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Georgien | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Georgien

Oliver Reisner

/ 10 Minuten zu lesen

Georgien ist Schauplatz massiver Auseinandersetzungen zwischen dem autoritär-populistischen Regierungslager und der proeuropäisch-demokratischen Opposition um die grundlegende Ausrichtung des Landes. Dadurch verändern sich auch die Rahmenbedingungen für den Territorialkonflikt mit den separatistischen Gebieten Abchasien und Südossetien.

Tiflis, Georgien, am 28.11.2024: Nach der Aussetzung der EU-Integration durch die Regierung kommt es hier zu Massenprotesten. (© picture-alliance, Anadolou)

Aktuelle Situation

Seit den umstrittenen Parlamentswahlen vom 26. Oktober 2024 befindet sich Georgien im Krisenmodus. Opposition und Zivilgesellschaft warfen der Regierung Wahlfälschung vor. Zu Massenprotesten kam es aber erst als am 28. November 2024 von der Regierung die Aussetzung der EU-Integration bis Ende 2028 verkündet wurde. Die monatelangen Demonstrationen wurden teils von gewaltsamen Zusammenstößen mit Sicherheitskräften begleitet. Die von der Partei „Georgischer Traum“ geführte Regierung verschärft unter dem Vorwand der Verteidigung gegen „zersetzende Kräfte aus dem Ausland“ ihre repressiven Maßnahmen gegen Oppositionsparteien, NGOs, unabhängige Medien und Jugendorganisationen (ausführlich Smolnik/Tadumadze 2025; Bogishvili et al. 2025).

NGOs müssen bei finanzieller Unterstützung aus dem Ausland restriktive Auflagen erfüllen und sich als „Auslandsagenten“ registrieren lassen. Des Weiteren wird mit strafrechtlichen Verfahren der Druck auf Oppositionsakteure erhöht. Gleichzeitig wird versucht, Oppositionsführer sowie kritische Journalisten und zivilgesellschaftliche Aktivisten durch massive Polizeipräsenz bei Demonstrationen, gezielten Verleumdungskampagnen über staatsnahe Medien sowie überproportional harten Urteilen regierungstreuer Gerichte einzuschüchtern. Inzwischen befinden sich die meisten prominenten Oppositionsvertreter und mehr als 60 Protestteilnehmer in Haft.

Gleichzeitig bleibt die Zustimmung zu einer stärkeren Westorientierung des Landes hoch. In der jährlichen Umfrage des International Republican Institute (IRI) und des National Democratic Institute (NDI) erklärten im Herbst 2023 73 % der Befragten, einen EU-Beitritt voll und 13 % „etwas“ zu unterstützen. Volle Ablehnung äußerten lediglich 6 %. Dagegen war die Befürwortung eines weiteren Dialogs mit Russland auf einen Tiefpunkt gesunken (54 %). Ebenfalls 54 % äußerten die Meinung, dass sich Georgien allgemein in die falsche Richtung entwickele.

Durch die Zuspitzung des politischen Konflikts innerhalb der georgischen Mehrheitsgesellschaft rücken die ethnopolitischen Konflikte mit den nationalen Minderheiten in den abtrünnigen Gebieten Abchasien und Südossetien in den Hintergrund. Die Unsicherheit in den Grenzregionen – etwa durch eingeschränkte Bewegungsfreiheit der georgischen Bevölkerung im Bezirk Gali (Abchasien) – bleibt bestehen.

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die strategische Lage im Südkaukasus massiv verschärft. Moskau hat seitdem seine Stellung in den separatistischen Gebieten Abchasien und Südossetien weiter gefestigt. Direkte Verbindungen werden gezielt gefördert – etwa durch die Wiederaufnahme regulärer Flüge nach Suchumi und umfangreiche Stromlieferungen nach Abchasien. In Südossetien stammen rund 90 % des Staatshaushalts aus russischen Subventionen. Die Bevölkerung schrumpft dramatisch – von knapp 100.000 (1989) auf nur noch 30.000 bis 40.000. Abchasien verzeichnet ähnliche Einbußen: von über 500.000 Einwohnern 1989 auf etwa 240.000. In beiden Regionen ist die Zahl ethnischer Georgier infolge von Flucht und Vertreibung stark zurückgegangen; Südossetien ist heute nahezu monoethnisch (Reisner 2025).

Während des Wahlkampfes im Herbst 2024 verkündeten hochrangige Vertreter der Partei „Georgischer Traum“ ihre Absicht, auf der Grundlage von „Versöhnung und gegenseitigem Vertrauen“ die territoriale Integrität Georgiens wiederherstellen zu wollen (Hauer 2024). Daran anknüpfend hat die russische Delegation während der Genfer Gespräche im Juni 2025 versucht, die georgische Regierung dazu zu drängen, sich in einem Vertrag mit Abchasien und Südossetien zur Nichtanwendung von Gewalt zu verpflichten. Dies würde auf eine völkerrechtliche Konsolidierung der Abspaltung hinauslaufen (ebenda).

Ursachen und Hintergründe

Die georgische Gesellschaft wird von zwei großen Konfliktlinien durchzogen. Der derzeit dominierende Konflikt wird innerhalb der georgischen Mehrheitsgesellschaft ausgetragen. In ihm stehen sich drei große Gruppen gegenüber: (1) das prowestlich und demokratisch orientierte Bündnis aus Intellektuellen, Studierenden und zivilgesellschaftlichen Akteuren, (2) das regierungsnahe und teils prorussische Lager, das hauptsächlich aus Sicherheitskräften, vom Regierungskurs profitierenden wirtschaftlichen Eliten und vom Staat abhängigen Milieus besteht, sowie (3) weitgehend passive und desillusionierte Bevölkerungsteile, die sich vom politischen Prozess abgewandt haben.

Gegenstand des Konflikts ist die soziopolitische, wirtschaftliche und geopolitische Ausrichtung Georgiens. Die Anhänger der Demokratisierungsbewegung engagieren sich für die Fortsetzung des mit der „Rosenrevolution“ begonnenen proeuropäischen Reformkurses. Das autoritäre Lager um die Partei „Georgischer Traum“ sucht stattdessen einen Mittelweg zwischen dem Westen, Russland, China, der Türkei und dem Iran. Die Regierung möchte jegliche „Irritation“ Moskaus vermeiden. Deshalb beteiligt sie sich nicht an den westlichen Sanktionen, profitiert aber von deren Umgehung. Um den Kurs abzusichern, greift sie zunehmend zu repressiven und autoritären Methoden der Machtsicherung (vgl. z.B. Tkeshelashvili 2025; Dornblüth/Franke 2025).

Der zweite große Konflikt spielt sich zwischen dem georgischen Kernland auf der einen Seite und den separatistischen Gebieten Südossetien und Abchasien auf der anderen Seite ab. Die Spannungen wurzeln tief in der Geschichte des multiethnischen Landes. Bereits in der Zarenzeit waren die Beziehungen infolge einer imperialen „Teile und Herrsche“-Politik zwischen den Volksgruppen von Ungleichheit und Abhängigkeit geprägt. Heute ist der Konflikt durch die provisorische Grenzziehung und die De-facto-Annexion der Gebiete durch Russland eingefroren. Moskau hat keinerlei Interesse an einer konstruktiven Bearbeitung.

Beide Konflikte haben ihre Wurzeln in der ungleichen Entwicklung zwischen Zentrum und Peripherie, in regionalen Disparitäten sowie in der unvollständigen Transformation der post-sowjetischen Verwaltungsstrukturen. Es herrscht großes Misstrauen zwischen der zentralstaatlichen Autorität in Tbilisi und den regionalen Bevölkerungen. Die Schwäche staatlicher Institutionen und der autoritäre Kurs der Regierungspartei „Georgischer Traum“ haben mögliche Annäherungs- und Reformprozesse zusätzlich untergraben (Turashvili 2025).

Regionale und globale Mächte prägen die Konfliktdynamik erheblich. Seit dem Amtsantritt Wladimir Putins als Präsident im Jahr 2000 verfolgt Russland eine Politik zur Sicherung seiner Macht- und Einflusssphäre in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Interner Link: Diese Staaten werden vom Kreml als „nahes Ausland“ betrachtet, in dem Russland als Großmacht historisch begründete Interessen besitzt und im Sinne einer hierarchischen Weltordnung legitimerweise verfolgen und durchsetzen darf.

Die Hinwendung der georgischen Regierung zu EU und zu NATO nach der „Rosenrevolution“ von 2003 hat Moskau als Bedrohung seiner Sicherheit angesehen. Der Kreml befürchtete insbesondere das Übergreifen der demokratischen Reformbewegungen nach Russland und die Erweiterung der westlichen wirtschaftlichen und militärischen Integrations- und Bündnisstrukturen in seiner südlichen Peripherie.

Wie Moskau seine Präsenz in den abtrünnigen Gebieten nutzt, zeigt die Praxis der schleichenden Grenzverschiebung. Über Nacht werden von russischen Soldaten Grenzbefestigungen willkürlich auf das georgische Territorium verschoben. Landwirtschaftliche Flächen liegen plötzlich jenseits der provisorischen Grenze. Dorfbewohner, die zu ihren Feldern oder auf den nahegelegenen Friedhof wollen, werden wegen angeblich „illegaler Grenzübertritte“ festgenommen. Von der Abspaltung besonders stark betroffen ist der Bezirk Gali in Abchasien, wo etwa noch 50.000 Georgier leben.

Gleichzeitig übt Russland über Infrastruktur- und Energieverbindungen Druck auf Georgien aus und stärkt jene politischen Kräfte und Narrative, die vorgeben, die georgische „Souveränität“ gegenüber der Einflussnahme von EU, USA und NATO sowie „traditionelle Werte“ zu verteidigen. Beobachter sehen auffällige Parallelen zwischen den autoritären Umbau von Politik, Medien, Justizwesen und Gesellschaft, wie er in Russland und Belarus erfolgt ist, und den aktuellen Entwicklungen in Georgien. Eine aktive Rolle spielen dabei russische Medien- und Onlinekampagnen, die durch gezielte Desinformation und antiwestliche Narrative die Polarisierung in Georgien verstärken (Ohanyan 2018; Avdaliani 2024; De Waal 2024; Fischer 2024; Dornblüth/Franke 2025).

Nationale und internationale Beobachter geben den westlichen Staaten, konkret EU und NATO, eine Mitverantwortung für die aktuelle Situation. Zum einen wird die unzureichende Unterstützung für die demokratischen Reformkräfte kritisiert (vgl. z.B. Schiffers 2025). Zum anderen wird die Befürchtung geäußert, dass die aktuelle Regierung durch Sanktionen, Kontaktabbruch und wirtschaftlichen Druck eher weiter in Richtung eines autoritären Kurses und in die Abhängigkeit von Russland gedrängt wird (vgl. z.B. Smolnik/Tadumadze 2025; Rondeli Foundation 2025).

Bearbeitungs- und Lösungsansätze

Interner Link: Die aktuelle georgische Regierung hat sich für einen autoritären Modus des Konfliktmanagements entschieden (vgl. Lewis et al. 2018; Lewis 2022). Ihr vordergründiger Sicherheits- und Stabilitätsdiskurs ist im Kern darauf gerichtet, die Gesellschaft in ihrem Sinne zu kontrollieren und zu disziplinieren. Zum repressiven Instrumentarium gehören u.a. der Ausbau von Polizeibefugnissen, die Überwachung und Einschüchterung zivilgesellschaftlicher Organisationen und die Kriminalisierung oppositioneller Aktivitäten (Bogishvili 2024; Tsurtsumia 2024).

Auch im medialen Bereich wird das „russische Textbuch“ schrittweise umgesetzt: Oppositionellen Zeitungen und Verlagen wird die wirtschaftliche Basis entzogen. Zugleich stellen staatsnahe Medien und regierungsfreundliche Akteure die Opposition, kritische Intellektuelle und unabhängige NGOs als „ausländische Agenten“ oder „Störer des Friedens“ dar. Diese Propaganda erzeugt ein Klima der Angst und dient der Legitimation repressiver Maßnahmen. Unter dem Vorwand, für Georgien Frieden, Sicherheit und Wohlstand zu gewährleisten, wird die Kaperung des Staates durch die Partei „Georgischer Traum“ und der Regierung nahestehende Wirtschafts-, Sicherheits- und Funktionseliten systematisch vorangetrieben (Tkeshelashvili 2025; Zakareishvili 2020).

Die zersplitterte und von Verbot bedrohte Opposition, die nur noch mit einer von drei qualifizierten Parteien im Parlament vertreten ist, konnte sich bislang nicht auf eine gemeinsame Strategie zur Beilegung des Konflikts einigen. Einige Politiker äußern immer noch die Hoffnung auf eine Vermittlerrolle der EU. Andere oppositionelle Gruppierungen beschränken sich auf rein humanitäre Forderungen wie medizinische oder soziale Hilfe für Einwohner der separatistischen Regionen (Social Justice Center 2024; Turashvili 2025).

Trotz Restriktionen und Repression bleiben georgische und internationale zivilgesellschaftliche Organisationen zentrale Akteure. Forschungseinrichtungen – darunter das Caucasus Institute for Peace, Democracy and Development (CIPDD), die Rondeli Foundation sowie die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) und die Heinrich-Böll-Stiftung (HBS) – fördern die Aufarbeitung der Konflikte und unterstützen Studien zu Erinnerungspolitik, Versöhnung und De-facto-Staatlichkeit (z.B. Javakhishvili/Kvarchelia 2013; Karpenko/Javakhishvili 2013).

Erwähnenswert sind auch Projekte auf lokaler Ebene. So unterstützt die Berghof Foundation (Berlin) seit Jahren einen Dialogprozess zwischen Georgiern und Abchasen, der auf persönlichen Erinnerungen, Oral-History-Interviews und gemeinsamer Reflexion über Kriegserfahrungen basiert. Ziel ist es, durch geteilte Narrative und individuelle Begegnungen Vertrauen wiederherzustellen und langfristig die Basis für Verständigung zu schaffen.

Die OSZE entsendet Wahlbeobachter und engagiert sich in den Grenzregionen für den Ausbau lokaler Frühwarnmechanismen und die Unterstützung kommunaler Mediationsnetzwerke. Der Ständige Rat der OSZE hatte zuletzt am 13. März 2025 die anhaltenden humanitären und Menschenrechtsprobleme in den besetzten Gebieten und die „borderisation“ thematisiert.

Die EU hält an ihrer Politik der Nichtanerkennung bei gleichzeitiger Einbindung (NREP)gegenüber Abchasien und der Tskhinvali-Region/Südossetien fest (Steiner 2019). Doch seit 2024/25 hat ihr Einfluss wegen der Spannungen mit Tiflis (u.a. wegen des „Auslandsagenten“-Gesetzes) und der darauffolgenden Aussetzung von Teilen der Unterstützung durch den European Peace Fund (EPF) erheblich an Reichweite und Sichtbarkeit verloren.

Die NATO, die ein Verbindungsbüro in Tbilisi unterhält, setzt auf sicherheitspolitische Kooperation mit Georgien. Ihre Unterstützung konzentriert sich auf Ausbildung, Cyberabwehr und institutionelle Reformen des Verteidigungssektors, verbunden mit der Erwartung, dass Georgien Rechtsstaatlichkeit und demokratische Kontrolle stärkt.

Geschichte des Konflikts

Georgien ist ein multiethnischer Staat, der mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 seine Unabhängigkeit erlangte. Die ossetische und die abchasische Minderheit (1989 etwa 3 % bzw. 1,8 % der Bevölkerung) verfügten in der UdSSR über Autonomiegebiete innerhalb Georgiens. Der in den 1980er Jahren in der UdSSR einsetzende Reformprozess begünstigte auch in Georgien das Entstehen einer nationalistischen Unabhängigkeitsbewegung. Es kam zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit ethnischen Minderheiten in den Autonomiegebieten. Diese befürchteten daraufhin den Verlust ihres Autonomiestatus und leiteten Schritte zur Loslösung von Georgien ein (Zürcher 2007; Cheterian 2008; George 2009; Reiter 2009; Jones 2012, Reisner 2025).

Die Streitigkeiten eskalierten und es kam zu zwei Kriegen: in Südossetien (1991–1992) und in Abchasien (1992–1993). Sie endeten mit der Abspaltung der beiden Gebiete, die mit der massiven Vertreibung von Georgierinnen und Georgiern einherging. Die Separatisten übernahmen mit Unterstützung Russlands die Kontrolle über die Gebiete und bauten diese schrittweise zu De-facto-Staaten aus, die nur von wenigen Staaten anerkannt werden (Schatz 2019).

Im Sommer 2008 heizte sich die Lage an der georgisch-südossetischen Demarkationslinie erneut auf. Nach wiederholten Scharmützeln begann die georgische Armee – in völliger Überschätzung der eigenen militärischen Möglichkeiten und in der Hoffnung auf Beistand seitens der USA und des Westens – in der Nacht zum 8. August einen Angriff auf Südossetien. Daraufhin marschierten russische Truppen in Südossetien und Abchasien ein und drangen weit in das georgische Kernland vor.

Die fünf Tage dauernden Kampfhandlungen forderten rund 850 Menschenleben und führten zeitweilig zur Flucht von mehr als 130.000 Menschen. Sie wurden schließlich durch einen von der französischen EU-Ratspräsidentschaft vermittelten Waffenstillstand beendet. Wesentliche Punkte des Abkommens wurden jedoch bis heute nicht umgesetzt, so etwa der Zugang internationaler Beobachter zu Südossetien und Abchasien sowie die Reduzierung der dort stationierten russischen Streitkräfte auf den Status quo ante (Cornell/Starr 2009; Asmus 2010; Boden 2010 und 2018: 69-72).

Nach dem Krieg versuchte die internationale Gemeinschaft, über die Genfer Gespräche (seit Oktober 2008) zwischen Georgien, Russland, Abchasien, Südossetien, der EU, der OSZE und den USA eine politische Regelung zu erreichen. Zwar verhinderten diese Foren neue militärische Eskalationen, doch substanzielle Fortschritte blieben aus. Die EU-Beobachtermission (EUMM) überwacht seither die Waffenruhe entlang der sogenannten administrativen Grenzlinien (ABL), darf jedoch die abtrünnigen Gebiete selbst nicht betreten.

Die humanitären Folgen der Konflikte sind bis heute spürbar: Über 200.000 Menschen gelten als Binnenvertriebene ohne realistische Rückkehrperspektive. Gesellschaftlich wirken die Erfahrungen von Flucht, Verlust und erzwungener Abgrenzung bis heute nach und prägen sowohl in Georgien als auch in den abtrünnigen Gebieten das kollektive Gedächtnis (Boden 2018: 73-82).

Weitere Inhalte

Oliver Reisner, geb. 1964, ist Professor für Europa- und Kaukasienstudien an der Staatlichen Ilia Universität Tbilisi. Bis 2015 arbeitete er als Projektmanager in der Delegation der Europäischen Union in Georgien. Unter seinen zahlreichen Publikationen zur Geschichte und Gegenwart Georgiens und des Kaukasus hat er 2005 für die Friedrich-Ebert-Stiftung eine Konfliktanalyse zu Georgien und seit 2016 alle zwei Jahre den Bericht zu Georgien für den Bertelsmann Transformationsindex verfasst.