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Antimuslimischer Rassismus als islamistisches Mobilisierungsthema

Dr. Josephine B. Schmitt

/ 6 Minuten zu lesen

Islamistische Propaganda baut stark auf der Viktimisierung der Eigengruppe und der Dämonisierung der Fremdgruppe auf. Hassreden von rechtsextremer Seite sowie vielfältige alltägliche Diskriminierungserfahrungen von Musliminnen und Muslimen in Deutschland stützen die von Islamistinnen und Islamisten verbreiteten Opfernarrative und machen insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene empfänglich für islamistische Manipulationsversuche.

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Dieser Beitrag ist Teil der Interner Link: Infodienst-Serie "Antimuslimischer Rassismus".

Einführung

#NichtOhneMeinKopftuch ist ein Hashtag, der im April 2018 sowie im Juni 2019 in den deutschen Twitter-Trends zu finden war. Anlass waren Diskussionen um das Kopftuchverbot an Schulen und Kindergärten in Deutschland und Österreich. Viele Twitter-Äußerungen mit diesem Hashtag wirkten wie die mediale Entrüstung liberaler Stimmen gegen die Diskriminierung kopftuchtragender muslimischer Mädchen und Frauen. Tatsächlich stammten sie zu einem nicht unwesentlichen Teil von Sympathisantinnen und Sympathisanten einer Kampagne der deutschen islamistischen Gruppierung "Generation Islam", die den Hashtag gezielt in den Umlauf brachte. Die Initiative "Generation Islam" steht laut Verfassungsschutzbericht 2018 ideologisch der Gruppe "Hizb ut-Tahrir" nahe. Die "Hizb ut-Tahrir" strebt ein weltweites Kalifat an und lehnt Nationalstaaten und demokratische Gesellschaften ab. Gleichzeitig geht es ihr um die Umsetzung und Verbreitung rigider religiöser Alltagspraxen. Wenngleich "Generation Islam" diese ideologischen Positionen nicht in der gleichen Deutlichkeit formulieren, liegen diese ihrer Arbeit zugrunde.

In jugendgerecht aufbereiteten Beiträgen spricht "Generation Islam" im Internet besonders das Ungerechtigkeitsempfinden junger Menschen an und adressiert gezielt muslimische Jugendliche mit Erfahrungen von Rassismus, Diskriminierung und Ausgrenzung. Dabei wird ein eindeutiges Freund-Feind-Schema – der deutsche Staat gegen die Muslime – gespeist und vor diesem Hintergrund werden islamistische Opfernarrative ausgebaut. In einem Eintrag auf der Facebook-Seite von "Generation Islam" vom 30. Mai 2019 heißt es:

"Wenn wir erst einmal zulassen, dass der Staat unsere Rechte beschneidet und wir nichts dagegen sagen, so wird es schnell zu weiteren Verboten kommen. […] Es könnte auch ein Verbot für andere Bereiche des islamischen Lebens sein. Wichtig ist es eine klare Linie zu zeigen und zu zeigen 'So nicht!'."

Im Jahr 2018 wurde #NichtOhneMeinKopftuch in mehr als 70.000 Twitter-Beiträgen aufgegriffen. Auch 2019 war er am 2. Juni in den deutschen Twitter-Trends zu finden. Verbreitet wurde der Hashtag dabei von einer Vielzahl unterschiedlicher Akteure, neben islamistischen Akteuren zählten dazu laut dem Bericht "Islamismus im Netz" 2018 von Jugendschutz.net auch zahlreiche (im Bericht nicht näher definierte) Personen des öffentlichen Lebens wie z.B. Politikerinnen und Politiker. Aber auch rechtsextreme Gruppierungen wie die "Identitäre Bewegung" nahmen den Hashtag auf und nährten die Debatte mit muslimfeindlichen Inhalten. Sie verliehen der islamistischen Kampagne dadurch noch größere Relevanz in den sozialen Medien – zum einen, indem sie dem Hashtag zu mehr Reichweite verhalfen, zum anderen, indem sie das islamistische Narrativ "Das muslimische Leben in Deutschland ist bedroht" durch die Weiterverbreitung (ungewollt) stützten. Die genannte Kampagne ist damit ein gutes Beispiel dafür, wie öffentlichkeitswirksam und subtil islamistische Propaganda sein kann.

An dieser Stelle muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass das islamistische Spektrum sehr breit ist. Die Organisation "Generation Islam" ist nur ein Beispiel für eine islamistische Gruppierung, welche sich jedoch deutlich von dschihadistischen Organisationen unterscheidet. Die Opfernarrative ähneln sich, die damit verbundenen Konsequenzen und Forderungen sind aber unterschiedlich.

Soziale Medien als Propaganda-Plattformen

Vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die als besonders vulnerabel gegenüber extremistischen Manipulationsversuchen gelten, sind soziale Medien zentraler Bestandteil des täglichen Medienrepertoires. Islamistische Gruppierungen – auch abseits von "Generation Islam" – nutzen daher ein breites Spektrum sozialer Medien zur Verbreitung ihrer Propaganda. Darin greifen sie oftmals Unsicherheiten und Entwicklungsaufgaben junger Nutzerinnen und Nutzer auf, verwenden emotionalisierende Themen und Inhalte (zum Beispiel Berichte über Kriege und Vergewaltigungen), nehmen sich der Ängste der Zielgruppe an und präsentieren sich identitäts- und sinnstiftend. Eine im Jahr 2019 erschienene Befragung von Islamisten in deutschen und österreichischen Gefängnissen über die Rolle von Online-Propaganda im Rahmen islamistischer Radikalisierung macht unterschiedliche Propagandaformate aus, die in verschiedenen Phasen der Radikalisierung von Bedeutung seien: Ein "sanfter" Einstieg in islamistische Propaganda erfolgt demnach über sogenannte "Wolf-im-Schafspelz-Propaganda", die sich typischen Fragen des Jugendalters widmet (zum Beispiel bezogen auf Berufsorientierung oder Styling: 'Darf ich als Frisör/Frisörin arbeiten? Welche Haarschnitte sind erlaubt/verboten?') und diese subtil mit islamistischen Narrativen und Perspektiven unterfüttert. Auch die #NichtOhneMeinKopftuch-Kampagne von "Generation Islam" ist ein Beispiel für diese Form von Propaganda.

Erst in einem zweiten Schritt – im Rahmen religiöser und politischer Propaganda – werden konkrete islamistische Narrative vermittelt. So wird etwa die Notwendigkeit propagiert, sich streng an vermeintlich obligatorische religiöse Alltagspraxen zu halten, Weltliches abzulehnen und "göttliches Recht" – notfalls mit Gewalt – durchzusetzen. Zudem geht es vielfach um Diskriminierung und Ausgrenzung von Musliminnen und Muslimen "in der westlichen Welt". Der Kontakt zu explizit gewalthaltigen und -verherrlichenden Inhalten erfolge laut der Studie erst später durch Videos, die etwa Opferdarstellungen, Aufrufe zur Rache oder aber auch konkrete Instruktionen zum Beispiel für die Planung von Anschlägen beinhalten. Beispiele hierfür fanden sich zahlreich in der Propaganda von Dschihadistinnen und Dschihadisten des sogenannten Islamischen Staates.

(Opfer-)Narrative islamistischer Propaganda

Die Narrative, die dabei verwendet werden, um einerseits die Muslimfeindlichkeit "des Westens" und seine "moralische Verdorbenheit" unter Beweis zu stellen, und um andererseits die Viktimisierung der Eigengruppe in den Fokus zu rücken, sind vielfältig. Eine von Stereotypen geprägte "westliche" Medienberichterstattung , aber auch vermeintlich bewusste Falschdarstellungen muslimischen Lebens, werden von islamistischen Akteuren als eine zentrale Ursache für die Diskriminierung von Musliminnen und Muslimen angeführt. Sie propagieren, dass die muslimische Gemeinschaft sich dagegen insbesondere durch die Ablehnung alles "Westlichen" sowie die Annahme und Verbreitung der Scharia – wie sie sie interpretieren – zur Wehr setzen müsse. Des Weiteren wird in den Narrativen die (teilweise real erlebte alltägliche) Diskriminierung und Unterdrückung (gläubiger) Musliminnen und Muslime durch staatliche Institutionen oder aber auch physische und psychische Gewalt gegenüber Frauen und Kindern beispielsweise in syrischen Kriegsgebieten in den Fokus gerückt. "Der Westen" wird als barbarisch, aggressiv und unmoralisch präsentiert. "Westliche" Verschwörer versteckten ihre Ziele (beispielsweise Weltherrschaft) unter vermeintlicher Menschenrechtspolitik, was in Kriegen gegen den Islam und Musliminnen und Muslime, etwa in Syrien, zum Ausdruck komme. Untermalt werden diese Erzählungen oft mit entsprechenden Auszügen aus massenmedialer Berichterstattung aus Krisenregionen. Sie begründen letztlich nicht nur, warum der Rückzug aus der "westlichen" Gesellschaft und die Orientierung an der muslimischen Gemeinschaft (Umma) alternativlos seien (siehe z.B. Argumentation von "Generation Islam"). Oft dienen sie auch der Anwerbung von Sympathisantinnen und Sympathisanten oder sogar der Rechtfertigung islamistischer Gewalttaten.

Fazit

Rassismus gilt als ein Kernelement rechtsextremer Ideologie . Als Mobilisierungsthema nutzt aber auch islamistische Propaganda antimuslimischen Rassismus und damit die Diskriminierung, Unterdrückung und Ausgrenzung von Musliminnen und Muslimen durch "den Westen" bzw. die "Mehrheitsgesellschaft", indem sie entsprechende Opfernarrative entwickelt. Diese Instrumentalisierung im Rahmen islamistischer Propaganda kann insbesondere dann sinnstiftend wirken und Radikalisierungsprozesse initiieren bzw. beschleunigen, wenn rechte Agitation, alltäglicher Rassismus und Diskriminierungserfahrungen den Weg geebnet haben. Erfahrungen von Marginalisierung und Ausgrenzung können Betroffene unter Umständen für derartige Inhalte empfänglich machen ("kognitive Öffnung"). Einer der laut Peter R. Neumann erfolgreichsten dschihadistischen Propagandisten in Europa, Omar Bakri, fasst es sehr treffend zusammen:

"Wenn es im Westen keinen Rassismus gäbe, dann hätten die Leute keinen Identitätskonflikt [...]. Wenn sie Benachteiligung erfahren, dann beginnen sie, über die eigene Situation nachzudenken. Wenn es keine Diskriminierung und keinen Rassismus gäbe, wäre es für uns schwierig."

Diese Interaktion von Rechtsextremismus und Islamismus wird in einem Forschungsbericht des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Kooperation mit dem Londoner Institute for Strategic Dialogue gar als "Hassliebe" beschrieben . Um extremistischen Narrativen – seien sie rechtsextremistisch oder islamistisch – und damit einer (weiteren) gesellschaftlichen Polarisierung präventiv zu begegnen, ist es notwendig sich auf allen gesellschaftlichen Ebenen mit Rassismus und Ausgrenzung auseinanderzusetzen. Das betrifft zum einen die Frage, wie medial und öffentlich kommuniziert wird; so sollten etwa Massenmedien mehr Sensibilität dafür entwickeln, wie sie zum Beispiel über muslimisches Leben in Deutschland berichten. Auch auf politischer Ebene sollte Diskriminierung als gesellschaftliches Thema benannt und entsprechend adressiert werden. Nicht zuletzt ist die Auseinandersetzung mit Rassismus und Ausgrenzung und kritische Selbstreflexion eine wichtige Aufgabe für die schulische und außerschulische Bildungsarbeit.

Dieser Beitrag ist Teil der Interner Link: Infodienst-Serie "Antimuslimischer Rassismus".

Anmerkung der Verfasserin:

Es gibt eine umfassende Diskussion um die Verwendung der Begrifflichkeit "Antimuslimischer Rassismus", die hier nicht vollumfänglich dargestellt werden kann. Für eine ausführliche Diskussion sei daher beispielhaft auf den Beitrag von Armin Pfahl-Traughber "Interner Link: Islamfeindlichkeit, Islamophobie, Islamkritik – ein Wegweiser durch den Begriffsdschungel" verwiesen.

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Dr. Josephine B. Schmitt (Studium der Psychologie in Hamburg, Promotion im Bereich Medienpsychologie an der Universität Hohenheim) ist Projektreferentin am Center for Advanced Internet Studies (CAIS) in Bochum. Sie forscht unter anderem zu Inhalt, Verbreitung und Wirkung von Hate Speech, extremistischer Propaganda, Gegenbotschaften und (politischen) Informations- und Bildungsangeboten im Internet. Zudem entwickelt sie didaktische Konzepte für die Radikalisierungsprävention unter anderem im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb und des Innenministeriums NRW.