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Guatemala | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Guatemala

Peter Stegemann

/ 8 Minuten zu lesen

In Guatemala ist es nicht gelungen, die strukturellen Ursachen des Bürgerkriegs (1960-1996) zu überwinden. Neben Armut und Exklusion sind Korruption, Straflosigkeit und die Ausbreitung des organisierten Verbrechens die größten Hindernisse für eine Konsolidierung von Staat und Gesellschaft.

Porträts erinnern im Februar 2024 an die Opfer des Bürgerkriegs. Die offizielle Wahrheitskommission geht davon aus, dass der Bürgerkrieg zwischen 1960 und 1996 rund 200.000 Menschenleben kostete. In 93 % der von ihr untersuchten Fälle von Ermordungen und Folterungen waren Angehörige der nationalen Sicherheitskräfte verantwortlich. Die überwiegend an der indigenen Bevölkerung begangenen Verbrechen wurden als Völkermord eingestuft. (© picture-alliance/AP)

Der Weg zum Frieden

Die Unterdrückung und Marginalisierung großer Bevölkerungsgruppen zugunsten einer kleinen wirtschaftlichen Elite führte in Guatemala in den frühen 1960er Jahren zur Entstehung revolutionärer Bewegungen. Das guatemaltekische Militär bekämpfte die Aufständischen. Anfang der 1980er Jahre erreichte der Bürgerkrieg unter Diktator Efraín Ríos Montt seinen Höhepunkt. Um der Guerilla ihre ländlichen Rückzugsgebiete zu entziehen, verfolgte das Militär eine Politik der verbrannten Erde. Insbesondere im Norden des Landes massakrierten Soldaten systematisch die meist indigene Bevölkerung und vernichteten deren Dörfer. Schätzungen zufolge flüchteten rund 100.000 Menschen ins benachbarte Mexiko; über 40.000 wurden allein in den UN-Flüchtlingslagern im Süden Mexikos registriert. Hinzu kam rund eine Million Binnenvertriebene. Die offizielle Wahrheitskommission geht in ihrem 1999 vorgelegten Bericht „Memory of Silence" davon aus, dass der Bürgerkrieg zwischen 1960 und 1996 rund 200.000 Menschenleben kostete. In 93 % der von ihr untersuchten Fälle von Ermordungen und Folterungen waren Angehörige der nationalen Sicherheitskräfte verantwortlich. Die überwiegend an der indigenen Bevölkerung begangenen Verbrechen wurden als Völkermord eingestuft.

Wegen der massiven Menschenrechtsverletzungen wurde Guatemala international isoliert. Sowohl die Investitionen aus dem Ausland als auch die Einnahmen aus dem Tourismus gingen zurück. Deshalb forderten Wirtschaftsvertreter und Teile der Mittelschicht eine Öffnung des politischen Systems. Angesichts des wachsenden inneren und äußeren Drucks leiteten reformorientierte Militärs in den 1980er Jahren schließlich einen graduellen Übergang zu mehr Demokratie und Freiheit ein. 1984 ließ die Militärregierung Wahlen für eine Verfassungsgebende Versammlung abhalten. Ein Jahr später fanden allgemeine Wahlen im Rahmen der neuen Verfassung statt.

Die politische Transition gab wichtige Impulse für den erst sechs Jahre später einsetzenden Friedensprozess. Die aus den Wahlen von 1985 hervorgegangene Regierung Vinicio Cerezo stand noch unter starkem Einfluss des Militärs. Dennoch setzte sie sich, wie alle nachfolgenden Regierungen, für eine Verhandlungslösung des Konflikts ein. Außerdem fanden im Mai 1986 und im Februar 1987 in der guatemaltekischen Stadt Esquipulas Verhandlungen für einen mittelamerikanischen Friedensplan statt. (Link: https://www.bpb.de/themen/kriege-konflikte/dossier-kriege-konflikte/331270/mittelamerika-regionale-ansaetze-der-konfliktbearbeitung-und-loesung/)

Aufgrund der Vorbehalte des Militärs konnten direkte Friedensverhandlungen mit der Guerilla aber erst 1991 unter Cerezos Nachfolger, Jorge Serrano, beginnen. Der aus dem konservativ evangelikalen Milieu stammende Serrano versuchte 1993 allerdings einen Staatsstreich, indem er den Kongress und den Obersten Gerichtshof auflöste. Wichtige gesellschaftliche Gruppen stellten sich gegen Serrano; das Militär folgte den Anweisungen des Obersten Gerichtshofs. Daraufhin wurde der ehemalige Menschenrechtsbeauftragte, Ramiro de León Carpio, zum Interimspräsidenten ernannt.

Die politische und konstitutionelle Krise des Jahres 1993 machte deutlich, dass die schrittweise Demokratisierung die zivilgesellschaftlichen Akteure gestärkt hatte. Der einflussreiche Unternehmerverband (Comité Coordinador de Asociaciones Agrícolas, Comerciales, Industriales y Financieras – CACIF) rückte von seiner ablehnenden Haltung gegenüber Friedensverhandlungen ab. Die Guerilla distanzierte sich ebenfalls von früheren Positionen. Die Unidad Revolucionaria Nacional Guatemalteca (URNG) rief 1995 erstmals die Bevölkerung zur Teilnahme an Wahlen auf und signalisierte so ihre Bereitschaft, den bestehenden institutionellen Rahmen anzuerkennen. Formell endete der Bürgerkrieg im Dezember 1996 mit der Unterzeichnung eines Friedensabkommens zwischen Regierung und Guerilla.

Erfolge und Fortschritte

Der schrittweise und friedliche Übergang zu demokratischen Strukturen kann als wesentlicher Erfolg des guatemaltekischen Friedenprozesses gewertet werden. Ein 1994 unterzeichnetes, umfassendes Menschenrechtsabkommen sah die Schaffung internationaler Kontrollmechanismen und den Einsatz einer UN-Mission (Misión de Verificación de las Naciones Unidas en Guatemala – MINUGUA) vor. Im selben Jahr verständigten sich die Konfliktparteien in zwei weiteren Verträgen auf die Rückführung der Bürgerkriegsflüchtlinge aus den benachbarten Ländern und die Aufklärung der Kriegsverbrechen durch eine internationale Wahrheitskommission, und beendeten damit eine 10-jährige gesellschaftliche Diskussion (Oettler 2004). 1995 wurde ein Abkommen über die Identität und die Rechte der indigenen Bevölkerung unterzeichnet. 1996 folgten Abkommen über sozioökonomische Fragen und die Rolle der Streitkräfte in einer demokratischen Gesellschaft. Letzteres sah neben der Demobilisierung auch einen deutlich reduzierten Einfluss des Militärs in Staat und Gesellschaft vor. Im Friedensvertrag vereinbarten beide Bürgerkriegsparteien 1996 schließlich die Wiedereingliederung der Guerilla in die Zivilgesellschaft und eine für beide Seiten geltende Teilamnestie.

Das guatemaltekische Friedensabkommen ging weit über die Vereinbarungen hinaus, die Anfang 1992 im benachbarten El Salvador getroffen wurden. Allerdings fehlten in dem Vertragswerk an vielen Stellen konkrete Maßgaben zu Zeitrahmen, Art der Durchführung und Zuständigkeiten. Für einen Teil der Bestimmungen waren außerdem Verfassungsänderungen notwendig, die zunächst in einem Referendum angenommen werden mussten. Der Aushandlungsprozess erwies sich als äußerst langwierig und mündete erst drei Jahre später in einem umfassenden Reformpaket, das in vier Blöcken zur Abstimmung gestellt wurde. Kernelemente waren die Anerkennung und Förderung der kulturellen Eigenarten der indigenen Bevölkerungsmehrheit, größere soziale Inklusion, die Stärkung der demokratischen Institutionen und die Unterordnung des Militärs unter die zivile Herrschaft.

Das Reformpaket war unter dem anhaltenden Druck der internationalen Gemeinschaft zustande gekommen. Allerdings wuchs der Widerstand der traditionellen Eliten. Im Mai 1999 wurden schließlich alle vier Blöcke mit knapper Mehrheit und bei einer Wahlbeteiligung von weniger als 20 % abgelehnt (Petersen 2009). Das Nein im Verfassungsreferendum bedeutete einen schweren Rückschlag für die Befürworter einer über einen lediglich formalen Frieden hinausgehenden Transition und erwies sich für die folgenden Jahren als schwere Bürde. Andererseits ist es angesichts der unveränderten Machtverhältnisse fraglich, inwieweit eine Verfassungsänderung den politischen und gesellschaftlichen Wandel tatsächlich beschleunigt hätte.

Gleichwohl sind seit dem Ende des Bürgerkriegs konkrete Fortschritte zu verzeichnen. Zivile Regierungen, die aus freien und fairen Wahlen hervorgegangen sind, bestimmen die Geschicke des Landes. Der Einfluss des Militärs wurde deutlich verringert, und die ehemalige Guerilla beteiligt sich als politische Kraft am demokratischen Prozess. Ein weiterer Erfolg der Demokratie in Guatemala ist der Wahlsieg von Bernardo Arévalo. Obwohl die guatemaltekische Justiz kritische Oppositionelle konsequent verfolgte, gewann Arévalo 2023 vollkommen überraschend die Präsidentschaftswahlen. Seine erst 2019 von Aktivisten, Akademikern, Unternehmern und zivilgesellschaftlichen Akteuren gegründete politische Partei „Semilla“ (Saat) war mit einem klaren Antikorruptionsprogramm angetreten.

Probleme und Defizite

Die Beendigung des bewaffneten Konflikts hat nicht zur Überwindung der tiefen kulturellen und sozioökonomischen Gräben geführt, die Staat und Gesellschaft Guatemalas bis heute spalten. Die strukturellen Ursachen des Bürgerkriegs bestehen fort: eine kleine Minderheit besitzt einen großen Teil des Landes; der Wohlstand ist äußerst ungleich verteilt. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt in Armut. Am stärksten ist die indigene Landbevölkerung von wirtschaftlicher und sozialer Marginalisierung betroffen. Gelder für öffentliche Ausgaben sind knapp und fallen häufig der Korruption anheim. Die Eliten sind nicht bereit, einen Beitrag zur Reduzierung der sozialen Ungleichheit und Exklusion zu leisten.

Der Anteil der Steuereinnahmen am Bruttoinlandsprodukt liegt bei rund 10 % und damit weltweit am unteren Ende. Gleichzeitig bedienen sich Vertreter der politischen Klasse mit vollen Händen aus der klammen Staatskasse. Die Städte leiden unter der Gewalt von Jugendbanden, den sogenannten Maras. In Guatemala haben die Banden rund 22.000 Mitglieder, kontrollieren ganze Stadtteile; sie generieren ihre Einnahmen unter anderem durch Schutzgelderpressungen, Auftragsmorde und Drogenhandel. Die nach wie vor weitverbreitete Kultur der Gewalt in Guatemala äußert sich außerdem in einer hohen Zahl an Femiziden sowie Fällen von Lynchjustiz. Um der Gewalt, Armut und Perspektivlosigkeit zu entkommen, sind Hunderttausende in Richtung Mexiko und USA emigriert.

2015 wurde Guatemala von einem massiven Korruptionsskandal erschüttert, in dessen Folge nicht nur hohe Funktionäre und Minister, sondern auch Vizepräsidentin Roxana Baldetti und Staatspräsident Otto Pérez Molina verhaftet und wegen der Gründung einer kriminellen Vereinigung angeklagt wurden. Die Anklage war das Verdienst der Internationalen Kommission gegen Straflosigkeit (Comisión Internacional Contra la Impunidad en Guatemala, CICIG), die 2007 mithilfe der Vereinten Nationen geschaffen wurde. Die CICIG sollte die Verbindungen zwischen organisiertem Verbrechen und staatlichen Funktionsträgern aufdecken und die Schuldigen vor Gericht bringen.

Weil die Kommission zahlreiche Erfolge verbuchen konnte, war sie den korrupten Staatseliten ein Dorn im Auge. Präsident Pérez wollte ihr Mandat bereits 2015 auslaufen lassen, konnte dies aber nicht durchsetzen. Sein Nachfolger, Jimmy Morales, scheiterte im August 2017 beim Versuch, den kolumbianischen Chef der CICIG des Landes zu verweisen. Die Kommission hatte gegen einen Sohn und den Bruder des amtierenden Präsidenten ermittelt. Schließlich beantragte sie wegen illegaler Wahlkampfspenden die Aufhebung der Immunität von Morales. Als der Rückhalt der US-Regierung für die CICIG bröckelte, ließ Präsident Morales 2019 das Mandat der Kommission schließlich auslaufen.

Die Zerschlagung der CICIG steht symbolisch für das Ende der Aufarbeitung des Bürgerkriegs und den Beginn einer verfeinerten Strategie des autoritären Wandels: Über eine ausgeklügelte und schrittweise Schwächung, beziehungsweise Übernahme des Justizsystems werden der Justizapparat und die Strafgewalt des Staates missbraucht, um abweichende Meinungen zu kriminalisieren und den Machterhalt zu sichern. Gleichzeitig steigt die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit den Ungleichheiten und dem Joch der korrupten Eliten ständig an. Im November 2020 setzten Demonstranten im Zuge von Protesten den Kongress in Brand. Zuvor hatte das Parlament versucht, einen Haushaltsplan zu verabschieden, der trotz eines Rekordbudgets Kürzungen in den Bereichen Gesundheit und Soziales vorsah.

Die Folgen der Strategie der Kaperung des Justizapparates durch den „Pakt der Korrupten“, wie die Seilschaften aus Politik, Justiz und Kriminalität in Guatemala bezeichnet werden (Henkel 2025), ließen sich nach der Wahl von Arévalo deutlich beobachten: So stellten Generalstaatsanwältin Consuelo Porras und Sonderstaatsanwalt Rafael Curruchiche die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl offen in Frage, obwohl diese zuvor vom zuständigen Obersten Wahlgericht als rechtmäßig bestätigt worden war. Die Justizsysteme übernahmen somit die Rolle, die zuvor das Militär innehatte. Jüngstes Beispiel für die Unterbindung und Kriminalisierung kritischer journalistischer Tätigkeit war die erneute Inhaftierung des international mehrfach ausgezeichneten Journalisten José Rubén Zamora Marroquín seit März 2025 in einem Militärgefängnis.

Eine ähnliche Entwicklung wie bei der CICIG zeigt sich bei der Verfolgung der Bürgerkriegsverbrechen. Die meisten Verbrechen blieben bisher ungesühnt. Die Ergebnisse der beiden Wahrheitskommissionen hatten zunächst keine strafrechtlichen Folgen. Erst in den 2000er Jahren veränderte sich die Situation allmählich. Seit 2008 wurden etwas mehr als 30 Befehlshaber und Angehörige des Militärs und der Zivilen Selbstverteidigungspatrouillen (Patrullas de Autodefensa Civil – PAC) wegen schweren Menschenrechtsverletzungen verurteilt. Der ehemalige Diktator, Ríos Montt, der noch bis in die erste Hälfte der 2000er Jahre einer der einflussreichsten Politiker Guatemalas war und 2003 sogar als Präsidentschaftskandidat antrat, wurde 2013 wegen Völkermords verurteilt. Das Verfassungsgericht kassierte den Entscheid jedoch aufgrund eines Verfahrensfehlers. Der Fall musste neu aufgerollt werden. Ríos Montt verstarb 2019, ohne für seine Verbrechen belangt worden zu sein.

Guatemala - Verteilung der Ethnien und Orte der Massaker
Interner Link: Hier finden Sie die Karte als hochauflösende PDF-Datei (mr-kartographie, Gotha 2018) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

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Peter Stegemann lebt und arbeitet seit Mitte der 1990er Jahre in Lateinamerika. Er war zunächst als Journalist (u.a. für Deutsche Welle, ZDF und Zeit) in der Region tätig. Derzeit arbeitet er im Risikomanagement.