Themen Mediathek Shop Lernen Veranstaltungen kurz&knapp Die bpb Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen Mehr Artikel im

Politische Bildung zum Nahostkonflikt | Infodienst Radikalisierungsprävention | bpb.de

Radikalisierungsprävention Islamismus Nach Berufsgruppen Schule & pädagogische Praxis Politische Bildung Jugendarbeit & Soziale Arbeit Wissenschaft & Forschung Sicherheitsbehörden & Justiz Verwaltung & Politik Beratung & Ausstieg Kinder- & Jugendhilfe Journalismus & Medien Hintergrund-Beiträge Grundlagen: Begriffe & Konzepte Islamismus, Salafismus, Dschihadismus "Politischer Islam" Die Begriffe Radikalisierung, Deradikalisierung und Extremismus Zum Konzept der Prävention Was ist antimuslimischer Rassismus? Debatte: Politische Bildung & Primärprävention Salafismus – was ist das überhaupt? Islamismus: Gruppierungen, Ideologie & Propaganda Zahlen zur islamistischen Szene in Deutschland Die salafistische Szene in Deutschland „Legalistischer Islamismus“ als Herausforderung für die Prävention Die Hizb ut-Tahrir in Deutschland Die Furkan-Gemeinschaft Mädchen und Frauen im Salafismus Antisemitische Narrative in deutsch-islamistischen Milieus Antimuslimischer Rassismus als islamistisches Mobilisierungsthema Monitoring von islamistischen YouTube-Kanälen Salafistische Online-Propaganda Das Virus als Mittel zum Zweck Dschihadistinnen. Faszination Märtyrertod Gewalt als Gegenwehr? Ausdifferenzierung der islamistischen Szene in Deutschland LGBTIQ*-Feindlichkeit in islamistischen Social-Media-Beiträgen Gaming und islamisch begründeter Extremismus Radikalisierung: Gründe & Verlauf Radikalisierung – eine kritische Bestandsaufnahme Islamistische Radikalisierung bei Jugendlichen erkennen Psychosoziale Aspekte von Radikalität und Extremismus Interview mit Ex-Salafist Dominic Musa Schmitz Wie sich zwei Teenager radikalisierten Welche Rolle spielt Religion? Diskriminierung und Radikalisierung Erfahrungen von Rassismus als Radikalisierungsfaktor? Radikalisierung bei Geflüchteten Faktoren für die Hinwendung zum gewaltorientierten Islamismus Wer sind die „IS“-Unterstützer? Deutschsprachiger Islamkreis Hildesheim: Geschichte einer Radikalisierung Anzeichen von Radikalisierung Prävention & Politische Bildung Ansätze der Prävention mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen 20 Thesen zu guter Präventionspraxis Religion – eine Ressource in der Radikalisierungsprävention? Emotionen in der Präventionsarbeit Counter Narratives Gender-reflektierte Präventionsarbeit Die Bedeutung innermuslimischer Salafismuskritik für die Radikalisierungsprävention Rechtsextremismus und Islamismus - Was ist übertragbar? Phänomenübergreifende Jugendkulturarbeit Museen & Extremismusprävention Paradies – Hier, Jetzt, Später? Muslimische Jugendarbeit Muslimische Institutionen & Prävention Politische Bildung im Jugendstrafvollzug Politische Bildung in der Untersuchungshaft Prävention in Gefängnissen Jugendquartiersmanagement Interview: Polizei und Extremismusprävention in Mannheim Videos und soziale Medien: Prävention im Internet Online-Streetwork gegen Extremismus Aufsuchende Sozialarbeit in Social Media Online-Projekt: Fragen zum Glauben Phänomenübergreifende Radikalisierungsprävention Polizei NRW: Kontaktbeamte für muslimische Institutionen Beratung & Fallmanagement Interview: Die Rolle der Angehörigen in der Radikalisierungsprävention Der rechtliche Rahmen für die Präventionspraxis Datenschutz in der Präventionsarbeit Religionsfreiheit vs. Kindeswohlgefährdung Psychische Störungen im Zusammenhang mit Radikalisierung Beratung in Zeiten von Corona Risk Assessment im Phänomenbereich gewaltbereiter Extremismus BAMF: Prävention im Flüchtlingsbereich Mit Kommunaler Fachberatung zu einer nachhaltigen, lokal verankerten Radikalisierungsprävention Deradikalisierung & "IS"-Rückkehrende „Rückkehrer:innen radikalisierten sich meist in Gruppen" Pädagogische Ansätze zur Deradikalisierung Zur Rolle von Psychotherapie in der Ausstiegsbegleitung und Deradikalisierung Ausstiegsarbeit und Psychotherapie Distanzierung vom Salafismus Wie "ZiVI-Extremismus" Beratungsstellen für Deradikalisierung unterstützen kann Praxisbericht: Deradikalisierung im Strafvollzug Wie das BAMF den Umgang mit Rückkehrenden koordiniert Interview: Zurück aus dem "Kalifat" Rehabilitation von „IS“-Rückkehrerinnen und ihren Kindern Rückkehrende und Strafjustiz Rückkehrer und „Homegrown Terrorists“ Pädagogische Ansätze zur Deradikalisierung Islamismus & Prävention in Schule & Jugendarbeit Diskutieren mit radikalisierten Schülerinnen und Schülern Globale Konflikte im Klassenzimmer Umgehen mit Kindern aus salafistisch geprägten Familien Kinder in salafistisch geprägten Familien Radikalisierung an Schulen früh erkennen FAQs zum Sprechen über Anschläge Mohammed-Karikaturen im Unterricht Schweigeminuten: Möglichkeiten & Fallstricke Salafismus als Herausforderung für die Offene Kinder- und Jugendarbeit Radikalisierungsprävention in der Schule Interview: Wie können Schulen reagieren? „Die Kids sind auf TikTok und wir dürfen sie dort nicht allein lassen" Akteure, Netzwerke & Internationales Serie: Islamismusprävention in Deutschland BAG religiös begründeter Extremismus Das KN:IX stellt sich vor Radicalisation Awareness Network RAN aus Praxis-Sicht Hass im Netz bekämpfen Bundesprogramm gegen Islamismus Soziale Arbeit und Sicherheitsbehörden Zusammenarbeit Beratungsstellen & Jugendhilfe Kommunale Radikalisierungsprävention Netzwerkarbeit vor Ort: Augsburg "Prevent", die Anti-Terrorismus-Strategie Großbritanniens Interview: Vilvoorde – vom "belgischen Aleppo" zum Vorbild Frankreich: Was hilft gegen Dschihadismus? Forschung & Evaluation Übersicht: Forschung zu Islamismus Übersicht: Evaluation von Präventionsprojekten modus|zad: Zwischen Forschung und Praxis Umfrage: Phänomenübergreifende Perspektiven gefordert, Islamismus weiterhin relevant Partizipative Evaluationen Evidenzbasierte Prävention (Neue) Evaluationskultur? Evaluation neu denken Das „Erwartungsdreieck Evaluation“ Evaluation von Präventionspraxis Angemessene Evaluationsforschung Weitere Themen Das Sprechen über den Islam Gesetze und Plattformregeln gegen Online-Radikalisierung MasterClass: Präventionsfeld Islamismus Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz Türkischer Ultranationalismus als pädagogisches Arbeitsfeld Hintergrund-Beiträge chronologisch Schwerpunkt-Themen: Serien "Legalistischer" Islamismus Psychologie & Psychotherapie Antimuslimischer Rassismus Rechtlicher Rahmen Kooperation von Präventionsakteuren Umgang mit Anschlägen in der Schule Evaluationen Fachtagung „Islamismus & Prävention in Krisenzeiten 2025“ – ein Rückblick Materialsammlungen Wie umgehen mit dem Nahostkonflikt? – Eine Übersicht für Schulen und Bildungseinrichtungen Handreichung: Schule und religiös begründeter Extremismus Handreichung: Umgang mit Anschlägen Pädagogische Materialien Sekundarstufe Grundschule Medien für den Unterricht Publikationen für die Schule Jugendbücher & Unterrichtsmaterialien von dtv Fachbeiträge für Schule und Pädagogik im Kontext Islamismus und Prävention Video & Audio Video: Dokumentationen, Filme & Erklärvideos Podcast-Serien und Radiobeiträge Veranstaltungen: Vorträge, Podiumsdiskussionen & Fachgespräche Islam & muslimisches Leben Bücher & Zeitschriften Fachbücher Sachbücher Biografien & Autobiografien Romane Fachzeitschriften Broschüren, Handreichungen & Online-Portale Service Newsletter: Abo & Archiv Newsletter-Archiv Datenbank: Beratung & Angebote vor Ort finden FAQ Infodienst-Publikationen Infodienst-Journal Aktuelle Termine Termin-Rückblick 2023 Termin-Rückblick 2022 Termin-Rückblick 2021 Termin-Rückblick 2020 Stellenangebote Über den Infodienst & Kontakt Verlinkung mit dem Infodienst Datenbank-Widget

Politische Bildung zum Nahostkonflikt Erfahrungen und Empfehlungen aus der Bildungspraxis

Samuel Stern

/ 12 Minuten zu lesen

Der Nahostkonflikt stellt eine besondere Herausforderung für die politische Bildung dar – nicht nur wegen seiner historischen Tiefe und Komplexität, sondern auch aufgrund der starken Emotionalisierung und gesellschaftlichen Polarisierung. Der öffentliche Diskurs schwankt dabei oft zwischen Unwissen, Überforderung und ideologischer Instrumentalisierung. Ausgehend von der pädagogischen Praxis der Bildungsstätte Anne Frank plädiert der Autor Samuel Stern für einen sensiblen, multiperspektivischen Ansatz, der Emotionen ernst nimmt, Wissen differenziert vermittelt und demokratische Kompetenzen stärkt. Sein Beitrag zeigt, wie Lernräume entstehen können, in denen Ambiguitäten ausgehalten, Narrative hinterfragt und kontroverse Debatten konstruktiv geführt werden können.

Teilnehmende heben die Hand in einem Seminar (Symbolbild). (© getty images | miniseries)

Der sogenannte „Nahostkonflikt“ ist einer der komplexesten, vielschichtigsten und emotional aufgeladensten Konflikte unserer Zeit. Für die politische Bildung stellt er eine besondere Herausforderung dar, weil er nicht nur eine Vielzahl von historischen, politischen und gesellschaftlichen Faktoren umfasst, sondern auch tief verwurzelte Emotionen, Identitäten und Narrative tangiert. Ebenso ist der Konflikt Ausgangspunkt vieler ideologischer Kämpfe und Kampagnen, in denen er als Projektionsfläche und Chiffre verwendet wird. Die Beschäftigung mit diesem Konflikt im Bildungskontext erfordert daher einen sensiblen, (selbst-)reflektierten und multidimensionalen Ansatz, der sowohl Wissen und Kompetenzen vermittelt als auch emotionale Prozesse berücksichtigt. Es geht um ambivalente Multiperspektivität anstelle von rigider Dichotomie.

Die Herausforderung der Polarisierung und des Nicht-Wissens

Ein zentrales Problem der Bildungsarbeit zum „Nahostkonflikt“ ist die starke Polarisierung, die sich in gesellschaftlichen Debatten, Medienberichten und politischen Diskursen widerspiegelt. Die gesellschaftlichen Positionen scheinen sich in sich diametral gegenüberstehenden, scheinbar kaum zu überbrückenden Gegensätzen zu verhärten. Diese Polarisierung wird durch eine Vielzahl von Faktoren verstärkt: historische Feindbilder, politische Instrumentalisierung, mediale Simplifizierung und die Verbreitung von Propaganda, auch im digitalen Raum. Gerade die großen Social Media-Plattformen sind kein neutraler Raum, sondern ein Schlachtfeld um Meinungen, Identitäten, politische Haltungen und Deutungshoheiten. Die Algorithmen fördern extremistische und emotionalisierende Inhalte, die oft auf Kosten von Fakten, Differenzierung und demokratischen Werten gehen. Nur durch eine kritische Auseinandersetzung mit den Inhalten in den Sozialen Medien können Menschen lernen, Propaganda zu erkennen, Fake News zu entlarven und extremistische Narrative zu hinterfragen.

In einer Online-Umfrage untersuchte die Bildungsstätte Anne Frank im September 2024, wie sich der 7. Oktober und der Gaza-Krieg in deutschen Schulen auswirken. Dabei gaben 70 Prozent der befragten Lehrkräfte an, dass Schüler:innen regelmäßig problematische Inhalte mit Nahostbezug aus den Sozialen Medien in den Unterricht einbringen. Mehr als die Hälfte dieser Lehrkräfte spricht jedoch nicht aktiv mit ihren Klassen darüber (Bildungsstätte Anne Frank 2024). Nach Erfahrungsberichten von Lehrkräften aus unseren Fortbildungen speist sich diese Zurückhaltung aus mehreren Faktoren, wie beispielsweise Angst vor Positionierung und/oder polarisierter und stark emotionalisierter Diskussionen, Verunsicherung aufgrund geringer Auseinandersetzung mit der Thematik und Bedenken, nicht alles im Kontext der Schulstunde besprechen zu können.

Doch gerade das Nicht-Besprechen ist problematisch und gefährlich, denn Menschen sind nicht nur passive Konsument:innen, sondern vielfach auch aktive Akteur:innen in digitalen Diskursen. Sie liken, teilen, kommentieren – oft ohne die Mechanismen und Funktionen hinter den Inhalten zu durchschauen. Wenn nicht im Klassenzimmer darüber gesprochen wird, dann werden andere Räume gesucht. Hinzu kommt, dass viele Menschen nur unzureichendes oder verzerrtes Wissen über die Hintergründe des „Nahostkonflikts“ haben – gerade die Zeit des britischen Mandats in Palästina, die blutigen 1920er-Jahre, sind in den wenigsten Fällen ausreichend als Basis vorhanden, genauso wenig wie eine grundlegende Beschäftigung mit den beiden völlig validen und legitimen Nationalbewegungen und der Pluralität der israelischen und palästinensischen Gesellschaften. Die Komplexität der historischen Entwicklungen, die vielfältigen gesellschaftlichen Realitäten und die unterschiedlichen Perspektiven werden häufig auf einfache und oft sachlich schlicht falsche Narrative reduziert. Das führt dazu, dass die Konfliktparteien oft nur noch in binärem Schwarz-Weiß-Denken gefasst werden, was den Dialog erschwert und die Polarisierung verstärkt. Die klassischen Kategorien à la „Pro-Israel“ oder „Pro-Palästina“ werden den Gesellschaften nicht gerecht und führen eher zu stärkerer Polarisierung und Nicht-Beschäftigung mit anderen Narrativen und Positionen. Beide Kategorien dienen im hiesigen Diskurs oftmals als Identitätsmarker, worüber eine Zugehörigkeit zu einer vermeintlich einheitlichen Seite konstruiert wird.

Deswegen ist ein zentrales Lernmoment Selbstreflexion: die Fähigkeit, für ein paar Sekunden innezuhalten und nachzudenken, ob das Gegenüber nicht auch einen validen und legitimen Punkt haben könnte. Empathie ist vielfach vorhanden, wird aber oftmals einseitig und entsprechend der eigenen Positionierung mit Blick auf die Konfliktparteien artikuliert. Mitgefühl für Menschen darf nicht an ethnischen oder nationalen Grenzen stoppen. In all unseren pädagogischen Formaten der Bildungsstätte Anne Frank ermutigen wir die Teilnehmenden Emotionen zuzulassen, aufzufangen und Wissenslücken zu schließen, um so Kompetenzen zu erweitern und einzuüben – auch gegen Widerstände. Ein Beispiel: Gerade, weil Teilnehmende oft die politische Instrumentalisierung des Antisemitismusvorwurfs thematisieren – auch um sich nicht mit Antisemitismus auseinandersetzen zu müssen –, ist uns wichtig klarzustellen, dass Antisemitismus unabhängig davon existiert, obgleich der Vorwurf missbräuchlich erhoben werden kann. Genau der gleiche Mechanismus gilt bei antimuslimischem Rassismus: Auch hier gibt es Gruppierungen, die Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen gezielt aufgreifen, um Betroffene zu radikalisieren; das heißt aber nicht, dass dadurch das Phänomen nur aufgeblasen oder erfunden wäre.

Wir wollen erreichen, dass die Teilnehmenden sich gezielt mit unterschiedlichen Narrativen und Teilaspekten auseinandersetzen, auch wenn diese schmerzhaft sind und dem bisher Gelernten vielleicht widersprechen. Es darf und soll gestritten werden – die Frage ist vielmehr, wie wir uns streiten und wie wir dabei miteinander umgehen. Um das zu erreichen, bauen wir auf drei Säulen, die im Folgenden besprochen werden: Wir wollen Emotionen besprechbar machen, Wissen vermitteln und Kompetenzen einüben.

Ein Dreiklang aus Emotionen – Wissensvermittlung – Kompetenzen

Emotionen zulassen und besprechbar machen

Der „Nahostkonflikt“ ist ein emotionales Thema. Deswegen ist es von zentraler Bedeutung, die Emotionen der Teilnehmenden ernst zu nehmen, denn Emotionen schaffen Realitäten. Emotionen sind nicht nur Begleiterscheinungen, sondern zentrale Triebkräfte in Konflikten und deren Wahrnehmung. Sie beeinflussen, wie Menschen Informationen aufnehmen, interpretieren und weitergeben. Politische Bildung muss daher Räume schaffen, in denen Emotionen nicht exkludiert, sondern offen ausgesprochen werden können und so überhaupt erst besprechbar gemacht werden. Denn ansonsten werden andere Räume gesucht und gefunden werden, um genau diese Emotionen sichtbar zu machen. Hierbei besteht natürlich die Gefahr der politischen Instrumentalisierung. Daher ist es geradezu präventiv in der politischen Bildung diese Räume zu schaffen, um dieser Polarisierung und Instrumentalisierung vorzubeugen. Das Zulassen und Hineinholen der Gefühle bedeutet, die Teilnehmenden zu ermutigen, ihre eigenen emotionalen Reaktionen zu reflektieren und zu artikulieren. Das gemeinsame Besprechen dieser Emotionen kann Verständnis füreinander schaffen und Empathie fördern.

Es ist jedoch ebenso notwendig, „den Raum zu halten“ – das heißt, die Fähigkeit zu entwickeln, widersprüchliche Meinungen, Unsicherheiten und Gleichzeitigkeiten auszuhalten. Es geht also um Ambiguitätstoleranz und das ständige und stetige Einüben dieser. Denn Konflikte sind selten eindeutig und monokausal, und die Bereitschaft, unterschiedliche Sichtweisen zuzulassen, ist eine Grundvoraussetzung für einen produktiven Dialog. Um das zu erreichen ist es wichtig, einen persönlichen Einstieg zum Thema zu finden. Es geht vor allem darum zu analysieren, was das Thema mit uns selbst zu tun hat. Es soll nicht um den Rassismus, Antisemitismus und Extremismus der „Anderen“ gehen, denn das ist oft eine Strategie der Externalisierung und Abwehr. Hilfreich könnte es etwa sein, darauf zu schauen, wo einem beim Thema „Nahostkonflikt“ Antisemitismus und Rassismus begegnen: Wo und wann entdecken oder vermuten wir beim Sprechen über Israel und Palästina Rassismus und Antisemitismus? Was verbinden wir mit Palästina und Israel? Welche Emotionen werden dabei bei uns ausgelöst und warum? Es kann methodisch helfen, diesen persönlichen Zugang für die Teilnehmenden zu visualisieren beziehungsweise sie selbst zu Papier bringen zu lassen. Ebenso kann man den Weg wählen, den „Nahostkonflikt“, „Antisemitismus“ oder „Rassismus“ durch einen Gegenstand, wie einen Stuhl, im Raum zu symbolisieren und sich als Teilnehmer:in wie auch als Lehrkraft bzw. pädagogische Fachkraft dazu zu positionieren. Dabei geht es nicht darum sich auf die vermeintlich eine oder andere Seite zu stellen, sondern einen persönlichen Bezug zur Thematik aufzubauen. Hierbei können emotionale Standpunkte auch körperlich dargestellt werden, was bei der Artikulation wie auch zum tieferen gegenseitigen Verständnis und somit auch zur Gewinnung eines selbstständigen Urteils beitragen kann. Eine gewisse emotionale Nähe oder auch Interesse könnte man beispielsweise durch die räumliche Distanz zum Gegenstand körperlich darstellen, genauso indem man sich dem Stuhl, in unserem Beispiel, zu- oder von ihm abwendet.

Bei all diesen persönlichen und auf Emotionen basierenden Methoden ist es ratsam, vorab einen Rahmen abzustecken. Es liegt an der pädagogischen Fachkraft, klar den Sinn und die Absicht der Methode zu kommunizieren. Alles kann, nichts muss geteilt und Grenzen müssen respektiert werden. Zur Teilnahme und Reflexion kann nur eingeladen werden – genauso muss die Option abzubrechen oder auszusteigen immer gegeben sein. Denn der Sinn dahinter ist, dass die Teilnehmenden sich freiwillig Zeit für sich und ihre (Selbst-)Reflexion nehmen (dürfen). Das ist deswegen so wichtig, da ansonsten die Gefahr der Überwältigung, und somit ein Verstoß gegen eines der Leitprinzipien des Interner Link: Beutelsbacher Konsens besteht. Dies gilt es zu vermeiden, denn es soll hierbei um Empathieerweiterung, das Einüben von Ambiguitätstoleranz sowie Artikulations- und Urteilsfähigkeit gehen.

Wissensvermittlung als Grundpfeiler

Neben der emotionalen Arbeit ist die Wissensvermittlung ein zentraler Baustein der politischen Bildung zum „Nahostkonflikt“. Sie dient dazu, Wissenslücken zu schließen, Missverständnisse zu klären und ein tieferes Verständnis für die komplexen Hintergründe und Narrative zu entwickeln. Dabei geht es nicht nur um das Vermitteln von Fakten, sondern auch um das Verstehen der Zusammenhänge und Mechanismen, die Entwicklung eines kritischen Blicks auf Quellen und (eigene) Narrative sowie um die Fähigkeit, unterschiedliche Perspektiven zu erkennen, reflektieren und auszuhalten.

Gerade über verschiedene Biografien – wie z. B. Mahmud Darwish (palästinensischer Dichter), David Ben-Gurion (erster israelischer Ministerpräsident), Henrietta Szold (jüdische Aktivistin & Feministin), Hannah Szenesh (jüdisch-ungarische Widerstandskämpferin & Poetin), Fadwa Touqan (palästinensische Dichterin), Tarab Abdul Hadi (palästinensische Aktivistin & Feministin) oder Hanan Aschrawi (ehemalige Ministerin der Palästinensischen Autonomiebehörde) – und einen Zeitstrahl mit Meilensteinen in der Genese des Konflikts (z. B. kann dieser die Hussein-McMahon-Korrespondenz, die Balfour-Erklärung, die blutigen 1920er-Jahre, den UN-Teilungsbeschluss 1947, den ersten arabisch-israelischen Krieg 1948 und die Nakba 1947-1948 enthalten) kann eine historische Basis für das Verständnis des komplexen Konflikts beider Nationalbewegungen interaktiv gestaltet und (selbst) erarbeitet werden. Dabei können auch sehr gut Prozesse wie Staaten- und Nationenbildung sowie geopolitische Aspekte und Zusammenhänge kritisch besprochen werden.

Wenn es um Rassismus und Antisemitismus geht, hat es sich bewährt, sich ausgiebig mit der Analyse von Bildern und Texten zu beschäftigen. Aber Achtung: Natürlich werden dabei rassistische und/oder antisemitische Topoi und (Sprach-)Bilder reproduziert, weshalb dies im Vorhinein angekündigt und in einen Rahmen mit dem Ziel der gemeinsamen Dekonstruktion gesetzt werden sollte. Dabei können sehr gut Kontinuitäten von Rassismus und Antisemitismus sowie Polarisierungseffekte und das Ausschlachten des „Nahostkonflikts“ als Projektionsfläche besprochen und analysiert werden. Hierbei stellt sich dann auch immer wieder die Frage, was wirklich zum Zwecke der Bearbeitung von Antisemitismus und Rassismus im Bildungskontext reproduziert werden muss und was nicht – genauso wie die Frage, ob man am Ziel der gleichzeitig antisemitismus- und rassismuskritischen Bildung scheitert oder nicht. Diese Selbstreflexion ist wichtig, um sich beim gewählten intersektionalen Ansatz, Antisemitismus und Rassismus – bei allen Gemeinsamkeiten und Unterschieden – dennoch gleichwertig und gleichzeitig zu bearbeiten, zu versichern eben keine Opferkonkurrenzen aufzubauen, die unterschiedlichen historischen Wurzeln und Dynamiken nur oberflächlich zu behandeln, eines der beiden Phänomene zu relativieren oder aber die jeweiligen Spezifika sowie die politische und gesellschaftliche Instrumentalisierung nicht zu thematisieren. Wird dies beachtet, so hat der Ansatz seine Vorteile, da Vorurteile und Machtstrukturen als gemeinsame Basis erkannt werden und die sichtbar werdenden Überschneidungen und Verweise zwischen Rassismus und Antisemitismus zu einem tieferen Verständnis beider Phänomene beitragen und auch so eine Empathieerweiterung ermöglichen können. Ebenso ist es zentral klarzustellen, dass Antisemitismus und Rassismus keine Phänomene bestimmter politischer, ethnischer und/oder religiöser Gruppierungen sind, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem darstellen.

Anknüpfend an dieser Auseinandersetzung mit Kontinuitäten und tradierten (Sprach-)Bildern von Rassismus und Antisemitismus bietet es sich an, über Spannungsfelder und Grauzonen zu debattieren. Oftmals werden auf einer inhaltlichen Ebene valide und legitime reale Probleme und Schieflagen angesprochen, jedoch auf einer Formebene antisemitisch und/oder rassistisch transportiert, beziehungsweise man bedient sich antisemitischer und/oder rassistischer (tradierter Sprach-)Bilder bewusst oder unbewusst, was jedoch in der Konsequenz für die davon Betroffenen sekundär ist. Es geht nicht darum, Solidarität, Empathie und Kritik zu verunmöglichen, sondern dafür zu sensibilisieren, dass diese Punkte rassistisch und/oder antisemitisch aufgeladen, transportiert und somit instrumentalisiert werden können. Auch ein Blick auf die Wirkung für Betroffene beziehungsweise das Einbeziehen von Perspektiven direkt Betroffener (bewusst im Plural, da Betroffene keine homogene Masse sind – entsprechend ist es wichtig, durch verschiedene Beispiele und Positionierungen diese Pluralität deutlich herauszustellen) ist ein zentraler Punkt bei dieser Auseinandersetzung und kann zu mehr Empathie, Selbstreflexion und Verständnis führen. Hier liegt der Fokus darauf deutlich zu machen, dass die Deutungshoheit der Intention bei der auslösenden Person, die Deutungshoheit der Wirkung jedoch bei der betroffenen Person liegt. Folglich ist es für die Wirkung sekundär, ob eine Aussage am Ende „gut gemeint“ war, denn sie kann trotzdem eine negative Wirkung entfalten. Wenn wir im Bus aus Versehen jemandem auf den Fuß treten, würden wir auch nicht behaupten, dass es der Person gar nicht weh tun kann, weil es unabsichtlich war. Warum sollte das also bei Rassismus, Antisemitismus und weiteren Diskriminierungsformen anders sein?

Kompetenzen einüben

Reine Fakten- und Wissensvermittlung sowie das Besprechen von Emotionen reichen jedoch nicht aus. Es ist ebenso wichtig, Kompetenzen zu fördern, die es den Teilnehmenden ermöglichen, mit der Komplexität, den Gleichzeitigkeiten und Widersprüchen umzugehen und auch einzuüben, diese auszuhalten – sprich: Ambiguitätstoleranz zu lernen. In unserer Arbeit bei der Bildungsstätte Anne Frank verbinden wir Medienkritik bzw. Medienkompetenz mit rassismus- und antisemitismuskritischer Demokratiebildung. Ziel ist es, die Teilnehmenden zu befähigen, analoge und digitale Diskurse aktiv und reflektiert mitzugestalten – statt nur passiv Inhalte zu konsumieren oder unkritisch zu teilen. In einer Welt, in der Inhalte in Sekunden viral gehen und komplexe Konflikte auf einfache Stereotype reduziert werden, ist es essenziell, zwischen Fakten und Fiktion zu unterscheiden. Wir alle sollten in der Lage sein, die Mechanismen hinter manipulativen Inhalten zu erkennen, die Hintergründe von Konflikten zu verstehen und Verantwortung für die eigene Meinungsbildung zu übernehmen. Nur so kann eine offene demokratische Gesellschaft gestärkt werden, in der Vorurteile, Hass und Extremismus keinen Nährboden finden. Die politische Medienkompetenz ist somit nicht nur eine Fähigkeit, sondern eine Grundvoraussetzung für eine offene, plurale Gesellschaft, in der Menschen aktiv und kritisch an gesellschaftlichen Diskursen teilnehmen können.

Zentral dabei ist nicht die Vermittlung einer „einzigen Wahrheit“, sondern die Förderung kritischer Medienkompetenz, um Fake News, Propaganda und diskriminierende Stereotype, Rassismus und Antisemitismus zu erkennen und verantwortungsvoll damit umzugehen. Beispielsweise können aufgedeckte Falschmeldungen oder KI-generierte Bilder gemeinsam analysiert und entlarvt werden. Das kann durchaus auch spielerisch erfahren und gelernt werden, indem man verschiedene Beispiele von tatsächlichen und KI-generierten Bildern oder von verifizierten und falschen Meldungen zeigt und dabei die Teilnehmenden auffordert sich zu entscheiden, ob diese Bilder/Meldungen nun echt sind oder nicht. Hierbei kann auch die Schwierigkeit des bloßen Erkennens thematisiert und somit dafür sensibilisiert werden, nicht zu vorschnell zu urteilen.

Oftmals artikulieren die Teilnehmenden nach einer erfolgreichen Lerneinheit das Bedürfnis, nun mit einem schnellen Vier-Punkte-Plan alle möglichen Fälle musterhaft bearbeiten zu können. So sehr man diesen Wunsch nachempfinden kann, ist es schlicht unmöglich, für alle Fälle und Kontexte eine pauschale Antwort zu geben. Daher ist es sinnvoller, einen moderierten Raum für Austausch und das tiefe Besprechen von konkreten Fällen zu öffnen. Des Öfteren haben die Teilnehmenden in ihrem privaten oder beruflichen Leben nicht die Zeit, sich damit profunder und vor allem nicht in einem geschützten Raum auszutauschen. Diesen geschützten Raum anzubieten ist daher ein weiterer Vorteil, den man nicht unterschätzen sollte, auch wenn trotzdem im ein oder anderen Fall nicht alle Punkte abschließend und/oder zur Zufriedenheit aller geklärt werden können. Im Allgemeinen kann dadurch Demut, konstruktives und demokratisches Streiten, Aushalten von verschiedenen Perspektiven und Narrativen sowie das Erkennen und Benennen von und Reagieren auf Rassismus und Antisemitismus eingeübt werden.

Fazit

Die politische Bildung zum „Nahostkonflikt“ steht vor der Herausforderung, komplexe Inhalte, emotionale Betroffenheit und gesellschaftliche Polarisierungen miteinander in Einklang zu bringen. Es ist notwendig, Lernräume zu schaffen, die sowohl Wissen als auch emotionale und demokratische Kompetenzen fördern. Dabei geht es nicht um das Vermitteln einer Wahrheit, sondern um die Befähigung zur kritischen Reflexion, zum Perspektivwechsel und zum konstruktiven Streit. Emotionen müssen ernst genommen, historische Hintergründe differenziert vermittelt und rassistische sowie antisemitische Bilder erkannt und dekonstruiert werden. Ziel ist es, die Teilnehmenden zu mündigen Akteur:innen in analogen wie digitalen Räumen zu machen und sie dazu zu befähigen, mit Widersprüchen umzugehen und sich aktiv für eine offene, pluralistische Gesellschaft einzusetzen. Politische Bildung wird so zu einem Ort demokratischer Selbstvergewisserung; nicht trotz, sondern wegen der Komplexität des Themas.

Weiterführende Literatur

Quellen / Literatur



Fussnoten

Fußnoten

  1. Der Begriff „Nahostkonflikt“ wird hier in Anführungszeichen gesetzt, um darauf hinzuweisen, dass es sich um eine vereinfachende Sammelbezeichnung für eine Vielzahl politischer, gesellschaftlicher und territorialer Konfliktlagen in der Region handelt. Die Bezeichnung suggeriert eine Einheitlichkeit und Symmetrie der Akteur:innen, die der historischen und gegenwärtigen Komplexität des Geschehens nicht vollständig gerecht wird.

Weitere Inhalte

Samuel Stern studierte Politikwissenschaft, Judaistik und Öffentliches Recht in Tübingen, Liège, Heidelberg und Jerusalem mit dem Schwerpunkt auf dem Verhältnis zwischen Populismus und der Krise der liberalen Demokratie. Er arbeitet seit Jahren in der (historisch-) politischen Bildung für verschiedene Organisationen. Für die Bildungsstätte Anne Frank leitet er das Projekt im „Kooperationsverbund gegen Antisemitismus“ und arbeitet hauptsächlich zu der Streitfrage des israelbezogenen Antisemitismus und dem Israel-Palästina-Konflikt, sowie zur Thematik „Wie man Demokratie verliert?“. Er ist außerdem Mitglied beim Netzwerk CPPD und Co-Autor der Broschüre „Welcher Fluss und welches Meer?“.