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Bosnien-Herzegowina | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Bosnien-Herzegowina

Martina Fischer

/ 8 Minuten zu lesen

Bosnien-Herzegowina ist durch die Machtkämpfe ethnopolitischer Parteien gespalten. Das setzt der Aufarbeitung der Konfliktvergangenheit enge Grenzen. Von der EU geforderte Reformen lassen auf sich warten.

Gedenkstätte und Friedhof für die Opfer des Massakers von Srebrenica in Potočari im Juli 2020 (© picture-alliance/AP, Kemal Softic)

Der Bosnien-Krieg begann im April 1992, als nach einem Referendum das unabhängige „Bosnien und Herzegowina“ ausgerufen worden war. Eine Mehrheit der Bosniaken und der kroatischen Volksgruppe unterstützte die Gründung des neuen Staates, während die Mehrheit der in Bosnien lebenden Serben den Verbleib im jugoslawischen Staat befürwortete und deshalb das Referendum boykottierte. Zahlreiche bosnisch-serbische Politiker riefen eine „serbische Republik“ aus. In der Folge betrieben auch die bosnischen Kroaten die Teilung des Landes. Mehr als 100.000 Menschen wurden durch die Kämpfe getötet. Vergewaltigungen wurden zu einem Teil der systematischen Kriegsführung. Die Gewaltexzesse und die ethnisch motivierte Vertreibung fast der Hälfte der Bevölkerung führten zur Auslöschung ganzer Gemeinden.

Der Vielvölkerstaat Jugoslawien 1981
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Der Weg zum Frieden

Nach dem von den USA erzwungenen und vermittelten Friedensschluss von Dayton 1995 durchlief das Land einen widersprüchlichen Transitionsprozess. Das Abkommen, das von den Regierungen Kroatiens und Restjugoslawiens mitgetragen wurde, sorgte dafür, dass Bosnien als ungeteilter, souveräner Staat in den international anerkannten Grenzen bestehen blieb. Bosnien und Herzegowina – wie es fortan heißt – setzt sich aus zwei Teilrepubliken (Entitäten) zusammen: der überwiegend von bosnischen Serben bewohnten Republika Srpska (RS) (49 % des Territoriums) und der bosniakisch-kroatischen Föderation (51 % des Territoriums). Auf gesamtstaatlicher Ebene wurden ein Zwei-Kammer-Parlament, ein dreiköpfiges Staatspräsidium (zur Wahrung des ethnopolitischen Proporzes), ein Ministerrat, ein Verfassungsgericht und eine Zentralbank errichtet. Die gesamtstaatlichen Institutionen besitzen jedoch nur wenige Kompetenzen, darunter die Zuständigkeit für die Außen- und Handelspolitik, Zoll- und Geldpolitik, Einwanderungsfragen, die Kontrolle des Luftverkehrs und seit 2005 auch für die Militär- und Verteidigungspolitik. Alle weiteren Kompetenzen liegen bei den Entitäten.

Der Dayton-Vertrag verpflichtete das Land zur Einführung der Marktwirtschaft, Privatisierung von Staatsfirmen und Anpassung an die Vorgaben internationaler Finanzinstitutionen. Ein internationaler Beauftragter (High Representative) übernahm die Aufsicht über die Einhaltung der Vertragsbestimmungen. Eine NATO-geführte Schutztruppe (IFOR, später SFOR) und anschließend die von Mitgliedsstaaten der EU gestellte EUFOR begleiteten das Land in der Nachkriegskonsolidierung, die von internationalen entwicklungspolitischen Maßnahmen und humanitärer Hilfe flankiert wurde (vgl. Fischer 2007a, 2007b)

Karte der Jugoslawienkriege 1991-1999
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Erfolge und Fortschritte

Der Dayton-Vertrag gewährte Flüchtlingen und Vertriebenen das Recht auf Rückkehr in ihre Wohnorte und ebnete den Weg für demokratische Wahlen. Die internationalen Aufbauhilfen im Umfang von rd. 14 Mrd. US-Dollar haben zwar zur zügigen Beseitigung von Kriegsschäden beigetragen, doch wurden ca. 1 Mrd. US Dollar veruntreut. Polizeimissionen der UNO und der EU trugen zur Modernisierung der Sicherheitskräfte bei, konnten den Machenschaften illegaler Netzwerke (z.B. Drogen- und Menschenhandel) aber nur wenig entgegensetzen. Die wirtschaftliche Entwicklung leidet unter ineffizienten Staatsbetrieben, Korruption, bürokratischen Hürden und einem großen informellen Sektor. Aufgrund der Situation kommen kaum ausländische Direktinvestitionen ins Land. Das hohe Leistungsbilanzdefizit wird nur notdürftig durch Devisentransfers aus der bosnischen Diaspora im Ausland gemildert.

Die militärischen Verbände der Kriegsparteien wurden aufgelöst und die Soldaten in einer gemeinsamen Armee zusammengeführt. Auch die Aufarbeitung von Kriegsverbrechen wurde unterstützt. Führend war dabei das 1993 von der UNO geschaffene Internationale Strafgericht für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) mit Sitz in Den Haag. Das Tribunal hat 161 Personen angeklagt und 84 rechtskräftig verurteilt. Einige Tausend Fälle blieben offen, mit denen sich die vom ICTY initiierten nationalen Strafkammern befassen (Fischer 2016).

Wie konfliktreich sich die gesellschaftliche Auseinandersetzung über die Verantwortung für die Verbrechen gestaltet, zeigte sich beispielhaft an den kontroversen Reaktionen auf Urteile in Gerichtsverfahren gegen namhafte Verantwortliche auf der bosniakischen und serbischen Seite. Der Freispruch für Naser Orić, den ehemaligen Befehlshaber der bosniakischen Einheiten zur Verteidigung Srebrenicas, durch das bosnische Staatsgericht im Oktober 2017 löste ebenso Zustimmung und Proteste aus wie die Verurteilung des bosnisch-serbischen Politikers Radovan Karadzić zu 40 Jahren im März 2016 und des ehemaligen bosnisch-serbischen Generals Ratko Mladić (lebenslänglich) im November 2017 durch das Haager Tribunal. Wen die einen hinter Gittern sehen wollen, verehren die anderen als Helden.

Karte der ethnischen Gruppen in Bosnien-Herzegowina 2013
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Bis heute wird der Krieg, der in den 1990er Jahren Bosnien verwüstete, weiterhin sehr kontrovers bewertet. Streit entzündet sich regelmäßig u.a. an der Einordnung des Massakers bei Srebrenica, wo in der Zeit vom 11. bis 19. Juli 1995 mehr als 8.000 bosniakische Männer und Jungen von bosnisch-serbischen Milizen getötet wurden. Auch paramilitärische Verbände aus Serbien waren beteiligt. Vom Haager Kriegsverbrechertribunal wurde dies 2004 als Völkermord eingestuft, der Internationale Gerichtshof teilte 2007 diese Sichtweise. Einflussreiche bosnisch-serbische Politiker, allen voran Milorad Dodik (Ministerpräsident der RS), und Regierungsvertreter in Serbien leugnen den Genozid bis heute.

Als die UNO-Mitgliedsstaaten im Mai 2024 Initiative Deutschlands und Ruandas über die Einführung eines internationalen Gedenktags für die Opfer von Srebrenica abstimmten, reagierten Dodik und der Präsident Serbiens, Aleksandar Vučić, mit Empörung. Vučić sah darin das Bestreben „der höchsten Vertreter des Regimes in Sarajevo“, Schadensersatz und Kriegsreparationen von Serbien einzuklagen. Dies war insofern unbegründet, als keines der internationalen Gerichtsurteile dem Staat Serbien eine direkte Verantwortung und Beteiligung an den Massakern in und um Srebrenica nachgewiesen hatte und deshalb keine rechtlichen Konsequenzen zu befürchten waren. Dodik und der Innenminister der RS gingen sogar noch weiter und verhöhnten die Opfer des Massakers und ihre Angehörigen in drastischer Weise.

Um die gesellschaftliche Aufarbeitung der Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen zu unterstützen, haben internationale Geldgeber auch zivilgesellschaftliche Initiativen gefördert. Seit 2004 arbeiten NGOs aus Bosnien, Serbien und Kroatien gemeinsam an diesen Themen. Eine Kampagne zur Errichtung einer überregionalen Wahrheitskommission (REKOM) unter Einschluss aller Länder des ehemaligen Jugoslawien wurde von 1.800 Mitgliedern und mehr als 130 NGOs aus der Friedens- und Menschenrechtsarbeit, von Jugend- und Frauengruppen sowie einigen Opfer- und Veteranenverbänden getragen. Zwar erhielt die Initiative zeitweilig auch Unterstützung von Regierungsmitgliedern aus Kroatien, Serbien, Montenegro und Kosovo, aber letztlich mangelte es an Rückhalt aus dem politischen Raum. Die Implementierung eines gemeinsamen Mechanismus zur Aufarbeitung steht daher weiterhin aus. Umso wichtiger bleiben Initiativen, die sich für die Aufarbeitung von Kriegsgewalt und die Aussöhnung auf der gesellschaftlichen und kulturellen Ebene einsetzen. So entstand in den vergangenen Jahren ein Netzwerk von Kriegsveteranen, die auf verschiedenen Seiten kämpften und sich nun für eine inklusive Gedenkkultur und Friedensförderung in Bosnien-Herzegowina und angrenzenden Regionen engagieren (Franović/Fischer/Turk 2024).

Probleme und Defizite

Bosnien hat Anfang 2016 offiziell einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft gestellt und erhielt 2022 Kandidatenstatus. 2024 beschlossen die Mitgliedsländer, den Weg für Beitrittsverhandlungen grundsätzlich freizumachen. Sie knüpften den effektiven Beginn von Beitrittskonferenzen jedoch an die Umsetzung von Reformauflagen. Dringenden Handlungsbedarf sehen sie insbesondere in der Korruptionsbekämpfung, der Ausgestaltung der Verfassung, des Wahlrechts und der Rechtsstaatlichkeit. Der EU-Erweiterungsprozess im westlichen Balkan vollzog sich insgesamt in einer sehr ungleichen Dynamik, was zu Problemen im Grenzverkehr und zu starken Frustrationen in der bosnischen Bevölkerung führte. Kroatien ist seit August 2013 EU-Mitglied, Serbien, Montenegro und Nordmazedonien sind Beitrittskandidaten. Um den inneren Reformprozess in Bosnien-Herzegowina zu beschleunigen, hatten einige EU-Mitglieder (darunter Deutschland, Großbritannien und Österreich und Polen) 2014 verschiedene diplomatische Initiativen ergriffen (Vulović 2022).

Die Bemühungen, die innerbosnischen Machtkämpfe einzuhegen und das Land zu einen, waren jedoch nur begrenzt erfolgreich. Die wirtschaftliche und politische Entwicklung des Landes wird nach wie vor von ethnonationalistischen Kräften ausgebremst, denen eine Mehrheit aus den verschiedenen Volksgruppen weiterhin Vertrauen und Wählerstimmen schenkt. Bei den letzten Wahlen zum Staatspräsidium im Oktober 2022 erlitten die nationalistischen Parteien zwar Verluste, doch bei den Kommunalwahlen im Oktober 2024 wurden sie in beiden Entitäten erneut stärkste Kraft. Die bosniakische SDA erreichte 18,8 % und die serbisch-nationalistische SNSD 16,1 %, gefolgt von der (multiethnischen) sozialdemokratischen SDP (8,7 %), der kroatischen HDZ-BiH (7,5 %), der konservativen serbischen SDS (5,7 %) und der bosniakischen NiP (4,1 %).

Der Präsident der RS, Milorad Dodik, verschärft seither seinen konfrontativen nationalistischen Kurs. Er stellt durch gezielte Provokationen fortlaufend die Legitimität der gesamtstaatlichen Institutionen in Frage und fordert regelmäßig den internationalen Repräsentanten, Christian Schmidt, heraus (Hees-Kalyani/Topic 2025). Außenpolitisch sucht er demonstrativ die Nähe zum russischen Präsidenten Putin. Er steht für eine starke Fraktion, die sowohl der NATO-Integration als auch dem EU-Beitritt feindlich gegenübersteht (Mulaosmanović 2024).

Gegenüber der EU verfolgt Dodik dieselbe Strategie wie der serbische Präsident Vucic: Offiziell unterstützt er den Beitrittsprozess. Gleichzeitig hat er in der RS autokratische Strukturen etabliert und arbeitet auf die Abspaltung der RS aus dem Gesamtstaat und den Anschluss an Serbien hin. Zusammen mit dem Premierminister der RS, Radovan Visković, und dem Parlamentsvorsitzenden, Nenad Stevandić, brachte Dodik jüngst einige verfassungswidrige Gesetze in der RS zur Abstimmung, mit denen das Justizsystem außer Kraft gesetzt wurde. Demnach sollten die Entscheidungen des Verfassungsgerichts und des Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina in der Republika Srpska nicht gelten. Diese wurden vom Hohen Repräsentanten aufgehoben. Im Februar 2024 wurde Dodik erstinstanzlich zu einem Jahr Haft und sechs Jahren Amtsverbot verurteilt, weil er illegale Gesetzesbeschlüsse der Republika Srpska per Dekret durchgesetzt hatte. Auch gegen Visković und Stevandić ergingen Haftbefehle.

Schließlich drohte Dodik Gesetze an, mit denen den Organen des Gesamtstaats, der Polizei, Staatsanwaltschaft und dem Staatsgericht der Zugang zum Gebiet der RS verwehrt werden. Zudem setzte er Urteile des gesamtstaatlichen Verfassungsgerichts in der RS aus, erklärte Entscheidungen des Hohen Repräsentanten für ungültig und untersagte diesem dem Zutritt zur RS. Er startete Propagandakampagnen mit dem Ziel, Bedienstete von gesamtstaatlichen Behörden für Institutionen der RS abzuwerben, die allerdings kaum auf Resonanz stießen.

Eine Festnahme von Dodik in Bosnien-Herzegowina gestaltet sich jedoch insofern als schwierig, als er sich immer von 30 bis 40 schwer bewaffneten Personenschützern (einer Antiterroreinheit aus der Spezialpolizei der RS) begleiten lässt. Nachdem Dodik mit demonstrativen Auslandsreisen provozierte, stellte das Gericht Bosnien-Herzegowinas einen internationalen Haftbefehl aus und hofft seither auf Unterstützung durch die internationale Polizeibehörde Interpol. Zwischenzeitlich wurde der Haftbefehl jedoch von der Staatsanwaltschaft wieder aufgehoben. EU-Institutionen tun sich mit dem Thema äußerst schwer. Die österreichische Zeitung „Der Standard“ nennt Indizien, die darauf hindeuten, dass internationale Akteure von einer Verhaftung absehen, um Dodik im Gegenzug zur Aufgabe seiner Blockadepolitik zu bewegen.

Die wirtschaftliche Situation Bosniens bleibt prekär. Noch immer fungiert die staatliche Verwaltung als wichtigster Arbeitgeber, was nur mit dauerhafter Verschuldung finanziert werden kann. Die zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie notwendigen Wirtschaftshilfen kamen aufgrund der institutionellen Blockade durch die Vermittlung internationaler Akteure zustande; sie entfalteten jedoch nur begrenzte Wirkung (Bratić 2020). Zahlreiche Arbeitsplätze gingen verloren, die Arbeitslosenquote stieg zeitweilig auf 17,3 % (2021). Vielen Menschen, die von bescheidenen Gehaltszahlungen leben müssen, drohte Verarmung, was zu Protestkundgebungen führte. 2023 lag die Arbeitslosenquote bei 13,2 %, die Jugendarbeitslosigkeit bei 27,27 %.

Der Mangel an wirtschaftlichen Perspektiven birgt zum einen die Gefahr, dass sich junge Menschen politisch und/oder religiös radikalisieren. Zum anderen sehen viele nur in der Auswanderung eine Zukunft. Um dieser Dynamik entgegenzuwirken, sind u.a. Maßnahmen zur Minderung der Jugendarbeitslosigkeit und eine Reform des Bildungssystems erforderlich, insbesondere auch Maßnahmen für eine verbesserte berufliche Ausbildung. So könnten die für einen Neustart unverzichtbaren Entwicklungspotenziale im Land gehalten werden. Schüleraustauschprogramme, die internationale Kontakte ermöglichen, helfen Jugendlichen dabei, andere Perspektiven kennenzulernen.

Karte der Nachfolgestaaten in Jugoslawien 2017
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Dr. Martina Fischer ist Politikwissenschaftlerin und Friedensforscherin. Sie forschte und publizierte insgesamt 20 Jahre an der Berghof Stiftung und von 2016 bis 2024 in der Politikabteilung des Evangelischen Hilfswerks „Brot für die Welt“ in Berlin.