"Film in der DDR – die DDR im Film" – ein Beispiel aus der praktischen Workshoparbeit der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen, Berlin
/ 5 Minuten zu lesen
Mit Film- und Fernsehbildern und historischen Ausstellungsstücken bietet der Workshop "Film in der DDR-die DDR im Film" den Teilnehmenden einen lebendigen und vielfältigen Einblick in Alltag und Filmgeschichte der DDR.
Konnte man im Osten Westfernsehen sehen? Sind alle DDR-Filme Schwarzweiß? Wurde da nicht alles zensiert? Solche und ähnliche Fragen tauchen im Workshop zur DDR-Filmgeschichte immer wieder auf.
Der Workshop "Film in der DDR – die DDR im Film" richtet sich an Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufen I und II, wobei ein Basiswissen der allgemeinen DDR-Geschichte vorhanden sein sollte. In einem entsprechend angepassten Zuschnitt ist der Workshop ebenso für außerschulische Bildungsträger und sogar Universitäten sowie Lehrkräfte und Multiplikatoren geeignet. Ein vorheriger Austausch des durchführenden Referenten mit den Lehrkräften über Vorwissen und evtl. Schwerpunktsetzung ist dabei essentiell.
Während des Workshops wird ein umfassendes Bild der DDR-Filmgeschichte gegeben, wobei sie aus der oftmals verengten Perspektive auf Zensur und Propaganda gelöst wird. Die Darstellung der DDR sowie der Friedlichen Revolution wird hier anhand von Dokumentarfilmen, Spielfilmen und Fernsehsendungen aus Ost und West sowie weiterer Quellen untersucht. Die Herangehensweise ist multiperspektivisch, denn der zeitgenössische Blick von Filmschaffenden und dem DDR-Publikum auf die DDR und ihre politische Situation werden ebenso gezeigt wie die staatlich-offizielle Perspektive und der Blick aus dem Westen. Die Teilnehmenden beschäftigen sich sowohl mit den Ereignissen der "großen Politik" als auch mit der Alltagsgeschichte.
Insgesamt wird der Versuch unternommen, ein breites Spektrum von DDR-Filmen vorzustellen und sie aus oft vorhandenen Wahrnehmungsverengungen zu lösen. Wie viele andere nationale Filmgeschichten präsentiert sich auch die DDR-Filmgeschichte als ausgesprochen vielseitig und dynamisch. Auf Phasen von größerer kultureller Freiheit folgten immer wieder tief greifende Eingriffe durch die Zensur, vor allem bezüglich der so genannten Gegenwartsfilme. Neben künstlerisch Bedeutungslosem stehen ästhetische Meisterwerke, neben Unterhaltung steht politische Instrumentalisierung.
Ablauf des Workshops
Einer Einführung im Seminarraum folgt eine erste Filmanalyse unter filmsprachlichen und zeitgeschichtlichen Aspekten. Anschließend werden im Museum die Workshop-relevanten Teile der Ausstellung vorgestellt, bevor sich mehrere Kleingruppen mit verschiedenen Arbeitsaufträgen die Ausstellung selbst erarbeiten. Zum Abschluss erfolgt eine Auswertung im Seminarrraum.
Zur Einführung des dreistündigen Workshops sieht die gesamte Gruppe einen zehnminütigen Dokumentarfilm, der im Herbst 1989 von einem Filmteam der DEFA (Deutsche Film Aktiengesellschaft) gedreht wurde. In der anschließenden Analyse werden gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern verschiedene Aspekte der Filmsprache und des Inhalts herausgearbeitet. In diesem offenen Gespräch können unter anderem folgende Fragen aufgeworfen und gemeinsam beantwortet werden: Wie verhalten sich die Protestierenden bzw. Interviewten? Wie werden die Vertreter der Staatsmacht dargestellt? Was unterscheidet den Film von aktuellen Dokumentationen (z.B. statische Kameraführung, langsame Schnittfolge, kein Kommentar, dokumentarisch im eigentlichen Sinne)? Das offene Gespräch bietet zugleich die Möglichkeit, den Wissensstand der Schüler bezüglich der DDR-Geschichte im Allgemeinen einzuschätzen und ihnen Möglichkeiten der Filmbetrachtung aufzuzeigen. Es bieten sich Anknüpfungsmöglichkeiten zum heutigen Medienkonsum. Hierbei zeigt sich oftmals, dass die Schülerinnen und Schüler den Film als altmodisch und "verstaubt" wahrnehmen, da die Filmsprache im Vergleich zu den heute meist vorherrschenden schnellen Schnitten sehr langsam und irritierend wirken kann (so z.B. wenn ein Interviewter sekundenlang nur beim Nachdenken gezeigt wird). Dies bietet u.a. die Möglichkeit, generelle ästhetische Fragen des DDR-Films anzusprechen, ebenso wie technische Ausstattung, inhaltliche Vorgaben oder Innovationsfreude.
Anschließend werden im Museum die relevanten Teile der Ständigen Ausstellung des Museums vorgestellt (Filmschaffen im Zeitraum 1945 bis in die Gegenwart). Anhand von Plakaten der publikumsstärksten Filme in Ost- und Westdeutschland wird eine kurze Einführung in die DDR-Filmgeschichte – auch im Vergleich zur Bundesrepublik – gegeben. Zur Sprache kommen dabei Themen wie Austausch und Inspiration zwischen Ost und West (z.B. anhand der sehr unterschiedlichen Indianerfilme mit ihrer oft ideologischen Ausrichtung in der DDR), Umgang mit Filmen aus dem jeweils anderen Deutschland (z.B. Verbot des DEFA-Films "Der Untertan" von 1951 in der Bundesrepublik), antifaschistische Filme uvm.
Themenbezogene Arbeitsgruppen
Je nach Größe der Gesamtgruppe beschäftigen sich im Anschluss bis zu fünf kleine Arbeitsgruppen mit verschiedenen Themen, die in ihrer Gesamtheit einen guten Überblick über das Filmschaffen in der DDR sowie die mediale Aufarbeitung der DDR-Geschichte geben. Einige Arbeitsgruppen verbleiben in der Ausstellung und beschäftigen sich intensiv mit dort gezeigten Filmausschnitten und dazugehörigen Ausstellungsstücken. Dabei konzentrieren sich die Gruppen u.a. auf folgende Themen:
Filmstadt Berlin und antifaschistischer Film:
Funktion der DEFA und Etablierung von Grenzkinos (Kinos in Westberlin nahe der Zonengrenze für das ostdeutsche Publikum).Zensur und staatliche Filmpolitik:
Anhand zweier Filmbeispiele werden die verschiedenen Mechanismen der Zensurpraxis untersucht.Frauen in der DDR:
Geschlechterrollen werden anhand von Filmausschnitten und zusätzlichen Quellen thematisiert.DDR im Spielfilm nach 1989:
Umgang mit und Verarbeitung der DDR-Geschichte werden mittels zweier Filmbeispiele analysiert und die Frage nach den Bedingungen einer gelungenen filmischen Auseinandersetzung aufgeworfen.DDR und Friedliche Revolution im Spiegel der Medien:
Arbeit mit den Beständen des Fernseharchivs der Deutschen Kinemathek (siehe Film- und Recherchetipps). Sendungen der "Tagesschau" und der "Aktuellen Kamera" (ak) des Tages nach dem Mauerfall werden inhaltlich und filmsprachlich verglichen. Ergänzend kommt die politische Instrumentalisierung von Nachrichtensendungen anhand der Sendung "Der schwarze Kanal" zur Sprache.
In der Arbeit der Gruppen sind Film- und Fernsehausschnitte eine besonders wichtige Quelle, da sie viel über zeitgeschichtliche Themen verraten: Kleidung, Wohnformen, Sprache, Habitus, Alltagsprobleme, Werte usw. Gegebenenfalls kann die Darstellung vermeintlicher Realität im Film dabei auch mit anderen Quellen gegengelesen und gerade so eine Diskussion über "Wirklichkeitsabbildung" und Manipulierbarkeit angeregt werden. Neben einer Analyse der Filmsprache sind es gerade diese Elemente, die Film als wertvolle Erweiterung des sonst meist schriftlichen Quellenfundus auszeichnen.
Ausstellungsstücke als Quellen
Zentral ist bei der Workshoparbeit zudem eine Auseinandersetzung mit ergänzenden Ausstellungsstücken wie Briefen, Fotos, Drehbüchern oder Storyboards. Hierbei ist oft eine Hilfestellung zum Verständnis dieser Quellen nötig, da die Schülerinnen und Schüler teils Schwierigkeiten mit bürokratischer, ideologisch durchwirkter bzw. antiquierter Sprache in Dokumenten haben. Hinzu kommt Unkenntnis im Umgang mit historischen Quellen, die jedoch ebenfalls durch eine angemessene pädagogische Begleitung aufgefangen werden kann.
In einer abschließenden Präsentation der Arbeits- und Rechercheergebnisse jeder Gruppe sowie der gemeinsamen Auswertung werden neben diesen Themenbereichen auch frühere Fragestellungen wieder aufgegriffen. Für die Jugendlichen ist es oft eine große Herausforderung, bei der Präsentation ihre individuellen Eindrücke der Filmausschnitte zu schildern und sich von einer reinen Faktenaufzählung oder Inhaltsangabe zu lösen. Gerade hier bietet sich die Kleingruppenarbeit an, um einen individuellen Zugang zu ermöglichen.
Was der Workshop leisten kann
Der Workshop ermöglicht mittels unterschiedlicher Quellen und intensiver Nutzung von Filmausschnitten einen Einblick in die Filmgeschichte der DDR sowie die filmische Auseinandersetzung mit der DDR nach 1989. Wiederholt wird ein Bezug zur Gegenwart und zur aktuellen Medienwelt hergestellt. Auch Schülerinnen und Schüler mit bisher wenig Erfahrung in der Auseinandersetzung mit Filmen erlernen erste Schritte eines kritischen Umgangs mit diesem Medium. Gerade die Interaktivität und das offene Gespräch sowie die angeleitete Kleingruppenarbeit ermöglichen eine individuelle Reflexion der Medienwahrnehmung und schaffen so Möglichkeiten einer Transferleistung zum eigenen Medienkonsum. Auch bieten sich immer wieder Anknüpfungspunkte an schulische Lerninhalte. Eine Vor- und Nachbereitung in der Schule ist dabei wünschenswert.
Zum Workshop "Film in der DDR – die DDR im Film" und zahlreichen weiteren Filmbildungsangeboten finden Sie Informationen unter: Externer Link: http://www.deutsche-kinemathek.de/bildung
InfoRecherche- und Filmtipps
Das Fernseharchiv– ein großer Fundus bewegter Bilder
Das Archiv, Bestandteil der Ständigen Ausstellung des Museums für Film und Fernsehen in Berlin, bietet eine Auswahl von mehreren tausend im Laufe der deutschen Fernsehgeschichte (Ost und West) ausgestrahlten Sendungen, aus denen Einzelbesucher ebenso wie Schulgruppen ihre Favoriten wählen und in voller Länge sichten können. Hinzu kommen Hintergrundinformationen zu der jeweiligen Produktion: zu Regisseuren, Autoren, Schauspielern und vielem mehr. Es finden sich neben Spielfilmen und Dokumentationen ebenso Informations- und Nachrichtensendungen. So kann beispielsweise die Friedliche Revolution 1989 mit Hilfe von deutsch-deutschen Nachrichtensendungen nachverfolgt, oder aber anhand der Bestände des Internet-Archivs Externer Link: www.wir-waren-so-frei.de aus einer nicht-offiziellen Perspektive betrachtet werden.
Ehe im Schatten, Kurt Maetzig, 1947
einer der frühen formal anspruchsvollen antifaschistischen Filme über die Verfolgung des deutsch-jüdischen Filmschauspielers Joachim Gottschalk im NS.
Spur der Steine, Frank Beyer, 1966
der bekannteste und ästhetisch innovative Verbotsfilm mit bekannten Schauspielern.
Die Legende von Paul und Paula, Heiner Carow, 1973
ein unterhaltsamer und phantasievoller Alltagsfilm mit kontroversen Genderrollen.
Jurek Sehrt, Historiker, leitet den Bildungsbereich (Museums-, Medien- und Archivpädagogik) der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen, Berlin. Zudem ist er freischaffend für diverse weitere Kultureinrichtungen und Hochschulen tätig, veranstaltet Fortbildungen und hat diverse Filmbildungsprojekte initiiert und begleitet.
Stefan Zollhauser, Historiker und Sozialpädagoge, arbeitet seit zehn Jahren in der historischen Bildungsarbeit und seit drei Jahren in der Filmvermittlung und als Stadtführer.
Ihre Meinung zählt: Wie nutzen und beurteilen Sie die Angebote der bpb? Das Marktforschungsinstitut Info GmbH führt im Auftrag der bpb eine Umfrage zur Qualität unserer Produkte durch – natürlich vollkommen anonym (Befragungsdauer ca. 20-25 Minuten).
Vielen Dank für Ihre Unterstützung!