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Theaterpraxis in der kulturellen Bildung | Kulturelle Bildung | bpb.de

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Theaterpraxis in der kulturellen Bildung

Ole Hruschka Florian Vaßen Florian Vaßen Ole Hruschka

/ 8 Minuten zu lesen

Neben vielfältigen und originellen Angeboten in der außerschulischen kulturellen Bildung wird die Theaterpraxis auch in Schulen immer wichtiger: 11 Bundesländer haben "Theater" als Schulfach eingeführt. Das gemeinsame Improvisieren und Üben in einem möglichst hierarchiefreien Raum birgt großes Potenzial, selbstbestimmt zu lernen - abseits von Routine und Entfremdung in Alltag und Politik.

Theater und Tanz eröffnen neue Räume, hinterfragen Grenzen und bieten hautnahe, körperliche Bildungserlebnisse. (© Andreas Hartmann)

Spiel- und Theaterprozesse mit nicht-professionellen Akteuren, die sich im weiten Feld zwischen Kunstproduktion und soziokultureller Arbeit bewegen, haben in den letzten Jahren für eine große Resonanz gesorgt. Eine Vielzahl an Projekten, Kooperationen, Kongressen und Fördermaßnahmen scheinen in diesem Bereich der Vermittlung von Kunst und Kultur bundesweit und regional einen regelrechten "Boom" ausgelöst zu haben, der die verschiedensten Bildungsinstitutionen erfasst hat: Stadt- und Staatstheater, Freie Theater und Theaterpädagogische Zentren, Jugend- und Kulturzentren, die Schulen, aber auch frei arbeitende Spezialistinnen und Spezialisten der Theatervermittlung.

Ohne in direkte Konkurrenz mit dem professionellen Theater zu treten, produzieren zunehmend auch nicht-professionelle Theatermacher Theaterkunst: angefangen bei den "allerkleinsten" Kindern bis hin zu älteren Menschen, von den Arbeitslosen bis zu den Managern, vom Unternehmenstheater und der theatralen Organisationsforschung bis zum Volkstheater als neuem Bürgertheater in der Zivilgesellschaft, einschließlich dem interkulturellen Theater und dem (Post)migrationstheater . Mit der intensiven Verbindung von nicht-professionellen und professionellen Theaterpraktikern entwickelt sich also eine wachsende Professionalisierung in der Vermittlungskunst und in der Kunstvermittlung der "Theatermacher" sowie gleichzeitig in der theatralen Qualifizierung der Theater-Amateure, sprich der sog. Experten des Alltags, die mit ihrer andersgearteten Professionalität ihrerseits das Theater bereichern.

Bei dieser Entwicklung ist eine Pluralisierung der theatralen Formen zu beobachten: Das Theater verlässt immer öfter seinen traditionellen Ort, besetzt öffentliche Räume, löst sich von Zeitvorgaben und sprengt seine dramatische Form. In diesem Erfahrungsraum bietet sich die Möglichkeit für die Korrespondenz von Erfahrungswissenschaft und Erfahrungskunst, sprich von Pädagogik und Theater: Erinnerung und Erfahrung, Erkenntnis und Gefühl, Erprobung und Veröffentlichung bilden die Grundlage für neue Wissensformen, Theater wird zu einem "Laboratorium sozialer Fantasie".

Innerhalb entsprechender Prozesse der Wissensgenerierung und der (Selbst-)Bildung sind zwei eng zusammengehörige Bereiche gleichermaßen wirksam und wichtig: zum einen die "Ausdrucksschulung", die eigene Verwicklung ins szenische Geschehen, also die aktive Teilhabe an der Theaterproduktion; zum anderen die "Wahrnehmungsschulung" bei der Rezeption von Theater, also die "Zuschaukunst", wie Bertolt Brecht es nennt. Beides ermöglicht ästhetische Erfahrungen und sinnliche Erkenntnisse als Ergänzung und Störung von Alltagserfahrungen und damit als produktive Verunsicherung des Alltagsbewusstseins.

Theater als Schulfach

Die Schule spielt eine besonders wichtige Rolle, wenn es darum geht, Theaterspielen im Rahmen kultureller Bildungsangebote qualitativ zu stärken und quantitativ auszuweiten. Durch die Einführung des Faches Theater/Darstellendes Spiel in 11 Bundesländern als drittes ästhetisches Fach zusätzlich zu Musik und Kunst – neben den überall existierenden Theater AGs und sich ständig erweiternden Möglichkeiten, szenische Methoden in vielen Unterrichtsfächern einzusetzen – ist das Fundament dafür gelegt worden, junge Menschen in ihren personalen, sozialen und ästhetischen Fähigkeiten bundesweit in allen Schulformen zu fördern. Unterstützt und getragen wird diese Entwicklung zum Beispiel durch erfolgreiche Partnerschaften zwischen Theatern und Schulen (TUSCH), aber auch durch aktive Verbände wie BAG Spiel und Theater, Bundesverband Theaterpädagogik, Bundesverband Theater in Schulen und Gesellschaft für Theaterpädagogik u.a. mit Publikationsorganen wie Zeitschrift für Theaterpädagogik und Schultheater.

Bemerkenswert ist weiterhin eine zunehmende Professionalisierung im Bereich der Fachdidaktik. Die ersten Absolventinnen und Absolventen des grundständigen Studiengangs Darstellendes Spiel in Niedersachsen sind nach dem absolvierten Referendariat (gymnasiales Lehramt) als Theaterlehrkräfte an Schulen tätig , und es ist eine Reihe von Lehrwerken erschienen. Sie bieten vielfältige Anregungen für einen zeitgemäßen Theaterunterricht, der die Eigenaktivität und die Selbstverantwortung der Schülerinnen und Schüler herausfordert. Drei Beispiele: Die mehrbändige Reihe "Grundkurs Darstellendes Spiel" ist ein erster gewichtiger Meilenstein auf dem Weg, Theatertheorie und -praxis künftig in der Sekundarstufe II curricular stärker zu verankern. Eine Ergänzung und Weiterentwicklung stellt das "Kursbuch Darstellendes Spiel" dar, das ein mehrstufiges, modularisiertes Aufbauprogramm enthält, viele innovative Formen des avancierten Gegenwartstheaters berücksichtigt und dem es zugleich gelingt, den Richtlinien der einheitlichen Prüfungsanforderungen für das Abiturfach Darstellendes Spiel gerecht zu werden (EPA 2006). Der von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebene Materialien-Band "Theater probieren – Politik entdecken" vermittelt ebenfalls eine große Vielfalt zeitgenössischer Theateransätze und legt dabei ein besonderes Augenmerk auf die Verbindung mit den im Schulalltag verankerten "klassischen" Feldern politischen Lernens (auch für Sek. I).

Theater und politische Bildung

Dass Theater zu einem wichtigen Feld kultureller Bildung avanciert ist, ist sicher zu einem guten Teil ein Erbe der Aufklärung, nicht zuletzt aber auch das Ergebnis der Politisierung in den 1960er- und 1970er-Jahren: Theatermacher und -pädagogen mischten sich zunehmend ein in die verschiedensten gesellschaftlichen Bereiche (Beispiele: Kindertheater GRIPS, Lehrlingstheater, kritische Versuche mit dem Volkstheater, Augusto Boals Forumtheater und Bertolt Brechts Lehrstück-Versuche). Pädagogik wurde zunehmend als Prozess verstanden, in dessen Mittelpunkt nicht Belehrung, Erziehungskonzeption und pädagogische Ideologie, sondern die Kinder und die Jugendlichen standen.

Vor diesem Hintergrund ist mittlerweile nicht nur das Bewusstsein geschärft dafür, dass alle gesellschaftlichen Bereiche, vor allem Kultur, Politik, Religion und Sport, geprägt sind von Theatralisierungsprozessen. Theaterschaffende ergreifen seither selbst die Chance – wenn auch innerhalb des Theaters als gesellschaftlichem Randbereich (im Vergleich mit den elektronischen und digitalen Medien) –, durch ästhetische Prozesse gesellschaftliches Nachdenken anzustoßen, Räume zu schaffen für Sehnsüchte und Neugier, für Innovation und Neupositionierung. Während Theaterpädagogik bis in die frühen 1980er-Jahre allerdings häufig noch von der Utopie einer hierarchiefreien Gesellschaft geprägt war und Theater als "Probebühne" eines besseren und gerechteren gesellschaftlichen Lebens gedacht wurde, setzt sie nun vor allem beim Subjekt an: In dem ästhetischen Ereignis kann künstlerisches Tun und Erfahren-Wollen eine politische Dimension entfalten – als Gegenentwurf zur Routine und Entfremdung in Alltag und Politik.

Theaterpädagogik und Wirkungsforschung

Im Rahmen der Wirkungsforschung zeigt das "Jugend-Kultur-Barometer" , dass bei den Jugendlichen ein größeres Interesse an Kultur – wenn man von einem weiten Kulturbegriff ausgeht – besteht als bei der Gesamtbevölkerung. An der Spitze stehen – nicht überraschend – Musik und Film, das "klassische" Theater dagegen findet sich weit hinten, noch nach Museum und Ausstellung. Auffällig ist aber, dass es einen grundsätzlichen Aufwärtstrend bei den eigenen künstlerischen Aktivitäten gibt, gerade auch beim Theater-Spielen, was sich auch an einer Vielzahl von Formen, Orientierungen, Gruppen und Arbeitsfeldern feststellen lässt. Dabei stehen erwartungsgemäß Aktivitäten in der Schule im Mittelpunkt, und hier ist festzustellen: Theater-Spielen steht mit 15 % der dortigen Aktivitäten an zweiter Stelle nach der Schülerzeitung. Die Untersuchung belegt weiterhin – nicht überraschend –, dass der Einfluss des Elternhauses sehr hoch ist, der Stellenwert der kulturellen Bildung hängt – wie die Bildung allgemein – vom sozialen Umfeld ab. Wenn die Eltern ein künstlerisches Hobby haben, haben auch 70 % ihrer Kinder eins. Die Unterschiede sind groß: 56 % der Jugendlichen, die ein Gymnasium besuchen, aber nur 15 % der Hauptschülerinnen und -schüler haben Theater-Erfahrungen. Erstens ist das Theater-Interesse umso größer je stärker kulturelle Einflüsse auf Kinder und Jugendliche wirken, und zweitens zeigt sich, dass es sehr positiv ist, wenn Kinder möglichst früh mit Theater und Theater-Spielen in Kontakt kommen; später ist es erheblich schwieriger den Erstkontakt herzustellen. Theater in der frühen Kindheit bzw. für die ganze Familie ist also notwendig, und die Kinder sollten schon im Kindergarten und in der Grundschule mit dem Theater-Spielen beginnen.

Bildungstheoretisch besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass der so genannte Theaterprozess bei den Beteiligten positive Wirkungen hervorrufen kann – durch die soziale Aufmerksamkeit, die innerhalb der Projektarbeit befördert wird, bzw. durch die Möglichkeit, sich leiblich-seelisch in der szenischen Aktion neu und anders zu erfahren. In dieser Differenzerfahrung, die sich aus der Doppelheit von Rolle und Selbst bzw. zwischen Darsteller und Dargestelltem ergibt, liegt ein besonderes Bildungspotential.

Zudem entsteht in der "Langsamkeit" des Theaters ein anderes Zeitbewusstsein als in Alltag und medial geprägter Umwelt; an die Stelle organisierter, verwalteter Zeit tritt lebendige Zeit, treten Freiräume, Umwege, Sackgassen und Experimente, die auch scheitern können und die eine rein funktionale Handhabung von Zeit, ausgerichtet an ökonomischer Rationalität, unterlaufen. Selbst wenn Alltagserlebnisse im Theater dargestellt werden, erhalten sie durch die szenische Form eine Tendenz zur Fremdheit, zum Abweichenden, die Normalität, Regelhaftigkeit und Routine überschreitet und in Frage stellt.

In den letzten Jahren sind einige Versuche unternommen worden, das besondere Bildungspotential des Theaters u.a. mit Methoden der empirischen Sozialforschung genauer zu untersuchen (z.B. narrative Interviews); die Erforschung der sogenannten bildenden Wirkungen des Theaterspielens wird in der theaterpädagogischen Fachdebatte jedoch auch kritisch hinterfragt. Nicht nur sind die behaupteten positiven Folgewirkungen letztlich wissenschaftlich nur schwer nachweisbar, weil in hohem Maße situationsabhängig. Vor allem bleibt die (oft bildungspolitisch motivierte) Frage nach der Legitimation von Angeboten der theatralen Bildung allzu oft einem funktional geprägten Menschenbild und Vokabular verhaftet. Der soziale und persönliche Wert von Theaterarbeit sollte nicht im engeren Sinne auf den Erwerb bestimmter Fähigkeiten (Kompetenzen, soft skills, Lernziele) reduziert werden. Falsch wäre es zu glauben, es bedürfe bloß einer zielgerichteten Strukturierung des Proben- und Aufführungsprozesses, eines richtigen methodischen "Settings", um kurzerhand zu den wie auch immer gearteten Kompetenzen zu gelangen. Ästhetisches Erfahren und Sich-Bilden sieht in der Praxis anders aus, verläuft nicht immer auf eindeutig geraden Wegen, ist ohne Widerstände und Krisen nicht zu haben.

Beim Theater-Spielen geht es – trotz aller sozialer Relevanz – nicht primär darum, dass mit seiner Hilfe etwas gelehrt wird, und es ist auch keine Methode, durch die für etwas gelernt wird. Vielmehr entstehen im ästhetischen Ereignis des Theater-Spiels, in dem Ästhetik, Theatralität, Leiblichkeit sowie Ethik, Sinn und Reflexion eng miteinander verbunden sind, neue Erfahrungen. Zu oft jedoch besteht ein Missverhältnis von Lehrenden und Lernenden in dem Sinne, dass der Lehrende durch das Theater-Spielen bei den Lernenden entweder Defizite kompensieren oder vorhandene Fähigkeiten erhalten bzw. hervorheben will. An die Stelle dessen sollte in der Ensemble-Arbeit, also in der Gruppe bzw. im Kollektiv, ein offenes Generationen-Verhältnis treten. Im Zentrum eines neuen Verständnisses von Theaterpädagogik als kulturelle Bildung stünde demnach – etwa in der Schule – gemeinsames Üben und Lernen in einem offenen Prozess, lediglich unterstützt durch eine Theaterlehrkraft als Initiator, Moderator, Begleiter, Helfer und Supervisor. Diese Rücknahme der Lehr-Haltung setzt Eigensinn und Eigenständigkeit bei den Theater-Spielerinnen und -spielern frei und ermöglicht selbstbestimmte Lernprozesse bis hin zur Erfahrungsarbeit – gemeinsames Theater-Lernen statt Theater-Lehre.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Theater und theatrale Methoden, die in unterschiedlichster Art in Wirtschaftsunternehmen eingesetzt werden, um Probleme offenzulegen und Strukturen zu erkennen, die Arbeitssituation zu verändern und die Atmosphäre zu verbessern. Vgl. Arens-Fischer, W. / Renvert, E. / Ruping, B. (2009): Der Beitrag des Unternehmenstheaters zur Unternehmensentwicklung: Personales Verhalten in Organisationsstrukturen und -prozessen reflektieren. In: Raab, G. und A. Unger: Der Mensch im Mittelpunkt des wirtschaftlichen Handelns. Lengerich: Pabst Science Publishers, S. 543-559.

  2. Theater von und mit Menschen mit Migrationshintergrund, oft stadtteilbezogen und mit biografischer Orientierung. Vg. Klaus Hoffmann, Rainer Klose (Hg.) Theater interkulturell. Theaterarbeit mit Kindern und Jugendlichen. Milow: Schibri Verlag 2008.

  3. Vgl. den Bericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zu "Kultur in Deutschland", zit. nach: Schneider, Wolfgang (Hg.) Theater und Schule. Ein Handbuch zur kulturellen Bildung. Bielefeld: transcript, 2009 S. 10.

  4. Externer Link: www.schibri.de, Externer Link: http://www.friedrich-verlag.de

  5. Vgl unter: Externer Link: http://www.darstellendesspiel.uni-hannover.de/

  6. Christiane Mangold (Hg.) Grundkurs Darstellendes Spiel 1-5. Braunschweig: Schroedel 2007-2011

  7. Volker List; Malte Pfeiffer: Kursbuch Darstellendes Spiel. Stuttgart/Leipzig: Klett Verlag 2009.

  8. Ole Hruschka, Doris Post und Geesche Wartemann (Hg.): Theater probieren, Politik entdecken. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2011.

  9. Vgl. Zentrum für Kulturforschung (Hg.): Jugend-Kultur-Barometer 2004 "Zwischen Eminem und Picasso". Bonn 2004; vgl. den Themenschwerpunkt "Wirkungsforschung". In: Zeitschrift für Theaterpädagogik. Korrespondenzen 22 (2006), H. 48, S. 35-72; Romi Domkowsky: Erkundungen über langfristige Wirkungen des Theaterspielens. Eine qualitative Untersuchung. Auf Spurensuche. Saarbrücken: VDM 2008; Vanessa-Isabelle Reinwald: "Ohne Kunst wäre das Leben ärmer". Zur biografischen Bedeutung aktiver Theater-Erfahrung. München: Kopaed 2008; Susanne Keuchel: Das Theaterpublikum von morgen – Ist-Stand und Potentiale. In: Zeitschrift für Theaterpädagogik. Korrespondenzen 24 (2008), H. 53, S. 13-16.

  10. Vgl. Ulrike Hentschel: Theaterspielen als ästhetische Bildung. Über einen Beitrag produktiven künstlerischen Gestaltens zur Selbstbildung. Berlin Milow Strasburg: Schibri 2010 (3. Auflage).

  11. Vgl. Ute Pinkert (Hg.): Körper im Spiel. Wege zur Erforschung theaterpädagogischer Praxen. Berlin Milow Strasburg: Schibri 2008.

Lizenz

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Dr. Ole Hruschka ist Studienleiter des Faches Darstellendes Spiel am Deutschen Seminar der Leibniz Universität Hannover.

Prof. Dr. Florian Vaßen ist Hochschullehrer für Literatur- und Theaterwissenschaft sowie für Darstellendes Spiel am Deutschen Seminar der Leibniz Universität Hannover.