Kulturelle Bildung im Übergang Schule-Beruf
Erfolge und ihr Geheimnis
Siebzehn solcher schulischen und außerschulischen Projekte und das Freiwillige Soziale Jahr Kultur werden in einer exemplarischen Projektsammlung der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) detailliert beschrieben. [7] Viele von ihnen wurden mit Preisen ausgezeichnet: Sie erweisen sich im Sinne auch der engeren Lern- und Vermittlungsziele des Übergangs Schule-Beruf als außergewöhnlich wirksam.Warum? Aus einem einfachen Grund. Künstlerische Praxis ist vital darauf angewiesen, die gesamten Vorerfahrungen und Lernbedürfnisse ihrer individuellen Akteure zu mobilisieren, diese Erfahrungen und Bedürfnisse zum Zuge kommen zu lassen, ihnen Ausdruck und Gestalt zu geben und Anerkennung zu verschaffen und sie dadurch bewusst zu machen und mit noch fremden Menschen und Dingen in der Welt in vielfältige – keineswegs nur kognitive – neue Verbindungen zu bringen.
Lerner-, subjekt-, interaktionsorientiert und zugleich ausgerichtet auf die Bewährungsprobe öffentlicher Präsentation verbinden solche Projekte die Ziele des schulischen 'Lernens auf Vorrat'´ mit dem, was John Dewey "ends-in-view" nennt [8]. Sie stehen zugleich in Opposition zu funktionalistischen Verkürzungen der Berufsbildung und erst recht zur Reduzierung kompensatorischer Bildungsanstrengungen im Übergangssystem auf die Herstellung von Erwerbsfähigkeit im engsten Sinn und um jeden Preis.
Insbesondere die größeren Community-Art- und Theater-Projekte wie "Zukunft 2013" in Aalen, "Planet Kultur" und "Projekt Shakespeare" in Köln, "Act" in Bremen und "!Stage" in Gelsenkirchen nutzen die Künste – auch die "hohen" – zur Erschließung lebensweltlicher Probleme ihrer jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer und darüber hinaus als "exterritorialen" Raum, dessen eine gelingende inter- oder besser: transkulturelle Bildung bedarf. [9] Diese Projekte suchen in sich die Trennung allgemeiner und beruflicher Bildung aufzuheben, die sich in die Geschichte des deutschen Bildungssystems als "deutsches Bildungsschisma" [10] tief eingeschrieben hat – mit den lange bekannten Folgen: Die Kluft zwischen "Gebildeten und Ungebildeten" [11] zementiert die sozialökonomische Ungleichheit, der sie sich verdankt und ohne die die sogenannten 'interkulturellen' Probleme nicht das wären, was sie sind; und sie verhindert die Anpassung des Bildungssystems an den Wandel von Technologie und Beschäftigungsstruktur.
Künstlerische Projekte realisieren dabei eine sehr spezifische Variante produktiven Lernens. Ihr Erfolgsgeheimnis liegt darin, dass sie immer auch mehr sind als Übergangsprojekte und ihren Teilnehmern zwei vom Ausbildungs- und Arbeitsmarkt unabhängige Erfahrungen der Bewährung ermöglichen: die Bewährung in einem – übrigens: möglichst heterogenen und transkulturellen – Team, das ganz seine eigene Sache und diese um ihrer selbst willen betreibt, [12] und die Bewährung dieser Praxis in ihrer Präsentation vor einem Publikum, d.h. vor einer urteilsfähigen Öffentlichkeit. (Dies deutet auf den weiten Schnittbereich von kultureller und politischer Bildung.)
Wer sich auf derartige Erfahrungen des Gelingens und der Anerkennung stützen kann, tritt den Anforderungen von Schule, Arbeitsmarkt und Arbeitswelt selbstbewusster und mit weniger Angst gegenüber. Angst aber ist eines der stärksten Lernhindernisse überhaupt.
Ausblicke
Aus all diesen Gründen kann die Wirkung künstlerisch-kultureller Projekte im Übergang Schule-Beruf über die individuelle Kompetenzförderung weit hinausgehen. Diese zumeist in Kooperation durchgeführten Projekte treten mit den vorgefundenen Lehr- und Lernumwelten der Schulen und Betriebe und des Übergangssystems in produktive Spannung. Im Austausch der unterschiedlichsten Akteure können sie zu einem weiteren Katalysator jenes weit über die Übergangsproblematik hinausweisenden Umdenkens und Umsteuerns werden, für das in Deutschland vor allem das schnell gewachsene Netzwerk Archiv der Zukunft steht [13] und dem die deutsche Bildungspolitik – von der Arbeitsmarktpolitik zu schweigen – sich bislang leider allenfalls halbherzig und mutlos öffnet.Schließlich: Die Akteure des zerklüfteten Übergangsfeldes Schule-Beruf sind sich weithin darin einig, dass nur ihr netzwerkartiges, institutionelle Grenzen überschreitendes Zusammenwirken auf lokaler Ebene die anstehenden Probleme lösen kann. Die Weinheimer Initiative hat dafür einen passenden Ausdruck gefunden: lokale Verantwortungsgemeinschaft. [14] Beispiele wie "Zukunft 2013" zeigen: Gäben wir künstlerisch-kulturellen Projekten im Übergangsfeld tatsächlich Zeit und Mittel zu wachsen und auszustrahlen, ihre solidarischen, kleinen transkulturellen learning communities informellen Lernens [15] zu stiften, in denen z.B. studentische 'Paten' mit Schulabbrechern zusammenarbeiten, Foren zu schaffen, in denen sich die lokalen 'Eliten' und die sogenannten 'Benachteiligten' unmittelbar begegneten – dann könnten solche Projekte diese lokale Verantwortungsgemeinschaften kulturell untermauern, von innen heraus motivieren und lebendig werden lassen.
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