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Das Virus als Mittel zum Zweck Extremistische (Um-)Deutungen der Corona-Pandemie

Manjana Sold Clara-Auguste Süß

/ 15 Minuten zu lesen

Der Ausbruch des neuartigen Coronavirus und seine Folgen beschäftigen Deutschland und die Welt. Auch extremistische Akteure reagieren auf die aktuelle Situation und nehmen in sozialen Netzwerken und in ihren Veröffentlichungen auf sie Bezug. Manjana Sold und Clara-Auguste Süß erläutern, wie rechtspopulistische und rechtsextreme sowie islamistische Akteure die Corona-Pandemie (um-)deuten und zur Verbreitung ihrer Ideologien nutzen.

Das neuartige Coronavirus (© picture alliance/Bildagentur-online)

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Grundlage für diesen Beitrag ist der Artikel "Externer Link: The Coronavirus as a Means to an End: Extremist Reinterpretations of the Pandemic", der am 30. März 2020 im PRIF Blog erschienen ist.

Die strikten Maßnahmen zur Verhinderung einer weiteren Verbreitung des neuartigen Coronavirus (SARS-CoV-2) haben Auswirkungen auf verschiedene Bereiche der Gesellschaft und des Alltagslebens. Während die Fallzahlen global steigen und das Virus und seine Folgen unter enormem Druck bekämpft und erforscht werden, bleiben sowohl hinsichtlich seiner Herkunft und Verbreitung als auch hinsichtlich der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen viele Unsicherheiten bestehen. Diese werden von Extremistinnen und Extremisten jeder Ausrichtung und somit auch von rechtspopulistischen und rechtsextremen sowie islamistischen Akteuren ausgenutzt. Sie versuchen, ihre (Um-)Deutungen der Pandemie in die sogenannte Mitte der Gesellschaft zu tragen. Die Ausbreitung des Coronavirus geht also mit der Verbreitung von durch Extremistinnen und Extremisten eingebrachten Narrativen und Falschmeldungen einher. Innerhalb kurzer Zeit erreichen sie damit Tausende Menschen – nicht nur, aber vor allem über soziale Medien.

Extremistische Gruppen geben Empfehlungen für den Umgang mit Corona

Ebenso wie bei vielen moderaten Akteuren kann man auch bei extremistischen Gruppen einen alltagsbezogenen Umgang mit dem Virus feststellen, indem sie Empfehlungen und praktische Handlungsanweisungen ausgeben: In einer vor wenigen Wochen erschienenen Ausgabe des al-Naba-Newsletters des sogenannten Islamischen Staates (IS) stellte die Terrororganisation Warnungen und praktische Richtlinien im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie vor. Der Newsletter enthält eine Infografik und eine Liste von "Scharia-Richtlinien für den Umgang mit Epidemien", wie zum Beispiel das Abstandhalten von infizierten Personen, Reiseverbote für Erkrankte sowie Empfehlungen zu richtigen Umgangsformen beim Niesen und Händewaschen. Für die Zeit der Erkrankung wird besonders empfohlen, am Glauben festzuhalten, in ihm Zuflucht zu suchen und auf Allah zu vertrauen. Ende März 2020 veröffentlichte auch al-Qaida über die Al-Sahab Foundation neben einer arabischen Fassung ein sechsseitiges englischsprachiges Pamphlet mit dem Titel "The Way Forward – A Word of Advice on the Coronavirus Pandemic." Darin wird unter anderem auf die Notwendigkeit und Empfehlung des Propheten verwiesen, angemessene Etikette beim Niesen oder Husten einzuhalten. Zudem sei es besonders in diesen Zeiten geboten, sich mit dem Islam zu befassen und Halt im Glauben zu finden. Auf den ersten Blick erscheint die Stoßrichtung des Diskurses nicht überraschend, zumal einige dieser Empfehlungen beispielsweise denen der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO) äußerst ähnlich sind. Demzufolge ist nicht jedes von extremistischen Akteuren in den Diskurs eingebrachte Narrativ auch extremistischer Natur.

Dennoch weisen radikale Online-Diskurse in Bezug auf die Pandemie einige Besonderheiten auf, da Extremistinnen und Extremisten jeder Ausrichtung versuch(t)en, die aktuelle globale Gesundheitskrise entsprechend ihrer Ziele umzudeuten. Gerade solche vermeintlich alltäglichen Narrative wie die praktischen Gesundheitsempfehlungen können also auch Ansatzpunkte dafür sein, extremere Ansichten zu platzieren und so zu verbreiten. Teilweise lassen sich ähnliche Narrative in verschiedenen Extremismen und somit phänomenübergreifend beobachten; gleichzeitig lassen sich aber auch widersprüchliche Narrative innerhalb der Phänomenbereiche erkennen. Einige der eingebrachten Argumente und Sprachbilder weisen zudem deutliche Überschneidungen zu Diskursen der Mehrheitsgesellschaft auf. Um darauf angemessen reagieren und den gesellschaftlichen Zusammenhalt verteidigen und stärken zu können, ist es notwendig, diese Diskurse genauer zu betrachten. Im Folgenden wird gezeigt, wie sich rechtspopulistische beziehungsweise rechtsextremistische und islamistische Akteure in sozialen Medien oder in propagandistischen Materialien auf die Pandemie beziehen. Dabei bauen sie auf Neuinterpretationen und eine diskursive Aneignung des Virus, die die Krankheit sowohl positiv als auch negativ deuten.

Das Virus als Wunderwaffe und Soldat in den eigenen Reihen

Beim Vergleich der virtuellen Kommunikation von rechtspopulistischen beziehungsweise rechtsextremen und islamistischen Personen und Kollektiven sowie ihren Darstellungen und Auslegungen der Pandemie fällt auf, dass beide den Ausbruch des Virus zumindest teilweise positiv interpretieren. In diesem Sinne werden in extrem rechten Kreisen die allgemeinen Folgen von SARS-CoV-2 begrüßt und fälschlicherweise behauptet, dass dieses vor allem für Frauen und "Ausländer" tödlich wäre. Solche Behauptungen lassen sich in Facebook-Profilen von einigen Mitgliedern der Partei Alternative für Deutschland (AfD) ebenso finden wie bei solchen der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD).

Zudem wird die globale Pandemie als ein möglicher erster Schritt in Richtung des Dritten Weltkriegs dargestellt. Dabei wird auf Fantasien rekurriert, das Virus könne dazu genutzt werden, um gezielt "nicht-weiße" Menschen, Jüdinnen und Juden, Polizistinnen und Polizisten oder andere Mitglieder von Strafverfolgungsbehörden zu töten. Auch ist in rechtsextremen Profilen immer wieder die Rede von einem "Tag X", an dem die öffentliche Ordnung gekippt und ein gewaltsamer Umsturz herbeigeführt werden soll – Aussagen, wie sie auch im Umfeld des Vereins Uniter e. V. getätigt werden. Die mit SARS-CoV-2 einhergehende Unsicherheit wird in diesem Kontext also als Chance betrachtet. Rechtsextreme, die der Überzeugung sind, die multikulturelle globalisierte Gesellschaft sei dem Untergang geweiht, sehen zudem eine Gelegenheit, diesen Umsturz durch die Pandemie beschleunigen zu können. "Das System ist am Ende, wir sind die Wende!", so der Slogan auf der NPD-Website, den Mitglieder auch auf Demonstrationen skandieren und der in zahlreichen Facebook-Profilen zu beobachten ist. Auch rechtsextreme Akzelerationistinnen und Akzelerationisten erfreuen sich an dem Ausnahmezustand, der zumindest teilweise mit der Corona-Krise einhergeht und hoffen "auf den Untergang der liberalen Gesellschaft". Zudem bezweifeln QAnon-Anhängerinnen und -Anhänger in Telegramkanälen die Existenz von SARS-CoV-2 und betrachten die Corona-Pandemie als Ablenkungsmanöver politischer Akteure – allen voran US-Präsident Trump. Durch die Ausgangsbeschränkungen und Grenzschließungen sei es politischen Akteuren möglich, die Kinder, die der Verschwörungstheorie zur Folge in der Unterwelt missbraucht werden, unbemerkt zu befreien.

Auch in islamistischen Diskursen finden sich solche "positiven" Interpretationen: In einer weiteren Ausgabe des al-Naba-Newsletters des "IS" lobpreiste die Organisation beispielsweise die Krankheit und die weit verbreiteten "schmerzlichen Qualen" des globalen Ausbruchs als göttliches Werk. SARS-CoV-2 wird zudem als "Soldat Allahs" bezeichnet, der gerechte Strafe und "Qualen über die Ungläubigen" und "Kreuzfahrernationen" bringe. Der Ausbruch des Virus in China wird in sozialen Netzwerken zudem vielfach als eine Strafe für die Verfolgung muslimischer Uigurinnen und Uiguren gedeutet. Ebenso wird die besondere Schwere des Virus im mehrheitlich schiitisch geprägten Iran als Strafe Allahs interpretiert, da beispielweise der sogenannte IS das Schiitentum als Abweichung vom "wahren" Glauben begreift.

Akteure beider Extremismen schreiben dem Virus also positive Eigenschaften zu. Folglich sind sowohl extrem rechtspopulistische und rechtsextreme Akteure wie auch islamistische Gruppen der Ansicht, dass SARS-CoV-2 zumindest teilweise ihren Zielen förderlich ist. Gleichzeitig nutzen beide Spektren das Virus auch, um Verschwörungstheorien zu verbreiten und um gezielt Panik zu schüren.

Das Virus als Nährboden für Verschwörungstheorien

In sozialen Medien kursieren vor allem in der rechtsextremen Szene diverse Verschwörungstheorien über die Konzeption des Virus. Teilweise wird COVID-19 von rechtsextremen Akteuren in Facebook-Profilen als "ausländisches" Virus dargestellt und genutzt, um die Argumentation, dass Bedrohungen immer von außen kommen, zu stärken. In diesem Zusammenhang werden beispielsweise von Reichsbürgerinnen und Reichsbürgern, Neonazis oder Mitgliedern der Identitären Bewegung (IB) migrierte Menschen häufig für die Verbreitung des Virus verantwortlich gemacht und so als Bedrohung dargestellt. Mit diesem Narrativ einher geht die politische Forderung nach der (nachhaltigen) Schließung von Grenzen, wie sich beispielsweise auf Facebook-Profilen von NPD- oder IB-Mitgliedern beobachten lässt. "Eine Nullmigration" wird auf der Website von Ein Prozent "als ein positiver Nebeneffekt der Coronakrise" bezeichnet. Auch wird behauptet, das neuartige Coronavirus sei, insofern es überhaupt existiere, relativ harmlos und Covid-19 werde vielmehr von 5G-Technologie verursacht.

Teilweise heißt es in rechtsextremen Profilen auch, Jüdinnen und Juden seien die Verursachenden der Pandemie. Den Beweis hierfür sehen Rechtsextreme darin, dass Personen jüdischen Glaubens als "Geldverleiher" von der durch die Pandemie ausgelösten Finanzkrise profitieren würden. In einigen rechtspopulistischen bis rechtsextremen Diskursen wird die Existenz des Virus selbst in Frage gestellt und argumentiert, das neuartige Coronavirus sei eine Erfindung von Akteuren der Politik, um das Bargeld abzuschaffen. Einer anderen prominenten Verschwörungstheorie zufolge, wie sie sich unter anderem im Telegramkanal Revolution.Arts oder bei Abonnentinnen und Abonnenten des Sprechers der rechtsextremen Identitären Bewegung Österreich, Martin Sellner, beobachten lässt, ist das SARS-CoV-2 eine Biowaffe, entwickelt in den Labors großer Konzerne, um eine Zwangsimpfung der Gesellschaft einzuleiten. Darüber hinaus wird behauptet, dieser Impfstoff werde Quecksilber und metallische Nanopartikel sowie Krebszellen enthalten und könne nach Ansicht extrem rechter Dogmatikerinnen und Dogmatiker zur Versklavung der Menschheit eingesetzt werden. Engagierte Impfgegnerinnen und -gegner argumentieren oft auf ähnliche Weise, was die Anschlussfähigkeit dieses Arguments verdeutlicht.

Die Interpretationen islamistischer Akteure unterscheiden sich zwar hinsichtlich ihrer Ausgangspunkte, kommen aber zumindest teilweise zu ähnlichen Schlussfolgerungen: So heißt es, "Allahs Zorn" stelle die Menschen auf die Probe. Das neuartige Coronavirus wird als göttliche Strafe für menschliche Sünden interpretiert, denn Krankheiten würden sich nur nach Allahs Willen ausbreiten. Auch al-Qaida äußert sich ähnlich: Die Pandemie sei eine Folge der Sünden von Musliminnen und Muslimen sowie deren Entfremdung von Gott. Als Ursachen werden hierbei "Obszönität und moralische Korruption" sowie mangelnde Unterstützung und Verteidigung unterdrückter Menschen und das "muslimische Versagen" genannt. Nun sei es an der Zeit, den Dschihad voranzutreiben, die Mudschahedin (arab. für "Kämpfer") zu unterstützen und den wahren Glauben weiterzutragen.

Folgerichtig, so die Erzählung, wird die Krankheit erst dann wieder eingedämmt sein, wenn es dem göttlichen Willen entspricht. So soll beispielsweise Abdellatif Rouali, ein bekannter salafistischer Prediger aus Frankfurt am Main, kürzlich in einem Video gesagt haben: "Corona geht erst, wenn Allah es erlaubt". Glaubt man dem "IS", so wendet steter Gehorsam gegenüber Gott (und somit auch der Dschihad als seine "beste Form") Allahs Zorn ab – deshalb wird der Dschihad als "die beste Garantie, sich vor der Epidemie zu schützen" angesehen. Zudem heißt es in sozialen Medien, Musliminnen und Muslime würden seltener oder gar am geringsten mit SARS-CoV-2 infiziert. Ähnlich hatte sich auch der Hamas-nahe Imam Jamil al-Mutawa in seiner Freitagspredigt vom 20. März 2020 geäußert.

Darüber hinaus werden die Familie Rothschild oder eine "zionistische Lobby" – gängige antisemitische Sprachbilder, wie man sie auch aus dem Rechtsextremismus kennt – der Umwandlung des Virus als Waffe beschuldigt. Auch anti-iranische beziehungsweise anti-schiitische Einstellungen werden mit Verschwörungstheorien verknüpft: So warnte ein dschihadistischer Kommandeur sogar vor einem möglichen gezielten Einsatz von Infizierten aus dem Iran als biologische Waffe gegen Rebellengruppen in Syrien.

Scheinbar gleich, aber doch anders?

Die dargestellten Interpretationen und Auslegungen des Virus von Rechtspopulisten und Rechtsextremisten sowie Islamisten weisen hinsichtlich ihrer Ausrichtung deutliche Ähnlichkeiten auf. So wird SARS-CoV-2 in beiden Phänomenbereichen sowohl positiv als auch negativ interpretiert, bereits bestehende Feindbilder werden verstärkt und Fehlinformationen, sogenannte fake news, und Verschwörungstheorien verbreitet.

In ihrer Verwundbarkeit scheinen sich die Gruppen jedoch voneinander zu unterscheiden: Zwar ist die weitere Entwicklung der Pandemie noch ungewiss, jedoch liegt die Vermutung nahe, dass insbesondere jene extremistischen und terroristischen Gruppen vom neuartigen Coronavirus und seinen Auswirkungen betroffen sein werden, die sich nicht auf funktionierende Gesundheitssysteme in einem Nationalstaat verlassen können. Ein Blick auf die Infektionszahlen (deren Verlässlichkeit für einige Länder angezweifelt werden kann) zeigt, dass SARS-CoV-2 zumindest bisher westeuropäische Länder und die USA besonders stark betroffen hat, während es sich in den meisten Ländern des Nahen und Mittleren Ostens und Nordafrikas (mit Ausnahme Irans) noch nicht in vergleichbarer Weise ausgewirkt hat.

Sicher scheint aber bereits jetzt zu sein, dass sich kommende Entwicklungen und die Ausbreitung des Virus auch in der Kommunikation extremistischer Gruppen niederschlagen werden. Außerdem zeichnet sich schon jetzt ab, dass beispielsweise der sogenannte IS die Konzentration auf das Virus als sich bietende Chance nutzt: So hat die Organisation ihre Aktivitäten in den letzten Wochen insbesondere in Ostsyrien verstärkt. Gleichzeitig warnte sie davor, nach Europa und in andere Regionen mit hohen Fallzahlen einzureisen.

Ungeahnte Risiken

Generell ist die Beobachtung, dass extremistische Akteure aller Couleur das neuartige Coronavirus diskursiv mit ihren jeweiligen Agenden in Verbindung bringen, nicht überraschend. Verschwörungstheorien werden in unsicheren Zeiten gezielt eingesetzt, um komplexe Angelegenheiten einfach und im Sinne der Ideologie darzustellen und Feindbilder zu stärken. Darüber hinaus sind, wie gezeigt wurde, nicht alle von extremistischen Gruppen in diesem Zusammenhang vorgetragenen Narrative auch als extremistisch einzustufen: An sich unproblematische Aussagen über Alltagsthemen werden häufig mit ideologischen Standpunkten verknüpft. Dies betrifft den diskursiven Umgang jener Gruppen mit der Pandemie genauso wie den mit anderen Ereignissen. Wenn man jedoch einen bestimmten Beitrag oder Inhalt auf einer Social-Media-Plattform (wie beispielsweise YouTube, Facebook oder Twitter) anschaut, likt oder teilt, werden einem – aufgrund von Algorithmen – ähnliche Inhalte anderer Profile oder weitere Beiträge desselben Users vorgeschlagen. Durch das Liken solcher Inhalte kann es leicht passieren, dass Personen zunehmend radikalere Inhalte konsumieren.

Es scheint wahrscheinlich, dass dieser Prozess durch die Pandemie beeinflusst wird: Durch die weit verbreitete Einschränkung des öffentlichen Lebens verlagert sich ein großer Teil der sozialen Interaktion in die virtuelle Welt. Folglich verbringen zumindest einige Menschen mehr Zeit in sozialen Medien und werden demzufolge auch häufiger mit Narrativen aller Art konfrontiert. Das würde beispielsweise erklären, weshalb einige Kanäle rechtsextremer Akteure beim Messenger-Dienst Telegram innerhalb der letzten Wochen hunderte neue Abonnentinnen und Abonnenten hinzugewonnen haben. Einige Expertinnen und Experten befürchten, dass die Selbstisolierung zudem die individuelle Anfälligkeit gegenüber extremistischen Erzählungen erhöhen könnte und dazu führt, dass die Ausbreitung extremistischer Inhalte und Verschwörungstheorien, insbesondere über das Internet, beschleunigt werden. Teilweise werden Inhalte auch lediglich als "skurriles Entertainment" geteilt, von der empfangenden Person aber nicht als solches verstanden und als wahr empfunden.
Allerdings muss ebenso klar verdeutlicht werden, dass keine Person plötzlich radikale Einstellungen entwickelt oder gar gewaltbereit wird, nur weil sie vermehrt auf Inhalte extremistischer Akteure stößt.

Fazit

Verschwörungstheorien und fake news, die sich derzeit nicht nur, aber vor allem über das Internet verbreiten, können das Verhältnis zwischen Bürgerinnen und Bürgern sowie zwischen ihnen und ihren Regierungen negativ beeinflussen, insbesondere in außergewöhnlichen und unsicheren Zeiten wie diesen. Soziale Spaltungen und bereits vorhandene gesellschaftliche Polarisierung und Schieflagen – die in Krisenzeiten besonders sichtbar werden – sind ein idealer Nährboden für Hass und Gewalt und werden von Extremistinnen und Extremisten häufig ausgenutzt. Wie Chelsea Daymon feststellt, nutzen extremistische Akteure "aktuelle Ereignisse für ihre eigenen Propagandazwecke“ und um mehr Aufmerksamkeit zu erregen. Jedes auf diese Weise eingebrachte Narrativ birgt die Gefahr, neue Gräben innerhalb der Gesellschaft zu schaffen oder bereits bestehende zu vertiefen. Auch können "Fehlinformationen und Verschwörungstheorien tödliche Folgen haben". So häufen sich global bereits rassistische Angriffe und Beschimpfungen auf Menschen vermeintlich asiatischer Herkunft, so beispielsweise in Italien, Frankreich, Kanada und auch Deutschland.

Es ist anzunehmen, dass extremistische Akteure die Corona-Pandemie auch künftig nutzen werden, um weitere (rassistische) Gewaltakte zu rechtfertigen und Hassrede zu betreiben. Außerdem ist zu vermuten, dass sie die aktuelle globale Gesundheitskrise zum Anlass nehmen, ihre Ideologie zu verbreiten – und deshalb muss nicht nur der Verbreitung des Virus selbst, sondern auch dessen extremistischer Vereinnahmung entschieden entgegengetreten werden: In Zeiten wie diesen muss der soziale Zusammenhalt entschlossener denn je verteidigt werden. Hieran sollten sich Akteure verschiedener gesellschaftlicher Ebenen beteiligen: Sowohl die Gesetzgeber und Strafverfolgungsbehörden als auch zivilgesellschaftliche Organisationen, Medien und jede und jeder Einzelne. Insbesondere bedarf es einer gezielten Förderung und Stärkung von Medienkompetenz von klein auf. Deren Bedeutung wird auch und gerade in Zeiten von Covid-19 mit Homeschooling, Homeoffice und verstärkter Nutzung digitaler Medien sehr deutlich.

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Manjana Sold ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), Mitglied der Forschungsgruppe "Radikalisierung" und arbeitet im Projektverbund PANDORA. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen dabei insbesondere auf der Rolle des Internets in Radikalisierungsprozessen und auf der Verbindung zwischen virtueller und realweltlicher Radikalisierung. Sie promoviert zu Mobilisierungstechniken extrem rechter und salafistischer Akteure in der virtuellen Welt.

Clara-Auguste Süß ist Politikwissenschaftlerin und derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) in Frankfurt am Main. Sie ist Teil der dortigen Forschungsgruppe "Radikalisierung" und forscht im Rahmen ihrer Dissertation zu islamistischer Radikalisierung, politischer Transformation und Marginalisierung in Tunesien.