Von den Rändern ins Zentrum: Kulturelle Bildung in Europa
Die kulturelle Bildung ist in Europa angekommen. Zahlreiche Institutionen, Träger und Aktive sind mit ihr befasst. Der Artikel gibt einen Überblick über die Grundlagen, Entwicklung, Fördersituation und Vernetzungsansätze und zeigt, dass noch viel zu tun ist.Die wichtige Rolle der UNESCO
Die "Allgemeine Erklärung zur kulturellen Vielfalt" [1] wurde 2001 von der UNESCO-Generalkonferenz verabschiedet. Sie gilt gemeinhin als Schlüsseldokument zur Begründung nationaler, regionaler und kommunaler kulturpolitischer Schwerpunktsetzungen in demokratisch und marktwirtschaftlich verfassten Gesellschaften. Zur Realisierung des Anspruchs "Kreativität in ihrer gesamten Vielfalt zu fördern und einen wahrhaften interkulturellen Dialog anzuregen" machte es sich die UNESCO zu einem besonderen Anliegen, das junge Politikfeld "arts education" [2] auf die internationale Tagesordnung zu bringen. Dazu veröffentlichte sie die elektronische Informationsplattform "LEA – Links to Education and Art" [3] und veranstaltete bislang zwei "World Conferences on Arts Education" (2006 in Lissabon [4] und 2010 in Seoul [5]). Ziel dieser Veranstaltungen war es, ein vertieftes gemeinsames Selbstverständnis zu entwickeln und Empfehlungen für die verschiedenen kultur- und bildungspolitischen Akteursgruppen zu verabschieden.Als unmittelbare Ergebnisse wurden 2006 eine "Roadmap for Arts Education" [6] und 2010 eine "Seoul-Agenda" [7] beschlossen, die die Bemühungen der UNESCO-Mitgliedsstaaten zugunsten von "arts education" motivieren und unterstützen sollen.
"Arts Education" ist in Europa angekommen
Naturgemäß erweist sich "arts education" auf internationaler Ebene noch als ein sehr schwach inhaltlich bestimmtes bzw. offenes und vielfältiges Konzept, das je nach den historischen, politischen oder sozialen Gegebenheiten sehr unterschiedlich verhandelt und umgesetzt wird. [8] Und doch haben mittlerweile die Bemühungen der UNESCO ihre Entsprechung auch auf europäischer Ebene gefunden. So gab der Europarat als Zusammenschluss von zurzeit 47 Nationen bereits 1995 eine Studie "Culture, Creativity and the Young" in Auftrag, um die Mitgliedsstaaten auf die Bedeutung der Auseinandersetzung der ganzen Vielfalt von Kunst, Kultur und Kreativität für die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen hinzuweisen.2009 verabschiedete die Parlamentarische Versammlung des Europarates eine Empfehlung "Cultural Education: the Promotion of Cultural Knowledge, Creativity and Intercultural Understanding through Education" [9], die sich explizit auf die UNESCO-Roadmap bezieht und sich dafür ausspricht, Kunst und Kultur zur Grundlage jeglicher Bildungsbemühungen zu machen. Den Kernaufgaben des Europarates in den Themenbereichen Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat folgend sprachen sich die Delegierten für eine engere Verknüpfung von Maßnahmen der kulturellen und der politischen Bildung ("civic education") aus.
Die Empfehlung des Europarates schlägt auch die Brücke zur Politik der Europäischen Union. Dabei ist freilich zu berücksichtigen, dass die Europäische Kommission als Exekutivorgan der EU über keine Primärzuständigkeit in den Bereichen Kultur und Bildung verfügt. Daher müssen sich ihre Maßnahmen auf Aktivitäten, die die Möglichkeiten einzelner Nationalstaaten übersteigen, beschränken.[10]
Auf der Ebene der halbjährlich rotierenden Ratspräsidentschaften ist die EU bereits seit dem Ende der 1990er-Jahre aktiv. So fand 1998 in Bregenz/Österreich die erste europäische Konferenz "A Creative Culture" statt, 2001 folgte "a must or a-muse" [11] in Rotterdam, eine Konferenz, die in den folgenden Jahren wesentlich zur Intensivierung des europäischen Dialogs zu "arts education" beizutragen vermochte. 2006 organisierte Österreich in der Europäischen Kulturhauptstadt Graz eine weitere europäische Konferenz "Promoting Cultural Education in Europe: A Contribution to Participation, Innovation and Quality" [12], gefolgt von Göteborg/Schweden, das mit "Promoting a Creative Generation – Children and Young People in the New Culture and Media Landscape" [13] den Fokus auf neue kulturelle Ausdrucksformen legte.
Europäische Förderprogramme
Dienten diese europäischen Veranstaltungen in erster Linie zum Informations- und Erfahrungsaustausch bzw. zur Motivation, den internationalen Empfehlungen auf nationalstaatlicher Ebene zu folgen, so verfügt die EU darüber hinaus über eigene Förderprogramme in den Politikfeldern Bildung, Jugend und Kultur. Trotz der wachsenden Bedeutung, die das Thema "arts education" in den letzten Jahren erhalten hat, gibt es aber bislang keine ausschließlich diesem Politikfeld gewidmete Fördermaßnahme. Die Möglichkeiten der Förderung einschlägiger Aktivitäten, die einen nachvollziehbaren europäischen Mehrwert (wie der Beitrag zur "Europäischen Integration", "transnationale Mobilität", "neue Wirtschafts- und Beschäftigungsformen" ...) beinhalten müssen, ergeben sich vielmehr aus den Bestimmungen des Vertrags von Lissabon. Dieser hält im Art. 167 Absatz 4 die Europäische Union dazu an, bei ihrer gesamten Tätigkeit (also auch in den Bereichen Bildung und Jugend) den kulturellen Aspekten Rechnung zu tragen, um auf diese Weise die Förderung der Kultur und der kulturellen Vielfalt hinreichend zu berücksichtigen.Bereits 2004 beauftragte die Europäische Kommission die Forschungseinrichtung Pôle Universitaire Européen de Lorraine mit einer umfassenden Bestandsaufnahme kultureller Bildungsaktivitäten. [14] Entstanden ist eine Sammlung von mehr als 350 Initiativen aus den 27 Mitgliedsländern, die von der Vielfalt der Zugänge zum Thema "arts education" in Europa zeugen. Die Ergebnisse sind in die Neuausrichtung der neuen Generation der EU-Förderprogramme wie "KULTUR 2007 – 2013" oder "BILDUNG Lebenslanges Lernen" eingeflossen. Dazu kommen vielfältige Aktivitäten rund um das Europäische Jahr zu interkulturellem Dialog 2008, das Europäische Jahr zu Kreativität und Innovation durch Bildung und Kultur 2009 [15] und in geringerem Ausmaß um das Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung 2010 bzw. zur Freiwilligenarbeit 2011.