Kulturelle Bildung als Kraftfeld der Kulturpolitik
Kulturpolitik wird nur dann vor den neuen Herausforderungen bestehen, wenn wir sie immer von neuem als Gesellschaftspolitik gestalten und begründen. Dabei stehen drei ebenso weitreichende wie langfristige Herausforderungen im Raum: Medialisierung, Globalisierung, Individualisierung.
I. Begründungsmuster für Kulturpolitik
Die Kulturpolitik ist nach einer Phase des Aufbruchs und des Wachstums während der siebziger Jahre in der Folgezeit in die Defensive geraten. In der Aufbruchphase der "Neuen Kulturpolitik" hatte diese proklamiert, Kulturpolitik sei Gesellschaftspolitik, und sie hat dieses Motto zu dem Programmsatz "Kultur für alle und von allen" verdichtet. In den achtziger und neunziger Jahren wurden kulturpolitische Diskussionen auf der Grundlage eines weiten Kulturverständnisses geführt, das eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Kulturbegriffe zu integrieren suchte.[1]Dieses Element zeitgemäßer Kulturpolitik wurde letztlich aus der Praxis der Soziokultur übernommen. Ohne einen solchen weiten Kulturbegriff würden wir in der Tat die Herausforderungen in diesem gesellschaftlichen Feld nicht wirklich verstehen können, uns in Abgehobenheit verlieren. Der weite Kulturbegriff, der den Blick für die Vielfalt der kulturellen Erscheinungsformen und Anbieter geöffnet hat, ist inzwischen nicht nur die Basis für die Arbeit der Kultureinrichtungen, sondern auch für die Reflexion der ästhetischen Dimension kulturpolitischer Entscheidungsfindung.[2]
Bisweilen haben wir jedoch die Kultur eher als Mittel zum Zweck und nicht als Selbstzweck angesehen: Kultur als Kreativitätsfaktor, als Standortfaktor, Kultur als Imagefaktor, als Lebens- und Überlebensmittel. Anders gesagt: Manchmal ging es mehr um "Kultur für alles" als um "Kultur für alle". Solche inhaltlichen Defizite waren in gewisser Weise "im Projekt einer primär sozial motivierten neuen Kulturpolitik angelegt"[3]. Gleichwohl war diese neue Kulturpolitik äußerst erfolgreich. Die Entwicklung des Museums- und Theaterbesuchs, die Vielzahl und Vielfalt hochklassiger kultureller Ereignisse, aber auch die Soziokultur zeigen das in beeindruckender Weise. In diesem Sinne war "Kultur für alle" zweifellos ein Erfolgsmotto.
Angesichts der schwierigen Situation der öffentlichen Haushalte sind es vor allem zwei Argumentationsstränge, mit denen sowohl der Erhalt als auch der Ausbau kultureller Einrichtungen und damit ein Fortschreiben des Mottos "Kultur für alle und von allen" immer wieder begründet werden:
- Die Kultur müsse sich gegen andere gesellschaftliche Felder behaupten, wenn die Gesellschaft nicht elementare Substanzverluste (Utopieverlust, Humanitätsverlust, Phantasieverlust, Freiheitsverlust, Gerechtigkeitsverlust) erleiden solle. Dabei wird Kulturpolitik - das ist die implizite Voraussetzung dieses Argumentationsganges - durchweg zur zentralen Voraussetzung für "Kultur" erklärt.
- Kultur wird zumeist mit "Kunst" und "Hochkultur" - inzwischen mitsamt der Soziokultur - gleichgesetzt. "Kunst" und "Hochkultur" müssten sich gegen die moderne "Massenkultur" behaupten, deren Wirkung sich im Wesentlichen auf flache Unterhaltung reduziere.
- Beide Argumente sind jedoch brüchig geworden, reichen zur Begründung von Kulturpolitik heute bei weitem nicht mehr hin: Zum einen finden wir kaum mehr richtige Antworten auf die Frage, nach welchen Kriterien sich die Grenzen zwischen "Hochkultur" und "Massenkultur" ziehen lassen.[4]
- Zum einen wird Kulturpolitik "von der öffentlichen Hand her" begründet: Kultureinrichtungen sind auch bei knapper werdenden Mitteln zu erhalten. Es geht um die "Aufrechterhaltung des Kulturbetriebs". Hierbei spielen Qualitätsgesichtspunkte zwar eine Rolle, doch der Abbau von Standards wird im Zweifelsfall hingenommen. Dabei steht oft die Wahrung berufsständischer Interessen oder fachlicher Positionen vorne an.
- Zum zweiten wird Kulturpolitik "von den Bürgern her" fundiert. Freiwilligenarbeit, bürgerschaftliches und ehrenamtliches Engagement können und sollen danach die öffentliche Förderung ergänzen, wenn nicht gar ersetzen.[6] Doch auch diese Sichtweise ist eher traditionell. Es geht dort zwar um das Aufgreifen bürgerschaftlicher Initiative, doch diese soll im Wesentlichen auf die Stützung öffentlicher Kultureinrichtungen im Rahmen ihrer bisherigen Programmatik ausgerichtet werden.
- Kulturpolitik wird schließlich, drittens, "von der Ökonomie her" gedacht.[7] Dieses Argumentationsmuster setzt auf Kultur als Standortfaktor, auf die volkswirtschaftliche Bedeutung von Kunst und Kultur, auf Arbeitsplätze und das effektive Wirtschaften mit öffentlichen Geldern im Rahmen der Kulturbetriebe.
- Das erste Kraftfeld bilden die Künste; sie sind gleichsam der "Motor" der Kultur;
- das zweite Kraftfeld ist die kulturelle Bildung, die kreative Allianz zwischen Bildung, Kunst und Kultur.
- In diesem Beitrag wird der Versuch unternommen, vor dem Hintergrund einer "Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik" diese beiden Kraftfelder der Kulturpolitik - die Künste und die kulturelle Bildung - zu fokussieren und die Begründungsmuster für Kulturpolitik in einer neuen, integrativen Argumentationsstruktur zusammenzuführen: Staat und Kommunen haben die kulturelle "Grundversorgung" in Verantwortungspartnerschaft mit anderen Akteuren und dabei insbesondere die Förderung und Entfaltung der Künste sowie qualitätsvolle Angebote der kulturellen Bildung zu gewährleisten.