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"Kulturelle und politische Bildung sollen sich nicht gegenseitig kolonialisieren" | Kulturelle Bildung | bpb.de

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"Kulturelle und politische Bildung sollen sich nicht gegenseitig kolonialisieren" Interview mit Dr. Helle Becker

Helle Becker

/ 7 Minuten zu lesen

Zwischen kultureller und politischer Bildung gibt es Schnittmengen – aber auch erhebliche Unterschiede. Beide Bereiche arbeiten schließlich mit verschiedenen Gegenständen, und sie bringen auch jeweils andere Kompetenzen hervor. Dennoch bergen sie gemeinsam genutzt große Chancen für Bildungsprojekte, so die Kultur- und Erziehungswissenschaftlerin Helle Becker.

Wo hört die kulturelle Bildung auf, und wo fängt die politische Bildung an? (© ullstein bild - Schroth)

Wie definieren Sie politische Bildung?

Politische Bildung vermittelt das Verständnis von politischen Zusammenhängen, wie zum Beispiel der Mechanismen von Macht und Herrschaft. Sie fragt, wie das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft aussieht, wie und mit welcher Legitimation gesamtgesellschaftlich verbindliche Entscheidungen getroffen werden können. Sie folgt dabei einem Idealbild der demokratischen Polis, einer sich selbst regierenden Bürgergemeinschaft, die auf der Basis von Werten wie Frieden, Solidarität, Gleichheit und Gerechtigkeit funktioniert. Politische Bildung will politisches Verständnis, Urteilskraft und politische Handlungsfähigkeit vermitteln. Dafür kann sie sich nicht nur am Individuum, sondern muss sich am Allgemeinen ausrichten. Ihre Erkenntnisse und Handlungsoptionen müssen daher diskursiv vermittelbar, verbindlich und möglichst konsensfähig sein.

Wären diesem Verständnis nach Formen von Bildung, in denen es darum geht, Konflikte auszutragen, keine politische Bildung?

Wenn es um Konflikte geht, die sich auf soziale Individualbeziehungen beziehen, dann sehe ich darin noch keinen Bezug zur Politik. Soziale Beziehungen oder soziales Handeln werden dann zu politischen, wenn das Zusammenleben der Menschen als solches zum Problem wird. Soziales Handeln ist dann politisches Handeln, wenn es gesamtgesellschaftlich verbindliche Regelungen bezweckt, sagt Max Weber.

Wo liegt für Sie die Schnittstelle von politischer und kultureller Bildung?

Eine Schnittstelle von kultureller Bildung und politischer Bildung sind meiner Ansicht nach soziale Bildungsprozesse. In beiden Bildungsbereichen besteht die Möglichkeit, Kompetenzen zu erwerben, die auch transferfähig sind. Insofern fördert kulturelle Bildung quasi propädeutisch Kompetenzen, die auch für die politische Bildung wichtig sind. Aber ich sehe Bildung als ein Dreieck bestehend aus demjenigen, der Selbstbildung betreibt, demjenigen, der ihm das ermöglicht, und dem Dritten, dem Sachgegenstand, auf den die beiden sich beziehen. Ich sehe einen Unterschied, ob dieser Sachgegenstand Kunst und Kultur ist und sich darauf bezieht, was man an und mit Kultur lernen kann, oder ob er Politik oder Politisches ist.

Wie steht es mit Projekten, bei denen mit Mitteln der kulturellen oder künstlerischen Bildung politische Inhalte diskutiert oder besprochen werden? Würden Sie sagen, dass es sich dabei um politische Bildung handelt?

Zunächst einmal halte ich eine kategoriale Unterscheidung in politische und kulturelle Bildung für sehr wichtig. Beide Bildungsbereiche haben unterschiedliche Gegenstände, mit denen sie zu tun haben, und sie bringen auch unterschiedliche Kompetenzen hervor. Aus fachlicher Sicht sind diese Aspekte dringend zu unterscheiden.

Ich finde aber auch, dass dies hervorragend geht. Die Unterscheidung zwischen "Mitteln kultureller Bildung" und "Mitteln politischer Bildung" ist allerdings nicht der entscheidende Punkt; diese ist oft gar nicht gerechtfertigt. Beide pädagogischen Bereiche bedienen sich eines bestimmten Methodenreservoirs außerschulischer Bildung, und dieses Reservoir ist oft ähnlich. Selbst inhaltlich kommen sich beide häufig nahe. Aber dennoch würde man ja bei politischer Bildung, die sich z.B. mit Kulturpolitik befasst, nicht sagen, dass es sich um kulturelle Bildung handelt. Genauso wenig ist kulturelle Bildung, die Politisches thematisiert, automatisch politische Bildung.

Die Frage ist doch, mit welcher pädagogischen Absicht methodische und inhaltliche Entscheidungen gefällt werden. Geht es darum, politisches Wissen zu vermitteln und politische Erkenntnisse zu fördern? Oder geht es darum, künstlerisches Gestalten anzuleiten und ästhetische Erkenntnisse zu ermöglichen? Oder sollen Bildungsprozesse vorbereitet werden, indem Interesse geweckt oder ein Gruppengefühl gestärkt wird oder indem Kommunikationsfähigkeiten von Teilnehmern gefördert werden? Oft sind die Momente sozialer, kultureller oder politischer Bildung in der Praxis, also in den individuellen Bildungsprozessen der Teilnehmer, nicht sauber voneinander zu trennen. Aber es macht konzeptionell einen Unterschied, ob ich als derjenige, der eine Bildungssituation gestaltet, die Intention habe, politische Bildung zu machen oder kulturelle Bildung. In dem Moment, wo ähnliche Methoden mit einem anderen Gegenstand verbunden werden, sind sie nicht mehr dasselbe.

Wir gehen in der außerschulischen Bildung zwar von der Vorstellung einer moderierten Selbstbildung aus und arbeiten insofern prozessoffen. Aber ich halte es natürlich auch für falsch zu glauben, dass der "Output" oder "Outcome" beider Bildungsbereiche der gleiche sei. Ich würde dabei so weit gehen dieses sogar für Kompetenzen zu sagen, die man gewöhnlich als transferfähige "Schlüsselkompetenzen" bezeichnet, die man in verschiedenen Bereichen lernen kann. So sind die Fähigkeiten, diskursiv und auf einen Konsens ausgerichtet zu diskutieren, Meinungen auszutauschen oder sich politische Urteile zu bilden, spezifische Kompetenzen für den politischen Diskurs. Es gibt meiner Meinung nach eine Art des politischen Muts, der etwas anderes ist als ästhetischer Mut. Oder nehmen Sie bestimmte Einstellungen, Bereitschaften und Dispositionen, die das Ziel politischer Bildung – und nur dieser – sind.

Können Sie dafür ein Beispiel geben?

Wir haben heute von einem Projekt – eines Trägers der kulturellen Bildung! – gehört, bei dem in einer ostdeutschen Stadt Jugendliche sich mit der Frage auseinandergesetzt haben, wie sie kommunikativ gegen rechtsradikale Tendenzen in ihrer Stadt vorgehen können. Das Projekt hatte eine politische Intention, der Ausgangspunkt war eine klar gestellte politische Aufgabe, nämlich eine Gegenöffentlichkeit herzustellen. Die Jugendlichen haben sich dann selbst überlegt, was sie tun könnten und mit welchen Mitteln. Sie sind darauf gekommen, dass sie die Öffentlichkeit mit Bildern, Sprüchen, Zeitungen und Symbolen erreichen wollen. Dies ist ein Zeichen-Reservoir, das sich aus der Kultur, und natürlich auch aus der kulturellen Bildung speist. Aufgrund der eindeutigen pädagogischen Intention handelt es sich meiner Ansicht nach jedoch noch nicht um ein Projekt kultureller Bildung, sondern um eines politischer Bildung.

Ein anderes Beispiel ist die Arbeit mit rechtsradikaler Musik oder, auch umgekehrt, linkem Hip-Hop. Dies sind kulturelle und künstlerische Produkte, die von zwei Seiten unterschiedlich betrachtet werden können. Während sich die kulturelle Bildung mit ästhetisch-künstlerisch-kulturellen Fragen in diesem Bereich beschäftigt – die übrigens keine unpolitische sein müssen - , geht es der politischen Bildung darum, vom politischen Inhalt der Musik auszugehen, die politischen Perspektiven zu prüfen und die kritische Analyse zu üben.

Zugegeben, es ist anstrengend und schwierig, so genau zu differenzieren, aber ich bin der Ansicht, dass es sich lohnt. Je besser man hier unterscheidet, umso wirkungsvoller kann es sein, die Bereiche miteinander ins Verhältnis zu setzen, zum Beispiel innerhalb eines Projektes. Es kann sinnvoll sein, in einer Art vorsprachlichem Raum bestimmte Emotionen oder Haltungen zu thematisieren, etwa mit einem Theaterspiel, und dann davon ausgehend, entweder auf Grund von einer Bereitschaft oder bestimmter Erkenntnisse, überzugehen zur politischen Bildung. Aber dies ist relativ schwierig und stellt hohe fachliche Ansprüche.

Die Bundeszentrale für politische Bildung arbeitet ja auch an der Schnittstelle von kultureller und politischer Bildung. Ein Beispiel dafür ist das Projekt "Next Generation – die Zukunft der Stadt" im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres Ruhr 2010. In sogenannten Zukunftshäusern können Jugendliche aus der Ruhr-Metropole Visionen in Form von eigenen Projekten zur Zukunft ihrer Stadt und Region entwerfen. Unterstützt werden sie von Filmemachern, Theaterleuten, Musikern, Künstlern und politischen Bildnern. – Ist so etwas in Ihren Augen noch politische Bildung?

Immer dann, wenn es bei diesen Projekten um politische Aspekte geht, also wenn bei diesem Beispiel die "Zukunftshäuser" Bereiche wie das Gemeinwesen thematisieren, oder die individuellen Vorstellungen von Leben und dem, was das Gemeinwesen mir dazu bietet, angesprochen werden, handelt es sich um eine sehr gute Form politischer Bildung.

Ich wage aber auch zu behaupten, dass diese Frage – "Handelt es sich hierbei noch um politische Bildung?" – häufig nur deswegen als problematisch angesehen wird, weil Akteure der politischen Bildung bestimmte methodische Vorstellungen davon haben, was politische Bildung sein sollte. Viele sehen hier zum Beispiel eine ganz klare Prämisse des Wissens und der Wissensvermittlung. Politische Mündigkeit wird dann identifiziert mit einem bestimmten Wissensstand, den man haben muss. Leider führt das auch dazu, dass kognitive Eingangs-, quasi Berechtigungs-Voraussetzungen für Partizipation formuliert werden. So wird die Schwelle recht hoch gesetzt, die man braucht, um "partizipationsfähig" zu sein.

Natürlich zielt Bildung auf einen bestimmten Kompetenzerwerb, und dazu gehört auch Wissen. Ich aber gehe als außerschulische Bildnerin davon aus, dass jede und jeder als Subjekt Fähigkeiten, Stärken hat, an denen Bildungsangebote ansetzen können. Das sind die Prinzipien der Anerkennung und "Ressourcenorientierung" der außerschulischen Bildung. Das Wissensprimat fußt auf einer langen aufklärerischen Tradition, die auch ihr Recht hat, doch sie befördert auch Vorurteile oder Vorbehalte, wenn die Grenzen und Methoden der politischen Bildung ausgeweitet werden. Es scheint oft so, dass politische Bildung mit kulturellen Mitteln als so etwas wie "Divertissement" – als schöne Einlage – angesehen wird. Da ist politische Bildung dann schön bunt und lustig, aber eigentlich nicht "richtig" und seriös. Es bestehen Ängste, dass Inhalte eher emotional als kognitiv vermittelt werden und dass dies manipulativ wirken könnte.

Sind diese Vorbehalte denn berechtigt?

Ich wäre da nicht so ängstlich, ich könnte stets noch sagen, wo die politische Bildung anfängt und wo sie aufhört, und was ich mit irgendetwas wollte oder nicht. Es gibt hier auch verschiedene Diskurse – der von mir gerade geschilderte entstammt sehr stark der schulisch geprägten politischen Bildung. In der außerschulischen Kinder- und Jugendbildung, die ich sehr gut kenne, gibt es Massen von supertollen Projekten politischer Bildung, die diese vermeintlichen Grenzübertretungen überhaupt nicht stören und trotzdem ihr fachliches Terrain keinen Deut verlassen.

Ich finde auch, dass es der politischen Bildung gut zu Gesicht stünde, da viel selbstbewusster zu sein. Man sollte auch gar nicht behaupten, dass das, was man tut, etwas mit kultureller Bildung zu tun hat. Es hat etwas mit Kultur, mit kulturellen Medien, meinetwegen auch mit künstlerischen Medien und Ausdrucksformen zu tun. Im Grunde genommen handelt es sich nur um alternative Kommunikationsformen, vom Hip-Hop-Projekt bis zum Theaterfestival. Ich würde sowohl der kulturellen wie der politischen Bildung raten, sich nicht gegenseitig kolonialisieren zu wollen.

Die Fragen stellte Katharina Reinhold. Das Interview fand im Rahmen des Fachkongresses "Kunststück Freiheit" der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung und der Bundeszentrale für politische Bildung am 3. Oktober 2009 in Remscheid statt.

Dr. Helle Becker, Kultur- und Erziehungswissenschaftlerin. Seit 1995 mit dem Büro "Expertise & Kommunikation für Bildung" selbstständig als Wissenschaftlerin, Autorin, Journalistin und Moderatorin, als Projektmanagerin und in der Fortbildung tätig. Arbeitsschwerpunkte u.a.: Bildungstheorie, politische und kulturelle Jugend- und Erwachsenenbildung.