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Emotionen in der Präventionsarbeit | Infodienst Radikalisierungsprävention | bpb.de

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Emotionen in der Präventionsarbeit

Nina Kunz Charlotte Oberstuke Dženeta Isaković Sebastian Hebler

/ 20 Minuten zu lesen

Welche Rolle sollen oder können Emotionen in der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung und in der Präventionsarbeit einnehmen? Ist es sinnvoller, Emotionen nach Möglichkeit außen vor zu lassen und sich nüchtern auf die Fakten zu konzentrieren? Oder macht es ganz im Gegenteil Sinn, in der Bildungsarbeit nicht nur über Emotionen zu sprechen, sondern sogar emotionale Reaktionen hervorzurufen? Sind Emotionen ein produktiver Motor in Bildungsangeboten oder hemmen sie diese? Besteht die Gefahr einer Überwältigung der Teilnehmenden, die gemäß des Beutelsbacher Konsenses in politischen Bildungsangeboten vermieden werden muss? Bei welchen Themen kochen die Emotionen hoch? Und wie kann man mit diesen plötzlich aufkommenden heftigen Emotionen in Gruppensettings umgehen? Der Infodienst hat dazu mit Praktikerinnen und Praktikern aus der Präventionsarbeit gesprochen. Hier schildern sie ihre Erfahrungen.

Emotionen können in der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung und in der Präventionsarbeit eine wichtige Rolle spielen. (© Adobe Stock / 1STunningART)

1. JFF – Institut für Medienpädagogik

Nina Kunz und Charlotte Oberstuke beantworteten die Fragen der Infodienst-Redaktion. Beide sind medienpädagogische Referentinnen am JFF – Institut für Medienpädagogik.

RISE – Jugendkulturelle Antworten auf islamistischen Extremismus

Innerhalb des Projekts "RISE – Jugendkulturelle Antworten auf islamistischen Extremismus" werden pädagogische Materialien zu filmischen Produktionen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen erstellt. Thematisch bewegen sich diese in fünf Arbeitsfeldern, die für die universelle Präventionsarbeit im Sinne politischer Bildung relevant sind: Rassismus, Gender, Pluralismus, Werte und Religion und Gesellschaftskritik. Diese liegen im Schnittpunkt der Identitätsarbeit Jugendlicher und der Identitätspolitik islamistischer und anderer extremistischer Gruppierungen.

Die pädagogischen Materialien zu den Filmen werden auf einer Plattform bereitgestellt: Externer Link: https://rise-jugendkultur.de. Sie unterstützen pädagogische Fachkräfte dabei, die angesprochenen Themen in der außerschulischen Arbeit und schulischen Kontexten handlungssicher aufzugreifen zu können und kontroversen Fragen junger Menschen Raum zu geben.

RISE – jugendkulturelle Antworten auf islamistischen Extremismus wird vom Externer Link: JFF – Institut für Medienpädagogik in Kooperation mit Externer Link: ufuq.de, dem Medienzentrum Externer Link: Parabol e. V., dem Netzwerk Externer Link: Vision Kino und Externer Link: jugendschutz.net umgesetzt und ist gefördert durch Externer Link: Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM). 

Infodienst Radikalisierungsprävention: Welche Rolle spielen Emotionen bei der Konzeption Ihrer Workshops und Seminare?

Nina Kunz und Charlotte Oberstuke: Die Themen unserer Workshops – wie Rassismus, Gender, Pluralismus, Werte und Religion sowie Gesellschaftskritik – sind auch für die teilnehmenden Jugendlichen durch ihre Vorerfahrungen emotional aufgeladen. Daher ist es wichtig, diese emotionale Ebene auch in den pädagogischen Konzepten zu berücksichtigen.

Die Jugendlichen werden mit einzelnen Übungen unter anderem dazu ermutigt, ausgelöste Emotionen zu benennen, sie einzuordnen und gefühlte Wahrheiten (kognitiv) zu hinterfragen. Die Workshops sollen außerdem zu einem argumentativen Austausch über eigene Deutungen und Konzepte zu den jeweiligen Themen anregen. Sie zielen auch auf das Erkennen und Aushalten von Uneindeutigkeiten und Unsicherheiten. Diese sogenannte Ambiguitätstoleranz spielt für die Widerstandsfähigkeit junger Menschen gegenüber Ansprachen extremistischer Akteur:innen eine wichtige Rolle, da diese sich häufig einfacher Antworten und Erklärungen auf komplexe Fragen bedienen.

Eine weitere Ebene bezieht sich auf die Reflexion und Dekonstruktion von stereotypen Bildern, die unabsichtlich in den Filmen der jungen Menschen reproduziert werden können. In den Übungen regen wir gezielt an, stereotype Darstellungen und gefühlte Wahrheiten zu hinterfragen. Dies kann verhindern, dass diese sich bei Zuschauenden zu Vorurteilen verfestigen, die mit negativen Emotionen gegenüber einer marginalisierten Gruppe einhergehen können.

Arbeiten Sie bewusst mit bestimmten Methoden, um Emotionen aufzurufen – oder auch, um zu starke Emotionen zu vermeiden?

In der Vorbereitung eines Workshops hat der Schutz von Teilnehmenden, die von Diskriminierung betroffen sind, hohe Priorität. Daher findet vorab ein Gespräch mit der betreuenden pädagogischen Fachkraft statt, die die Gruppe gut kennt. Es wird erfragt, wie sich die Gruppe zusammensetzt und ob betroffene Personen bekannt und anwesend sind. Um zu vermeiden, dass sehr starke Emotionen ausgelöst werden, wird der Schwerpunkt des Workshops verstärkt auf Empowerment gelegt oder – in Workshops mit Teilnehmenden der sogenannten Mehrheitsgesellschaft – darauf zu sensibilisieren und Empathie zu entwickeln. Wir passen das Konzept an und können einzelne Übungen modifizieren oder auslassen.

Die Hinweise und Hilfestellungen in den pädagogischen Materialien sollen Fachkräfte unter anderem dazu anregen, in der Arbeit mit Jugendlichen bestärkende Räume und Lernumfelder zu schaffen. In diesen können die Jugendlichen sich sicher fühlen, ihre Erfahrungen zu teilen und kontroverse Fragen miteinander zu diskutieren. In kurzzeitpädagogischen Workshops, in denen die Dynamiken in der Gruppe unbekannt sind, stellt dies eine besondere Herausforderung dar. Hier gilt es zu vermeiden, dass traumatische Erfahrungen getriggert werden, wie zum Beispiel Fluchterfahrungen oder rassistische Übergriffe. Dadurch könnten starke Emotionen bei Betroffenen ausgelöst werden, die im jeweiligen pädagogischen Kontext unter Umständen nicht aufgefangen werden können.

Innerhalb der pädagogischen Rahmungen der Filme werden die Perspektiven betroffener Menschen in den Mittelpunkt gestellt. Damit kann ein Perspektivwechsel von nicht betroffenen Personen aus der sogenannten Mehrheitsgesellschaft angeregt werden. Dieser fördert eine empathische Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Thema. Die Teilnehmenden können dabei unterstützt werden, eigene Haltungen in Frage zu stellen.

Sprechen Sie auf der Inhaltsebene das Thema Emotionen an?

Das Thema Emotionen sprechen wir in einer pädagogischen Rahmung beispielsweise im Zusammenhang mit dem Thema Clickbaiting und Emotionalisierung am Beispiel populistischer Schlagzeilen in Printmedien an. Hier geht es darum zu verstehen, mit welchen Mitteln Emotionen bei Leser:innen gezielt erzeugt werden und wie diese Ungleichwertigkeitsvorstellungen befeuern können.

Darüber hinaus setzen sich die Jugendlichen in Workshops mit Formaten auseinander, die subtile, häufig emotionalisierende Botschaften verbreiten (wie z. B. Memes), indem sie eigene Medienerzeugnissen erstellen. Hier geht es also vor allem darum, über die Formatebene Wirkmechanismen der jeweiligen Phänomene zu reflektieren, um die Jugendlichen für eine Instrumentalisierung durch extremistische und populistische Akteur:innen zu sensibilisieren.

Der Fokus in RISE liegt nicht auf extremistischen Tatbeständen oder Verhaltensmustern, sondern vielmehr auf den ihnen zugrunde liegenden diskriminierenden Haltungen und Einstellungen, die sich auch in der Mitte der Gesellschaft finden lassen. Extremistische Inhalte werden in unseren Materialien bisher nicht analysiert, da eine Reproduktion der Botschaften vermieden werden soll und wir den Akteur:innen auf diese Weise keine Plattform bieten möchten.

Bei welchen Themen oder in welchen Situationen reagieren die Teilnehmenden besonders emotional – und welche Emotionen herrschen dabei vor?

Teilnehmende reagieren erfahrungsgemäß besonders emotional, wenn sie sich selbst betroffen fühlen oder betroffene Personen im Freundeskreis oder in der Familie kennen. Damit können eigene Diskriminierungserfahrungen im Zusammenhang stehen, die Gefühle von Ohnmacht oder Wut bedingen können.

Fühlen sich Teilnehmende zum Beispiel als vermeintliche Täter:innen im Zusammenhang mit "weißen" Privilegien adressiert, empfinden sie dies häufig als Vorwurf und fühlen sich ungerecht behandelt. Dies führt dann oftmals zu einer Abwehr gegenüber dem Thema und kann sich in Ablenkungsmanövern, vehementem Wiederspruch oder dem Rückzug aus der Diskussion äußern.

Die Beobachtung einer solchen Abwehr lässt sich in manchen Gruppen thematisieren und zum Anlass nehmen, um nachzufragen welcher Gedanke oder welches Gefühl sie ausgelöst haben könnte. Von da ausgehend kann mit den Teilnehmenden drüber gesprochen werden, dass sicher auch andere Menschen solche Reflexe kennen, weil Diskriminierung strukturell in der Gesellschaft verankert ist und somit unser Denken geprägt hat. Auf diesem Weg kann zum Thema gemacht werden, dass es wichtig ist, sich eigene Privilegien bewusst zu machen, damit Veränderung und Solidarität stattfinden können.

Lösen auch religiöse Themen starke emotionale Reaktionen aus?

Auch bei religiösen Themen kommen Emotionen vor allem dann zum Vorschein, wenn es um die Diskriminierung aufgrund der Religion geht. Es lassen sich häufig Wut, Trauer und auch Ohnmacht bis hin zu Angst beobachten.

Auch positive emotionale Reaktionen können im Zusammenhang mit Religion ausgelöst werden. So kommt es vor, dass Schüler:innen mit Stolz und Freude von ihrer religiösen Praxis berichten. Eine mögliche Interpretation dessen wäre, dass Schüler:innen in den Workshops besonders positiv darüber berichten, weil die säkulare Institution Schule sonst ein Raum ist, in dem sie Religion als unerwünscht empfinden.

Wie können sich emotionale Reaktionen der Teilnehmenden auf den Verlauf und die Ergebnisse von Seminaren und Workshops auswirken – können Sie eine Beispiel-Situation schildern?

Häufig sind es persönliche Erfahrungen, die emotionale Reaktionen hervorrufen. Es gab einen Workshop, in dem wir allgemein über herabwertende Kommentare und das gezielte Verbreiten von Falschmeldungen mit den Teilnehmenden gesprochen haben. Eine der Teilnehmenden hat dann recht schnell den Bogen zu ihren persönlichen Erfahrungen mit der rechtsextremistischen Kleinpartei Der Dritte Weg gespannt. Sie erzählte sehr emotional, dass ein enger Familienangehöriger in der Partei stark involviert sei und sie in ihrem Alltag deshalb viele Berührungspunkte mit extremistischen Einstellungen habe. Sie selbst positionierte sich sehr klar gegen diese Einstellungen und zeigte der gesamten Gruppe YouTube-Videos von Liedermacher:innen, die sich gegen rechts positionieren.

Ihre persönlichen Erzählungen führten dazu, dass in dem gesamten Workshop sehr emotional über Parteipolitik (zu der Zeit waren gerade Landtagswahlen) und rechte Gesinnungen diskutiert wurde, ohne dass es die Intention des Workshops war. So können persönliche Erlebnisse, die häufig auch emotionale Reaktionen der anderen Teilnehmenden hervorrufen, den weiteren Verlauf eines Workshops prägen. Die Motivation der Teilnehmenden in diesem Workshop war aufgrund ihrer emotionalen Eingebundenheit entsprechend groß.

Wie reagieren Sie als Workshopleiterinnen, wenn Situationen "zu emotional" werden, wenn zum Beispiel Teilnehmende sehr wütend oder traurig sind?

Wichtig ist es klar zu widersprechen, wenn die Emotionalität zu einer Verallgemeinerung beziehungsweise zu Hass auf eine Gruppe führt. Die Kritik sollte sich dabei klar auf die Aussage oder Handlung beziehen, nicht auf die Person als Träger:in. Wenn sich die starken Gefühle jedoch gegen betroffene Personen im Workshop richten, dann hat es oberste Priorität, diese zu schützen und gegebenenfalls zu unterstützen.

Sehen Sie starke emotionale Äußerungen eher als Störung oder als Potenzial für den Bildungsprozess?

Emotionale Erfahrungen beeinflussen das Handeln und Denken von Menschen nachhaltig und sollten daher auch in Bildungsprozessen mitgedacht werden. Starke Emotionen im Hinblick auf ein Thema der politischen Bildung können – solange sie niemanden verletzen – eine Chance sein, die Bewertung dahinter sowie ihren Ursprung zu reflektieren und einzuordnen (wieso irritiert es mich zum Beispiel so sehr, wenn Männer Lippenstift tragen?). Die Fähigkeit, die eigenen Emotionen zu reflektieren, ist auch im Hinblick auf eine Widerstandsfähigkeit gegenüber extremistischen Narrativen von Bedeutung.

2. Mosaik Deutschland

Dženeta Isaković beantwortete die Fragen der Infodienst-Redaktion. Sie ist Referentin bei Mosaik Deutschland e. V. im Bereich Prävention von Extremismus und Hassgewalt.

Mosaik: Prävention von Extremismus und Hassgewalt

Der Verein Mosaik Deutschland bietet in Heidelberg Workshops und Fortbildungen an für Jugendliche, Fachkräfte an Schulen und Kitas und Multiplikator:innen der Jugendarbeit. Die Schulen und pädagogischen Einrichtungen sollen im Hinblick auf Radikalisierungsprävention und die Prävention von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit unterstützt werden.
In verschiedenen Workshops und Modulen vermitteln die Workshopleitenden Wissen und Handlungskompetenzen und sensibilisieren rund um die Themen Prävention, Radikalisierung und Hassgewalt. Dabei werden Akteure aus dem islamistischen, salafistischen und rechten Spektrum in den Blick genommen.

Infodienst Radikalisierungsprävention: Welche Rolle spielen Emotionen bei der Konzeption Ihrer Workshops und Seminare?

Dženeta Isaković: Emotionen sind für uns wichtiger Teil der Bildungsarbeit, denn Menschen lernen am besten und behalten Dinge besser in Erinnerung, wenn sie mit Emotionen verknüpft sind. Man muss aber auch sensibel sein, was Betroffenheiten und Vorerfahrungen der Teilnehmenden betrifft. Oft kommen Teilnehmende auch schon mit bestimmten emotionalen Erlebnissen und Erfahrungen in unsere Workshops und wollen diese dort besprechen. Dies ist zum Beispiel bei Fachkräften in Kitas und Schulen häufig der Fall. Das müssen wir bei der Planung berücksichtigen.

Wenn wir Workshops mit Jugendlichen in Schulen durchführen, erfahren wir vorab von den Lehrkräften etwas über die Zusammensetzung der Gruppe, mögliche Besonderheiten oder Betroffenheiten und können uns etwas darauf einstellen. Einmal waren zum Beispiel in einer Gruppe zwei Teilnehmende, die erst vor Kurzem nach Deutschland geflüchtet waren. Als sich im Workshop andere Teilnehmende sehr pauschal negativ über Geflüchtete geäußert haben, haben wir schnell eingegriffen und an unsere Gesprächsregeln erinnert. Dazu gehört: Wir werten niemanden ab, wir sprechen in Ich-Botschaften, und nur über eigene Erfahrungen, nicht über Dinge, "die wir mal irgendwo gehört haben". Manchmal ist es Jugendlichen auch gar nicht bewusst, dass sie Leute in ihrer Gruppe haben, die eine bestimmte Erfahrung gemacht haben. Gerade wenn man diese Themen gezielt anspricht, wird das dann oft erst klar.

Arbeiten Sie bewusst mit bestimmten Methoden, um Emotionen aufzurufen – oder auch, um zu starke Emotionen zu vermeiden?

Wir setzen in unseren Workshops mit Jugendlichen häufig Videos, Bilder oder Musik ein, weil sie schnell einen emotionalen Zugang zu einem Thema bieten. Oft ergeben sich emotionale Situationen aber auch einfach im Gespräch, wenn Teilnehmende selbst betroffen sind oder persönliche Erlebnisse schildern – oder wenn sie einfach grundsätzlich unterschiedliche Meinungen zu einem Thema haben.

Sprechen Sie auf der Inhaltsebene das Thema Emotionen an?

Ja, beziehungsweise müssen wir das oft gar nicht, sondern die Teilnehmenden erkennen selbst, dass Emotionalisierung eine Strategie von Extremist:innen ist. Wir analysieren gemeinsam Beispielmaterial wie Social Media-Posts oder Videos. Die Teilnehmenden sehen einerseits die inhaltlichen Aussagen, erkennen aber auch, dass bewusst mit den Gefühlen gespielt wird – und dass diese Gefühle erzeugt werden, um damit eine bestimmte Gruppe zu erreichen.

Die pädagogischen Fachkräfte benennen das meist recht schnell, bei Jugendlichen kommt es sehr auf die Gruppe an. Manche sind sehr reflektiert und erkennen sofort, wenn mit Medien gezielt bestimmte Emotionen geschürt werden sollen, und welch wichtige Rolle Emotionen in Propaganda, Anwerbung und Radikalisierungsprozessen spielen. Bei anderen Gruppen müssen wir auch mal nachhaken und Fragen dazu stellen.

Bei welchen Themen oder in welchen Situationen reagieren die Teilnehmenden besonders emotional – und welche Emotionen herrschen dabei vor?

Besonders starke Reaktionen gibt es immer, wenn wir Propagandavideos anschauen von islamistischen Gruppierungen – wenn dort zum Beispiel die islamische Welt mit starken Bildern oder sehr emotionaler Sprache als "Opfer des Westens" dargestellt wird, nach dem Motto: "Es klebt Blut an den Händen des Westens". Ein solches Video der "Lies"-Kampagne, das wir in Workshops gezeigt haben, hat wirklich viele Emotionen bei den Teilnehmenden ausgelöst – Wut, aber auch Mitleid, Betroffenheit und Schuldgefühle. Auch Videos, die extra für die Präventionsarbeit produziert wurden, die zum Beispiel das Innenleben einer radikalisierten Person zeigen, hatten einen ähnlichen Effekt und haben eine Art Mitgefühl oder Verständnis ausgelöst.

Auch das Thema Frauenrechte führt immer wieder zu sehr emotionalen Diskussionen. Aufhänger ist oft die Aussage, dass Frauen bei den Islamisten keine Rechte hätten. Dann kommt es häufig zu einer Vermischung von Islamismus und Islam und es heißt, dass die Frauen im Islam keine Rechte hätten, dann gibt es Aufregung und Konflikte. Schnell schweifen die Diskussionen dann ab und es geht um die Situation der Frauen in Deutschland – dazu hat jeder etwas zu sagen, und die Meinungen liegen weit auseinander, die Emotionen kochen hoch. Das habe ich schon mehrfach erlebt.

Lösen auch religiöse Themen solche starken emotionalen Reaktionen aus?

Bei Erwachsenen, die privat wenig Kontakt zu muslimischen Menschen haben, kommt es häufiger zu einer Verwischung der Grenzen zwischen der Religion Islam und dem religiös begründeten Extremismus beziehungsweise Islamismus. Sie können es oft nicht gut unterscheiden und wissen auch nicht viel über den Islam. Viele haben mal irgendwas gehört von Scharia und Dschihad, stellen sich aber etwas Falsches darunter vor und denken, schon im Islam läge ein Problem. Hier leisten wir in den Workshops Aufklärungsarbeit und sorgen für Klarheit, deswegen ist es eher nicht so emotionsgeladen.

In Schulklassen hingegen sitzen Jugendliche mit verschiedenen sozialen, kulturellen und religiösen Hintergründen zusammen. Mit den Jugendlichen geht es mehr um das Phänomen Extremismus. Ich habe das Gefühl, dass die Jugendlichen besser differenzieren können zwischen den beiden Themen Religion und Extremismus. Das Thema Religion führt hier eigentlich nicht zu heißen Debatten. Sie haben Kontakt zu anderen, die verschiedenen Religionen angehören, und finden das gar nicht problematisch.

Wie können sich emotionale Reaktionen der Teilnehmenden auf den Verlauf und die Ergebnisse von Seminaren beziehungsweise Workshops auswirken – können Sie eine Beispiel-Situation schildern?

Eigentlich wollen wir in unseren Bildungsangeboten ja emotionale Reaktionen auslösen, Aha-Erlebnisse, die sich einprägen, weil das für uns zur Bildung dazugehört. Manchmal wird es aber auch schwierig. Einmal hatten wir die Situation, dass es in einer Klasse zwei Schüler gab, die sehr vehement und emotional rechtspopulistische Ansichten vertreten haben, wo es auch um Abwertungen anderer Menschen ging.

Wir hatten vorher unsere Regeln klargemacht und eine Weile mit ihnen diskutiert, dabei wurden sie auch ziemlich wütend. Sie wollten uns von ihrer Meinung überzeugen, haben nicht lockergelassen und wollten nicht, dass wir mit dem Workshop fortfahren. Irgendwann haben wir gesagt: "Stopp – das bringt uns hier nicht weiter und stört den Workshop, ihr habt die Option, den Raum zu verlassen und euch bei eurem Klassenlehrer zu beschweren." Sie wussten, dass das zu nichts führen würde und waren dann ruhig. Der Workshop konnte weitergehen, doch die Anspannung war noch zu spüren.

Das war aber eine Ausnahme. In der Regel ist es so, dass bei Menschen, die mit bestimmten Einstellungen und Vorurteilen in den Workshop kommen, diese eher abgemildert werden. Der Perspektivwechsel durch das Anschauen von Videos führt dann eher zu einer Form von Verständnis.

Wie reagieren Sie als Workshop-Leiterin, wenn Situationen "zu emotional" werden, wenn zum Beispiel Teilnehmende sehr wütend oder traurig sind?

Wenn es zu emotionalen Konflikten mit Abwertungen kommt, schreiten wir ein, benennen das und weisen auf unsere Gesprächsregeln hin. Andere emotionale Reaktionen besprechen wir möglichst ruhig und versuchen Konflikte zu lösen.

Manchmal merken wir gegen Workshop-Ende, wenn es sehr emotional war, dass die Teilnehmenden das Bedürfnis haben, noch weiter zu reden, dass das Gespräch noch nicht beendet werden kann, sonst blieben noch zu viele Fragen oder zu viele Emotionen zurück. Dann nehmen wir uns die Zeit zuzuhören und klären das, überziehen dann halt eine halbe Stunde. Wir versuchen, nicht mit emotionalen Resten aus einem Workshop rauszugehen, das könnte schädlich sein.

Sehen Sie starke emotionale Äußerungen eher als Störung oder als Potenzial für den Bildungsprozess?

Für uns sind Emotionen eigentlich immer etwas Positives, denn eine Veranstaltung hinterlässt einen Eindruck, wenn sie emotional aufgeladen ist. Egal, ob man danach nachdenklich oder auch betrübt aus einer Veranstaltung geht – denn wir sprechen ja über gesellschaftliche Themen, die nicht spaßig sind. Es kann auch sein, dass es gutgetan hat, loszuwerden, was man auf dem Herzen hatte. diese emotionalen Momente bleiben in Erinnerung, nicht Fachwissen, das trocken vermittelt wird. Wenn man rein sachlich an ein Thema herangeht, vergisst man es schnell wieder.

Wenn Menschen zum Beispiel durch Videos eine Art Verständnis für Menschen entwickeln, die sich radikalisieren, ist das auch gut. Denn ich weiß nicht, ob man, wenn man die Gefühlsebene ausblendet, wirklich verstehen kann, warum sich Menschen radikalisieren, in welche Richtung auch immer.

In der Situation, wo wir den Konflikt mit den Jugendlichen wegen ihrer rechtspopulistischen Äußerungen hatten, haben wir im Anschluss ein Feedbackgespräch mit den Lehrkräften und dem Schulleiter geführt. Wir haben dort eine Gefahr erkannt, denn diese Jugendlichen waren ideologisiert und vertraten demokratiefeindliche Ansichten. Der Klassenlehrer, der die Schüler in Mathe und Physik unterrichtete, hatte dies noch nicht mitbekommen. Insofern war dies auch eine Art von Erfolg, denn die Schule konnte dann mit den Schülern und den Eltern sprechen und weitere Schritte planen.

3. Wertzeug

Sebastian Hebler beantwortete die Fragen der Infodienst-Redaktion. Er ist Vorstandsmitglied von Wertzeug e. V.

Wertraum und Weitwinkel

Wertzeug ist ein gemeinnütziger Verein, der Ende 2016 mit dem Ziel entstand, demokratisches Denken und Handeln zu fördern. Im Rahmen der Projekte Wertraum und Weitwinkel leistet der Verein Demokratiebildung und Extremismusprävention in rheinland-pfälzischen Haftanstalten.
Die Antworten beziehen sich vor allem auf das Projekt Weitwinkel, ein Angebot medienpädagogischer Demokratiebildung an der Jugendstrafanstalt Schifferstadt für junge Gefangene im Alter von etwa 16 bis 21 Jahren. Es umfasst je zwölf Sitzungen, die wöchentlich stattfinden. Die Teilnahme erfolgte zu Projektbeginn auf Vorschlag des pädagogischen Dienstes der Anstalt, inzwischen wird das Angebot jedoch offen ausgeschrieben und die Teilnehmenden melden sich freiwillig an.

Ziele des Projektes sind unter anderem die Förderung von Ambiguitätstoleranz, Diskussions- und Reflexionsfähigkeit, sowie die Stärkung des Erkennens und Abgrenzens von menschen- und demokratiefeindlichen Positionen. Das Projekt Weitwinkel wird von der bpb gefördert.

Infodienst Radikalisierungsprävention: Welche Rolle spielen Emotionen bei der Konzeption Ihrer Workshops und Seminare im Rahmen der Präventionsarbeit?

Sebastian Hebler: Wir begreifen Emotionen als eine wichtige Grundlage unserer Präventionsarbeit. Emotionen sind wirkungsvolle Antriebsfedern zur Beschäftigung mit gesellschaftlichen Themen – das gilt zum Beispiel für Wut über Ungerechtigkeit, Empörung über Diskriminierung oder Rassismus, Scham über Verhaltensweisen in der Vergangenheit, Macht- und Ohnmachtsgefühle, Empathie mit Betroffenen, Belustigung über politische Skandale oder Traurigkeit in Anbetracht ungenutzter Möglichkeiten.

Ohne diesen Antrieb kann Beschäftigung mit gesellschaftlichen Zusammenhängen allenfalls als Faktenvermittlung stattfinden. Dies bietet sich aber insbesondere bei einer Zielgruppe nicht an, die häufig schlechte Erfahrungen im Schulkontext gemacht hat in Form individueller Erfahrungen des "Scheiterns" oder systematischer Diskriminierung durch Lehrkräfte und durch Mitschüler:innen. Wirkungsvoller ist es, die unmittelbarere Lernerfahrung von Emotionen zu nutzen, um sich mit persönlichen Identitäten und Sichtweisen zu beschäftigen.

Bei vielen jungen Teilnehmenden aus dem delinquenten Bereich ist ein gesellschaftliches Zugehörigkeitsgefühl kaum oder nur schwach ausgeprägt. Vielen Teilnehmenden unserer Zielgruppe ist gemein, dass sie schon einmal gesellschaftliche Marginalisierung oder Diskriminierung erlebt haben. Dementsprechend wollten sie nie Teil der Gesellschaft sein, die sie ablehnt oder ausschließt. Politische Prozesse oder Ereignisse werden dementsprechend allenfalls distanziert wahrgenommen und Partizipation wird in keiner Weise eingeübt.

Während die Wahrnehmung gesellschaftlicher Prozesse auf diese Weise "eingeschlafen" oder nur in Ansätzen ausgeprägt sein kann, sind Emotionen meist präsent und lassen sich nur schwer unterdrücken. Sie wirken oft unmittelbar und erschließen sich affektiv ohne intellektuelle Vermittlung. Hier wird das besondere Potenzial von Emotionen für die politische Bildung deutlich. Die meisten Teilnehmenden sind wenig darin geübt, ihre Emotionen auszudrücken, oder es fehlt im Gefängnisalltag der Raum dazu. Solche unterdrückten Gefühle können auch Ohnmachtsgefühle auslösen oder verstärken, was einen weiteren Rückzug von der Gesellschaft bewirken kann. Diese Dynamik zu durchbrechen ist wichtig, um politisch-bildnerische Fortschritte mit den Teilnehmenden machen zu können.

In unserer Arbeit wird der Bedarf nach Emotionalität offenbar und von den Teilnehmenden explizit geäußert. Es wird außerdem deutlich, dass es einen großen Bedarf gibt, sich überhaupt auszutauschen, auch über politische oder gesellschaftliche Prozesse.

Wichtig bei der Konzeption unserer Workshops ist es zu beachten, dass die Inhaftierung eine emotionale Ausnahmesituation darstellt und dass die Teilnahme möglicherweise nicht freiwillig geschieht, und Strategien zum Umgang damit zu entwickeln. Politische Bildung nach heutigen Qualitätsstandards funktioniert am besten, wenn sie ein freiwilliges Angebot ist. Lösungsansätze zum Umgang mit der Situation in Haft sind zum Beispiel, die Unfreiwilligkeit anzusprechen und gleichzeitig die gegebenen Freiheitsgrade aufzuzeigen.

Wichtig bei der Konzeption des Workshop-Angebotes ist es außerdem, Überforderungen zu vermeiden, die die Teilnehmenden möglicherweise an ihr Scheitern im Schulleben erinnern. Dementsprechend relevant ist es, sich Dingen spielerisch, kreativ und unkonventionell zu nähern. Es bietet sich an, möglichst niedrigschwellig einzusteigen und auch kleine Erfolgserlebnisse zu zelebrieren.

In unserer Konzeption nehmen wir auf verschiedenen Ebenen eigene Diskriminierungserfahrungen als Ausgangspunkt zur Beschäftigung mit anderen Diskriminierungsformen, um darüber zu gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen zu kommen. In Bezug auf Prinzipien der politischen Bildung (Stichwort Beutelsbacher Konsens) wird hierbei deutlich, dass die Emotionen nicht überwältigen oder überfordern dürfen. Es ist wichtig, einen Rahmen für Emotionalität zu schaffen, jedoch darf keine teilnehmende Person in eine Ecke gedrängt werden. Niemand darf eine Überwältigung erleben, mit negativen Konsequenzen rechnen müssen oder mit Emotionen alleingelassen werden.

Arbeiten Sie bewusst mit bestimmten Methoden, um Emotionen aufzurufen – oder auch, um zu starke Emotionen zu vermeiden?

Ja, weil Emotionen für den Lernerfolg wichtig sind, ist es wichtig, Methoden anzuwenden, die gezielt Emotionen hervorrufen. Voraussetzung hierfür ist zunächst, dass ein respektvolles Umfeld vorhanden ist oder geschaffen wird. Hierzu bedarf es neben Gesprächs- und Settingregeln auch des Aufbaus einer ausreichend vertrauensvollen Beziehungsebene zwischen Teilnehmenden und Workshopleiter:innen. Neben einem für die Workshop-Umgebung vereinbarten Diskriminierungsverbot ist es außerdem wichtig, deutlich zu machen, dass trotz aller Offenheit die Teilnehmenden nicht alles mit der Gruppe teilen müssen. Spürbare Unfreiwilligkeit, spürbare Machtasymmetrien oder negative Gruppendynamiken unter den Teilnehmenden können den Austausch und Bildungsprozess stark behindern.

Zunächst besteht eine wichtige Meta-Methode darin, dass Workshop-Leitende eigene emotionale Einschätzungen mitteilen, damit bewusst Offenheit geschaffen und signalisiert wird. Transparenz, auch über negative Aspekte, setzt den Ton der Bildungseinheit.

Sämtliche Reflektionsfragen über durchgeführte Einzelmethoden zielen darauf ab, Emotionen aufzurufen, diese zu kommunizieren und darüber in den Austausch zu kommen.

Wir arbeiten mit Filmen oder Hörbeispielen, in denen Betroffene real erlebte Diskriminierungssituationen schildern. Wir tauschen uns über diese Beispiele aus, meist entsteht Empathie mit den Betroffenen. Oft werden bei den Teilnehmenden Erinnerungen geweckt und geteilt oder sie stellen Vergleiche mit eigenen Erfahrungen her.

Rollenwechsel, zum Beispiel in Form von Simulationen, Rollen- oder Planspielen ermöglichen es, eine breite Palette von Emotionen abzurufen und diese für die politische Bildung nutzbar zu machen, ohne dass diese den eigentlichen Haltungen der Teilnehmenden entsprechen müssen.

Lerneffekte stellen sich überhaupt erst durch emotionale Involvierung ein, aber diese darf auch nicht überfordernd sein. Emotionen innerhalb einer heterogenen Teilnehmendengruppe zu wecken und einzuhegen ist ein Balanceakt. In gewissen Situationen können bestimmte Emotionen ein Vorankommen der Gruppe verhindern, seien es kollektive Emotionen oder die von einzelnen oder wenigen Teilnehmenden. Einheiten müssen daher entsprechend aus emotionalisierenden, aktivierenden und beruhigenden Elementen bestehen, auch das Gesamtdesign des Workshops muss entsprechend dramaturgisch gestaltet werden.

Sprechen Sie auf der Inhaltsebene das Thema Emotionen an?

Ja, Emotionen sind ein guter Startpunkt zur Beschäftigung, beispielsweise insbesondere mit abstrakten politischen Phänomenen. Emotionen, vor allem wenn sie geteilt und miteinander abgeglichen werden, erwecken neue Emotionen. Weil eigentlich alle Menschen Emotionen kennen, können im Austausch darüber auch Teilnehmende partizipieren, die nur geringe Kenntnisse politischer Prozesse aufweisen.

Wir thematisieren den strategischen Einsatz emotional aufgeladener Bilder und Botschaften bei der Beschäftigung mit Fake News, Phänomenen sozialer Medien und mit populistischen oder extremistischen Akteuren. Die Kollektivierung von Emotionen als strategisch eingesetztes Element zu durchschauen, stellt eine wirkungsvolle Methode gegen diese Art der Beeinflussung dar, gleich ob es sich um extrem-rechte oder islamistische Akteure handelt. Gleichzeitig ist es teilweise schwierig, entsprechende Prozesse adäquat zu thematisieren, weil diese so komplex sind, dass sie leicht als überfordernd wahrgenommen werden können. Hier ist es also wichtig, die Lernerfolge kleinschrittig und die Methoden kurzweilig zu gestalten, und vor allem mit Überraschungseffekten zu arbeiten. Häufig greifen wir in unseren Workshops außerdem Ressentiments und Emotionen auf, die von Vorurteilen geschürt werden.

Bei welchen Themen oder in welchen Situationen reagieren die Teilnehmenden besonders emotional – und welche Emotionen herrschen dabei vor?

Die Teilnehmenden reagieren besonders emotional in Bezug auf Themen wie Freiheit oder Situationen wie Freiheitsentzug. Das ist offensichtlich die Folge des Haftkontextes. Auch Aspekte rund um das Oberthema "Respekt" sind für unsere Zielgruppe häufig sehr relevant. Besonders starke Emotionen werden hervorgerufen, wenn Respekt vorenthalten wird, aber andererseits auch, wenn die Teilnehmenden sich respektiert fühlen oder wenn sie sich über zu respektierende Menschen, Verhaltensweisen oder Erfolge austauschen. Es kann zu Gefühlen des Empowerments und der Stärkung kommen, aber auch zu Frustrationen im Abgleich mit der Realität.

Besonders starke Emotionen lösen auch die Themen Sexualität beziehungsweise geschlechtliche Identität aus, und hierbei insbesondere, wenn es um die Vielfalt sexueller Identitäten und Orientierungen geht. Vorherrschende Emotionen in diesem Kontext sind Ablehnung, Aufgeregtheit, Eifer, Unverständnis und Überforderung.

Weiterhin weckt das Thema Diskriminierung starke Emotionen bei den Teilnehmenden, weil viele selbst Diskriminierungserfahrungen gesammelt haben und sich bereits mit entsprechenden Prozessen kritisch auseinandergesetzt haben. Die dabei geäußerten Emotionen sind jedoch uneinheitlich. Sie reichen von Gefühlen der Resignation bis zum starken Willen zur Veränderung, der auch empowernd im Sinne von Tatendrang wirken kann.

Lösen auch religiöse Themen solche starken emotionalen Reaktionen aus?

Die Themenfelder Religion und Weltanschauungen spielen in den Workshops eine Rolle. Allerdings würde ich nicht sagen, dass die Teilnehmenden hierbei besonders emotional reagieren. Das liegt vielleicht daran, dass die Themen vergleichsweise "säkular" und eher respektvoll besprochen wurden. Die Teilnehmenden möchten sich nicht in den Glauben der anderen einmischen. Bei den Themen, die starke emotionale Reaktionen auslösen, sind uns keine Unterschiede zwischen muslimischen, christlichen oder nicht-religiösen Teilnehmenden aufgefallen.

Wie können sich emotionale Reaktionen der Teilnehmenden auf den Verlauf und die Ergebnisse von Seminaren beziehungsweise Workshops auswirken? Können Sie eine Beispiel-Situation schildern?

Emotionen wirken sich ständig auf den Verlauf der Bildungsangebote aus. Die Teilnehmenden der Workshops ständig zu beobachten und ihre Reaktionen "zu lesen" ist darum sehr wichtig. Es ist von Vorteil zu zweit zu arbeiten, damit eine Person das Programm voranbringen kann, während die andere Person vor allem die Gruppe im Blick hält. Es ist wichtig, emphatisch zu sein und offen zu kommunizieren. Reaktionen, die man als Ausdruck negativer Emotionen deuten könnte, können ebensogut durch Müdigkeit erklärt werden. Solche möglichen Missverständnisse sollten abgeklopft und pragmatisch Lösungen im Sinne des Gesamtgruppengefüges gefunden werden.

Das größte Problem entsteht, wenn die Teilnehmenden sich nachdrücklich emotional distanzieren, weil das die Workshop-Weiterführung tatsächlich schwer macht, oder ein Abbruch droht. Es gab beispielsweise einen Teilnehmenden, der sehr abwehrend darauf reagierte, dass wir Antisemitismus behandeln wollten. Er war der Meinung, dass Antisemitismus vor allem ein Problem der extrem Rechten sei, und man sich nicht mit "den Vorurteilen anderer beschäftigen müsse". Er wollte dann nicht weiter mitmachen.

Sofern "nur" bestimmte Emotionen, auch negative, entstehen, kann meist weiter damit gearbeitet werden. Daher ist es wichtig, das Verhalten der Teilnehmenden genau zu beobachten und gegebenenfalls einzugreifen und nachzusteuern. Es kann sehr praktisch sein, einen alternativen Plan für einzelne Personen, aber auch die gesamte Gruppe vorbereitet zu haben, falls die emotionale Situation ein Abweichen vom ursprünglichen Vorhaben nötig macht.

Ein Beispiel aus unserer Praxis: Die Workshop-Leitung hatte eine Gesprächsrunde mit Impulsfragen eingeleitet, bei der ein großer Teil der Gruppe sehr engagiert und positiv gestimmt diskutierte. Einige Teilnehmende blieben jedoch sehr zurückhaltend. Aufgrund dieser Beobachtung fragte die Leitung in einem unauffälligen Gespräch während einer Pause die zurückhaltenden Teilnehmenden nach ihrer emotionalen Lage. Dabei stellte sich heraus, dass einige von ihnen von der Diskussionsfreudigkeit des Großteils der Gruppe emotional zu sehr aufgewühlt wurden.

Wir haben darauf reagiert und allen in der Gruppe das Angebot gemacht, alternativ an konkreten Aufgaben weiter zu arbeiten. Dies wurde vor allem von den eher zurückhaltenden Personen angenommen, während der Rest der Gruppe weiterdiskutieren konnte. So wurde im Ergebnis erreicht, dass alle Teilnehmenden entsprechend ihrer jeweiligen emotionalen Situation eingebunden wurden, ohne dass überhaupt "Kompromisse" für die Gesamtgruppe gefunden werden mussten.

Wie reagieren Sie als Workshop-Leiter, wenn Situationen "zu emotional" werden, wenn zum Beispiel Teilnehmende sehr wütend oder traurig sind?

Es ist wichtig, die Emotionen der Gruppe ständig "zu lesen" und gegebenenfalls frühzeitig auf etwaige emotionale Reaktionen, die problematisch werden könnten, einzugehen. Am besten sollten Klärungen hierzu nicht vor der Gruppe durchgeführt werden, sondern unauffällig einzeln mit den Personen gesprochen werden. Wenn Situationen "zu emotional" werden, kann es helfen, die Gesamtgruppe wieder ins Gespräch zurückzuholen und weitere, eventuell weniger "emotionalisierte" Meinungen in die Diskussion zu holen und dadurch ohne invasiven Eingriff die Situation zu beruhigen.

Sehen Sie starke emotionale Äußerungen eher als Störung oder als Potenzial für den Bildungsprozess?

Wir sehen Emotionen eher als Potenzial, weil der Lerneffekt am größten ist, wenn die emotionale Ebene involviert ist. Emotional aufwühlende Situationen müssen aufgefangen werden, aber in unserem Arbeitskontext in Haftanstalten funktioniert der Bildungsprozess in Abwesenheit von Emotionen gar nicht.

In unserer Arbeit wird außerdem eine positive Grundemotion deutlich, die dadurch entsteht, dass sich die Inhaftierten allein durch unsere Anwesenheit als externe Fachkräfte der Demokratiebildung wertgeschätzt fühlen. Dass wir ganz normal und höflich mit den Teilnehmenden reden, mit ihnen scherzen und nach ihren Vorstellungen und Gedanken fragen, wird als Besonderheit wahrgenommen und positiv emotional bewertet. Das zeigt, dass der Alltag im Gefängnis ansonsten stark von hierarchischen Beziehungen ohne Wertschätzung geprägt ist.

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ist medienpädagogische Referentin am JFF – Institut für Medienpädagogik.

ist medienpädagogische Referentin am JFF – Institut für Medienpädagogik.

ist Referentin bei Mosaik Deutschland e. V. im Bereich Prävention von Extremismus und Hassgewalt.

ist Vorstandsmitglied von Wertzeug e. V.