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Distanzierung vom Salafismus Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt PrADera

Dr. Robert Pelzer Mika Moeller Corinna Emser

/ 16 Minuten zu lesen

Welche verschiedenen Typen der Hinwendung zum Salafismus gibt es? Welche Faktoren können eine Distanzierung von der Ideologie und der Szene anstoßen? Und welche verschiedenen Distanzierungsverläufe gibt es? Die Wissenschaftler:innen des Projekts PrADera skizzieren die zentralen Ergebnisse ihrer Forschung und leiten daraus Handlungsempfehlungen für Beratung und Präventionsarbeit ab.

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Mittlerweile gibt es in allen Bundesländern Beratungsstellen in staatlicher oder auch zivilgesellschaftlicher Trägerschaft, die Menschen bei ihrem "Ausstieg" aus der salafistischen Szene beziehungsweise ihrer Distanzierung davon unterstützen. Dabei kann zwischen zwei Arten von Beratungsangeboten unterschieden werden: solche, die sich primär an radikalisierungsgefährdete Personen und ihr soziales Nahumfeld sowie an Personen richten, die sich in einem Frühstadium der Radikalisierung befinden (sogenannte sekundäre Prävention). Und Beratungsangebote, die sich an Personen richten, die bereits fest in der Szene verankert sind und gegebenenfalls Straftaten begangen haben (sogenannte tertiäre Prävention). Unter den Letztgenannten arbeiten einige Beratungsstellen in Strafvollzugsanstalten, um extremistische Straftäter:innen bei ihrer Aufarbeitung der Tat, der Distanzierung vom Extremismus und schließlich der Reintegration nach der Haftentlassung zu unterstützen.

Um einen Distanzierungsprozess bestmöglich zu fördern und damit die Gesellschaft vor extremistischen Rückfall-Straftaten zu schützen, ist es notwendig, umfassend zu verstehen, welche Faktoren eine Distanzierung vom islamistischen Extremismus hemmen und welche eine Distanzierung begünstigen.

Mehrere laufende und kürzlich abgeschlossene Forschungsprojekte widmen sich dieser Thematik. Eines davon ist das von 2018 bis 2020 durchgeführte Verbundforschungsprojekt "Praxisorientierte Analyse von Deradikalisierungsprozessen", kurz PrADera. Beteiligt an diesem Forschungsprojekt sind das Forschungszentrum des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), das Kompetenzzentrum für Deradikalisierung des Bayerischen Landeskriminalamts (KomZ) sowie das Zentrum Technik und Gesellschaft der Technischen Universität Berlin (ZTG). Gefördert wurde das Projekt aus den Mitteln des Nationalen Präventionsprogramms gegen islamistischen Extremismus (NPP) vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat.

Ziel von PrADera war es, individuelle Verläufe von Distanzierung besser zu verstehen. Darauf aufbauend sollten verbesserte Ansätze für spezifische Interventionsmaßnahmen abgeleitet werden. Zu diesem Zweck wurden 16 qualitative Interviews mit ehemaligen Mitgliedern der salafistischen Szene geführt. Die Interviewten berichten darin über ihren biografischen Werdegang. Da die vorliegende Thematik sehr persönlich und sensibel ist, wurde in dem Forschungsprojekt besonderer Wert auf den Schutz persönlicher Daten gelegt und sämtliche Datensätze wurden entsprechend anonymisiert.

Zentrale Forschungsfragen waren:

  • Mit welchen biografischen Erfahrungen stehen die Hinwendung zum islamistischen Extremismus und die Distanzierung davon im Zusammenhang?

  • Wie wirken sich Interventionen von Sicherheitsbehörden und von zivilgesellschaftlichen oder staatlichen Trägern der Distanzierungsarbeit sowie weitere äußere Umstände auf den Prozessverlauf aus?

  • Was sind Faktoren, die eine Distanzierung fördern oder umgekehrt hemmen können?

  • Welche unterschiedlichen Formen und Verläufe einer Distanzierung lassen sich beobachten?

Im Folgenden wird zunächst die Anlage des PrADera-Projektes skizziert. Anschließend werden die wesentlichen Erkenntnisse vorgestellt. Interessierte Personen können im Forschungsbericht (Emser et al. i. E.) die umfassende Darstellung der Studie und die Ergebnisse nachlesen.

Datenerhebung

Die Motivationen, sich dem Salafismus zuzuwenden, sind sehr individuell und damit vielfältig. Gleiches gilt für die Beweggründe und den Verlauf der Distanzierung von der Szene. Die Ursachen für die Hin- und Abwendung folgen keinem einheitlichen Muster und sind daher zunächst individuell zu untersuchen. Entsprechend wurde bei der Auswahl der Interviewpartner:innen darauf geachtet, ein möglichst breites Spektrum abbilden zu können. Die Interviews wurden mit Personen geführt, die sich in unterschiedlichen Phasen des Distanzierungsprozesses befanden. Bei einigen lag dieser bereits länger zurück, während andere zum Zeitpunkt des Interviews noch aktiv durch ein Distanzierungs-Beratungsangebot unterstützt wurden.

Den am Projekt beteiligten Institutionen kamen unterschiedliche Aufgaben zu: Die Interviews wurden von den wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen des ZTG und des KomZ geführt. Das ZTG kontaktiere potenzielle Interviewkandidat:innen überwiegend direkt oder über Personen, die im Kontakt zu der Szene standen und bei Interesse einen Kontakt herstellten (zum Beispiel Personen aus dem Bereich der Rechtsberatung oder Prediger). Das KomZ baute Kontakte vor allem über staatliche Beratungsangebote auf. Koordiniert wurde das Forschungsprojekt durch das Forschungszentrum des BAMF.

Ein Teil der Interviewpartner:innen wurde demnach über zivilgesellschaftliche oder staatliche Distanzierungs-Beratungsangebote gewonnen. Maßgeblich für die Teilnahme an einem Interview war, dass die zu interviewende Person und ihr Distanzierungsprozess als stabil eingeschätzt wurden. Ein Interview und die damit einhergehende Reflexion über die eigenen Erfahrungen sollten nicht zu einer psychischen Belastungssituation führen, die einen laufenden Distanzierungsprozess negativ hätte beeinflussen können. Bei Personen, die sich in einem Distanzierungs-Beratungsangebot befanden, wurden dafür die jeweiligen Berater:innen gefragt, ob sie ein solches Interview für den Distanzierungsprozess der Person als unbedenklich einschätzten. Im Falle einer negativen Einschätzung wurde von einem Interview abgesehen.

Um Zugang zu Personen zu erlangen, die eine Distanzierung ohne professionelle Hilfe durch ein Beratungsangebot vollzogen haben, wurden Personen kontaktiert, die mit der Szene oder aus der Szene Ausgestiegenen in Kontakt stehen. Insgesamt konnten so 16 Interviews geführt werden, darunter sechs Frauen und zehn Männer. 14 von ihnen haben oder hatten zuvor an einem Beratungsangebot teilgenommen. Sieben Personen waren aufgrund verschiedener Straftatbestände, die mit ihrer Szene-Mitgliedschaft in Zusammenhang stehen, mindestens einmal inhaftiert. Von den 16 Interviewten waren sieben zum Zeitpunkt ihrer Hinwendung zum Salafismus unter 18 Jahren, sieben waren zwischen 18 und 25 Jahren, und zwei Personen waren bereits 30 Jahre oder älter.

Methodisches Vorgehen

Methodisch orientierte sich das Forschungsprojekt an der sozialkonstruktivistischen Biografieforschung. In diesem Sinne gehen wir davon aus, dass Hin- und Abwendungsprozesse zu beziehungsweise von extremistischen Bewegungen mit bestimmten biografischen Erfahrungen in Verbindung stehen. Ziel war es dementsprechend, mittels qualitativer Forschungsmethoden, "Lebenswelten ‚von innen heraus‘, aus der Sicht der handelnden Menschen zu beschreiben" (Flick, von Kardorff & Steinke, 1995, S. 14). Um dies zu erreichen, wurden sogenannte narrative Interviews mit ehemaligen Szene-Mitgliedern geführt.

Im Gegensatz zu anderen Interviewverfahren zeichnet sich das narrative Interview vor allem durch seine Offenheit aus. Dabei werden die interviewten Personen dazu angeregt, über ihr Leben zu berichten. Ihre Erzählung wird nicht durch konkrete Nach- oder Zwischenfragen unterbrochen. Begonnen wurde jedes Interview mit einer offenen Einstiegsfrage. Diese wies zwar konkret auf die vorliegende Thematik hin, aber ließ in der Beantwortung offen, an welcher Stelle der eigenen Biografie die interviewte Person die Erzählungen beginnen möchte. Die Einstiegsfrage lautete in jeweils an die Person angepasster Form: "Sie [wurden vor kurzem aus dem Gefängnis entlassen und] haben an einem Ausstiegsprogramm teilgenommen, und in Ihrem Leben hat sich in den letzten Jahren wahrscheinlich viel verändert. Wir würden gerne verstehen, was sich in Ihrem Leben verändert hat und wie. Sie können einfach dort beginnen zu erzählen, wo Sie möchten und wo es sich für Sie richtig anfühlt."

Die interviewten Personen reagierten sehr verschieden auf diese Einstiegsfrage und gingen unterschiedlich weit in ihrer Biografie zurück. So begannen einige unmittelbar mit der Geschichte ihrer Distanzierung aus der Szene ("Also ich geh mal dann direkt zurück, weil es ja ein langer Prozess, der hat ja eigentlich schon innerlich bei mir so ein stückweit [...] angefangen, wo ich noch tief quasi in der Szene war, aber … ähm … ich da noch nicht die Mittel oder auch den Weg gefunden hab da rauszukommen" ). Andere setzten in ihrer Kindheit an ("Ich kann auch einfach von Anfang an erzählen; also wirklich von Anfang an. Wie ist es denn angefangen?"). Diese Einstiegserzählung dauerte zwischen 10 und 30 Minuten. Erst wenn die Interviewpartner:innen signalisierten, dass ihre Erzählung beendet ist, wurden Nachfragen zum Erzählten gestellt.

Auf diesen sehr offenen Interviewteil folgte ein leitfadengestützter Nachfrageteil mit konkreten, aber ebenfalls sehr offenen Fragen zu den folgenden Themen: Religion & Ideologie, Politik & Aktivismus, Kindheit & Jugend, Selbstbild & Sinnsuche, Gruppe & Szene, Motivation zum Ausstieg, Wiedereingliederung in die Gesellschaft sowie Rolle der Beratungsarbeit. Konkrete Fragen zielten zum Beispiel auf die Rolle der Ideologie ab: "Welche Rolle spielte Takfir [einem Muslim oder einer Muslimin das Muslimsein absprechen und die Person damit zur Ungläubigen erklären] für Sie?". Andere betrafen das eigene Politikverständnis: "Mich würde interessieren, welche Rolle Politik für Sie gespielt hat. Würden Sie sich als politisch bezeichnen?", "Gab es Ereignisse in Deutschland oder Europa, die Sie besonders bewegt haben?"

Die Interviews wurden aufgezeichnet und in einem nächsten Schritt für die weitere Analyse verschriftlicht, um die verschiedenen Fälle vergleichen zu können. Ziel des Fallvergleichs war es, unterschiedliche Typen für Hin- und Abwendungsprozesse im Bereich des salafistischen Extremismus herauszuarbeiten. Die im Folgenden dargestellten Ergebnisse beschreiben also idealtypische Zusammenhänge von Distanzierungsverläufen, die auf der Analyse der vorliegenden Stichprobe basieren. Es ist daher anzunehmen, dass es weitere Typen von Distanzierungsverläufen gibt, die im Rahmen der 16 untersuchten Fälle nicht abgebildet wurden.

Zentrale Ergebnisse

Hinwendung

Um nachvollziehen zu können, warum eine Person ihr Leben nicht mehr an den "Regeln" des Salafismus ausrichtet, muss man zunächst verstehen, warum der Salafismus zuvor für sie eine stabile Orientierung geboten hat. Der erste Schritt auf diesem Weg ist zu verstehen, aus welcher Motivation heraus sich die Person dem Salafismus zugewandt hat: Was war für sie attraktiv am Salafismus? Welche positiven Auswirkungen hatte es für die Person, einer salafistischen Gruppe anzugehören? Im zweiten Schritt ist es wichtig zu fragen, wie und in welchem Umfang sich die Person die salafistische Ideologie als weltanschauliches Orientierungssystem angeeignet hat: Hat sie den Salafismus nur äußerlich als Regelwerk übernommen oder sich aktiv mit der Ideologie befasst?

Was die biografische Motivation zur Hinwendung betrifft, konnten in den Fallanalysen für das Fallsample von PrADera zwei grundsätzlich unterschiedliche Typen identifiziert werden:

1) Typ "Sinnsuche"
Personen des Typs "Sinnsuche" adaptieren den Salafismus als religiös-ideologisches Sinnsystem, weil ihre Situation gekennzeichnet ist durch das Bedürfnis, Antworten auf zentrale Fragen des Lebens oder Orientierung zu finden. Die Hinwendung kann daher als Bewältigung von biografischen Orientierungsproblemen verstanden werden. Ein besonderes Kennzeichen hierbei ist, dass sich die Personen aktiv auf die Suche nach neuen Orientierungsangeboten machen und dabei mit dem Salafismus in Kontakt kommen. Ein Beispiel für den Typ "Sinnsuche" bildet die folgende Erzählung eines Interviewpartners:

"Also in meiner Schulzeit […], da hab ich einmal coole Freunde gehabt [...] und nach einer Zeit haben sie angefangen viel Blödsinn zu machen, so Einbrüche, dies und das und ich hab mich davon ein bisschen distanziert, aber ich war immer noch mit denen am Chillen, aber gleichzeitig hab ich mich gefragt, das kann doch nicht richtig sein, dass man Einbrüche begeht und andere Sachen und gleichzeitig bei uns in Berlin gab es auch viele Vorträge zum Islam, dies und das von den ganzen Predigern […]. Ok und auf jeden Fall ich war so 19, 20, bin ich zu einigen Vorträgen gegangen, war auch interessant, das waren so Themen wie Hölle, Paradies, guter Charakter, zu den Menschen gut zu sein und diese ganzen Sachen, die haben mich, sag ich einmal, angelockt […]."

Die Interviewten dieses Typs eignen sich den Salafismus aktiv sinnstiftend an, das heißt sie setzen sich mit der Ideologie selbstständig auseinander. Sie übernehmen diese als ein religiöses Sinnsystem, das umfassende Regeln und Orientierungen für die Gestaltung des eigenen Lebens vorgibt. Der Salafismus wird zum "biografischen Handlungsmuster". Das bedeutet, die Personen beginnen ihr Leben aktiv nach den Vorgaben der salafistischen Weltanschauung zu gestalten beziehungsweise umzugestalten. Wie diese (Um-)Gestaltung aussieht, hängt von der subjektiven Interpretation der Personen ab, was sie als salafistisch verstehen und umsetzen wollen.

2) Typ "Lebenskrise"
Auch für die Interviewten des Typs "Lebenskrise" ist die Orientierungslosigkeit oder Orientierungsunsicherheit im Leben der Ausgangspunkt für die Hinwendung zur salafistischen Szene. Im Unterschied zu den Interviewten des Typs "Sinnsuche" beschreiben sich die Personen jedoch als passiv. Sie begeben sich nicht aktiv auf die Suche nach (beispielsweise salafistischen) Angeboten, die Lösungen für die "Lebenskrise" bieten könnten. Ihnen fehlen also Ressourcen zur eigenständigen Bewältigung der Situation.

Bemerkenswert ist, dass die Interviewten dieses Typs in höherem Maße von massiv belastenden Erfahrungen in Schule und Elternhaus und/oder psychischen und anderen gesundheitlichen Problemlagen berichten. Ein Beispiel für die passive Hinwendung zum Salafismus aus einer Lebenskrise bildet die folgende Erzählung einer Interviewpartnerin:

"Es hat angefangen, dass ich damals, als ich jünger war, dass ich damals Depressionen hatte. […] Und dann, ja man ist halt in so ein tiefes Loch gefallen. […] Und dann ist ja damals eine Freundin von mir zum "IS" gegangen. […] Und wir waren halt früher auch öfters, also ich habe sie auch öfters mal gesehen. […] Und da bin ich halt das erste Mal so in diesen Kontakt gekommen, mit denen auch über [ein bestimmtes soziales Netzwerk], habe ich damals etwas gepostet und hat mich auch so ein Typ angeschrieben."

Der Salafismus wird bei diesem Typ äußerlich als System von bestimmten Verhaltensnormen angeeignet, um in einer Lebenskrise Halt zu erlangen. Der Salafismus ist dabei eine Art Vehikel, eigene Handlungsfähigkeit auszubilden. Beispielsweise kann das feste Regelwerk des Salafismus handlungsentlastend wirken, weil die Personen nicht entscheiden müssen, was zu tun oder zu lassen ist, was richtig und was falsch ist. Diese Entlastung wiederum kann zur Stabilisierung der Person führen, die dann auch im Stande ist zu agieren und beispielsweise das "Erlernte" an andere Personen weiterzugeben.

Die beiden Typen unterscheiden sich vor allem auch darin, wie eine Person mit der salafistischen Szene in Kontakt kommt. Charakteristisch für den ersten Typ ist eine aktive Kontaktaufnahme, während bei dem zweiten Typ der Kontakt zur salafistischen Szene (eher) passiv erfolgt – etwa über Personen aus dem sozialen Umfeld oder über On- und Offline-Angebote der salafistischen Szene. Dieser Typ gerät also mehr oder weniger zufällig mit der salafistischen Szene in Kontakt.

Distanzierung

Eine Distanzierung kann durch Ereignisse und Erfahrungen innerhalb oder außerhalb der extremistischen Lebenswelt ausgelöst werden. Soziologisch betrachtet führen diese Erfahrungen zu einer "Krise” des salafistischen Handlungs- und Deutungsmusters, dem eine Person im Zuge seiner oder ihrer Szene-Mitgliedschaft gefolgt ist. Das bedeutet, dass der Salafismus den Personen nicht mehr den Halt oder den Sinn im Leben bieten kann, der motivierend für die Hinwendung zum Salafismus war. Die individuellen Bedürfnisse, die durch den Salafismus gestillt wurden, treten wieder in den Vordergrund oder es entwickeln sich neue Bedürfnisse. Die Bedürfnisse können durch das salafistische Deutungs- und Handlungsmuster nicht mehr im gleichen Maße kompensiert werden wie zum Zeitpunkt der Hinwendung. In der Folge verlieren die salafistischen Konzepte und Orientierungen ihre Gültigkeit. Mit Blick auf den Distanzierungsprozess stellt sich die Frage, was im individuellen Fall ausschlaggebend dafür war, dass der Salafismus nicht mehr im Stande ist, die individuellen Bedürfnisse zu befriedigen, und was somit den Wunsch nach Distanzierung ausgelöst hat.

Faktoren, die eine Distanzierung anstoßen können

In der Forschungsliteratur wird häufig zwischen sogenannten Push- und Pull-Faktoren eines Distanzierungsprozesses unterschieden (vgl. u. a. Bjørgo & Horgan 2009, Altier et al. 2014, Altier et al. 2017). Push-Faktoren beziehen sich auf negative Erfahrungen innerhalb einer extremistischen Szene, die auf das Individuum Druck ausüben ("push"), sich von der Szene zu lösen und nach neuen Orientierungen zu suchen. Pull-Faktoren beziehen sich auf veränderte Lebensumstände einer Person, wie zum Beispiel eine Familiengründung. Durch die veränderten Lebensumstände gewinnen für das Individuum andere lebensweltliche und soziale Bezüge an Bedeutung. Diese können eine Zugwirkung entfalten und das Individuum aus der Szene herausziehen ("pull").

Push- und Pull-Faktoren können sich natürlich auch überlagern und wechselseitig verstärken, zum Beispiel wenn durch Veränderungen der persönlichen Lebensumstände beim Individuum neue Bedürfnisse entstehen, die von der Szene nicht erfüllt werden können und in der Folge zu Enttäuschungen führen. Im Rahmen der PrADera-Studie konnten drei zentrale Faktoren identifiziert werden, die eine Distanzierung anstoßen können. Bei den ersten beiden handelt es sich um Push-Faktoren und bei dem dritten um einen Pull-Faktor.

1) Sanktionen und Interventionen durch formelle oder informelle Kontrollinstanzen (Push)
Eine Inhaftierung oder andere Sanktionen und Interventionen durch formelle oder informelle Kontrollinstanzen können einen Distanzierungsprozess anstoßen – wie zum Beispiel eine Hausdurchsuchung oder Gefährderansprache der Polizei oder ein von den Eltern auferlegtes Kontaktverbot zu Szeneangehörigen. Dabei kamen je nach Fall zwei unterschiedliche Wirkmechanismen zum Tragen:

Der erste Wirkmechanismus besteht in der physischen Trennung von der Szene. Der salafistisch-dschihadistische Aktivismus kann unter diesen Bedingungen nicht mehr in gleicher Form fortgeführt werden. Dem Individuum fehlt nun der Resonanzraum, in dem es Anerkennung für die eigenen "Leistungen" erhält.

Der zweite Wirkmechanismus setzt bei den hohen persönlichen Kosten der Repression an. In Haft ist es zum Beispiel nicht möglich, einer geregelten Arbeit nachzugehen oder ein Familienleben zu führen. Die Haft bietet dem Individuum einen Raum, um sich bewusst zu werden, welche negativen persönlichen Konsequenzen sein extremistisches Engagement hat.

2) Negative Erfahrungen innerhalb der Szene (Push)
Auch negative Erfahrungen innerhalb der Szene, können die Distanzierung auslösen. Bei den Interviewten standen desillusionierende Erfahrungen im Vordergrund, die sie während ihrer Mitgliedschaft in dschihadistischen Gruppierungen im Kampfgebiet in Syrien und dem Irak gemacht hatten. Für die Desillusionierung gab es unterschiedliche Gründe: als "unislamisch" wahrgenommene Verhaltensweisen von anderen Mitgliedern oder von Führungsfiguren, fehlende Möglichkeiten an Kampfhandlungen teilzunehmen, aber auch ideologische Differenzen zwischen dschihadistischen Akteurinnen und Akteuren.

3) Veränderungen der privaten Lebenssituation (Pull)
In einem der Fälle waren Veränderungen der privaten Lebenssituation ausschlaggebend für den Wunsch zur Distanzierung. Die Interviewte hatte das salafistische Glaubens- und Handlungskonzept übernommen, um die Beziehung zum Partner aufrechterhalten zu können. Der Partner erfüllte ihre Erwartungen an die Partnerschaft jedoch nicht. In der Folge entwickelte sie ein Bedürfnis nach selbstbestimmtem Handeln und nach Lockerung der salafistischen Alltagsvorschriften. Dies ließ sich in der Partnerschaft jedoch nicht realisieren, weshalb sie der Szene den Rücken kehrte.

Verlaufstypen der Distanzierung

Distanzierungsprozesse sind individuell und laufen nicht nach standardisierten Schemata ab. Im Rahmen des Fallvergleichs konnten allerdings drei Verlaufstypen der Distanzierung herausarbeitet werden, die fallübergreifend gewisse Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufweisen:

1) Typ "Autonomer Wandel"
Der Typ "Autonomer Wandel" zeichnet sich durch einen kurzfristig einsetzenden, eigenständigen biografischen Wandel aus: Dem Individuum sind zum Zeitpunkt der Krise des salafistischen Handlungs- und Deutungsmusters – das bedeutet in der Situation, in der der Salafismus die persönlichen Bedürfnisse nicht mehr befriedigen kann – bereits alternative Orientierungen und Entwürfe kognitiv verfügbar. Es gelingt, selbstständig alternative Lebenspläne zu entwerfen und diese eigenständig umzusetzen – begünstigt zum Beispiel durch bestehende soziale Netzwerke außerhalb der Szene. So vollzieht das Individuum einen biografischen Wandel und distanziert sich vollständig von der Ideologie und den damit einhergehenden den Szenekontakten.

2) Typ "Blockierter Wandel"
Beim Typ "Blockierter Wandel" setzt der biografische Wandel zwar kurzfristig ein, ist im weiteren Verlauf aber blockiert. Wie beim ersten Typ sind dem Individuum alternative Handlungsentwürfe in der Krise unmittelbar verfügbar. Aufgrund ungünstiger äußerer Umstände gelingt es jedoch nicht, darauf aufbauend ein neues Handlungsmuster zu etablieren. Diese ungünstigen Umstände können beispielsweise eine wahrgenommene Stigmatisierung oder mangelnde Unterstützung außerhalb der Szene sein. Der biografische Wandel wird durch negative äußere Umstände blockiert. Es erfolgt zunächst nur eine partielle Distanzierung von der Ideologie und/oder von der salafistischen Szene.

3) Typ "Unterstützter Wandel"
Beim Typ "Unterstützter Wandel" ist das Individuum nicht dazu in der Lage, selbstständig einen alternativen Handlungsentwurf zu entwickeln. Erst durch professionelle Unterstützung, durch ein Beratungsangebot oder die Integration in eine neue Subkultur gelingt es dem Individuum langfristig, neue Handlungspotenziale auszubilden und einen biografischen Wandel herbeizuführen. Das Individuum beginnt, eine vollständige Distanzierung von der Ideologie und Szene zu vollziehen.

Unterstützende und hemmende Faktoren für den Distanzierungsverlauf

Fallübergreifend können sowohl unterstützende als auch hemmende Faktoren für den Distanzierungsverlauf identifiziert werden. Einen förderlichen Einfluss auf den Distanzierungsprozess können vor allem die Unterstützung durch die eigene Familie, eine Partnerschaft oder die Beratungsarbeit haben.

Den Distanzierungsprozess erschweren kann es hingegen, wenn Szenekontakte aufrechterhalten werden. Ebenso kann es distanzierungshemmend wirken, wenn die Lebenspartnerin oder der Lebenspartner weiterhin Kontakte zur Szene aufrechterhält oder selbst weiterhin aktives Mitglied ist.

Häufig haben Personen, die aus der Haft entlassen wurden, einen sogenannten Gefährder:innen-Status oder unterliegen Maßnahmen und Weisungen, die mit ihrer Haftentlassung einhergehen. Wirken sich diese jedoch sehr einschränkend auf die Entlassenen aus, indem beispielsweise durch einen eingeschränkten Bewegungsradius die Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit nicht umsetzbar ist, können diese eine erfolgreiche Reintegration in die Gesellschaft behindern, was gleichermaßen den Prozess der Distanzierung erschwert.

Handlungsempfehlungen

Die Ergebnisse der vorgestellten Analyse bestätigen im Wesentlichen zentrale Ansätze und Erkenntnisse aus der Beratungsarbeit. Darüber hinaus lassen sich einige weiterführende Impulse für die Praxis ableiten:

1) Beratungsangebote während der Haft schaffen

Für alle Interviewten, die inhaftiert worden sind, stellte die Haft einen einschneidenden Moment in ihrer Biografie dar. In der Haft besteht einerseits die Möglichkeit, dass Personen sich von der Ideologie und der salafistischen Praxis lösen, weil sie plötzlich von ihrem sozialen Umfeld getrennt werden und ihren Aktivismus nicht wie gewohnt fortführen können. Andererseits besteht aber auch die Möglichkeit, dass sie ihre Ideologie und ihre salafistische Praxis an die neuen Gegebenheiten anpassen und gegebenenfalls intensivieren. Die wahrgenommenen Bedingungen der Haft spielen hier eine entscheidende Rolle. So stellt die Haft nicht nur eine vulnerable Phase dar, sondern bietet auch die Möglichkeit, mit geeigneten unterstützenden Angeboten auf solche Krisen zu reagieren. Die Inhaftierung sollte daher nach Möglichkeit stets mit einem Beratungsangebot einhergehen.

2) Unterstützung nach der Haftentlassung bieten

Insbesondere nach der Haftentlassung ist eine fortlaufende Unterstützung durch Beratungsarbeit sehr wichtig. Dazu zählen vor allem lebenspraktische Maßnahmen. In dem vorliegenden Fallsample konnte durch die Bindung an Lebensbereiche wie Beruf und Familie nicht nur eine Distanzierung von der Szene erzielt werden, sondern auch ein biografischer Wandel hin zu einem Lebensalltag mit stabilem sozialem Umfeld und einer regelmäßigen Tätigkeit oder Ausbildung.

3) Ausbau psychotherapeutischer Angebote fördern

Ein Großteil der Interviewten hat – besonders in der Adoleszenz – psychisch belastende Erfahrungen gemacht. Es liegt daher nahe, den Ausbau psychotherapeutischer Angebote zu fördern. Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen wäre dies niederschwellig beispielsweise im schulischen Kontext oder über webbasierte Angebote empfehlenswert.

4) Beratungsangebote an den Grad der Ideologisierung anpassen

Beratungsangebote sollten stets individuell und an den Grad der Ideologisierung der Personen angepasst werden. Je nachdem wie stark die Ideologie verinnerlicht wurde, kann der Aufarbeitungsprozess in Umfang und Intensität variieren. In einigen Fällen ist dies ein langfristiger Prozess, während ein biografischer Wandel bei Personen, die sich die Ideologie eher passiv und selektiv angeeignet haben, auch kurzfristig erfolgen kann.

Mitunter geht die Distanzierung hier mit einer grundlegenden Abkehr von der Religion einher. Die Interviewten berichteten, dass sie Themen der Ideologie meist erst nach einem längeren Prozess des Vertrauensaufbaus mit den Beratenden besprochen haben und für sie zuvor eher lebenspraktische Themen im Fokus standen.

5) Weitere Forschung betreiben

Es ist davon auszugehen, dass im Rahmen dieser Studie nur ein Teil der in der Realität vorkommenden Distanzierungsverläufe erfasst werden konnte – unter anderem aufgrund des selektiven Feldzugangs. Weitere Studien zu diesem Thema, die das breite Spektrum an Fällen erfassen – sowohl mit, als auch ohne Teilnahme an einem Beratungsangebot, sind nötig, um die Datenbasis zu verbreitern und die Typologie gegebenenfalls zu erweitern.

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Quellen / Literatur

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Altier, Mary Beth/Leonard Boyle, Emma/Shortland, Neil D./Horgan, John G. (2017): Why they leave: An analysis of terrorist disengagement events from eighty-seven autobiographical accounts. Security Studies, 26 (2), S. 305-332.

Bjørgo, Tore/Horgan, John G. (2009): Leaving Terrorism Behind: Individual and Collective Disengagement. London/New York: Routledge.

Emser, Corinna/Haase, Imke/Moeller, Mika/Nagel, Christoph/Pelzer, Robert (i. E.): Distanzierungsverläufe vom salafistischen Extremismus. Eine empirische Studie über die Vielfalt individueller Wege der Loslösung vom Salafismus. Nürnberg: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.

Flick, Uwe/Kardorff, Ernst V./Steinke, Ines (1995): Qualitative Forschung. Theorie, Methoden, Anwendung in Psychologie und Sozialwissenschaften. Reinbek: Rowohlt, 227.

Schütze, Fritz (1976): Zur soziologischen und linguistischen Analyse von Erzählungen. Contributions to the Sociology of Knowledge/Contributions to the Sociology of Religion, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 7-41.

Schütze, Fritz (1983): Biographieforschung und narratives Interview. Neue Praxis, 13 (3), S. 283-293.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Das narrative Interview und die darauf aufbauende Narrationsanalyse basieren auf dem Ansatz von Fritz Schütze (1976, 1983).

  2. Zitate wurden zur Verbesserung der Lesbarkeit geglättet. Ortsnamen oder Namen von Organisationen, Medien, etc. wurden pseudonymisiert.

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Deradikalisierung & "IS"-Rückkehrende

Welche Ansätze zur Deradikalisierung gibt es? Welche Rolle spielt Psychotherapie? Was funktioniert im Strafvollzug? Wie geht Deutschland mit "IS"-Rückkehrern um?

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Radikalisierungsprävention

Der "Infodienst Radikalisierungsprävention – Herausforderung Islamismus" behandelt die Themen Islamismus, Prävention und (De-)Radikalisierung: mit Hintergrundinfos, Materialien, Terminen & Newsletter

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Ansätze zur Deradikalisierung

Wie kann die pädagogische Arbeit mit jungen Menschen gelingen, die extremistische Tendenzen aufweisen? Thomas Mücke von VPN schildert anhand von Fallbeispielen Grundsätze der Deradikalisierungsarbeit.

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Beratung & Ausstieg

Informationen für Fachkräfte aus Beratungsstellen

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Islamistische Radikalisierung bei Jugendlichen erkennen

Wie äußert sich eine islamistische Radikalisierung bei Jugendlichen? An welchem Punkt sollten sich Schulen Hilfe holen? Ein Interview mit Philip Mohamed Al-khazan von der Beratungsstelle "Legato".

Dr. Robert Pelzer hat Soziologie und Kriminologie in Berlin und Hamburg studiert und 2016 an der Universität Hamburg im Fach Kriminologie zur Logik dschihadistischer Gewaltausübung promoviert. Seit 2014 arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum Technik und Gesellschaft der Technischen Universität Berlin, wo er seit 2019 den Forschungsbereich Sicherheit – Risiko – Kriminologie leitet.

Mika Moeller ist Psychologin und forscht seit 2017 am Zentrum Technik und Gesellschaft der Technischen Universität Berlin zu Prozessen der Radikalisierung, Distanzierung und Reintegration im Phänomenbereich des salafistischen/dschihadistischen Extremismus. Sie ist Dozentin für qualitative Forschungsmethoden an der International Psychoanalytic University und promoviert derzeit an der Freien Universität Berlin.

Corinna Emser ist Dipl.-Politologin und seit 2019 als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsschwerpunkt ‚Migration und Sicherheit‘ des Referats "Internationale Migration und Migrationssteuerung" des BAMF-Forschungszentrums tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Tertiärprävention sowie Deradikalisierungs- und Distanzierungsverläufe im Phänomenbereich des salafistischen/dschihadistischen Extremismus.