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Nachhaltige Entwicklung als kulturelle Herausforderung | Kulturelle Bildung | bpb.de

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Nachhaltige Entwicklung als kulturelle Herausforderung

Eva Leipprand

/ 20 Minuten zu lesen

Wir wissen eigentlich alle Bescheid, dass wir ein Problem haben, darüber lesen wir jeden Tag in der Zeitung. Und wir tun ja auch was, wir fahren öfter mal Fahrrad und kaufen Energiesparlampen. Das Klima wandelt sich unerbittlich, aber irgendwie will uns nichts anderes einfallen, als was wir schon immer gemacht haben… Eva Leipprand schreibt über die Kluft zwischen Wissen und Handeln, die nötige Veränderung von Denkmustern, die Grenzen des Fortschritts und des Wachstums und das gute Leben – und was das alles mit kultureller Bildung zu tun hat.

Aufführung der Clownin Antoschka beim Didaktik-Dialog "Zukunft ist jetzt!" Kulturelle und politische Bildung für nachhaltige Entwicklung im November 2011, Berlin. (© Laure Gilquin/bpb)

Zu Anfang will ich Ihnen eine Geschichte erzählen.
Sie handelt von der Osterinsel – mitten im Pazifik gelegen, ein Paradies, mit riesigen Palmen bewachsen. Um 900 n. Chr. erreichten die ersten Menschen, Polynesier, die Insel. Sie lebten ohne Sorgen, bauten seetüchtige Kanus, legten Felder an, ernährten sich von Vögeln und Fischen, waren fruchtbar und mehrten sich. Sie entwickelten eine blühende Kultur, eine Theokratie mit klaren Regeln für die Gemeinschaft. Sie schlugen riesige Steinskulpturen aus den Felsen und stellten sie auf, als Zeichen der Bedeutung ihrer Häuptlinge, und da es verschiedene Sippen gab, entstand ein Wettbewerb um die größten Figuren, die mit Hilfe von viel Palmen-holz transportiert und aufgerichtet wurden. - 800 Jahre später betraten die ersten Europäer die Insel, Captain Cook mit seinem Schiff. Sie trafen auf eine erschreckende Szenerie. Es gab keinen einzigen Baum mehr und nur noch wenige Bewohner in einem elenden Zustand. Und Ratten. Dazu unzählige gigantische Skulpturen, einige noch aufrecht, die anderen umgefallen und zerbrochen.

Diese Geschichte erzählt Jared Diamond in seinem Buch "Collapse"; darin schildert er Kulturen, die aufgrund von unterschiedlichen Faktoren, insbesondere selbstverursachter Umweltschäden, unter Druck gerieten und untergingen.

Hier muss zunächst der Begriff "Kultur" definiert werden:: "Kultur" wird meist in zweierlei Bedeutung verwendet – im weiteren Sinne als der Gesamtkomplex, der Religion, Wissenschaft, Kunst, Moral, Gesetze, Gewohnheiten und Gebräuche enthält, das, was der Mensch als Teil einer Gesellschaft erlernt und auch an die nächsten Generationen weitergibt. Die Kultur bestimmt die Art und Weise, wie der Mensch die zunächst chaotische erscheinende Welt wahrnimmt und für sich ordnet. Wie er sich in der Welt heimisch macht.

Kultur im engeren Sinne (die Künste) liefert die Bilder, Erzählungen, Musik, auch Design und Architektur, mittels derer die kulturellen Codierungen geschaffen, erhalten oder verändert werden können. Das ist die Sprache, mit der eine Gesellschaft über sich selbst reflektiert. Hier entstehen und vergehen die Symbole und Wertsysteme, die Normen, die unsere Gesellschaft bestimmen und zusammenhalten.

Kulturelle Kodierungen

Bei Diamond geht es um Kultur im weiteren Sinne. Er beschreibt in seinem Buch auch, wie manche Kulturen es schaffen, sich an eine veränderte Situation anzupassen und damit zu überleben (z. B. Japan mit seinem Aufforstungsprogramm im 16. Jahrhundert; Holland als Polderland; die Inuit als Jäger und Fischer unter extremen Bedingungen).

Sehen wir uns unsere eigene Gesellschaft an.

Es geht uns gut, wir haben uns in den letzten zweihundert Jahren rasant vermehrt, wir haben eine blühende Kultur geschaffen. Mit unserem Erfindergeist optimieren wir unablässig unsere Lebensbedingungen. Wir glauben an das Wachstum, wir produzieren immer mehr, mehr Autos, mehr T-Shirts, mehr iPhones, wir kaufen einen neuen noch größeren Flachbildschirm, um mit dem Nachbarn mitzuhalten oder ihn womöglich zu übertreffen, und dabei verbrauchen wir unsere Ressourcen und bringen die Gletscher zum Schmelzen und den Meeresspiegel zum Steigen, und es ist durchaus vorstellbar, dass, wenn es in zweihundert Jahren Außerirdische auf diesen Planeten verschlagen sollte, diese sich ähnlich wundern müssen wie seinerzeit Captain Cook auf der Osterinsel. Wie konnten die nur so dumm sein?

Wir müssen aber annehmen, dass die Männer, die auf der Osterinsel die Bäume fällten, so lange, bis keiner mehr übrig war, keineswegs dumm waren, sondern in ihrer Kultur verhaftet; dass sie in der Gewissheit handelten, das Richtige zu tun. Auf jeden Fall fiel ihnen nichts anderes ein. Und genauso ist es heute. Wir wissen ja eigentlich alle irgendwie bescheid, dass wir ein Problem haben, ein ziemlich großes sogar, darüber lesen wir jeden Tag in der Zeitung. Und wir tun ja auch was, wir fahren öfter mal Fahrrad und kaufen Energiesparlampen. Aber das Klima wandelt sich unerbittlich, und bald ist die Nordwestpassage ganz eisfrei. Gerade erreichen uns neue deprimierende Zahlen: Der CO2-Ausstoß steigt weltweit erneut kräftig an, alle bisherigen Bemühungen scheinen ins Leere zu laufen. Und wir kennen die Folgen. Aber irgendwie will uns nichts anderes einfallen, als was wir schon immer gemacht haben, das war doch immer gut und hat uns weit gebracht.

Die Kluft zwischen Wissen und Handeln

Es gibt eine Kluft zwischen Wissen und Handeln, und diese Kluft ist auch und wesentlich eine kulturelle. Wir nehmen unsere Umgebung und unser eigenes Handeln nicht objektiv wahr, sondern durch die Brille unserer kulturellen Vorstellungen. Diese Vorstellungen haben wir entwickelt, um besser überleben zu können. Sie waren ein Wettbewerbsvorteil in der Evolution. Sie haben unsere Art ungeheuer erfolgreich gemacht, mit 7 Milliarden beherrschen wir die Welt. Aber genau durch diesen Erfolg hat sich die Situation grundsätzlich verändert. Und nun sind es diese Vorstellungen, die uns blind machen; sie hindern sie uns daran, zu erkennen, was wir jetzt tun müssen, um unsere Zukunft zu sichern. Da können uns die Naturwissenschaftler noch so viel Zahlenmaterial aufhäufen, wir sind bislang nicht in der Lage, adäquat zu reagieren. Deshalb habe ich heute hier auch darauf verzichtet, Sie mit Diagrammen zu Klimawandel und Ressourcenverschwendung zu erschrecken. Wir wollen lieber über die kulturelle Herausforderung reden, vor der wir stehen.

Harald Welzer, Sozialpsychologe, beschreibt in seinem faszinierenden Essay "Mentale Infrastrukturen. Wie das Wachstum in die Welt und in die Seelen kam", das menschliche Gehirn als ein "biokulturelles Organ", "dessen Entwicklungsbedingungen nicht allein biologische, sondern immer auch kulturelle sind." Es kommt nicht nur auf unsere Gene an, sondern auch darauf, was wir denken. "Lebenswelten sind nicht nur durch materielle und institutionelle Infrastrukturen bestimmt, sondern auch durch mentale". Welzer legt dar, dass die Vorstellung von immerwährendem Wachstum erst mit der Industrialisierung entstehen konnte, mit der ständig steigenden Nutzung fossiler Energien. Infolgedessen begann auch der Mensch sich selbst als ein Wesen zu verstehen, das immerfort wachsen muss, das sich selbst nicht genügt, sondern sich unter Druck setzen, etwas aus sich machen muss. Dem mittelalterlichen Menschen wäre diese Vorstellung fremd gewesen. Heute ist nichts jemals fertig, die Arbeit hört niemals auf. Wir alle können das an uns selbst beobachten. Das ist die Mentalität des homo oeconomicus. Insbesondere in der Nachkriegszeit wurde Wachstum zum entscheidenden Paradigma – nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch für den Staat, um die steigenden Bedürfnisse seiner Bürger befriedigen zu können. Stetiges Wachstum galt – und gilt bis heute - als Voraussetzung für soziale Gerechtigkeit und Frieden. Der Konsum wird dabei zunehmend zur Sinnstiftung, zur Erweiterung des Selbst, die Ware erhält symbolischen Wert. Und dabei verbraucht der Mensch die Ressourcen der Erde, zunächst da, wo er lebt, dann durch immer weiteres geografisches Ausgreifen, und jetzt, nachdem die Endlichkeit der Welt sichtbar geworden ist, zehrt er die Zukunft auf, die Chancen der kommenden Generationen.

Wollen wir diesen Prozess stoppen oder wenigstens verlangsamen – und das ist unabdingbar – müssen wir uns mit den mentalen Strukturen des homo oeconomicus befassen. Wir brauchen einen kulturellen Wandel. Wichtig ist dabei zu sehen, dass die mentalen Strukturen des homo oeconomicus nicht gottgegeben sind. Dass sie in dieser krassen Form erst in den letzten zweihundert Jahren entstanden und somit nicht, wie oft gesagt wird, angeboren sind.

Die Veränderung von Denkmustern

Dass der Mensch Denkmuster verändern kann, und zwar sehr schnell, können wir – wenn wir etwas älter sind - alle an uns selber feststellen – der radikale Wandel unseres Alltags innerhalb der letzten zwanzig Jahre, durch die Medien, das Privatfernsehen, die Allgegenwart von Computer und Internet, die Werbung mit ihren subtilen Botschaften vorgedrungen bis in den letzten Winkel. Die Dominanz des Ökonomischen, der flexible Arbeitnehmer, die Auflösung der Familien, die Ich-AG. Die Veränderung, die wir da erlebten, ist den neuen technischen Möglichkeiten geschuldet, aber auch gemacht, bewusst gemacht – und das ist entscheidend. Es sind ja viele daran interessiert, die Bilder einzuspeisen, die diese Entwicklung vorantreiben und beschleunigen. Nicht nur die Wirtschaft, etwa durch die Werbung, auch die Politik mit ihren Botschaften. Die Helden des Konsums, die kaufen in Zeiten der Krise. Das Verbrauchen als moralische Pflicht. Das Immer-etwas-wollen-Sollen. Damit wird der Kopf eines Kindes gefüllt, das in unserer Gesellschaft heranwächst, so dass es dann, brav wie es ist, ständig etwas Neues haben will, jedes einzelne ein kleiner Wachstumsbeschleuniger.

Wenn man aber Denkmuster und Wertvorstellungen verändern kann, dann muss das ja auch in eine andere Richtung funktionieren, das ist die große Hoffnung. Seit Jahren wird auf die Bedeutung der Kultur für das Leitbild Nachhaltige Entwicklung hingewiesen. Die Studie "Grenzen des Wachstums" des Club of Rome hat im Jahr 1972 vor der ungebremsten Ausbeutung der Ressourcen und der Gefährdung der Ökosysteme gewarnt. Donella Meadows, eine der Autorinnen der Studie, hielt schon damals einen Paradigmenwechsel, also eine Veränderung der kulturellen Normen der westlichen Gesellschaften, für unerlässlich. Der Brundtland-Bericht von 1987, mit dem weltweit der Diskurs über Nachhaltige Entwicklung begann, geht ebenfalls von einem umfassenden Wandlungsprozess aus. Entscheidend in diesem Zusammenhang ist auch die UNESCO-Erklärung zur kulturellen Vielfalt von 2001. Artikel 13 der entsprechenden Konvention von 2005 verlangt die "Integration von Kultur in die nachhaltige Entwicklung".

In Deutschland hat sich unter anderem die Kulturpolitische Gesellschaft frühzeitig mit der kulturellen Dimension der Nachhaltigkeit beschäftigt. 1998 versuchten sich die "Toblacher Thesen" an einer Definition nachhaltiger Schönheit. Das "Tutzinger Manifest" verstand die Kultur als "quer liegende Dimension" zu der Nachhaltigkeits-Trias Ökonomie, Ökologie und Soziales.

Der von der Bundesregierung eingesetzte Rat für Nachhaltige Entwicklung forderte im Jahr 2008 ein "Konzept, die Idee der Nachhaltigkeit zum Thema für Stil, Sinn und Kultur des Lebens zu machen." Seit 2010 arbeitet die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität" und bezieht in ihre Überlegungen auch kulturelle Gesichtspunkte mit ein. Die Frage nach der kulturellen Dimension der Nachhaltigkeit hat also ganz konkret in die Politik Einzug gehalten. Und dies ist ein Zeichen, das Hoffnung macht:. Die dreißig Jahre alte Diskussion hat erneut Fahrt aufgenommen und entwickelt jetzt endlich wachsende Kraft. Eine Transformation unserer westlichen Gesellschaften steht an, und diese Transformation, das ist inzwischen klar, verlangt einen grundsätzlich neuen, einen nachhaltigen Kulturentwurf.

Die große Transformation

Es ist, so denke ich, heute eine weltweite Suchbewegung erkennbar, nach Wohlstand ohne Wachstum, nach dem guten gelingenden Leben, nach dem mit Lust gestalteten Übergang vom industriellen zum solaren Zeitalter. Diese Suchbewegung lässt sich deuten als Element einer kulturellen Evolution, von der viele den Ausweg aus der Krise erhoffen. Die Front der Evolution heute ist nicht das Gen (für eine genetische Evolution haben wir gar keine Zeit), sondern das menschliche Gehirn, dieses "biokulturelle Organ", wie Welzer es nennt. Und dieses Gehirn arbeitet und vernetzt sich, weltweit wird im Kleinen und im Großen über diese Fragen nachgedacht. Die Arbeit an der großen Transformation ist in vollem Gange. Das Internet spielt dabei eine wichtige Rolle. Kein einzelner Mensch, kein Unternehmen, keine Organisation, keine politische Bewegung überblickt das Ganze. Es ist mehr ein Suchen als ein Wissen. Aber eine Ahnung ist da, dass wir vor Herausforderungen stehen, denen mit den bisherigen Rezepten nicht zu begegnen ist.

Dabei ist unsere Sicht begrenzt, wir bewegen uns tastend in einem chaotischen System; wir können nicht sicher sein, dass die Schritte, die wir gehen, die richtigen sind, dass wir am Ende das finden, was der Mensch braucht, um zu überleben. Aber wir können Evolutionäre sein. Wir können unsere Deutungssysteme zu öffnen versuchen und in Bewegung halten, wir können uns bereit machen, auf Unerwartetes, Seltsames, Niedagewesenes zu reagieren. Wir können evolutionäre Kompetenz entwickeln.

Ein erster Schritt ist das, was wir hier gerade zusammen versuchen: nämlich uns der kulturellen Brille bewusst zu werden, durch die wir die Welt sehen.

Das Hamsterrad des Wachstums

Neben den Arbeiten von Harald Welzer hat mir dabei insbesondere das Buch von Tim Jackson geholfen: "Wohlstand ohne Wachstum. Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt." Dieses Buch zeigt die Verstricktheit des Menschen in die Wachstumskultur aus einem etwas anderen Blickwinkel als Welzer, nämlich dem der Wirtschaftswissenschaft. Durch dieses Buch habe ich erstmals begriffen, was im Innersten des Wachstums arbeitet. Der Wachstumsmotor, das ist der Wettbewerb und der ständige Zwang zur Erneuerung, der treibt die Unternehmen an, immer härter, je globaler der Markt wird; er treibt aber auch die Politik an, die das Wachstum braucht, um die steigenden Ansprüche der Menschen zu erfüllen. Denn in einer fatalen Parallele zum Wettbewerb in der Wirtschaft bestimmen Wettbewerb und Wunsch nach Neuem auch den einzelnen Menschen, und keineswegs zufällig. Jackson nennt das die "gesellschaftliche Logik" der Wachstumskultur. Unser Wunsch nach Neuem entspricht dem Zwang der Unternehmen zur Innovation. Ein wichtiges Bindeglied ist die Werbung. Wir müssen ja alle die Produkte wollen und kaufen, die in ständiger Steigerung der Produktion hergestellt werden. Deshalb wird in unserer Konsumkultur Status und Ware untrennbar miteinander verbunden, so dass der Statuswettbewerb zwangsläufig ein Wettbewerb im Anhäufen des Materiellen ist. Ich muss mit den anderen mithalten, um dazuzugehören, sie womöglich übertreffen, um meinen Status zu halten, der sich in materiellem Besitz ausdrückt, und da dem Verbraucher ständig Neues angeboten wird und deshalb die Ansprüche ständig steigen, wird der Wettbewerb auch zwischen den einzelnen Menschen immer härter.

Denken Sie daran, was man heute zum Beispiel als Jugendlicher alles an Ausstattung braucht, um dazuzugehören, nicht nur bei der Kleidung, sondern auch bei den Geräten zur elektronischen Kommunikation. Der westliche Mensch ist allerdings kulturell derart gesteuert, dass er glaubt, dass dieses Kaufenwollen Freiheit bedeutet; dass die Selbstbestätigung, der Lebenssinn, den er sucht, im Materiellen zu finden ist; dass Wettbewerb und Gewinnstreben die menschliche Natur begründen.

Die Glücksforschung sagt uns allerdings: von all dem haben wir so gut wie nichts. Ab einem bestimmten Einkommen steigt das Glücksgefühl nicht mehr, im Gegenteil, es nimmt eher ab. Das heißt: Wir rackern uns ganz vergeblich ab. Oder wie Jackson es ausdrückt: "Wir geben Geld aus, das wir nicht haben, um Sachen zu kaufen, die wir nicht brauchen, um einen Eindruck zu machen, der nicht anhält, auf Leute, die uns eigentlich egal sind." Das Hamsterrad des Wachstums, untrennbar verbunden mit der Konsumkultur, hat uns in die derzeitige Krise geführt – auch in die Schuldenkrise, wir machen diese Schulden ja, um das Wachstum aufrecht zu erhalten – und gefährden die Zukunft der kommenden Generationen. Dass dieser Zustand Wohlstand genannt werden soll, leuchtet nicht ein.

Das gute gelingende Leben

Wenn der Mensch aber im Hamsterrad des Wachstums nicht glücklich werden kann, was will er dann? Was braucht der Mensch, um glücklich zu sein, um zu "gedeihen", wie Jackson sagt, um ein gutes, gelingendes Leben zu führen? Er zählt die Elemente auf, die viele Forschungen und Umfragen belegen: Wohlstand in diesem Sinne bedeutet im Grunde ganz einfache Dinge. Der Mensch fühlt sich einigermaßen sicher und nicht durch zu große Ungleichheit zu einem ständigen Statuswettbewerb gezwungen. Er lebt in einer einigermaßen gerechten Welt und kann sich in seinen Fähigkeiten entfalten, zugleich aber als Teil einer Gemeinschaft fühlen; er kann darin eine Rolle spielen, indem er die Gemeinschaft mitgestaltet und einen sinnvollen Beitrag zu einer gemeinsamen Aufgabe leistet. Leben und Arbeiten befinden sich im Gleichgewicht.

Dieses gute Leben ist im Übrigen kein Rückfall in die Steinzeit – damals war es, nach allem, was man weiß, keineswegs besonders gemütlich und friedlich –, sondern eine Zukunftsvision. Ein gutes Leben für 7 Milliarden Menschen auf der Erde, das muss das große Projekt sein, dem wir alle unsere Kraft und Intelligenz und Kreativität widmen können. Ein gutes Leben für alle, innerhalb der ökologischen Grenzen des Planeten.

Das klingt zu schön, um wahr zu sein. Das klingt nach Gutmenschentum und Naivität. Da wird sofort der Vorwurf laut, der Mensch solle umerzogen werden. Jackson beschreibt aber die Seele des Menschen als eine Quadranten, einen Kreis mit 4 Sektoren: da stehen sich einerseits Egoismus und Altruismus gegenüber, andererseits das Festhalten an der Tradition und die Lust auf Neues. Alle diese Eigenschaften haben sich in der Evolution bewährt – in unterschiedlichen Situationen, in unterschiedlichem Ausmaß. Mal waren die Ellbogen wichtiger, mal der Zusammenhalt in der Gruppe. Mal war es notwendig, wirklich neue Wege zu finden, mal war es sinnvoll, auf das Wissen der Tradition zurückzugreifen. Das Industriezeitalter und die mit ihm einhergehende Konsumkultur haben diese Balance gestört und einseitig, zur Steigerung des Wachstums, auf Innovation und Egoismus gesetzt. Darüber scheinen wir vergessen zu haben, dass der Mensch von Natur aus keineswegs nur auf den eigenen Vorteil bedacht, sondern auch zur Hilfsbereitschaft in der Lage ist, und zwar in hohem Maße, das bestätigt uns die Forschung jeden Tag. Die Fähigkeit des Menschen zur Kooperation dient seinem eigenen Interesse, sie war sein Wettbewerbsvorteil in der Evolution. Als kooperativer Egoist hat er es weit gebracht. Und er wird sich auch in Zukunft an gemeinsamen Projekten beteiligen, wenn er sieht, dass sie dem eigenen Überleben dienen.

Es geht also nicht um Verzicht oder Umerziehung, sondern um Befreiung von einseitigen Vorstellungen, um das Hervorholen vergessener Eigenschaften und Möglichkeiten und eine neue Balance zwischen Gemeinnutz und Eigennutz, um eine Chance für den Menschen, wieder rund und ganz zu sein.

Kulturelle Vielfalt als Ressource für die Zukunft

Wollen wir die eigene kulturelle Brille in ihren Verzerrungen und Beschränkungen erkennen, ist es ebenfalls hilfreich zu schauen, wie es die anderen Kulturen machen. Finden wir irgendwo Antworten auf die Fragen der Welt, die in der jetzigen Situation vielleicht besser passen als unsere? Die helfen könnten, ökologische Grenzen zu akzeptieren, unsere Aktivitäten der Endlichkeit des Planeten anzupassen? Kulturelle Setzungen wie "Macht euch die Erde untertan" oder "Seid fruchtbar und mehret euch" haben sich als überholt erwiesen; es lässt dagegen aufhorchen, wenn ein Staat wie Ecuador 2008 beschließt, die Rechte der Natur in die Verfassung aufzunehmen. Ist da vielleicht jemand klüger? Und verfügt über Bilder und Wertvorstellungen, die wir jetzt gerade brauchen?

Fortschritt war für viele bislang immer ganz selbstverständlich der westliche Weg. Sind wir da nicht ein bisschen einseitig gepolt? Ist Fortschritt überall das Gleiche? Ist unsere Modernität für alle gültig? Ich zitiere aus der "Allgemeinen Erklärung zur kulturellen Vielfalt" der UNESCO:

"Im Lauf von Zeit und Raum nimmt die Kultur verschiedene Formen an. Diese Vielfalt spiegelt sich wieder in der Einzigartigkeit und Vielfalt der Identitäten, die die Gruppen und Gesellschaften kennzeichnen, aus denen die Menschheit besteht. Als Quelle des Austauschs, der Erneuerung und der Kreativität ist die kulturelle Vielfalt für die Menschheit ebenso wichtig wie die biologische Vielfalt für die Natur. Aus dieser Sicht stellt sie das gemeinsame Erbe der Menschheit dar und sollte zum Nutzen gegenwärtiger und künftiger Generationen anerkannt und bekräftigt werden."

Die Erklärung setzt die Vielfalt (Diversität) der Kulturen der Vielfalt der Arten in der Evolution des Menschen gleich. Damit definiert sie ebendiese Vielfalt der Kulturen als eine unverzichtbare Ressource für die Zukunft der Menschheit. Das könnte, zu Ende gedacht, für die westlichen Kulturen ein harter Brocken sein. Unser Weg war doch immer der beste, der einzig mögliche! Vielleicht ist es an der Zeit, gelegentlich vom hohen Ross unserer Überlegenheit herunter zu steigen und uns von anderen eine Scheibe abzuschneiden.

Der Fächer der Optionen

Die Süddeutsche Zeitung brachte am 5. 11. 2011 einen Artikel über die erstaunliche Entwicklung in Lateinamerika. Innerhalb von zwei Jahrzehnten hat man sich dort aus der dunklen Zeit der Diktaturen befreit und kann inzwischen auch wirtschaftlichen Erfolg verzeichnen. Der Kontinent habe offenbar, so der Tenor des Artikels, "den Wandel nicht in Nachahmung, sondern in wachsender Distanz zum westlichen Leitbild geschafft". Experten diskutieren, "ob technischer und zivilisatorischer Fortschritt künftig nicht viel stärker an kulturgeschichtliche Traditionen angeglichen werden müssten". Zitiert wird der Anthropologe Constantin von Berloewen, der von Lateinamerika fasziniert sei, "weil sich der Subkontinent in der zurückliegenden Dekade zur ‚Werkstatt der Weltzivilisation’ entwickelt habe, in der, abseits des Mainstreams‚ erfolgreich nach Antworten zu den neoliberalen Trends der Globalisierung gesucht werde". Das magisch-mythische Denken befähige "die Völker, einen Begriff der Vernunft zu formulieren, der Intuition und Empathie zulasse und die Abstraktion des rationalen Universalismus überwinde, der Grundlage des westlichen Kapitalismus sei." Lateinamerikas neue Konzepte zum "buen vivir" – dem guten Leben – sind dem westlichen Denken in vieler Hinsicht fremd; in der gegenwärtigen Werte- und Klimakrise könnten sie aber auch für Industrienationen Denkanstöße geben.

Dies ist nur ein Beispiel, es gibt viele andere. Viel zitiert wird das kleine Land Bhutan im Himalaya mit seinem "Glücksindex" bzw. dem "Bruttonationalglück". Auch wenn uns das Leben dort völlig unvereinbar mit dem unseren erscheint, so ist es doch wichtig festzuhalten, dass unsere Art zu leben nicht die einzig mögliche und vor allem nicht die allein seligmachende ist. Es gibt einen Fächer der Optionen. Dies wird uns gerade angesichts des Arabischen Frühlings schmerzhaft bewusst. Wir haben die Revolutionen dort mit großer Sympathie begleitet. Aber wenn wir ehrlich sind, haben viele von uns ganz selbstverständlich angenommen, dass die Sehnsucht nach Freiheit, die sich dort Bahn brach, sich unserer westlichen Werte und Vorstellungen bedienen wird. Und nun ist von Scharia die Rede und von islamischen Banken, die keinen Zins nehmen dürfen. Unsere Enttäuschung entspringt unserer Naivität, ist unseren kulturellen Scheuklappen geschuldet. Angesichts der Entwicklung kommt auch Angst auf. Die sollte uns aber nicht davon abhalten, zu erkennen, dass es mehr Möglichkeiten gibt, als wir denken.

Erstaunlich erschien uns auch das kleine Land Norwegen in seiner Reaktion auf den Terrorangriff eines Rechtsextremen am 22. Juli diesen Jahres. Da wurde nicht nach Vergeltung gerufen wie nach 9/11 in den USA, auch nicht nach mehr Sicherheit auf Kosten der Freiheit, wie bei uns. Dort stützte und tröstete man sich gegenseitig und hielt zusammen und demonstrierte mit Millionen von Rosen, dass man dem Terror keinen Raum geben wollte. Eine reife, eine zukunftsfähige Reaktion, die wohl nur in einer Kultur der Offenheit und Solidarität möglich ist. In Oslo manifestierte sich ein Wir, das keinen Gegner braucht, ein Wir, das zusammensteht für ein gemeinsames Projekt. So ein Wir brauchen wir auch für das große gemeinsame Zukunftsprojekt einer Nachhaltigen Entwicklung. Wie können die jetzt 7 Milliarden Menschen auf einem endlichen Planeten ein gelingendes Leben führen? Für dieses Projekt müssen wir Menschen weltweit alles zusammennehmen, was wir wissen – aus allen Kulturen, aus der Vergangenheit; mit dem Wissen und den Möglichkeiten von heute, mit aller verfügbaren Kreativität für die Zukunft. Das darf und soll nicht heißen, die eigene Kultur über Bord zu werfen. Im Gegenteil: nur wer in der eigenen Kultur verwurzelt ist, kann sich anderen angstfrei öffnen. Auch unsere eigene Kultur ist Teil der weltweiten Vielfalt, von der die UNESCO-Konvention spricht, und verdient es, geschützt und bewahrt zu werden. Wenn diese Konvention die Vielfalt der Kulturen eine "Quelle des Austauschs, der Erneuerung und der Kreativität" nennt, dann regt sie auch an, in der Vielfalt die Einheit zu erkennen, das gemeinsame Interesse des globalen Wir. Das zu lernen und zu spüren, das eigene Unverwechselbare in Wechselwirkung mit dem großen Ganzen, das ist eine zentrale Aufgabe für die Zukunft. Das ist die Kulturleistung, die wir erbringen müssen.

Die Rolle der Kulturellen Bildung

Was hat das alles mit unserem Thema zu tun - "Kulturelle und politische Bildung für nachhaltige Entwicklung"? Natürlich alles, wir sind schon mitten drin. Die Aufgabe ist formuliert, die Frage ist nun, wie wir sie umsetzen. Konkret, heute, hier bei uns. Dazu müssen wir den ganz großen Horizont wieder ein bisschen auf unser Land fokussieren. Und auf uns hier auf dieser Tagung. Was kann - oder auch muss – die Kulturelle Bildung tun, um die Nachhaltige Entwicklung zu befördern? Am Freitag wird es hier mit Sicherheit sehr interessante konkrete Beispiele geben. Heute möchte ich nur kurz einige Schlussfolgerungen aus dem vorher Gesagten ziehen.

Bei der letzten Sitzung der vorhin erwähnten Enquete-Kommission des Bundestages "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" am 7. November gab der Präsident der Deutschen UNESCO-Kommission, Walter Hirche, einen Bericht. Darin betonte er, dass Bildung "eine der zentralen Strategien zum Erreichen von Nachhaltigkeit" sei und dass sich "die Ausrichtung am Prinzip der Nachhaltigen Entwicklung zwingend auch in den Bildungssystemen niederschlagen" müsse. Eine solche Bildung fördert Gestaltungskompetenz; sie "versetzt Menschen in die Lage, Entscheidungen für die Zukunft zu treffen und dabei abzuschätzen, wie sich das eigene Handeln auf künftige Generationen oder das Leben in anderen Weltregionen auswirkt." (Externer Link: www.bne-portal.de).

Gut und richtig; aber wie lassen sich derart komplexe Lernziele vermitteln? Das ist ja gar nicht so einfach. Im März 2011 wurde im Auftrag des Umweltbundesamtes eine Studie erstellt mit dem Titel: "Einblick in die Jugendkultur. Das Thema Nachhaltigkeit bei der jungen Generation anschlussfähig machen". Wesentliche Ergebnisse der Studie: Jugendliche fühlen sich durch die Komplexität der globalen Probleme und die Fülle der Fakten überfordert. Verbunden mit dem Gefühl der Ohnmacht führt dies oft zu Resignation und Rückzug in den privaten Bereich. Nachhaltige Verhaltensweisen und Ideen sind bislang nicht in die jugendlichen Lebenswelten integriert. Es fehlt an Bildern, Leitbildern, an positiven, mobilisierenden Emotionen. Mit der Ratio allein ist die Kluft zwischen Wissen und Handeln nicht zu überbrücken.

Die Studie bestätigt: Will man Jugendliche (und das gilt auch für Kinder und Erwachsene) für die Mitarbeit bei der Nachhaltigen Entwicklung gewinnen, dann darf die kulturelle Dimension nicht fehlen. Alle Sinne müssen einbezogen werden, das Emotionale, das Schöpferische. Die Frage der Werte, der Einstellungen, der Haltung zur Welt. Nur dann lassen sich Vorstellungen und Lebensstile tatsächlich verändern. Es geht ja, wie vorhin gesagt wurde, darum, auch einmal die kulturelle Brille zu wechseln. Sich aus den übermächtigen Bildern der Konsumkultur zu befreien, andere Kulturen als Bereicherung zu erfahren. Es geht um eine positive Zukunftsvision: nämlich ein gutes gelingendes Leben für sich selbst zu entwerfen, und zwar so, dass es das gute gelingende Leben der anderen nicht beeinträchtigt. Und auch den Erhalt der Ökosysteme für zukünftige Generationen mit einschließt. Für einen solchen Lebensentwurf – der für jeden Einzelnen unterschiedlich aussehen wird - ist in der Tat Kreativität gefragt, die Fähigkeit, sich immer wieder neuen Bedingungen anzupassen. Das eigene Projekt ist dabei Teil des großen, gemeinsamen Projektes. Es bietet die Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen und dies auch als Chance für die eigene Entfaltung und Erfüllung zu erleben; es bietet die Erfahrung, ein sinnvoll mitgestaltender Teil der Gesellschaft zu sein, sich auch als Teil eines weltweiten Menschheits-Wir zu erleben, das den Einsatz aller Kräfte lohnt. Und keiner muss sich dabei ohnmächtig fühlen und vor der Größe der Aufgabe in die Knie gehen. Derzeit diskutierte Vorstellungen von kollektiver oder Schwarmintelligenz können hilfreiche Bilder bieten. Auch wenn der Einzelne als kleiner Teil des großen Ganzen nicht den vollen Überblick hat, kommt es trotzdem darauf an, was er tut. Jeder kann mithelfen, und sei sein Beitrag noch so klein. Vielleicht ist das ja gerade der entscheidende Schmetterlingsflügelschlag.

Kulturelle Bildung für "nachhaltige" Kompetenzen

Aus alledem folgt, dass für eine kulturelle Bildung, die sich der nachhaltigen Entwicklung verschreibt, Partizipation ein Kernelement sein muss. Der kulturelle Wandel kann nur als zivilgesellschaftliches Projekt funktionieren. Es geht darum, im einzelnen Menschen und in der Gesellschaft, von der Kita bis zur Erwachsenenbildung, diejenigen Kompetenzen zu stärken, die wir für den Übergang in die postindustrielle Gesellschaft brauchen. Und hier kommt jetzt auch die Kultur im engeren Sinne ins Spiel, das Malen, das Schreiben und Lesen, die Musik, der Tanz, Foto und Film; das Wahrnehmen, das Formen und Gestalten. Die Entfaltung der Kreativität, der weite Raum der Möglichkeiten.

Als Zusammenfassung des vorher Gesagten und als Diskussionsgrundlage hier ein Vorschlag, was solche "nachhaltigen" Kompetenzen sein könnten:

  • die eigene Kultur als Teil der weltweiten Vielfalt und gleichzeitig als besonderen und unverwechselbaren Ort zu erleben, an dem man sich verwurzelt und zu Hause fühlt. Das Zuhausesein in der eigenen Kultur ist Voraussetzung für fruchtbare interkulturelle Erfahrung.

  • den Umgang mit der Natur auch als eine kulturelle Aufgabe wahrzunehmen und dabei überkommene Denkmuster (z. B. das Recht auf Ausbeutung der Natur) zu überprüfen. Das bedeutet, nach allen Seiten offen zu sein, sich auf das Unbekannte einzulassen, das Ungewisse auszuhalten.

  • sich anderen Kulturen zu öffnen und ihre Vielfalt als eine Ressource für die Zukunft der Menschheit zu erkennen, zu schützen und zu nutzen. Dies bedeutet auch, die kulturelle Bedingtheit des eigenen Handelns zu hinterfragen und Angebote anderer Kulturen in die Transformationsstrategien einzubeziehen.

  • Zufriedenheit, Glück, Erfüllung nicht nur im Materiellen zu suchen, sondern in den Möglichkeiten zum eigenen kreativen Tun und der Teilhabe am kulturellen Leben, Sinn zu finden in gemeinsamen Aufgaben.

  • die Perspektive auch des anderen einnehmen zu können, gerade auch in Fragen globaler Gerechtigkeit; vernetzt zu denken und zu fühlen; ein Wir-Gefühl in der Gemeinschaft zu entwickeln bis hin zum globalen Wir der Menschheit insgesamt.

  • den Weg in die Zukunft in diesem Sinne als einen weltweiten Suchprozess zu begreifen, Anpassungsfähigkeit zu entwickeln und selbst Verantwortung für die Zukunft des Planeten zu übernehmen.

Ich freue mich sehr, darüber mit Ihnen in Austausch zu treten.

Vortrag vom 17. November 2011 beim Didaktikdialog "Zukunft ist jetzt!" Kulturelle und politische Bildung für Nachhaltige Entwicklung, eine Tagung der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) in Kooperation mit der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (bkj)

Fussnoten

Seit 2008 ist Eva Leipprand im Vorstand der Grünen Stadtratsfraktion in Augsburg und daneben im Vorstand der Kulturpolitischen Gesellschaft, im Vorstand des Kulturausschusses Bayerischer Städtetag, im Verband Deutscher Schriftsteller (Beirat Landesverband Bayern) und Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Kultur Bündnis 90/Die Grünen.