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Die Anti-Terrorismus-Strategie Großbritanniens "Prevent" | Infodienst Radikalisierungsprävention | bpb.de

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Die Anti-Terrorismus-Strategie Großbritanniens "Prevent" Im Wandel begriffen und doch umstritten

Paul Thomas

/ 19 Minuten zu lesen

Paul Thomas, Professor an der University of Huddersfield, skizziert die Entwicklung der umstrittenen britischen Anti-Terrorismus-Strategie "Prevent" seit 2007 und stellt ihre wichtigsten Ziele und Inhalte dar. Er beschreibt und diskutiert die heftigen Kontroversen rund um das Programm. Dies ermöglicht Schlussfolgerungen über die Rolle von "Prevent" heute und in der Zukunft.

Die britische Anti-Terrorismus-Strategie "Prevent" steht seit ihrer Einführung 2007 in der Kritik. (© picture-alliance, Wire / empics)

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Dieser Beitrag erschien zuerst in dem Sammelband "Sie haben keinen Plan B", der von Jana Kärgel herausgegeben wurde. Der Sammelband kann im Shop der bpb Interner Link: bestellt werden.

Die von den westlichen Staaten eingeführten vorbeugenden oder »sanften« Anti-Terrorismus-Strategien standen alle in der Kritik. Aber keine war so umstritten wie das britische Programm »Prevent«. Ab seiner Einführung 2007 war »Prevent« als »Ausspäh-Programm«, als »verdorben« und »vergiftet« verschrien, was vermuten lässt, dass diese Strategie der Terrorismusbekämpfung sich letztlich sogar als kontraproduktiv erweisen könnte. Der von der britischen Regierung beauftragte unabhängige Gutachter der Terrorismusgesetzgebung hat eine Überprüfung des »Prevent«-Programms gefordert und auch in Abgeordnetenausschüssen wurde »Prevent« kritisiert, aber die britische Regierung hat nicht nur jegliche Kritik zurückgewiesen, sondern sogar angedeutet, das Programm noch ausbauen zu wollen. Die Kontroverse hat die Regierungen anderer Länder nicht davon abgehalten, sich eingehend mit »Prevent« zu befassen und vergleichbare Programme aufzulegen. Das ist zum einen wohl darauf zurückzuführen, dass »Prevent« das erste Programm dieser Art nach dem 11. September 2001 war, zum anderen aber auch darauf, dass seine Größenordnung und ehrgeizige Zielsetzung auf großes Interesse stießen.

In diesem Beitrag werden die Anfänge und späteren Veränderungen von »Prevent« nachgezeichnet und die wichtigsten Ziele und Inhalte umrissen. Anhand von fünf weitgefassten und miteinander verknüpften Themen werden anschließend die heftigen und immer noch andauernden Kontroversen rund um das Programm dargelegt und diskutiert. Das ermöglicht einige Schlussfolgerungen über die Rolle von »Prevent« heute und in Zukunft.

Die Entwicklung von »Prevent«

Bei der Entwicklung von »Prevent« lassen sich zwei verschiedene Phasen ausmachen: »Prevent 1« wurde 2007 von der damaligen Labour-Regierung aufgelegt. »Prevent 2« läuft seit 2011. In der zweiten Phase erfolgten erhebliche Veränderungen, in denen sich einerseits zentrale Ereignisse wie der Ausbruch des Bürgerkrieges in Syrien widerspiegelten, andererseits aber auch Spannungen und verschiedene Sichtweisen innerhalb der Regierung (zwischen verschiedenen Ministerien und zwischen den Koalitionsparteien), vor allem aber zwischen der Regierung in London und den Kommunalverwaltungen, die »Prevent« durchführen sollten.

»Prevent 1« wurde 2007/2008 mit Pilotprojekten rasch in die Praxis umgesetzt und dann zwischen 2008 und 2011 erheblich ausgeweitet. Neben der Vergabe von Mitteln, die über das Ministerium für Gemeinden und kommunale Verwaltungen (Department for Communities and Local Government, DCLG) in alle Kommunen mit einem hohen muslimischen Bevölkerungsanteil flossen, beinhaltete das Programm Bemühungen um »vielfältigere Führungsstrukturen« innerhalb der muslimischen Communitys auf nationaler und lokaler Ebene, die besonders auf Frauen und junge Menschen ausgerichtet waren (etwa durch die landesweiten Young Muslims and Muslim Women’s Advisory Groups) und damit in starkem Kontrast zu den traditionelleren Führungsstrukturen in muslimischen Communitys standen, die häufig von älteren Männern dominiert wurden.

Damit einhergehend strebte das Programm eine staatliche Förderung »gemäßigterer« Formen der islamischen Glaubenspraxis an (etwa durch zivilgesellschaftliche Initiativen, mit deren Hilfe eine Art »Mainstream«-Islam befördert werden sollte, z.B. die Radical Middle Way Roadshow oder der Sufi Muslim Council, der allerdings nur von kurzer Dauer war). Schließlich wurden 300 zusätzliche Polizeistellen für Präventionsarbeit im Rahmen der sicherheitspolitischen Maßnahmen des Innenministeriums und seiner Abteilung für Sicherheit und Terrorismusbekämpfung (Office for Security and Counter-Terrorism, OSCT) geschaffen.

Insgesamt wurden mit dem Programm fast 150 Millionen Pfund (etwa 220 Millionen Euro nach damaligem Wechselkurs) direkt und ausschließlich für Prävention ausgegeben. Die Kommunalverwaltungen verfolgten dabei unterschiedliche Ansätze: Einige verteilten das ganze Geld an Organisationen innerhalb der muslimischen Communitys, andere setzten es ein, um eigene Programme in der Jugend- und Gemeindearbeit zu entwickeln. Die Regierung rühmte sich im ersten Jahr damit, mit dem Programm schon fast 50.000 muslimische Jugendliche zu erreichen. Für muslimische zivilgesellschaftliche Organisationen kamen die »Prevent«-Mittel genau zu einer Zeit, als andere öffentliche Mittel gekürzt wurden. Dadurch fiel es ihnen vielfach schwer, die Mittel auszuschlagen, wenngleich sie wussten, dass die Annahme dieser Gelder sehr umstritten war.

Die schnell zunehmende Dominanz der Rolle der Polizei innerhalb von »Prevent« führte zu negativer Berichterstattung in den Medien, zum Vorwurf des »Ausspionierens« und zu einer kritischen Überprüfung des Programmes durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Die neue Regierung aus Konservativen und Liberalen legte das Programm bei ihrem Amtsantritt zunächst auf Eis, um dann mit »Prevent 2« eine überarbeitete Version vorzustellen. Dabei war das das Ministerium für Gemeinden und kommunale Verwaltungen (DCLG) nicht länger involviert und die Mittel für die Kommunen wurden erheblich gekürzt. Die Kontrolle der »Prevent«-Mittel verblieb nun auf nationaler Ebene und wurde direkt der Abteilung für Sicherheit und Terrorismusbekämpfung (OSCT) des Innenministeriums übertragen, was zusammen mit der weiterhin dominanten Rolle der Polizei den Sicherheitsaspekt des Programms immer mehr in den Vordergrund rückte.

»Prevent 2« sollte angeblich allen Formen des Extremismus entgegenwirken, aber in der Praxis blieb der Fokus überwiegend auf den islamistischen Extremismus gerichtet und damit unmittelbar auf die muslimischen Communitys. Das öffentliche Interesse an »Prevent« schien jedoch abzunehmen, bis zwei Ereignisse im Jahr 2013, die Ermordung des Soldaten Lee Rigby durch zwei islamistische Extremisten und die sich verschärfende Krise in Syrien, »Prevent« wieder verstärkt auf die Agenda hoben und zu seinem Ausbau führten.

Eine wesentliche Neuerung war die gesetzliche Verpflichtung (die sogenannte Prevent duty) für alle Schulen, Universitäten und andere öffentliche Einrichtungen, z.B. Gesundheitsdienste, »die Notwendigkeit ernst zu nehmen, Menschen davor zu bewahren, in terroristische Aktivitäten hineingezogen zu werden«, sie vor Extremismus zu schützen und »Prevent« umzusetzen. Vor Ort tätige Fachkräfte, z.B. in der Jugendsozialarbeit und in den Schulen, mussten nun junge Menschen, bei denen sie erste Radikalisierungstendenzen bemerkten, beim ebenfalls neu eingeführten »Channel«-Projekt melden. Unterstützt wurde dies durch ein beträchtlich erweitertes Angebot an »Sensibilisierungsworkshops« (Workshop to Raise Awareness of Prevent, WRAP), mit denen eine große Zahl an Beschäftigten im öffentlichen Dienst geschult wurde, um eine Radikalisierung – selbst ein sehr umstrittenes Konzept – besser zu erkennen.

Kontroversen um und Probleme von »Prevent«

Es gab unzählige politische, mediale und öffentliche Diskussionen über »Prevent«. Es ist nicht immer einfach, die Kommentare einzuordnen, weil sie häufig von heftigen emotionalen Plädoyers für oder gegen das Programm beeinflusst sind. Zudem ist aufgrund der oben angeführten erheblichen Veränderungen nicht immer ganz klar, wogegen sich die Kritik richtet – gegen das alte oder gegen das neue »Prevent«-Programm. Im Folgenden werden die zentralen Kontroversen um »Prevent« anhand von fünf Themenkomplexen zusammengefasst sowie die Änderungen und ihre Auswirkungen erklärt.

Der Fokus auf Muslime

Ausgestattet mit umfangreichen finanziellen Mitteln ging es in der ersten Phase von »Prevent« überwiegend um öffentlichkeitswirksame Maßnahmen, die ausschließlich Muslime in den Blick nahmen, und das trotz der Tatsache, dass am Anschlag vom 7. Juli 2005 in London (»7/7«) und bei anderen vereitelten Anschlägen nur eine sehr kleine Zahl an jungen Muslimen im Vergleich zur Gesamtheit der in Großbritannien lebenden Muslime beteiligt war (von denen einige darüber hinaus zum Islam »Konvertierte«, z.B. aus der afrikanisch-karibischen Community, waren oder keine besonders gläubigen Muslime, d.h. solche, die nur selten in die Moschee gingen, auf entsprechende Kleidung verzichteten und es mit den Vorschriften zu Essen, Alkohol und Beziehungen nicht so genau nahmen).

Das hatte zwei bedeutsame negative Folgen. Zum einen entstand bei den Muslimen der Eindruck, dass ihnen kollektiv die Schuld für die Taten Einzelner in die Schuhe geschoben wurde, was auch den diskriminierenden Erfahrungen entsprach, die viele von ihnen auf Reisen oder in der Öffentlichkeit machten. Zum anderen hegten viele Menschen nun tatsächlich einen Generalverdacht gegen Muslime und hielten sie für eine Bedrohung: Denn warum sonst sollte die Regierung ein so großangelegtes Programm für nötig halten? Und das verstärkte und rechtfertigte muslimfeindliche Einstellungen. Der berühmte Soziologe Stuart Hall nannte »Prevent« nicht zuletzt deshalb das »bedeutsamste Vordringen in eine ethnische Community« durch den britischen Multikulturalismus.

Der Ansatz von »Prevent 1« ermöglichte jedoch die maßgebliche Einbeziehung zivilgesellschaftlicher muslimischer Organisationen in die Umsetzung des Programmes. Kommunalverwaltungen, die »Prevent«-Gelder erhielten, konnten diese Mittel nach eigenem Gutdünken einsetzen. Viele von ihnen boten muslimischen Gruppierungen Fördergelder an, um sie in die »Prevent«-Arbeit vor Ort miteinzubeziehen. Einige muslimische Gruppen lehnten die Annahme dieser Gelder jedoch entschieden ab, weil sie in einem zu engen Zusammenhang mit Terrorismusbekämpfung standen und damit einen faden Beigeschmack hatten. Für andere waren es dagegen willkommene Fördermittel zu einer Zeit, als die öffentlichen Ausgaben gekürzt wurden. Die »Prevent«-Finanzierung ermöglichte es den muslimischen Organisationen, stärkere Partner der Kommunalverwaltungen zu werden, was sie als einen deutlichen Vertrauensbeweis erachteten. Das änderte sich erst 2011, als sich auf nationaler Ebene allmählich eine andere, deutlich negativer geprägte politische Sichtweise zur Rolle und sogar zur Vertrauenswürdigkeit von muslimischen Communitys im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung durchsetzte.

Widersprüche zur Integrationspolitik

Großbritanniens multikultureller Politikansatz gegenüber bestimmten ethnischen Communitys hat sich in diesem Jahrhundert gewaltig verändert. Unruhen, ethnische Segregation und Spannungen zwischen verschiedenen Ethnien in mehreren Städten Nordenglands hatten 2001 zu einem entscheidenden politischen Umdenken geführt. Ein neuer politischer Ansatz, dessen Ziel es war, »Zusammenhalt im Gemeinwesen« (community cohesion) zu schaffen, wurde auf den Weg gebracht, wobei der Schwerpunkt auf gemeinsamen Werten, Identität und dem Dialog zwischen den Communitys lag. Politiker benutzten nicht länger den Begriff »Multikulturalismus«, was manch einen dazu veranlasste zu behaupten, der britische Multikulturalismus sei »tot« und die für Frankreich typische Assimilation werde nun bevorzugt. Die Forschung zeigte jedoch, dass auch der Ansatz des »Zusammenhalts im Gemeinwesen« in der Praxis auf ethnische und religiöse Identitäten und Organisationen fokussierte, aber diese darüber hinaus dazu ermutigte, Community-übergreifend zu arbeiten, um den sozialen Zusammenhalt zu fördern. So ist der Zusammenhalt im Gemeinwesen letztlich nichts anderes als eine Umbenennung und Neujustierung des Multikulturalismus, aber keinesfalls sein Tod.

Diese neue Politik des »Zusammenhalts im Gemeinwesen« wurde sowohl von den Fachleuten vor Ort als auch von den Communitys selbst unterstützt. Genau aus diesem Grund fand die spätere Einführung von »Prevent« so wenig Anklang, weil dieses Programm inklusive der Fördermittel sich ausschließlich an Muslime richtete – und damit andere ethnische Communitys von der Möglichkeit, Fördergeldern zu erhalten, ausschloss, obwohl aus Berichten über die Unruhen von 2001 deutlich hervorging, dass diese Art von einseitiger Mittelbewilligung für Unmut sorgt. Da »Prevent« im krassen Widerspruch zum Ansatz des »Zusammenhalts im Gemeinwesen« stand, mit dem die Kommunalverwaltungen dem Extremismus entgegenwirken wollten, waren diese gegen das Programm. Ihre Einwände wurden jedoch ignoriert und sie waren gezwungen, »Prevent« umzusetzen. Im Rahmen von »Prevent 1« gab es zwar auch noch staatliche Mittel zur Förderung des Zusammenhaltes, aber nach und nach wurde dieser Ansatz in den Hintergrund gedrängt.

Dass der Terrorismusbekämpfung ein höherer Stellenwert eingeräumt wurde als dem sozialen Zusammenhalt bestätigte sich 2012, als die britische Regierung die finanzielle Unterstützung für Projekte zur Förderung der community cohesion komplett einstellte. Die 2001 identifizierten Probleme bei der Integration verschiedener Ethnien in die Gesamtgesellschaft sind zwar nach wie vor nicht gelöst, aber nun dreht es sich bei der Politik des britischen Staates gegenüber den muslimischen Communitys nur noch um Terrorismus.

Zunehmende Versicherheitlichung

Die große Rolle, die der Polizei und den Sicherheitsorganen innerhalb von »Prevent« eingeräumt wurde, wird als eine beunruhigende »Versicherheitlichung« (securitisation) der Gesellschaft angesehen und wurde sogar als Schritt in Richtung eines »polizeilich kontrollierten Multikulturalismus« bezeichnet. Bei »Prevent« sollte es eigentlich nicht darum gehen, tatsächliche terroristische Anschlagsplanungen aufzudecken und Anschläge zu vereiteln, denn dafür gibt es in der Strategie der britischen Regierung zur Terrorismusbekämpfung den Bereich »Pursue« (Verfolgen). Deshalb hat es viele Lokalpolitiker, pädagogische Fachkräfte und Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter verwundert, dass die Polizei von Anfang an auf lokaler und nationaler Ebene eine so bedeutende Rolle im »Prevent«-Programm gespielt hat.

In der »Prevent-1«-Phase sollten die Polizeibeamten in erster Linie Kontakte in die muslimischen Communitys knüpfen und vertrauensvolle Beziehungen aufbauen. Dazu gehörte auch, dass sie mit den jungen Leuten aus den Communitys zusammenkamen – eine Aufgabe, die normalerweise von den Fachkräften in der Jugend- und Sozialarbeit erledigt wird. Aus den dem »Prevent«-Untersuchungsausschuss des britischen Parlamentes vorgelegten Berichten zur Arbeit der Polizei in den Jahren 2009/2010 lässt sich allerdings schließen, dass die Polizei wenig Vertrauen in derlei präventive Aktivitäten hatte, die in erster Linie auf eine positive Gemeinwesenentwicklung abzielten, sondern die Identifizierung von »Extremisten« innerhalb dieser Communitys stärker in den Fokus rücken wollte. Anlass der parlamentarischen Untersuchung waren übrigens konkrete Vorwürfe, dass Sicherheits- und Polizeikräfte Jugendsozialarbeiter dazu gedrängt hätten, »Informationen« über ihre jugendliche Klientel weiterzugeben. Derartige Unstimmigkeiten verstärkten das negative öffentliche Image von »Prevent« und haben die Zusammenarbeit mit den muslimischen Communitys bei der Terrorismusbekämpfung erschwert.

Durch das 2015 verabschiedete Anti-Terror-Gesetz hat die Versicherheitlichung des Programmes weiter zugenommen. Mit ihm wurde die sogenannte »Prevent«-Pflicht für Angestellte des öffentlichen Dienstes und das »Channel«-Projekt eingeführt, auf die noch ausführlicher eingegangen wird.

Die Spannung zwischen »Mittel- und Werteorientierung«

Ein wichtiger Grund für die erheblichen Veränderungen, denen »Prevent« unterzogen wurde, waren die Meinungsverschiedenheiten darüber, was mit dem Programm erreicht werden soll und wie es zu erreichen ist. Dies kann als Spannung zwischen »mittel- und werteorientierten« Ansätzen zusammengefasst werden.

Beim mittelorientierten Ansatz, der bei »Prevent 1« im Vordergrund stand, gilt die individuelle Hinwendung zum Extremismus als ein komplexer und unvorhersehbarer Prozess, da die Denk- und Handlungsweisen von Einzelpersonen von verschiedenen Faktoren auf individueller, gemeinschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene beeinflusst werden. Entsprechend förderte »Prevent 1« die Entwicklung des Gemeinwesens, um die Communitys und die Widerstandsfähigkeit der Peergroups zu stärken. Man war zudem bereit, muslimische Gruppen zu finanzieren, die möglicherweise Einfluss auf radikalisierungsgefährdete Personen ausüben konnten, ganz gleich, ob diese Gruppen mit den gängigen demokratischen Werten der Gesellschaft übereinstimmten oder nicht. In dieser Phase überließ die Regierung es den Kommunen, zu beurteilen, welche Maßnahmen sie für geeignet hielten, und sie duldete die Einbeziehung von salafistischen Gruppen auf lokaler Ebene, wenn diese zur Prävention von Terrorismus beitragen konnten und weder gegen Gesetze verstießen noch Gewalt ausübten. Es ist bezeichnend, dass »Prevent« in dieser Phase tatsächlich als Programm zur »Verhinderung von gewaltbereitem Extremismus« bekannt war.

All das änderte sich mit der Überprüfung von »Prevent« im Jahr 2011, mit der die »Prevent-2«-Phase eingeläutet wurde. Dabei rückte der »werteorientierte« Ansatz in den Mittelpunkt. Aus diesem Blickwinkel wird die Hinwendung zu islamistischem Terrorismus nicht allein dem schwierigen Werdegang »gestörter« Individuen zugeschrieben, sondern auch allgemein mit den Einstellungen und Gesinnungen innerhalb der muslimischen Communitys in Zusammenhang gebracht, von denen generell eine Bedrohung ausginge, wie es Michael Gove, der an der Neuausrichtung auf nationaler Ebene beteiligt war, in seinem 2006 erschienenen Buch ausführt. Der Ansatz folgt somit der Fließband-Hypothese der Radikalisierung, nach der Organisationen, die technisch gesehen gesetzestreu sind, aber in religiöser und politischer Hinsicht eine Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft und »antiwestliche« Werte unterstützen, eine entscheidende Rolle dabei spielen, Individuen kontinuierlich in die Richtung politischer Gewalt zu drängen.

Der Schritt zu diesem »werteorientierten« Ansatz führte zu einer Reihe von Veränderungen im »Prevent«-Programm. Erstens wurde fast die gesamte »Prevent«-Finanzierung für Gruppen aus muslimischen Communitys gestrichen, weil sie als Partner nicht mehr vertrauenswürdig schienen. Auch die Mittel für die lokalen Behörden wurden erheblich gekürzt und, wie bereits dargelegt, der Kontrolle der Regierung in London unterstellt, weil auch ihnen nicht mehr voll und ganz vertraut wurde. Zweitens ging es bei »Prevent« jetzt offiziell um Extremismus im Allgemeinen und nicht mehr ausschließlich um gewaltbereiten Extremismus, sodass z.B. auch die Kritik an der britischen Außenpolitik von nun an als ein Zeichen für eine Radikalisierung gewertet werden konnte. In der Praxis fand und findet es die britische Regierung fast unmöglich zu definieren, was (nicht gewaltbereiter) Extremismus ist und wie sie dagegen vorgehen soll, ohne gegen grundlegende Rechte zu verstoßen.

Drittens geht man bei diesem Ansatz davon aus, vorhersagen zu können, welche Individuen sich in Richtung terroristischer oder extremistischer Aktivitäten bewegen werden. Wie weiter unten ausgeführt, liegt daher die Priorität darauf, öffentliche Bedienstete zu schulen, solche Individuen zu erkennen und zu melden. Die Forschung ist sich jedoch einig, dass es kein klares Muster an ursächlichen Faktoren oder Verhaltensweisen gibt, mit deren Hilfe vorhersagbar ist, wer sich in eine terroristische oder extremistische Richtung entwickeln wird. So haben z.B. einige Mitglieder von salafistischen Gruppen zu Gewalt gegriffen, viele andere aber nicht. Deshalb ist ein Verbot oder eine Strafandrohung für Gruppen dieser Art vermutlich eher ineffektiv. Eine strenge Überwachung oder rechtliche Maßnahmen (etwa rechtliche Auflagen für bestimmte Vereine oder die Einschränkung der Bewegungsfreiheit verdächtiger Personen), würden nicht nur gegen Bürgerrechte und gesellschaftliche Normen verstoßen, sondern könnten sich sogar insofern als kontraproduktiv erweisen, als sie eine größere Feindseligkeit schüren und dazu führen könnten, dass sich Muslime von der Gesellschaft abwenden, weil sie das Gefühl haben, dass sie und Menschen wie sie ohne klare Beweise beschuldigt werden. Aus diesem Grund ist die »Prevent«-Pflicht in Großbritannien so umstritten.

Die »Prevent«-Pflicht

Die Einführung der »Prevent«-Pflicht (Prevent duty) im Jahr 2015 war die logische Folge des werteorientierten Ansatzes. Sie erhielt durch zwei Umstände Auftrieb: zum einen dadurch, dass junge britische Staatsbürger nach Syrien ausreisten, zum anderen durch eine Kontroverse über den ultrakonservativen muslimischen Einfluss auf öffentliche Schulen in Birmingham, der als »Extremismus« ausgelegt wurde. Die »Prevent«-Pflicht ist insofern international beispiellos, als sie von Fachkräften verlangt, jenseits ihrer normalen beruflichen Verantwortlichkeiten Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung umzusetzen. An Universitäten waren die Maßnahmen besonders umstritten, weil die freie Meinungsäußerung und wissenschaftliche Freiheit bedroht schien. Hier führte der Protest zu einigen politischen Kompromissen, aber in Schulen und Berufsfachschulen, im Gesundheits- und Sozialwesen wurde die gesetzliche Pflicht voll umgesetzt und Tausende öffentliche Bedienstete wurden entsprechend geschult. Bei den von der Regierung durchgeführten Überprüfungen, z.B. den OFSTED-Inspektionen an Schulen und Berufsfachschulen, stand nicht länger die Umsetzung der Lehrpläne, sondern die Umsetzung der »Prevent«-Pflicht im Mittelpunkt.

Die »Prevent«-Pflicht geht mit der Forderung einher, Individuen, die »radikalisierungsgefährdet« zu sein scheinen, dem »Channel«-Projekt zu melden. »Channel« ist heute eines der »Prevent«-Elemente, dem höchste Priorität eingeräumt wird, und es verkörpert mit seinem kriminalpräventiven Ansatz die Problematik von »Prevent 2«: Es werden Menschen (von denen viele unter 18 Jahre alt sind) gemeldet, die gar keine Straftat begangen oder auch nur geplant haben. Hätten sie das getan, würde die Polizei ihre normalen Ermittlungen aufnehmen. Stattdessen sind die Meldungen häufig aufgrund von bestimmten Aussagen oder Denkweisen oder eines bestimmten Verhaltens dieser Menschen erfolgt.

Die auf nationaler Ebene festgelegten Indikatoren, nach denen die Fachkräfte ihre Beurteilungen machen, sind ebenso umstritten wie problematisch, weil sie Veränderungen beschreiben, die auf viele Teenager zutreffen könnten. Von den Meldungen an »Channel« führen 90 Prozent zu keinen weiteren Maßnahmen. Die anderen zehn Prozent der Fälle werden individuell betreut und beraten. Den Kritikern der »Prevent«-Pflicht wird oftmals entgegengehalten, dass diejenigen, die nach Syrien gehen oder an Anschlägen beteiligt sind, nicht nur den Anschlagsopfern, sondern auch sich und ihren Familien großen Schaden zufügen. Außerdem würden einige ihre Gedanken sehr schnell in Taten umsetzen, sodass präventive Interventionen gerechtfertigt seien.

Welche Auswirkungen die »Prevent«-Pflicht hat, ist umstritten. Auch wenn die Medien bestimmte Fälle herausgepickt haben und die Berichterstattung in einigen dieser Fälle nicht korrekt war, ist es unbestreitbar, dass es einige völlig unbegründete Meldungen aufgrund der »Prevent«-Pflicht gab, die tatsächlich den von den Kritikern befürchteten kontraproduktiven Effekt hatten: Sie vermittelten den Eindruck, dass man aus nichtigen Gründen gegen Muslime vorgeht. Es ist jedoch nicht klar, wie repräsentativ solche Einzelfälle für die »Prevent«-Pflicht insgesamt sind.

Jüngere Untersuchungen dazu, wie Lehrkräfte diese Pflicht in Schulen und Berufsfachschulen verstehen und umsetzen, legen nahe, dass die meisten von ihnen kein Problem mit dem Aspekt der »Prevent«-Pflicht haben, der auf den »Schutz« der Jugendlichen fokussiert. Sie begreifen die individuelle Gefährdung, sich dem Extremismus zuzuwenden, als reale Gefahr, die sich nicht sonderlich von der Gefährdung durch sexuellen Missbrauch, Drogenkonsum oder der Mitgliedschaft in Gangs unterscheidet. Auf diese Weise könnte »Prevent« allmählich zu einem normalen Teil des Kinder- und Jugendschutzes werden. Die befragten Lehrkräfte haben zwar das Gefühl, dass die »Prevent«-Pflicht Muslime in der Tat stigmatisieren könnte, aber sie sind fest entschlossen, dass dies nicht an ihren Schulen passieren wird, da sie Maßnahmen ergreifen, um genau das zu verhindern.

Was die Lehrkräfte jedoch kritisieren, ist, dass es seitens der Regierung keine Unterstützung dafür gibt, Bildungsmaßnahmen, die dazu beitragen, dass Jugendliche eine größere Resilienz gegen die »Verführungen« des Extremismus aufbauen, in den Lehrplan aufzunehmen. Lehrkräfte und Jugendsozialarbeiter versuchen dennoch, solche Maßnahmen, etwa Gespräche mit den Jugendlichen zu kontroversen politischen und gesellschaftlichen Themen, im Rahmen ihrer Regelarbeit anzubieten, bekommen aber wenig inhaltliche oder finanzielle Unterstützung durch »Prevent« oder die Regierung. Damit setzt sich ein Problem fort, das seit Beginn besteht: Bei »Prevent« geht es darum, Terrorismus und gewaltbereiten Extremismus zu verhindern, aber das Programm hat wenig dazu beigetragen, die Präventionsarbeit zu verbessern. Es wurde und wird wenig Wert darauf gelegt, den Pädagoginnen und Pädagogen die Fähigkeit – und insbesondere das dafür notwendige Zutrauen – zu vermitteln, mit jungen Menschen kontroverse Themen zu diskutieren. Das ist eine überaus schwierige Arbeit, aber es ist vermutlich der einzige Weg, junge Menschen tatsächlich davor bewahren zu können, Extremisten zu werden.

Schlussfolgerung: Die britische »Prevent«-Strategie heute

»Prevent« ist heute noch genauso umstritten wie in den ersten Jahren. Es deutet sich jedoch an, wie die Bevölkerung allmählich davon überzeugt werden könnte, dass das Programm nützlich und notwendig ist. Ein sich gerade entwickelnder Ansatz ist, die »Prevent«-Arbeit transparenter zu machen. Die Medien erhalten jetzt Zugang zu tatsächlichen Fällen, die von »Channel« bearbeitet wurden. Dabei hat sich gezeigt, dass es sich in einigen Fällen um rechtsextreme Personen handelte, also nicht immer nur um Muslime, und dass viele von ihnen ernsthafte Probleme hatten, die eine Intervention erforderlich machten. Es deutet auch einiges darauf hin, dass »Prevent« aufgrund der gesetzlichen »Prevent«-Meldepflicht allmählich verschwinden könnte, indem es nicht nur nach und nach Teil des gängigen Kinder- und Jugendschutzes und der Beratungsarbeit wird, sondern auch Teil der politischen Bildung. Hier wäre es ein hilfreicher Schritt, wenn die Polizei sich noch weiter aus dem »Prevent«-Programm zurückziehen würde. Es gibt zudem Hinweise darauf, dass die Regierung in London erkennt, dass es ein Fehler war, den Kommunen die (finanzielle) Unterstützung zu entziehen. Die finanzielle Förderung für lokale »Prevent«-Maßnahmen nimmt langsam wieder zu, aber es ist noch unklar, ob die Regierung jetzt den muslimischen Organisationen vertrauen und ihnen Fördermittel anbieten wird und ob diese die Mittel dann auch akzeptieren würden. Die neue Herausforderung für »Prevent« sind die Rückkehrer aus Syrien. »Prevent« ist nicht für den Umgang mit Menschen konzipiert, die schon sehr radikalisiert und möglicherweise traumatisiert sind, dafür sind ein breiteres Spektrum an Experten und bessere Verfahren zur Risikobeurteilung vonnöten. Die behördenübergreifende Beratung im Rahmen des »Channel«-Projektes könnte jedoch eine Hilfe für die Rückkehrer sein. Die wirkliche Arbeit der Reintegration kann jedoch nur von der (muslimischen) Zivilgesellschaft geleistet werden. Damit zivilgesellschaftliche Gruppen, insbesondere muslimische Gruppen und Organisationen, Gelder von der Regierung akzeptieren, müssen sie vielleicht über einen anderen Mechanismus als »Prevent«, der nicht direkt ein Regierungsprogramm ist, vergeben werden.

Die Übersetzung des englischen Originaltextes besorgte Ina Goertz.

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Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Francesco Ragazzi: Towards »Policed Multiculturalism«? Counter-radicalisation in France, the Netherlands and the United Kingdom, Paris 2014.

  2. Vgl. Paul Thomas: Responding to the Threat of Violent Extremism – Failing to Prevent, London 2012; ders.: Divorced but still co-habiting? Britain’s Prevent/community cohesion tensions, in: British Politics, Nr. 4, 2014, S. 472–493.

  3. Vgl. Thomas: Responding to the Threat of Violent Extremism (Anm. 2).

  4. Vgl. Vivien Lowndes/Leila Thorp: Preventing violent extremism – why local context matters, in: Roger Eatwell/Matthew J. Goodwin (Hrsg.): The New Extremism in: 21st Century Britain, Oxford 2010, S. 123–141.

  5. Vgl. Department for Communities and Local Government (DCLG): Prevent Pathfinder Fund – Mapping of Project Activities 2007/08, London 2008.

  6. Arun Kundnani: How not to Prevent violent extremism, London 2009, Externer Link: http://s3-eu-west-2.amazonaws.com/wpmedia.outlandish.com/irr/2017/04/26154810/spooked.pdf

  7. Vgl. House of Commons Communities and Local Government Committee: Preventing Violent Extremism: Sixth Report of session 2009-10, London 2010.

  8. Vgl. Her Majesty’s Government: Tackling Extremism in the UK: Report from the Prime Minister’s Task Force on Tackling Radicalisation and Extremism, London 2013.

  9. Her Majesty’s Government: Prevent Duty Guidance for England and Wales, London 2015, S. 2.

  10. Vgl. Arun Kundnani: Radicalisation: The Journey of a Concept, in: Race and Class, Nr. 2, 2012, S. 3–25.

  11. BBC Radio 4: Thinking Allowed, Sendung vom 16. März 2011.

  12. Vgl. Kundnani (Anm. 6).

  13. Vgl. Lowndes/Thorp (Anm. 4).

  14. Vgl. Paul Thomas: Youth, Multiculturalism and Community Cohesion, Basingstoke 2011.

  15. Vgl. Therese O’Toole u.a.: Taking Part: Muslim Participation in Contemporary Governance, Bristol 2013, Externer Link: http://www.tariqmodood.com/uploads/1/2/3/9/12392325/mpcgreport.pdf (letzter Zugriff: 28.06.2017).

  16. Vgl. Thomas: Divorced but still co-habiting? (Anm. 2).

  17. Vgl. Ragazzi (Anm. 1).

  18. Beide, »Prevent« und »Pursue«, sind Teil der übergeordneten Strategie Großbritanniens zur Terrorismusbekämpfung, genannt CONTEST. Bekannt geworden ist die Strategie aber durch insgesamt vier »P«, nämlich »Prevent« (Vorbeugen), »Pursue« (Verfolgen), »Protect« (Schützen) und »Prepare« (Vorbereiten), die allesamt unterschiedliche Bereiche der Terrorismusbekämpfung abdecken sollen.

  19. Vgl. House of Commons Communities and Local Government Committee (Anm. 7).

  20. Vgl. Kundnani (Anm. 6).

  21. Vgl. Her Majesty’s Government (Anm. 9).

  22. Der Unterschied zwischen mittel- und werteorientierten Ansätzen besteht darin, dass es bei der Mittelorientierung prioritär darum geht, gewaltbereiten Extremismus zu verhindern. Dazu kann auch auf Mittel zurückgegriffen werden, die mit den liberalen und demokratischen Werten Großbritanniens nur bedingt vereinbar sind (z.B. die Zusammenarbeit mit salafistischen Gruppen, die aber keine Gewalt anwenden). Dadurch kann eine große Bandbreite an Mitteln zum Einsatz kommen. Der werteorientierte Ansatz knüpft hingegen den Einsatz der Mittel zur Bekämpfung jeglicher Form von Extremismus (auch nicht gewaltbereiter) direkt an die liberalen und demokratischen Werte Großbritanniens, sodass weitaus weniger Mittel und Kooperationspartner in Betracht kommen, weil sie diesem Wertekonsens nicht oder nur teilweise entsprechen.

  23. Vgl. Yahya Birt: Promoting virulent envy – reconsidering the UK’s terrorist Prevention strategy, in: The Royal United Services Institute Journal, Nr. 4, S. 52–58.

  24. Michael Gove: Celsius 7/7, London 2006.

  25. Das Office for Standards in Education, Children’s Services and Skills (OFSTED) ist dem Bildungsministerium unterstellt und maßgeblich für die Überwachung der (Bildungs-)Standards im Bereich Bildung, Lehre und Erziehung im Land verantwortlich.

  26. Vgl. Cage: The ›science‹ of pre-crime: The secret ›radicalisation‹ study underpinning Prevent, London 2016, Externer Link: https://cage.ngo/wp-content/uploads/2016/09/CAGE-Science-Pre-Crime-Report.pdf (letzter Zugriff: 28.06.2017).

  27. Vgl. Open Society Foundation Justice Initiative (OSFJI): Eroding Trust: The UK’s Prevent counter-extremism strategy in health and education, New York 2016, Externer Link: https://www.opensocietyfoundations.org/sites/default/files/eroding-trust-20161017_0.pdf (letzter Zugriff: 28.06.2017).

  28. Im Bericht der Open Society Foundation Justice Initiative (Anm. 27) sind schonungslos und detailliert Beispiele von muslimischen Jugendlichen angeführt, die unter fadenscheiniger oder völlig ohne Begründung dem »Channel«-Projekt gemeldet wurden.

  29. Vgl. Joel Busher/Tufyal Choudhury/Paul Thomas: What the Prevent duty means for schools and colleges in England: An analysis of educationalists’ experiences, London 2017.

  30. Vgl. Paul Thomas: Youth, Terrorism and Education: Britain’s Prevent programme, in: International Journal of Lifelong Education, Special Issue on Youth, Social Crisis and Learning, Nr. 2, 2016, S. 171–187.

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Prof. Paul Thomas lehrt zum Thema »Jugend und Politik« an der Universität Huddersfield in Großbritannien. Sein Forschungsinteresse gilt unter anderem der Frage, wie multikulturelle Politikansätze, wie etwa das »Prevent«-Programm zur Terrorismusbekämpfung, auf der kommunalen Ebene und von pädagogischen Fachkräften umgesetzt werden. Darüber hinaus ist er selbst ausgebildeter Jugendsozialarbeiter. Zuletzt erschien von ihm »What the Prevent duty means for schools and colleges in England: An analysis of educationalists’ experiences« (mit J. Busher, T. Choudhury und G. Harris, 2017).