Vereinigungsverbote zur Bekämpfung von Islamismus
Ein zweischneidiges Schwert?
Clement Lippitsch
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Angesichts zunehmender extremistischer Gefährdungslagen, etwa durch islamistische Gruppierungen, rückt die Frage nach der Wehrhaftigkeit der Demokratie in den Fokus. Wie kann ein freiheitlicher Staat sich schützen, ohne seine eigenen Prinzipien zu untergraben? Besonders das Vereinigungsverbot steht dabei im Spannungsfeld zwischen demokratischer Selbstbehauptung und Grundrechtseingriff. Clement Lippitsch beleuchtet, wie wirksam dieses Instrument tatsächlich ist – und wo seine Grenzen liegen.
Islamismus als aktuelle sicherheitspolitische Herausforderung in Deutschland
Die gegenwärtige Bedrohungslage in Deutschland, angesichts vermehrter (auch vereitelter) Anschläge, zunehmender Radikalisierungsfälle sowie verstärkter islamistischer Propaganda im Netz, katapultiert den Islamismus erneut in den Fokus sicherheitspolitischer Debatten; er stellt dabei eine handfeste Gefahr für die innere Sicherheit und die liberale Ordnung dar (Enslin 2025). Das wurde besonders deutlich nach dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 auf Israel, der nicht nur eine Zäsur im Nahostkonflikt markierte, sondern auch unmittelbar sicherheitspolitische Auswirkungen auf die Bundesrepublik hatte: In den Wochen nach dem Terrorangriff registrierten deutsche Sicherheitsbehörden einen sprunghaften Anstieg politisch motivierter Straftaten mit islamistischem Hintergrund (Bundeskriminalamt 2024). Ausschreitungen, antisemitische Übergriffe, Propagandaaktionen und provokante Symbolik prägten das Straßenbild in einigen deutschen Großstädten ebenso wie in digitalen Räumen (Jaeger 2024). Zugleich nimmt die Zahl radikalisierter Einzeltäter zu, nicht zuletzt aufgrund einer zunehmenden Online-Radikalisierung, die mit einfachsten Mitteln – Messern, Fahrzeugen oder selbstgebauten Waffen (zum Beispiel Sprengkörper) – schwere Gewalttaten verüben (Enslin 2025). Diese Entwicklung zeigt: Islamismus ist kein fernes Phänomen, sondern eine reale Bedrohung für die deutsche Gesellschaft. Die Bundesrepublik steht dabei vor Herausforderungen auf drei Ebenen:
Transnationale Vernetzung: Islamistische Bestrebungen wirken längst über nationale Grenzen hinweg. Ideologie, Geld und Personal fließen transnational – über soziale Medien, Vereine und kriminelle Netzwerke.
Strategische Institutionalisierung: Islamist:innen nutzen die Freiräume pluralistischer Gesellschaften gezielt, um sich in zivilgesellschaftlichen, religiösen oder politischen Strukturen zu verankern. Sie gründen Vereine, betreiben Bildungsarbeit oder nehmen Einfluss auf öffentliche Diskurse, um ihre Weltanschauung langfristig gesellschaftlich zu normalisieren und politische Gestaltungsspielräume zu gewinnen.
Militanter Dschihadismus: Ein Teil des islamistischen Spektrums befürwortet oder legitimiert die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung religiös-politischer Ziele – etwa durch Anschläge, Einzelangriffe oder die Unterstützung terroristischer Gruppen (Hasche 2018).
Angesichts der genannten Faktoren und einer hohen Gefährdungslage in Deutschland drängt sich die Frage nach der Interner Link: Wehrhaftigkeit der Demokratie mit Nachdruck auf. Wie kann ein freiheitlicher Rechtsstaat auf jene extremistischen Gruppierungen reagieren, die seine Grundordnung gezielt unterwandern oder beseitigen wollen, ohne dabei selbst seine demokratischen und konstitutionellen Grundprinzipien preiszugeben?
Diese Herausforderung gilt als grundlegendes Spannungsfeld, das jede liberale Demokratie durchzieht: Wie viel Freiheit verträgt eine Demokratie – und wie viel Sicherheit braucht sie? Zu viel Freiheit kann extremistischen und antidemokratischen Kräften Handlungsspielräume eröffnen. Zu viel Sicherheit hingegen – etwa durch exzessive Eingriffe oder Verbote – droht die Grundrechte auszuhöhlen und die demokratische Substanz von innen zu schwächen.
Gerade in diesem Spannungsverhältnis zeigt sich die Ambivalenz eines Instruments, das zwar nicht als das schärfste Mittel der wehrhaften Demokratie gilt, sich bei näherer Betrachtung jedoch als das relevanteste für die Praxis entpuppt: das Vereinigungsverbot (auch als „Vereinsverbot“ bezeichnet). Als gezielter Eingriff in die Vereinigungsfreiheit kann es Ausdruck demokratischer Selbstbehauptung sein; zugleich birgt es jedoch Missbrauchsrisiken mit potenziell demokratieschädlicher Wirkung. Kritiker:innen bemängeln eine symbolische Überhöhung, eine begrenzte nachhaltige Wirkung sowie potenziell kontraproduktive Effekte. Ob diese Kritik berechtigt ist und wie wirksam Vereinigungsverbote im Kontext des Islamismus in der Praxis tatsächlich sind, wird im Folgenden näher ausgeführt.
Das Vereinsverbot im Spannungsfeld von Freiheit und Sicherheit
Die im Grundgesetz (GG) verankerte Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1) schützt das Recht, sich zu gemeinsamen politischen oder gesellschaftlichen Zwecken in Vereinen oder Gesellschaften zusammenzuschließen. Nach § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts (VereinsG) gilt als Vereinigung jeder auf Dauer angelegte Zusammenschluss natürlicher oder juristischer Personen, der eine gemeinsame Willensbildung zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks aufweist. Die Rechtsform – ob eingetragener Verein oder loses Netzwerk – ist dabei unerheblich, solange eine hinreichende organisatorische Struktur erkennbar ist.
Als Grundrecht entfaltet die Vereinigungsfreiheit eine doppelte Schutzfunktion: Sie umfasst sowohl das Recht auf Gründung und Betätigung als auch das Recht, sich nicht zu beteiligen. Damit gilt sie als klassisches Freiheits-, Schutz- und Abwehrrecht gegenüber staatlicher wie privater Einmischung (Gerlach 2012).
Vereinsverbote sind staatliche Eingriffe, mit denen das Recht auf Vereinigungsfreiheit eingeschränkt werden kann. Wenn die Zwecke oder Aktivitäten einer Vereinigung fundamentalen verfassungsrechtlichen Normen widersprechen, kann ihr damit das Fortbestehen untersagt werden. Die verfassungsrechtliche Grundlage hierfür bildet Art. 9 Abs. 2 GG, der ein Verbot für Vereinigungen vorsieht, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung, den Gedanken der Völkerverständigung oder gegen Strafgesetze richten. Die bloße Annahme einer gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichteten Geisteshaltung reicht jedoch nicht aus, um die benannten Tatbestände zu erfüllen. Erforderlich ist vielmehr eine aggressiv-kämpferische Haltung, die darauf abzielt, die verfassungsmäßige Ordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 13. Juli 2018 – 1 BvR 1474/12). Darüber hinaus sind Vereinsverbote an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden. Mildere Mittel kommen allerdings nur in Betracht, wenn sie die in Art. 9 Abs. 2 GG geschützten Rechtsgüter ebenso effektiv schützen können. In der Praxis stellt das Vereinsverbot meist das gebotene Mittel dar. Als milderes Mittel können gegenüber ausländischen und Ausländervereinen Betätigungsverbote erlassen werden, die sich auch auf einzelne Handlungen oder bestimmte Personen beschränken lassen. Insgesamt sollen diese Hürden dafür sorgen, dass politisch motivierte oder missbräuchliche Verbote vermieden werden.
Als Reaktion auf die islamistischen Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA wurde eine Reihe von Gesetzesänderungen in Deutschland implementiert, die primär der Terrorismusbekämpfung dienen. Zunächst wurde im Jahr 2001 das Religionsprivileg abgeschafft, wodurch die Möglichkeit geschaffen wurde, auch islamistische Gruppierungen zu verbieten (Groh 2002). Im Jahr 2002 wurde anschließend eine Novellierung des VereinsG verabschiedet, welche eine Erweiterung der Verbotstatbestände für Ausländervereine und ausländische Vereine beinhaltete. Diese können seitdem gemäß § 14 Abs. 2 & § 15 Abs. 1 VereinsG verboten werden, wenn sie die politische Willensbildung, das friedliche Zusammenleben, die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder wesentliche Bundesinteressen gefährden, völkerrechtliche Pflichten verletzen, extremistische Bestrebungen fördern oder Gewalt unterstützen.
Ein Vereinsverbot wird gemäß § 3 VereinsG durch eine formelle Verbotsverfügung als belastender Verwaltungsakt ausgesprochen. Ein belastender Verwaltungsakt ist eine Maßnahme der Verwaltung, die für einen Betroffenen nachteilige Rechtsfolgen hat. Eine Verbotsverfügung muss schriftlich ergehen und ist mit einer Begründungspflicht (§ 39 Verwaltungsverfahrensgesetz) versehen. In der Regel wird sie nicht vorab angekündigt, um eine Gefährdung des Vollzugs (etwa durch Vermögensverlagerung oder Datenlöschung) zu vermeiden.
Die Zuständigkeit für ein Verbot richtet sich nach dem räumlichen Wirkungsbereich der betroffenen Vereinigung. Das Bundesministerium des Innern (BMI) ist zuständig, wenn die Vereinigung bundesweit oder in mehreren Bundesländern tätig ist (§ 3 Abs. 2 VereinsG). Das BMI ist außerdem zuständig für Verbote ausländischer Vereinigungen (§ 15 Abs. 1 VereinsG). Bei ausschließlich landesweiter Aktivität sind die jeweiligen Landesinnenministerien zuständig.
Vor Erlass eines Verbots werden umfangreiche Ermittlungen durchgeführt. Diese erfolgen unter Einbeziehung polizeilicher und nachrichtendienstlicher Erkenntnisse. Die zuständigen Behörden haben nach § 4 VereinsG weitreichende Befugnisse, insbesondere zur Durchführung von Durchsuchungen und Beschlagnahmungen. Ziel ist die Sammlung verwertbarer Beweise. Ein rechtskräftiges Vereinsverbot zieht weitreichende administrative Maßnahmen nach sich, die im VereinsG detailliert geregelt sind:
Auflösung der Organisation (§ 3 VereinsG)
Verbot von Ersatz- und Teilorganisationen (§§ 3, 8 VereinsG)
Verbot der Verwendung von Kennzeichen und Symbolen (§ 9 VereinsG)
Beschlagnahme und Einziehung von Vermögenswerten (§§ 10 ff. VereinsG)
Die Wirkung eines jeden Verbots reicht somit über das Tätigkeitsverbot hinaus und umfasst präventive Maßnahmen zur Unterbindung von Nachfolgeaktivitäten sowie zur Schwächung organisatorischer Ressourcen.
Islamistische Vereinigungen im Fokus der Vereinigungsverbotspraxis
Zwischen 1990 und 2024 hat das BMI insgesamt 48 erfolgreiche Vereinigungsverbote ausgesprochen. Davon entfallen 21 Verbote auf den Phänomenbereich „Islamismus/islamistischer Terrorismus“ (ISiT) (Tabelle 1). Damit stellt dieser den zahlenmäßig größten Bereich dar – noch vor dem Rechtsextremismus (17 Verbote, RE) und deutlich vor dem auslandsbezogenen Extremismus (8 Verbote, AE), dem Linksextremismus (1 Verbot, LE) und den Reichsbürgern beziehungsweise Selbstverwaltern (1 Verbot, RuS). Dies zeigt die im Folgenden analysierte Balkengrafik (Abb. 1).
Quelle: Eigene Darstellung basierend auf den Daten des Verfassungsschutzberichts 2024 (Bundesamt für Verfassungsschutz 2025)
Die Mehrheit der Vereinsverbote im Kontext des ISiT erging im Kontext von Verbotswellen: zunächst im Nachgang des 11. September 2001 (2001–2005), dann im Zuge salafistischer Radikalisierung und dschihadistischer Mobilisierung, insbesondere im Zusammenhang mit dem Syrienkrieg und der Gründung des „Islamischen Staates“ (2012–2016), sowie erneut mit einem Fokus auf Strukturen der sogenannten „Achse des Widerstands“, insbesondere gegen Hamas und Hisbollah – auch vor dem Hintergrund der Eskalation des Nahostkonflikts (2020–2024).
Dieses wellenartige Muster korrespondiert mit der Beobachtung, dass Vereinigungsverbote insbesondere als Reaktion auf zeitgeschichtliche Ereignisse erfolgen, die medial besonders intensiv rezipiert werden, das öffentliche Sicherheitsempfinden nachhaltig beeinflussen und Regierungen unter tatsächlichen oder wahrgenommenen Handlungsdruck setzen (Brieger 2023).
Auch auf Landesebene wurden seit 2001 mindestens 15 weitere Verbote (Tabelle 2) gegen islamistische Vereinigungen ausgesprochen. Auffällig dabei ist, dass in den ostdeutschen Bundesländern bislang lediglich ein einziges Verbot erfolgte, was auch damit zusammenhängt, dass dort bislang deutlich weniger etablierte islamistische Strukturen existieren (mehr dazu imInterner Link: Infodienst-Beitrag von Caspar Schliephack und Hans Goldenbaum). Im selben Zeitraum entfallen 25 landesrechtliche Verbote auf rechtsextreme Gruppierungen. Die Gesamtbilanz zeigt eine relativ ausgewogene Anwendung des Vereinsverbots bezüglich beider Phänomenbereiche.
Vereinsverbote auf dem Prüfstand: Wirksamkeit und Grenzen
Vereinsverbote sollen islamistische Strukturen schwächen, Einflussnahme verhindern und ein klares Signal setzen. Doch wie wirksam sind sie wirklich? Unstrittig ist, dass Vereinsverbote extremistische Organisationen empfindlich treffen können, und zwar durch folgende intendierte Ziele: Zerschlagung organisatorischer Netzwerke und Strukturen, Unterbindung finanzieller Aktivitäten, Einschränkung von Propagandaarbeit und Verhinderung personeller Rekrutierung.
Empirisch sind diese Wirkungen nur schwer umfassend zu erfassen, doch zeigen Einzelfallanalysen, dass Verbote substanzielle Effekte entfalten können – vor allem dann, wenn sie fundiert vorbereitet sind und nachhaltig durchgesetzt werden. Das zeigt sich etwa im Kontext transnational-extremistischer Organisationen: Unter anderem die palästinensische Hamas und die libanesische Hisbollah nutzen Europa als Rückzugsraum und Plattform für Propaganda, Logistik und Rekrutierung sowie als Aktionsraum. Vereinsverbote konnten in diesem Kontext einen Beitrag zur Schwächung spezifischer innerdeutscher Unterstützungsstrukturen leisten, beispielsweise durch das Verbot von Vorfeldorganisationen wie al-Aqsa e.V., Internationale Humanitäre Hilfsorganisation e.V. (IHH) oder Samidoun8, die finanzielle Mittel für ihre Mutterorganisationen und sogenannte „Märtyrer“-Familien9 beschafft hatten (Lippitsch 2025).
Neben direkten Effekten entfalten Vereinsverbote eine präventive Signalwirkung: Sie markieren die Grenzen zulässiger Betätigung und schrecken potenzielle Unterstützer:innen und Sympathisant:innen ab (Gerlach 2012). Dies gilt insbesondere für Organisationen, die strategisch auf Legalitätsfassaden setzen – also formell rechtskonforme Strukturen aufbauen, um extremistische Ideologien langfristig in die Gesellschaft einzubetten. Ein Verbot fungiert hier als regulatorische Leitplanke, die gesellschaftlichen Normalisierungstendenzen entgegenwirkt.
Dem gegenüber können Vereinsverbote auch unbeabsichtigte Nebenwirkungen haben. So kann es zu einer Verlagerung extremistischer Aktivitäten in den privaten oder informellen Raum kommen, was die Beobachtung für die Sicherheitsbehörden erschweren kann. Auch eine zunehmende Klandestinität oder der Wechsel in den Untergrund sind möglich. Diese Nebenwirkungen müssen jedoch nicht zwangsläufig negative Folgen haben – sofern die Nachrichtendienste über geeignete Mittel und Ressourcen verfügen (Lippitsch 2025).
Vereinsverbote im Bereich des ISiT bergen neben ihren beabsichtigten positiven Symbolwirkungen auch das Risiko symbolischer Gegenmobilisierung: Betroffene Gruppen können ein Verbot als Ausdruck einer „repressiven Mehrheitsgesellschaft“ interpretieren und propagandistisch instrumentalisieren – etwa zur Stärkung eines „Märtyrernarrativs“ oder zur weiteren ideologischen Abschottung. Dieses Risiko steigt insbesondere dann, wenn das Verbot nicht klar von diskriminierenden Ressentiments abgegrenzt wird oder in der Öffentlichkeit als gezielt anti-muslimisch wahrgenommen wird. Solche Deutungsmuster können neue Radikalisierungsdynamiken auslösen oder bestehende verstärken. Ein aktuelles Beispiel für ein Verbot, das Gegenproteste kanalisiert hat, ist das Verbot des Islamischen Zentrums Hamburg (IZH) im Jahr 2024. In den Folgemonaten kam es regelmäßig zu Protesten, bei denen Demonstrierende die Maßnahme als Angriff auf schiitische Religionsausübung deuteten und die Wiedereröffnung der Imam-Ali-Moschee, die das IZH beherbergte, forderten (DIE ZEIT 2025).
Für die Durchsetzung von Vereinigungsverboten stellen die Globalisierung und Digitalisierung Herausforderungen dar. Unter anderem erschweren klandestine (digitalisierte) Kommunikationswege, im Ausland gehostete Server, die Nutzung verschlüsselter Plattformen, verschachtelte Domainstrukturen sowie die oft unzureichende Kooperationsbereitschaft global agierender Tech-Unternehmen die vollständige Sperrung extremistischer Inhalte im Internet. Dadurch bleibt der Zugang zu einschlägigen Inhalten, Kontakten und ideologischen Angeboten trotz Verbots oft bestehen, taucht nach kurzer Zeit wieder auf oder verlagert sich auf andere Plattformen und Kanäle.
Zusammenfassend bewerten insbesondere sicherheitsbehördliche Praktiker:innen die Wirksamkeit ambivalent und beschreiben den Umgang mit extremistischen Organisationen häufig als ein „Katz-und-Maus-Spiel“ (Lippitsch 2025). Während diese flexibel und anpassungsfähig agieren, reagieren staatliche Institutionen meist verzögert. Technische Hilfsmittel, wie der Einsatz von KI (mehr dazu im Infodienst-Beitrag von Isabel Lang), könnten diesen Rückstand zukünftig verringern, doch bleibt das Verhältnis asymmetrisch: Der demokratische Rechtsstaat trifft mit rechtsstaatlichen Mitteln auf flexible, oft kriminell und konspirativ agierende Extremist:innen.
Fazit: Vereinsverbote als zweischneidiges Schwert
Das Instrument des Vereinsverbots ist – gerade in sicherheitspolitisch angespannten Zeiten – ein wirksames Mittel zur Bekämpfung von Extremismus. Die Anwendung dieses Instruments ermöglicht die Implementierung staatlicher Exekutivmaßnahmen, womit Vereinsverbote ein essenzieller Bestandteil der Gefahrenabwehr durch die Sicherheitsbehörden im Sinne der wehrhaften Demokratie sind. Gleichzeitig hängt ihre Wirksamkeit von einer präzisen Vorbereitung, nachhaltigen Durchsetzung sowie einer umfassenden Einbettung in ein sicherheitspolitisches Gesamtkonzept ab, welches Aufklärung, Prävention und gesellschaftliche Integration, aber auch Repression vereinen muss, um Radikalisierung nachhaltig vorzubeugen. In der Praxis zeigt sich eine ausgewogene Anwendung: Die Anzahl islamistischer Vereinsverbote ist zwar beachtlich, aber nicht exzessiv. Sie konzentriert sich auf besonders einflussreiche, international vernetzte oder militant agierende Gruppierungen. Dies spricht für eine faktenbasierte Risikobewertung der Sicherheitsbehörden.
Gleichwohl bleibt jedes Vereinsverbot ein scharfes Schwert – und jedes Mal, wenn es geführt wird, schneidet es tief in Grundrechte ein. Gerade aus demokratietheoretischer Perspektive ist deshalb eine verantwortungsbewusste und zurückhaltende Anwendung geboten. Ein Vereinsverbot sollte stets das letzte Mittel der Wahl bleiben; die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit muss gewahrt bleiben. Das Instrument soll schließlich weder der eigenen Profilierung dienen noch unbequeme Meinungen unterdrücken, sondern konkrete Gefahren abwehren. Damit diese Gefahrenabwehr legitim bleibt, muss sie wirksam sein. Die (quantitative) Anwendung eines jeden Repressionsinstruments muss daher an die Qualität seiner Effekte und Leistungen gekoppelt sein. Denn wenn Grundrechtseingriffe regelmäßig erfolgen, aber kaum Wirkung entfalten, schwächen sie die Demokratie – anstatt sie zu schützen.
Insbesondere Verbote, die im Kontext von global bedeutsamen Schlüsselereignissen – wie dem Terrorangriff der Hamas auf Israel im Jahr 2023 – ergehen, sind kritisch zu reflektieren. Denn solche Ereignisse, die gesellschaftlich und medial besonders intensiv gespiegelt werden und das subjektive Sicherheitsempfinden der Bürger:innen stark beeinflussen, bringen einen realen oder gefühlten staatlichen Handlungsdruck hervor. Dabei besteht die Gefahr, dass Maßnahmen ergriffen werden, die eher von einer gefühlten Dringlichkeit als von einer sorgfältigen Abwägung zwischen Freiheits- und Sicherheitsinteressen geprägt sind; werden Maßnahmen aus ersterem Grund ergriffen, bleiben sie meist wirkungslos und könnten der Demokratie mehr schaden als nützen.
Tabelle 1: Vereinsverbote im Bereich des ISiT auf Bundesebene (1990-2024)
Verbotsverfügungen — Tabelle
Quelle: Eigene Darstellung basierend auf den Daten des Verfassungsschutzberichts 2024 (Bundesamt für Verfassungsschutz 2025: S. 358-368)
Organisation
Datum der Verbots-verfügung / des Verbots-vollzugs
Verbotsgründe
Phänomen-bereich
„Kalifatsstaat“ und 35 Teilorganisationen
08.12.2001 14.12.2001 13.05.2002 16.09.2002
Vereinszweck gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet
Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung
Propagierung von Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele
ISiT
„al-Aqsa e.V.”
31.07.2002
Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung (finanzielle Unterstützung der HAMAS und ihrer sogenannten Sozialvereine)
ISiT
„Hizb ut-Tahrir“ (HuT)
10.01.2003
Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung
Befürwortung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Belange
ISiT
„Yeni Akit GmbH“ (Verlegerin der Europa-Ausgabe der türkischsprachigen Tageszeitung „Anadolu’da Vakit“)
22.02.2005
Leugnung und Verharmlosung des Holocaust in volksverhetzender Weise
Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung
ISiT
„Millatu Ibrahim“
29.05.2012
Vereinszweck gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet
Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung
ISiT
„Dawa FFM“ einschließlich der Teilorganisation „Internationaler Jugendverein – Dar al Schabab e.V.“
25.02.2013
Vereinszweck gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet
Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung
ISiT
„an-Nussrah“
25.02.2013
Teilorganisation des rechtskräftig verbotenen Vereins „Millatu Ibrahim“
ISiT
„DawaTeam Islamische Audios“
25.02.2013
Vereinszweck gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet
Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung
ISiT
„Waisenkinderprojekt Libanon e.V.“ (WKP) (Umbenennung in „Farben für Waisenkinder e.V.“ (16.10.2014) — ebenfalls verboten)
02.04.2014
Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung
ISiT
„Islamischer Staat“ (IS) alias „Islamischer Staat im Irak“ alias „Islamischer Staat im Irak und in Groß-Syrien“
12.09.2014
Vereinszweck gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet
Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung
ISiT
„Tauhid Germany“ (TG)
26.02.2015
Ersatzorganisation des rechtskräftig verbotenen Vereins „Millatu Ibrahim“
ISiT
„Die Wahre Religion“ (DWR)
25.10.2016
Vereinszweck gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet
Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung
ISiT
„Hisbollah“
26.03.2020
Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung
Zuwiderlaufen gegen Strafgesetze
ISiT
„Deutsche Libanesische Familie e.V.“, „Menschen für Menschen e.V.“, „Gib Frieden e.V.“
15.04.2021
Ersatzorganisationen des rechtskräftig verbotenen „Farben für Waisenkinder e.V.“ / „Waisenkinderprojekt Libanon e.V.“ (WKP)
ISiT
„Ansaar International e.V.“ einschließlich Teilorganisationen:
„Aktion Ansar Deutschland e.V.“, „Somalisches Komitee Information und Beratung in Darmstadt und Umgebung e.V. (SKIB)“, „Frauenrechte ANS.Justice e.V.“, „Änis Ben-Hatira Help e.V./Änis Ben-Hatira Foundation“, „Ummashop“, „Helpstore Secondhand UG“, „Better World Appeal e.V.“
05.05.2021
Vereinszweck gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet
Zuwiderlaufen gegen Strafgesetze
Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung
ISiT
„Harakat al-Muqawama al-Islamiya“ (HAMAS)
02.11.2023
Zuwiderlaufen gegen Strafgesetze
Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung
ISiT
„Islamisches Zentrum Hamburg e.V.“ (IZH) einschließlich Teilorganisationen:
„Islamische Akademie Deutschland e.V.“ (IAD), „Verein der Förderer einer iranisch-islamischen Moschee in Hamburg e.V.“, „Islamisches Zentrum Berlin e.V.“ (IZB), „Zentrum der Islamischen Kultur e.V.“ (ZIK), „Islamische Vereinigung Bayern e.V.“ (IVB)
26.06.2024
Vereinszweck und -tätigkeit gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet
Zuwiderlaufen gegen Strafgesetze
Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung
ISiT
Tabelle 2: Vereinsverbote im Bereich des ISiT auf Landesebene (1990-2024)
Verbotene Organisationen
Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage der jeweiligen Verbotsverfügungen im Bundesanzeiger
Organisation
Bundesland
Datum der Verbots-verfügung/ des Verbots-vollzugs
Verbotsgründe
Phäno-men-bereich
Multikulturhaus Ulm e.V.
Bayern
28.12.2005
Vereinszweck und -tätigkeit gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet
Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung
Propagierung von Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele
ISiT
Taiba, Arabisch-Deutscher Kulturverein e.V.
Hamburg
28.05.2010
Vereinszweck und -tätigkeit gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet
Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung
ISiT
Kultur- und Bildungszentrum Ingolstadt e.V.
Bayern
17.09.2013
Ersatzorganisation des rechtskräftig verbotenen Vereins Vereinigung „Islamisches Zentrum Ingolstadt e.V.“, einer verbotenen Teilorganisation der mit Verfügung vom 8. Dezember 2001 durch das Bundesministerium des Innern verbotenen Vereinigung „Kalifatsstaat“ („Hilafet Devleti“) und deshalb kraft Gesetzes verboten.
ISiT
Kultur & Familien Verein e.V.
Bremen
21.11.2014
Vereinszweck und -tätigkeit gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet
Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung
ISiT
Islamisches Bildungs- und Kulturzentrum Mesdschid Sahabe e.V.
Baden-Württemberg
11.12.2015
Vereinszweck und -tätigkeit gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet
Zuwiderlaufen gegen Strafgesetze
Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung
ISiT
Islamischer Förderverein Bremen e.V.
Bremen
16.02.2016
Ersatzorganisation des rechtskräftig verbotenen Vereins „Kultur & Familien Verein e.V.“
ISiT
Fussilet 33
Berlin
20.02.2017
Vereinszweck und -tätigkeit gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet
Zuwiderlaufen gegen Strafgesetze
Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung
ISiT
Deutschsprachiger Islamkreis Hildesheim e.V.
Nieder-sachsen
07.03.2017
Vereinszweck und -tätigkeit gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet
Zuwiderlaufen gegen Strafgesetze
Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung
ISiT
Almadinah Islamischer Kulturverein e.V.
Hessen
16.03.2017
Vereinszweck und -tätigkeit gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet
Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung
ISiT
Jama’atu Berlin (Tauhid Berlin)
Berlin
29.01.2021
Vereinszweck und -tätigkeit gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet
Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung
ISiT
Islamischer Kulturverein Nuralislam e.V.
Nordrhein-Westfalen
24.02.2022
Vereinszweck und -tätigkeit gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet
Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung
ISiT
Fatime Versammlung e.V. (Imam Mahdi Zentrum)
Nordrhein-Westfalen
01.03.2022
Vereinszweck und -tätigkeit gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet
Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung
ISiT
Al-Mustafa Gemeinschaft e. V. (Al-Mustafa Pfadfinder Bremen)
Bremen
01.03.2022
Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung
Clement Lippitsch absolvierte ein Studium der Politikwissenschaft an der Technischen Universität Chemnitz sowie an der Technischen Universität Dresden. Im Verlauf seiner akademischen Ausbildung befasste er sich intensiv mit der Extremismusforschung, wobei er den Fokus insbesondere auf islamistische Strukturen legte. Im Rahmen seiner Masterarbeit untersuchte er Vereinigungsverbote als Instrument der wehrhaften Demokratie und analysierte deren Effektivität im Kontext der Bekämpfung von islamistischen Vereinigungen.