Adolf Muschg: Europa als Kulturobjekt
Europa – das ist für Adolf Muschg ein Kulturobjekt, das keinen Zustand, sondern nur Veränderung kennt. Die Zauberformel für sein Gelingen sei: das Ertragen des Andersseins.
Das Anderssein, und das Ertragen von Anderssein, wäre fast so etwas wie eine Zauberformel der Humanität, wenn man sie auch in der Politik anwenden könnte, nämlich, dass ich nicht so viel Abgrenzung nötig habe, wie ich glaube nötig zu haben oder wie mir andere einreden, nötig zu haben, nur damit ich etwas bin. Damit meine ich dieses berühmte Gerede von der Identität, gegen das ich eine gewisse Allergie entwickelt habe. Nicht mal die Zelle ist mit sich selbst identisch. Sie grenzt sich zwar ab durch die Zellmembran, aber die ist auch durchlässig. Stoffwechsel geht nicht ohne Austausch mit dem anderen. In der Evolution ist es ja gerade so, dass die Kopie die Entwicklung nicht weiter führt, sondern nur die Mutation. Das ist gefährlich für die Mutation, und in der Regel geht sie zugrunde dadurch, dass sie anders ist, aber dennoch: Eine ist sozusagen die Stammmutter oder der Stammvater einer nächsten Stufe des selben biologischen Substrats.
Redaktion: Tatjana Brode, Matthias Jung
Kamera: Eileen Kühne
Schnitt: Oliver Plata
Das Interview entstand auf dem europäischen Kongress "Lernen aus der Praxis" vom 22.-24. September 2005.