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Kamerun | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Kamerun

Miriam Glund Andreas Mehler

/ 8 Minuten zu lesen

Der Konflikt zwischen dem französisch geprägten Mehrheitsstaat und den kleineren englisch geprägten Landesteilen schwelt seit der Abschaffung des Föderalismus in den 1970er Jahren. Proteste gegen die frankophone Dominanz eskalierten seit 2016 in bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen anglophonen separatistischen Gruppierungen und der kamerunischen Regierung.

Unterstützer von Präsident Paul Biya feiern seine Wiederwahl am 22.10.2018 in Jaunde, der Hauptstadt Kameruns. (© picture-alliance/AP, Rodrigue Mbock)

Aktuelle Konfliktsituation

Seit der umstrittenen Präsidentschaftswahl im Oktober 2018, die der seit 1982 regierende Amtsinhaber, Paul Biya, mit 71,28 % gewann, verstärkten sich die politischen und ethnischen Spannungen zwischen dem Lager des Präsidenten und der Opposition. Oppositionsführer, Maurice Kamto, der scharf gegen Benachteiligungen, Unregelmäßigkeiten und Fälschungen protestierte, wurde im Februar 2019 wegen Aufstands, Volksverhetzung und Anstiftung zu Gewalt für acht Monate inhaftiert. Aus Protest boykottierte seine Partei im Februar 2020 die Parlaments- und Kommunalwahlen, die die Regierungspartei Demokratische Sammlungsbewegung des kamerunischen Volkes (RDPC/CPDM) bei historisch geringer Wahlbeteiligung mit großer Mehrheit gewann (Ntui 2021).

Gleichzeitig nehmen in der nördlichsten Region des Landes, im Tschadsee-Becken, die Angriffe der radikal-islamistischen Terrorgruppe Boko Haram wieder zu, die von Nigeria und dem Tschad aus operieren. Bei einem Selbstmordattentat kamen Anfang Januar 2021 fünfzehn Menschen ums Leben. Den Anschlägen und Kämpfen sind bislang über 3.000 Kameruner zum Opfer gefallen, etwa 250.000 wurden vertrieben.

Der wichtigste und folgenschwerste Konflikt tobt jedoch seit 2016 in den beiden englisch geprägten (anglophonen) Regionen im Nordwesten und Südwesten Kameruns. Die "anglophone Krise", die im Oktober 2016 mit Streiks von Anwält/-innen und Lehrer/-innen begann, hat sich seit Ende 2017 in einen separatistischen Bürgerkrieg verwandelt. Die Streikenden forderten einerseits die Einhaltung und Wiederherstellung der in der Verfassung verbrieften Gleichberechtigung der englischen Sprache in Verwaltung, Justiz, Bildungs- und Gesundheitswesen und andererseits das Ende der systematischen Benachteiligung der anglophonen Regionen.

Angesichts des langen Schweigens der Regierung und der nachfolgenden massiven Repression eskalierte der Konflikt schnell. Die Forderungen der militanten anglophonen Gruppen reichen von der Rückkehr zum Föderalismus bis hin zur Abspaltung der beiden anglophonen Regionen. Teile der separatistischen Bewegung bezeichnen die anglophonen Regionen als Ambazonia oder als British Southern Cameroons. Die diversen anglophonen Gruppierungen zählen 2.000 bis 4.000 Mitglieder und werden z.T. von der kamerunischen Diaspora im Ausland unterstützt. Die wichtigsten Separatistengruppen sind die Ambazonia Defence Forces, der Ambazonia Self-Defence Council und das African People’s Liberation Movement mit ihrem bewaffneten Flügel, den Southern Cameroons Defence Forces. Hinzu kommen kriminelle Banden, die als Rebellen auftreten, die Zivilbevölkerung terrorisieren und "Schutzgelder" erpressen.

Aufgrund von Rivalitäten zwischen Führungspersonen und unterschiedlichen ethnischen Zugehörigkeiten gibt es keine gemeinsame anglophone politische und militärische Führung. Im Oktober 2017 rief Separatistenführer Ayuk Tabe die Unabhängigkeit der Republik Ambazonien aus, seitdem standen zeitweise mehrere Gebiete unter der Kontrolle bewaffneter Separatistengruppen. Auf der anderen Seite steht die kamerunische Regierung unter Präsident Paul Biya, die lange versucht hat, den Konflikt kleinzuhalten und vor allem kleinzureden, um die Protestbewegung zu zermürben und mögliche Interventionen von Drittparteien zu verhindern. Ihr Ziel ist es, die Kontrolle über den anglophonen Teil zurückzugewinnen.

Längst bestimmen extremistische Kräfte auf beiden Seiten das Geschehen. Die anglophone Bevölkerung leidet sowohl unter den von anglophonen Gruppen erzwungenen Schulschließungen, Entführungen und der eingeschränkten Bewegungsfreiheit als auch unter den massiven Menschenrechts- und Kriegsverbrechen der staatlichen Armee – u.a. Ermordung von Zivilpersonen, Massenverhaftungen, Folter und sexuelle Übergriffe. Etwa 4.000 Menschen haben ihr Leben verloren, 60.000 sind nach Nigeria geflohen und rund 850.000 Kinder können nicht zur Schule gehen. Zurzeit sind von den rd. 5 Mio. Menschen, die in den anglophonen Regionen leben, ca. 2,3 Mio. auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Kriege und Konflikte in Kamerun. (© bpb)

Ursachen und Hintergründe

Kamerun galt lange als Stabilitäts- und Friedensanker in einer politisch unruhigen Umgebung. Heute sieht der Norwegische Rat für Geflüchtete die anglophone Krise als die weltweit am meisten vernachlässigte Krise an. Die Bevölkerung der anglophonen Landesteile beklagt seit Jahrzehnten ihre politische, wirtschaftliche und soziale Marginalisierung, die scharf mit dem offiziellen Diskurs des "vivre ensemble" ("zusammen leben") kontrastiert. So haben über 80 % der Menschen in den anglophonen Regionen kein Vertrauen in staatliche Strukturen und nur 20 % identifizieren sich überwiegend mit dem Land (Razafindrakoto/Roubaud 2018: 16 ff.).

Die Unzufriedenheit wird noch durch den niedrigeren Entwicklungsstand der beiden anglophonen Regionen (z.B. der Infrastruktur) im Vergleich zum frankophonen Kamerun verstärkt. Auch kommen die Einnahmen aus der Ausbeutung der großen Erdölvorkommen vor der Küste der Südwestregion hauptsächlich der Zentralregierung und dem frankophonen Teil zugute. Schließlich ist die Bevölkerung der englischsprachigen Provinzen in Parlament und Regierung, aber auch in Universitäten und in der Verwaltung chronisch unterrepräsentiert.

Der Konflikt begann mit dem Schulanfang 2016, als im Zuge der Frankophonisierung der englischsprachigen Regionen weitere französischsprachige Richter/-innen und Lehrkräfte in die anglophonen Regionen entsandt wurden. Die Regierung verfolgt damit das Ziel, das britisch geprägte Rechts- und Bildungssystem nach und nach durch das frankophone zu ersetzen. Frankophone Richter/-innen und Lehrkräfte, die oft kein Englisch beherrschen, verdrängen nicht nur die englische Sprache aus dem öffentlichen Raum; sie importieren vor allem das französisch geprägte Rechts- und Bildungssystem in die anglophonen Landesteile.

Der anglophone Teil hat bis heute ein unterschiedliches Verwaltungs-, Finanz- und Rechtssystem, dessen Integration in den Gesamtstaat eine große Herausforderung darstellt. Insbesondere die rechtliche Integration war und ist problematisch, da das Rechtssystem im anglophonen Teil auf dem britischen common law basiert, während das frankophone Kamerun ein französisch geprägtes, d.h. durchgehend kodifiziertes Rechtssystem aufweist. Diese Unterschiede bestehen noch heute und sind Treiber des Konflikts.

Demonstrationen der anglophonen Lehrer- und Juristenverbände wurden von Armee und Polizei brutal niedergeschlagen. Infolgedessen rief das Cameroon Anglophone Civil Society Consortium jeden Montag Generalstreiks aus. Durch die Kampagne "Geisterstadt" wurde an mehreren Tagen das öffentliche Leben lahmgelegt. Die Beteiligung an den Protesten wurde zunehmend von radikal-separatistischen Gruppen kontrolliert, z.T. mit Waffengewalt.

Obwohl viele Gruppen eine friedliche Verständigung und Lösung anstrebten, reagierte Präsident Biya nach anfänglichem Zögern mit Repression und eskalierte so den Konflikt. Die Regierung sperrte zwischen Januar und April 2017 in den anglophonen Zonen den Zugang zum Internet, verbot anglophone Organisationen, verhaftete Oppositionelle und intervenierte militärisch. Zum Beispiel wurden am 8. Dezember 2016 in Bamenda mehrere Personen durch Sicherheitskräfte mit scharfer Munition getötet und Dutzende verwundet (Stollreiter/Wojwoda 2017: 1). Bis jetzt gelang es der staatlichen Armee jedoch nicht, die Kontrolle über die ländlichen Zonen vollständig zurückzuerlangen, Attacken der separatistischen Gruppen auf die Städte zu verhindern oder den Zugang zu Bildung- und Gesundheitssystem zu gewährleisten.

Bearbeitungs- und Lösungsansätze

Seit der Eskalation des Konfliktes gab es mehrere Dialogangebote von internationaler Seite, wie zum Beispiel der Vereinten Nationen, der Schweiz, der Afrikanischen Union und der katholischen Kirche – die alle von Präsident Biya zurückgewiesen wurden. Biya kündigte am 10. September 2019 in den Staatsmedien einen "grand dialogue national" an, der zwischen dem 30. September und dem 4. Oktober 2019 stattfand. Der Dialog solle zur Lösung des Konflikts zwischen Unabhängigkeitsgruppen aus den anglophonen Gebieten und der kamerunischen Regierung beitragen. Die Regierungspartei RDPC, einige Oppositionsparteien und Teile der Zivilgesellschaft sowie wichtige religiöse Führungspersonen unterstützten den Dialog. Auch UN-Generalsekretär Guterres und viele westliche Regierungen begrüßten den Vorstoß.

Ein Großteil der Oppositionsparteien hingegen forderte einen neutralen Dialogprozess mit internationaler Vermittlung und weigerte sich dementsprechend, an Biyas Dialogformat teilzunehmen. Viele anglophone Separatistenbewegungen stellten sich von vornherein gegen den Dialog, weil wichtige Separatistenführer im Gefängnis oder im Exil sind und die Rückkehr zum Föderalismus von Anfang an nicht zur Debatte stand, geschweige denn die Optionen Sezession und Unabhängigkeit. Zusätzlich stand der Vorwurf im Raum, dass der Dialog nur zur Besänftigung der internationalen Gemeinschaft diene. Letztendlich nahmen Vertreter der unterschiedlichen sozialen Gruppen der kamerunischen Gesellschaft teil, darunter der Sicherheitskräfte, bewaffneter Gruppierungen (auch der Diaspora), der Regierung und der Opposition, der Zivilgesellschaft sowie religiöse und traditionelle Autoritäten.

Die wichtigsten Empfehlungen des Dialogs sind eine beschleunigte Dezentralisierung, größere lokale Autonomie und ein Sonderstatus für die beiden anglophonen Regionen, die Förderung von Zweisprachigkeit und Multikulturalität sowie die Anerkennung der Spezifik des Justiz- und Bildungssystems der anglophonen Regionen. Im Dezember 2019 unterzeichnete Biya mehrere Gesetze, die Empfehlungen des "großen nationalen Dialogs" aufnehmen, dazu zählen Gesetze zur Förderung der Zweisprachigkeit und der Dezentralisierung. Doch die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass es sich hierbei lediglich um Lippenbekenntnisse und Fassadenreformen zur Milderung des Konflikts, vor allem aber zum Machterhalt Biyas handelt.

Geschichte des Konflikts

Die anglophone Krise hat ihren Ursprung in der postkolonialen Entstehungsgeschichte Kameruns. Von 1884 bis 1916 war Kamerun deutsche Kolonie. Nach dem Ersten Weltkrieg übergab der Völkerbund Großbritannien und Frankreich das Mandat, Kamerun in die Unabhängigkeit zu begleiten. Während Großbritannien eine Politik der indirekten Herrschaft (indirect rule) in Kooperation mit traditionellen Eliten verfolgte, errichtete Frankreich ein zentralisiertes, der Metropole wohlgesonnenes, klientelistisches Regime.

Das frankophone Kamerun wurde 1960 unabhängig, das britische Kamerun musste sich 1961 in einem Referendum zwischen der Angliederung an Kamerun oder Nigeria entscheiden – die Option der Unabhängigkeit bestand nicht. Das nördliche britische Kamerun wählte Nigeria, das südliche den Anschluss an Kamerun. Von da an bestand Kamerun aus dem frankophonen Föderalstaat Ostkamerun und dem anglophonen Föderalstaat Westkamerun. Im Laufe der Zeit entstand daraus ein zentralisiertes, größtenteils frankophon dominiertes Regime, das die britische Kolonialgeschichte und ihre kulturellen, rechtlichen und politischen Auswirkungen und Prägungen negierte.

Der erste Präsident von Kamerun, Ahmadou Ahidjo, leitete Mitte der 1960er Jahre den Übergang zu einem von einer Einheitspartei straff geführten Zentralstaat ein. Alle Parteien mussten der 1966 gegründeten Nationalen Kamerunischen Union beitreten. Alle anderen Parteien wurden 1976 verboten. Ein 1972 durchgeführtes Referendum besiegelte das Ende des Föderalismus und begründete den Einheitsstaat der Vereinten Republik Kamerun. Die Verfassungsreform von 1984, die von Ahidjos Nachfolger im Präsidentenamt, Paul Biya (seit 1982), initiiert wurde, beseitigte die letzten Reste des bilingualen Föderalismus und verstärkte die zentralistischen und assimilationistischen Tendenzen. Biya ist bis heute Präsident.

Die anglophone Krise ist somit eine Spätfolge der Kolonisierung und Dekolonisierung Kameruns: Die Grundsteine für die unterschiedlichen wirtschaftlichen, territorialen und politischen Systeme im englisch- und französischsprachigen Teil wurden in der Zeit der britischen und französischen Kolonialverwaltung gelegt. Verstärkt werden diese institutionalisierten Unterschiede durch die Dominanz der frankophonen Zentralregierung und den Abbau föderaler Institutionen. Die angekündigte Dezentralisierung wurde bislang kaum ungesetzt. Die Folge ist eine seit 1960 stetig wachsende Marginalisierung der anglophonen Regionen, die alle Bereiche von der Politik und Justiz über die Kultur und Bildung bis hin zur Wirtschaft und Infrastruktur betrifft.

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Miriam Glund beendet momentan ihren deutsch-französischen Master der Internationalen Beziehungen und Europapolitik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Sciences Po Aix. Im Rahmen des ASA-Programms verbrachte sie 2019 mehrere Monate in einer lokalen NGO in Yaoundé. Während ihres Studiums an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg war sie als wissenschaftliche Hilfskraft am Arnold-Bergstraesser-Institut tätig und hat dort zur anglophonen Krise in Kamerun und Dialogprozessen in Subsaharaafrika geforscht.

Andreas Mehler ist Direktor des Arnold-Bergstraesser-Instituts und Professor für Politikwissenschaft an der Universität Freiburg. Er ist Mitherausgeber des Africa Yearbook und Initiator des BMBF-finanzierten Merian Institute for Advanced Studies in Africa (MIASA) an der University of Ghana. Mehler beschäftigt sich seit über 30 Jahren wissenschaftlich mit Kamerun; thematisch arbeitet er aktuell zu Machtteilungsfragen in Friedensabkommen.