Im Mittelpunkt des Namibiakonflikts stand sowohl der Kampf für nationale Unabhängigkeit des von Südafrika rechtswidrig besetzten Mandatsgebietes als auch gegen die Unterdrückung und Ausbeutung der schwarzen Bevölkerungsmehrheit durch die weiße koloniale Oberschicht. Südafrika, das von 1919 bis 1946 das damalige Südwestafrika als Mandatsgebiet des Völkerbundes verwaltet hat, stemmte sich seit 1946 gegen die Entlassung des Landes in die Treuhandschaft der UNO und schließlich seit 1966 in die vollständige staatliche Eigenständigkeit. Südafrika behandelte Namibia lange Zeit als fünfte Provinz und war seit Mitte der 1970er Jahre bis zur Unabhängigkeit 1990 bestrebt, von ihm abhängige „interne Lösungen“ zu installieren.
Wiederholt hatten mehrere Führer namibischer Bevölkerungsgruppen, Gewerkschafter und Kirchenvertreter in Petitionen gegen die Verweigerung der Selbstbestimmung durch Südafrika bei der UNO protestiert. Die SWAPO (South West African People’s Organisation) begann schließlich 1966 den bewaffneten Befreiungskampf gegen die südafrikanische Armee und Polizei. Die UN-Vollversammlung erkannte die SWAPO 1976 als die „authentische Vertretung des namibischen Volkes“ an.
Der Weg zum Frieden
Die Unabhängigkeit Namibias am 21. März 1990 beendete einen der längsten Unabhängigkeitskonflikte in Afrika. Im Zeichen des Endes der Blockkonfrontation und der politischen und ökonomischen Krise des südafrikanischen Apartheidregimes wurde 1989/90 mit Unterstützung der UNO ein „paktierter“ Übergang erreicht, der im Wesentlichen auf vorab festgeschriebenen Verfassungsgrundsätzen, einschließlich umfassender Eigentumsgarantien für die weiße Oberschicht, beruhte.
Nach dem überwältigenden Wahlsieg der SWAPO im November1989 wurde die nach wie vor als demokratisches Musterdokument geltende Verfassung Namibias ausgearbeitet. Unter dem Etikett der nationalen Versöhnung bildete sich ein Elitenpakt zwischen der „alten“ weißen besitzenden Klasse und einer kleinen schwarzen Oberschicht aus SWAPO-Veteranen, schwarzen Politikern, hochrangigen Verwaltungsbeamten und Unternehmern – der sogenanntenblackoisie, die auch durch den Eintritt in parastaatliche Unternehmen und die Politik des Black Economic Empowerment (BEE) gefördert wurde.
Eine pauschale Amnestie verhindert bis heute die Aufarbeitung der Vergangenheit, die von schweren Menschenrechtsverletzungen beider Kriegsparteien gekennzeichnet ist, einschließlich massiver Menschenrechtsverletzungen in Lagern der SWAPO. Die Vergangenheitsverdrängung durch Beschweigen geht einher mit einer bestenfalls schleppenden Bearbeitung und Lösung der großen sozialen Ungleichheit zwischen der weißen und schwarzen Oberschicht auf der einen Seite und der großen Mehrheit der schwarzen Bevölkerung auf der anderen Seite.
Erfolge und Fortschritte
Die SWAPO gewann seit der Unabhängigkeit in sämtlichen Wahlen die absolute Mehrheit. Die Legitimität von acht Wahlgängen für Präsidentschaft und Nationalversammlung ist weitgehend unangefochten. Unbestreitbar steht Namibia damit für politische Stabilität und demokratische Kontinuität, auch aufgrund des Charismas des erfolgreichen Befreiungskampfes. Zu erwähnen ist ferner ein insgesamt gut funktionierendes Rechtswesen und vor allem eine für ein nach Bevölkerungszahl kleines Land erstaunlich vielfältige und kritische Presselandschaft. Über lange Zeit bildeten die Printmedien ein Gegengewicht zur Regierung, die von der parlamentarischen Opposition wenig herausgefordert wurde und wird.
Allerdings hat sich an der krassen sozialen Ungleichheit kaum etwas geändert. Die staatliche Kontrolle über die natürlichen Ressourcen ermöglichte die Verteilung wirtschaftlicher Privilegien an die neue schwarze Elite, die in breiter Front in Positionen der Verwaltung sowie parastaatliche und im Rahmen des (BEE) auch in private Unternehmen einrückte. Die Bestandsgarantie für staatlich Beschäftigte, das Bemühen zur Schaffung einer loyalen Bürokratie, Polizei und Armee sowie die Versorgung ehemaliger Befreiungskämpferinnen und -kämpfer mit Posten und Stellen in Verwaltung, Armee und Polizei haben dabei zu einer höchst problematischen Aufblähung des Staatsapparates geführt (vgl. Sycholt/Klerck 2010: 228-232).
Ehrgeizige Entwicklungspläne (z.B. „Vision 2030“) wurden bisher nur begrenzt realisiert. Initiativen zur Ansiedlung verarbeitender Industrie sind wiederholt gescheitert. Aktuell ruhen große Hoffnungen auf neu entdeckten Erdöl- und Erdgasvorkommen, daneben auch auf der Erzeugung erneuerbarer Energie und dem Export grünen Wasserstoffs. Die starke Abhängigkeit von extraktiven Primärprodukten sowie der Fischerei und dem Tourismussektor wäre damit jedoch nicht behoben.
Die SWAPO ist zwar bis heute die stärkste politische Kraft, verfehlte 2019 aber erstmals seit 1994 die Zweidrittelmehrheit. 2024 konnte sie noch knapp die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung behaupten. Bei den Präsidentschaftswahlen wurde mit der SWAPO-Kandidatin, Netumbo Nandi-Ndaitwah, zum ersten Mal eine Frau ins höchste Staatsamt gewählt. Beide Wahlen wurden von schwerwiegenden organisatorischen Mängeln beeinträchtigt. Die erstarkte parlamentarische Opposition bleibt absehbar zersplittert.
Der plötzliche Tod des mehrfachen Premierministers und amtierenden Präsidenten, Hage Geingob, im Februar 2024 und des hoch angesehenen Gründungspräsidenten, Sam Nujoma, im Februar 2025 haben eine tiefe Erschütterung in der namibischen Öffentlichkeit ausgelöst. Auch wenn die amtierende Präsidentin, Nandi-Ndaitwah, noch der Gründergeneration SWAPO angehört, deuten sich doch ein Führungswechsel und eine Verjüngung an der Spitze der Regierungspartei an.
Probleme und Defizite
Anfang Juli 2025 wurde Namibia von der Weltbank vom Status eines Landes mit mittleren Einkommen im oberen Bereich („upper middle income country“) zu einem Land mit mittlerem Einkommen im unteren Bereich („lower middle income country”) zurückgestuft. Dies muss als Ausdruck ernster Schwierigkeiten verstanden werden. Neben rückläufigen Wachstumsraten werden vor allem die große soziale Ungleichheit, die hohe Arbeitslosigkeit und die unsicheren Perspektiven im Hinblick auf die Entwicklung des Energiesektors angeführt.
Beim Index der menschlichen Entwicklung (Human Development Index, HDI) rangierte Namibia 2023 mit einer Kennzahl von 0,665 an 136. Stelle. Das stellt eine leichte Verbesserung gegenüber den Vorjahren dar. Dagegen rutscht Namibia beim für soziale Ungleichheit bereinigten HDI drastisch zurück, um 34,1 % auf eine Kennziffer von 0,483 – ein Verlust von zehn Positionen in der Rangfolge. Ähnlich verhält es sich bei anderen auf Armut bezogenen Indikatoren; dem steht eine sehr gute Bilanz in Gender-Fragen gegenüber.
Die Unterschiede zwischen den Regionen sowie zwischen der Hauptstadt und ländlichen Gebieten sind gravierend. Sie nähren regional und ethnisch motivierte Ressentiments. Hinzu kommen die hohe Arbeitslosigkeit von über 40 % (vgl. etwa Nakuta 2023) und der expandierende informelle Wirtschaftssektor bei einer Urbanisierungsrate von über 50 %. Zugleich hat Ende 2019 der Skandal über die illegale Zuteilung von Fischereiquoten durch Minister und hochrangige Beamte („Fishrot“) ein Schlaglicht auf das Ausmaß der Korruption geworfen. Die Beschuldigten warten Mitte 2025 in Haft noch immer auf ihren Prozess. Das ist ein weiteres Beispiel für die extrem lange Dauer großer Strafverfahren.
Die Covid19-Pandemie führte zu einschneidenden Lockdowns. Zugleich ergriff die Regierung sozialpolitische Maßnahmen, die von zivilgesellschaftlicher Seite lange Zeit eingefordert worden waren, etwa eine Art einer bedingungsloses Grundeinkommen (Marenga/Ampupanda 2021). Ein langjähriges Problem bleibt die soziale Lage von Veteranen des Befreiungskrieges, von denen viele noch nicht einmal eine minimale soziale Absicherung erhielten.
Ein weiteres Problem ist die ungleiche Verteilung des kommerziell genutzten Farmlandes im Zentrum und im Süden. Dies ist eine direkte Folge der deutschen Kolonialherrschaft (1884-1915). Die Nachfahren derjenigen Klans und Stämme, die von der deutschen Kolonialverwaltung und den Truppen massenweise von ihrem Land in Zentral- und Südnamibia vertrieben und ermordet wurden, warten bis heute vergeblich auf Wiedergutmachung für diesen Völkermord. Nach einer ersten Landkonferenz 1991 hat auch die zweite sowie die 2018 eingerichtete „Kommission für angestammtes Land“ (Ancestral Land Commission) keine Ergebnisse gebracht. Zudem gaben begrenzte Landvergaben an Neueigentümer häufig Anlass zu Vorwürfen der Vetternwirtschaft.
Seit Ende 2014 war das Aufkommen neuer sozialer und politischer Formationen eng mit der Landfrage verknüpft. „Affirmative Repositioning“ (AR) konzentrierte sich zunächst auf den Mangel an städtischem Baugrund vor allem für Arme und fordert offensiv die Zu- und Neuverteilung städtischen Baugrunds. Vor allem in Zentral-Namibia und im Süden hat die „Landless People’s Movement“ (LPM) die Umverteilung des Landes ins Zentrum gerückt. Beide Gruppierungen haben sich inzwischen zu Parteien formiert. Das LPM zog 2019 in die Nationalversammlung ein, die AR folgte 2024.
Bei Kommunal- und Regionalwahlen verzeichnen beide Gruppierungen erhebliche Erfolge: Die AR stellte zeitweise den Bürgermeister von Windhoek, LPM hat eine Mehrheit in den Regionalräten der Südregionen Hardap und //Karas. Noch erfolgreicher ist mittlerweile „Independent Patriots for Change“ (IPC), hervorgegangen aus der Einzelkandidatur von Panduleni Itula bei den Präsidentschaftswahlen 2019. Die IPC erzielte ebenfalls Erfolge bei Regional- und Kommunalwahlen und wurde 2024 stärkste Oppositionspartei in der Nationalversammlung. Diese und weitere Gruppierungen sind letztlich Abspaltungen der SWAPO und Ausdruck der unter ihrer Herrschaft angesammelten soziopolitischen Unzufriedenheit und Spannungen sowie persönlicher Rivalitäten.
Die ungelöste Landfrage steht auch im Zentrum der Reparationsforderungen, die Nachkommen der Überlebenden des von der kaiserlich-deutschen „Schutztruppe“ zwischen 1904-1908 vor allem an Ovaherero und Nama begangenen Völkermords an die Bundesrepublik richten. Nachdem das Auswärtige Amt im Juli 2015 den Tatbestand des Völkermords akzeptiert hatte, einigten sich im Mai 2021 die deutsche und namibische Regierung auf eine „Gemeinsame Erklärung zur Aufarbeitung der deutschen Kolonialverbrechen“. Teil der Vereinbarung ist ein „Programm für Wiederaufbau und Entwicklung“ in Höhe von 1,1 Mrd. Euro, die über einen Zeitraum von 30 Jahren ausgezahlt werden sollen.
Die Vereinbarung ist bislang wegen der massiven Kritik und des Widerstands von Vertretern der Betroffenen, darunter des von der Regierung anerkannten Rats der Häuptlinge, nicht in Kraft getreten. Anfang 2023 haben Opfergruppen und Oppositionspolitiker beim Obergericht in Windhoek eine Klage gegen die Gemeinsame Erklärung, u.a. wegen der Verletzung von Verfassungsprinzipien, eingereicht (Theurer 2023).
Seitdem finden Nachverhandlungen zwischen beiden Regierungen statt, die auch unter der schwarz-roten Regierung fortgesetzt werden. Ende März 2025 erklärte die namibische Präsidentin Nandi-Ndaitwah ihre Absicht, zu einem zügigen Abschluss zu kommen. Zugleich benannte sie die aus namibischer Sicht fortbestehenden ernsthaften Schwächen der bisherigen Einigung. Dazu gehören u.a. die fehlende deutsche Entschuldigung und die völlig unzureichenden Entschädigungsleistungen, die zudem nicht als Reparationen gekennzeichnet werden sollen. Die Bundesregierung lehnt bis heute Reparationszahlungen mit der Begründung ab, dass Anfang des 20. Jahrhunderts die völkerrechtliche Anspruchsgrundlage des Völkermords noch nicht bestanden hat.
In der Aufarbeitung des Kolonialismus in Namibia melden sich inzwischen neue Stimmen und Bewegungen zu Wort, die auf eine Mobilisierung über die Opfergruppen hinaus hinweisen und dies mit einer dezidiert postkolonialen und queeren Orientierung verbinden (Becker 2023). Dies unterstreicht die aktuelle Dynamik ebenso wie das innovative Potenzial der Erinnerungspolitik in Namibia. Diesen Initiativen kommt gerade auch angesichts starker regressiver Strömungen in der Geschlechterpolitik eine große Bedeutung zu, zumal solche Positionen auch in der Regierungspartei vertreten werden.
Die Aussicht der Produktion grünen Wasserstoffs, u.a. für den Export auch nach Deutschland, hat einerseits große Hoffnungen und andererseits Befürchtungen hinsichtlich neuer Abhängigkeiten geweckt. Hinzu kommen ökologische Bedenken, etwa im Hinblick auf die Biodiversitäts-Hotspots in dem für die Energiegewinnung vorgesehenen Gebiet in der südlichen Namib-Wüste. Die Region wird zugleich von den !Aman als ihr traditionelles Gebiet betrachtet, das historisch und symbolisch von besonderer Bedeutung ist. Im Hafen von Lüderitz liegt die Haifischinsel, wo von 1905 bis 1907 tausende Ovaherero und Nama in einem Konzentrationslager umkamen. Dieser Hafen soll nun zum Hauptumschlagplatz für die Energieexporte ausgebaut werden.