob sie durch ihre gegenwärtige Gesundheit in alltäglichen Tätigkeiten eingeschränkt sind (zum Beispiel beim Heben schwerer Gegenstände). Die Personen konnten anhand einer vierstufigen Skala antworten, ob sie durch ihre gegenwärtige Gesundheit "stark eingeschränkt", "eher eingeschränkt", "eher nicht eingeschränkt" oder "überhaupt nicht eingeschränkt" sind.
Wie die Ergebnisse zeigen, äußern Personen, die sich als gesundheitlich stark eingeschränkt bezeichnen, eine geringere Erwerbsabsicht als Personen, die subjektiv mit keinen oder nur geringen gesundheitlichen Einschränkungen leben müssen. So gab im Jahr 2019 nur jede / jeder sechste Befragte mit starken gesundheitlichen Einschränkungen eine Erwerbsabsicht im Ruhestandsalter an, während es bei Personen mit vergleichsweise besserer funktionaler Gesundheit jede / jeder Vierte war. Der allgemein sinkende Trend im beobachteten Zeitraum deutet wiederum auf den bereits beschriebenen Alterseffekt hin. So werden gesundheitliche Einschränkungen mit steigendem Lebensalter wahrscheinlicher, was eine Erwerbstätigkeit im Ruhestandsalter erschwert oder verhindert.
Ein Vergleich zwischen West- oder Ostdeutschland (einschließlich Berlin) ist aufschlussreich, da auch Jahrzehnte nach der deutschen Vereinigung strukturelle Unterschiede auf den Arbeitsmärkten beobachtet werden können, die sich auch in den Erwerbsabsichten im Ruhestandsalter niederschlagen. Nach Wohnregion differenziert berichteten Befragte aus Westdeutschland im gesamten Zeitraum häufiger eine Erwerbsabsicht im Ruhestandsalter als Personen, die in Ostdeutschland (einschließlich Berlin) lebten. So äußerten 37 % der in Westdeutschland lebenden Befragten im Jahr 2013 eine Erwerbsabsicht, während es bei den in Ostdeutschland lebenden Personen knapp jede / jeder Dritte war (32 %). Der Abstand zwischen Ost und West vergrößerte sich zum Zeitpunkt der zweiten Welle im Jahr 2016 auf 9 Prozentpunkte (Westdeutschland 33 % gegenüber Ostdeutschland 24 %). Im Jahr 2019 näherten sich die Anteile wieder an, wobei die westdeutschen Befragten mit 24 % erneut etwas häufiger eine Erwerbsabsicht berichteten als Personen aus Ostdeutschland (22 %). Es lässt sich mit einer gewissen Plausibilität vermuten, dass sich in den Ergebnissen nach wie vor bestehende Unterschiede der Arbeitsmarktchancen zwischen den alten und den neuen Bundesländern widerspiegeln.
Weitere Zusammenhänge zeigen sich zwischen der subjektiven Einkommenssituation ("Wie kommen Sie / Ihr Haushalt mit dem zur Verfügung stehenden Geld zurecht?" – "Sehr gut, eher gut, eher schlecht oder sehr schlecht?") und der Häufigkeit, mit der von den Befragten eine grundsätzliche Erwerbsabsicht für das Ruhestandsalter geäußert wird. So äußerten 23 % der Personen, die ihre aktuelle Einkommenssituation im Jahr 2019 als ausreichend ("sehr gut" oder "eher gut") einschätzten, eine Erwerbsabsicht. Bei den Befragten, die ihr zur Verfügung stehendes Einkommen als nicht ausreichend ("eher schlecht" oder "sehr schlecht") bewerteten, war es hingegen fast jede / jeder Dritte (31 %), die oder der sich grundsätzlich eine Erwerbstätigkeit im Ruhestandsalter vorstellen konnte. Dieses Ergebnis zeigt, dass die subjektive Einschätzung der Einkommenssituation hinsichtlich der Erwerbsabsicht im Ruhestandsalter eine wertvolle Ergänzung objektiver Indikatoren wie des Haushalts- beziehungsweise des Nettoäquivalenzeinkommens (siehe Kapitel 2.1, Seite 59, Info 6) darstellt, die in der Studie TOP keine eindeutigen Zusammenhänge mit der Erwerbsabsicht aufwiesen.
Schließlich zeigen sich deutliche Unterschiede der Erwerbsabsichten nach den Möglichkeiten, beim aktuellen oder letzten Arbeitgeber über die Altersgrenze hinaus zu arbeiten. Befragte, denen eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit eröffnet wurde, äußerten häufiger die Bereitschaft, im Ruhestand einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, als Personen, denen diese Möglichkeit nicht geboten wurde. Zudem blieben die Erwerbsabsichten bei Ersteren über den gesamten Zeitraum zwischen 2013 und 2019 stabiler als dies bei Befragten der Fall war, die bei ihrem Arbeitgeber keine entsprechende Möglichkeit hatten. So berichteten lediglich 11 % der aktuell oder ehemals abhängig Beschäftigten (Angestellte, Arbeiter /-innen oder Beamte / Beamtinnen) ohne Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im Jahr 2019 eine grundsätzliche Erwerbsbereitschaft im Ruhestandsalter, während es bei Personen mit Weiterbeschäftigungsmöglichkeit 27 % waren.
Diese Ergebnisse verdeutlichen die Wichtigkeit entsprechender betrieblicher Rahmenbedingungen für die grundsätzliche Bereitschaft einer Verlängerung der Erwerbstätigkeit. In diesem Zusammenhang ist auch der Abbau von Barrieren bei der Fortführung einer beruflichen Tätigkeit im Ruhestandsalter zu nennen, da die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit entsprechenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten sich nicht nach einer neuen Beschäftigung umschauen oder sich bei neuen Arbeitgebern einarbeiten müssen. Zusammenfassend spielen sowohl individuelle Fähigkeiten und Ressourcen als auch günstige Bedingungen beim aktuellen oder letzten Arbeitgeber eine wesentliche Rolle für das Vorhandensein von Erwerbsabsichten für das Ruhestandsalter.