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Einsamkeit – ein Thema für die Islamismusprävention? | Infodienst Radikalisierungsprävention | bpb.de

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Einsamkeit – ein Thema für die Islamismusprävention?

Dr. Vera Dittmar Anja Herrmann

/ 10 Minuten zu lesen

Einsamkeit gilt längst nicht mehr nur als individuelles Problem, sondern hat auch gesamtgesellschaftlich Auswirkungen. Auch in Radikalisierungs- und Distanzierungsprozessen kann Einsamkeit eine entscheidende Rolle spielen. Der Beitrag von Vera Dittmar und Anja Herrmann beleuchtet, wie subjektiv empfundene soziale Leere sowohl als Katalysator für Radikalisierung, als auch als Hürde beim Ausstieg aus extremistischen Milieus wirken kann. Basierend auf aktuellen Forschungsergebnissen und praxisnahen Einblicken aus der Distanzierungsberatung zeigen die Autorinnen, wie Fachkräfte Einsamkeit erkennen und mit welchen Methoden sie die soziale (Wieder-)Anbindung ihrer Klientinnen und Klienten stärken können.

Einsamkeit betrifft viele Menschen. Auch in der Beratungsarbeit mit Personen aus dem islamistischen beziehungsweise salafistischen Spektrum ist Einsamkeit ein wiederkehrendes Thema. (© getty images | Justin Paget)

In den jüngsten Debatten um Radikalisierung und Distanzierung stellt Einsamkeit ein zunehmend wichtigeres Thema dar. Es ist dabei nur eines von vielen Themen, die Fachkräfte in der Beratungs- und Distanzierungsarbeit bearbeiten müssen (parallel etwa zu weiteren Aspekten wie Traumafolgen, Familienkonflikten oder beruflicher Neuorientierung). Während die Psychologie Einsamkeit längst als Gesundheitsrisiko beschreibt und die Soziologie sie als Symptom sich ausdünnender sozialer Netze deutet, ist ihre Bedeutung in Radikalisierungsprozessen erst in den letzten Jahren systematisch untersucht worden. Empirische Befunde verweisen darauf, dass die subjektiv erlebte soziale Leere zu politischer Radikalisierung und Gewalt führen kann (Schobin 2022, S. 38-43). Darüber hinaus wird angenommen, dass Einsamkeit einerseits den Eintritt in extremistische Szenen begünstigt und andererseits den nachhaltigen Ausstieg erschwert. Einsamkeit ist damit ein wesentliches, bislang jedoch nur unzureichend erschlossenes Forschungsfeld.

Der vorliegende Beitrag zeigt, was die Forschung heute unter Einsamkeit versteht und welche Rolle diese in Interner Link: Prozessen der Radikalisierung und Distanzierung spielen kann. Zudem wird skizziert, wie Distanzierungs- und Ausstiegsberater:innen Einsamkeit adressieren können und welche Instrumente ihnen dabei zur Verfügung stehen. Praxisorientiert wird erörtert, welche Bedeutung Fachkräfte dem Thema Einsamkeit in ihrer Arbeit zuschreiben, welche Erfahrungen sie damit gesammelt haben und welche Strategien sie als wirksam bewerten.

Einsamkeit in Prozessen der Radikalisierung und Distanzierung

Was ist Einsamkeit?

In der aktuellen Forschung wird Einsamkeit als subjektiver Gefühlszustand beschrieben, der als negativ empfunden wird. Dabei wird zwischen emotionaler Einsamkeit und sozialer Einsamkeit unterschieden. Emotionale Einsamkeit kann daraus resultieren, dass eine vertrauensvolle, enge Beziehung fehlt. Soziale Einsamkeit fußt hingegen auf der fehlenden Einbindung in ein soziales Netzwerk aus Freund:innen und Bekannten. Die Rede ist dann auch von einer kollektiven Einsamkeit. Diese beschreibt die fehlende Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft oder zur Gesellschaft (Luhmann 2022, S. 22). Auch der Begriff der sozialen Isolation wird oftmals verwendet. Er umschreibt das objektive Fehlen von sozialen Beziehungen und Kontakten (Hawkley/Cacioppo 2010, S. 1).

Einsamkeit als ein Aspekt von Radikalisierungsprozessen

Einsamkeit kann sich auf verschiedene Weise in Radikalisierungsprozessen zeigen beziehungsweise niederschlagen. Sie ist ein Push-Faktor in frühen Radikalisierungsphasen. Da sie das fundamentale Bedürfnis nach Zugehörigkeit („need to belong“, Baumeister/Leary 1995, S. 497) untergräbt, erhöht sie die Anfälligkeit, sich Gruppen anzuschließen, die schnelle Anerkennung, klare Rollen und intensive Kohäsion (vereinfacht: ein „Wir-Gefühl“) versprechen. Die emotionale Leerstelle wird durch das extremistische Milieu mit Sinn- und Zugehörigkeitsangeboten gefüllt, denn Einsamkeit verstärkt die Identitäts- und Sinnsuche. Gefühle persönlicher Bedeutungslosigkeit korrelieren mit der Bereitschaft, sich radikalen Ideologien anzuschließen, die moralische Überlegenheit vermitteln (Jasko et al. 2018, S. 13). Insofern gibt es signifikante Zusammenhänge zwischen Einsamkeit und autoritären Einstellungen, Verschwörungsmentalität und der Billigung politischer Gewalt (Neu et al. 2023, S. 5). Dabei kann es zusätzlich zu einem Rückkopplungseffekt kommen: Die Zugehörigkeit zu einer extremistischen Gruppierung oder einem Netzwerk hemmt Kontakte zu moderateren Gruppen, wodurch die reale Isolation zunimmt und die ideologische Bindung sich weiter verhärtet (Moghaddam 2005, S. 165).

Einsamkeit als Thema der Distanzierungs- und Ausstiegsberatung

In der Distanzierungsberatung ist Einsamkeit ein wiederkehrendes Thema, da in Ausstiegsphasen oft Teile des bisherigen Beziehungsnetzes wegbrechen (Barrelle 2015, S. 9). Die Beratung fungiert dann als erste kompensatorische Beziehungserfahrung: Durch verlässliche, vertrauensvolle Settings erleben Ratsuchende Wertschätzung und Akzeptanz (Schwing/Fryszer 2017, S. 324). Die Berater:innen werden so zur „sicheren Basis“, von der aus neue soziale Felder erkundet werden können.

Gerade der systemische Ansatz bietet hier besondere Chancen, denn die systemische Grundannahme, dass Probleme in Beziehungen entstehen und dort auch gelöst werden können, ermöglicht es, Einsamkeit nicht als individuelles Versagen, sondern als Signal für gestörte soziale Rückkopplungen zu begreifen und dementsprechend zu bearbeiten. Zudem stellt die systemische Methodik wirkungsvolle Instrumente bereit, um Einsamkeit sichtbar zu machen und neue Vernetzungen anzustoßen, etwa den Einsatz von Genogrammen und „Netzwerkkarten“, mit denen Klient:innen ihre aktuellen und gewünschten Beziehungsnetze grafisch abbilden (Dittmar 2023, S. 175, 183). In der Beratung wird so erkennbar, welche Bindungen nach dem Ausstieg weggebrochen sind, aber auch, welche Ressourcen noch schlummern und nun für die künftige Gestaltung von Beziehungen positiv eingebracht werden können. Die Distanzierungsarbeit mindert also nicht nur akute Einsamkeitsgefühle, sondern kann zugleich dabei helfen, Schutzfaktoren auszubilden, die eine erneute Radikalisierung weniger wahrscheinlich machen.

Für alle Berater:innen seien die Beratungs- und Therapie-Tools zu Kränkung und Einsamkeit (Lammers/Ohls 2023) empfohlen, die eine Vielzahl von Methoden und von Arbeitsmaterialien konkret vorstellen.

Erkenntnisse zu Distanzierungsprozessen

Einsamkeit in Distanzierungsprozessen

Auch unter Berater:innen muss das Thema Einsamkeit sehr differenziert betrachtet werden. Zu diesem Schluss kommt die Forschungsstelle Deradikalisierung (FORA), in Kooperation mit dem Beratungsnetzwerk Grenzgänger, in seinem qualitativen Forschungsprojekt „Einsamkeit als Herausforderung für die Islamismusprävention: Perspektiven von Berater:innen, Therapeut:innen und Wissenschaft“ (09/2024 – 12/2025). Eine isolierte Betrachtung kann der Vielschichtigkeit des Phänomens nicht gerecht werden, da Einsamkeit gruppen- und individualspezifisch in Interaktion mit anderen Variablen auftritt. Zu diesen kontextuellen Faktoren zählen unter anderem Inhaftierung, familiäre Brüche durch die Abwesenheit des Partners beziehungsweise der Partnerin oder eines Elternteils, Interner Link: psychische Erkrankungen (insbesondere Traumata), sozioökonomische Faktoren, Stigmatisierungserfahrungen, Schamgefühle sowie Unsicherheit und Angst. Oft verstärken und bedingen sich diese Faktoren gegenseitig und stehen in direkter Wechselwirkung zur empfundenen Einsamkeit. Solche Wechselwirkungen zeigen sich zum Beispiel bei Kindern von „IS“-Rückkehrerinnen: Sprachbarrieren und Stigmatisierung können in der Schule soziale Interaktionen und damit Integration verhindern und zur emotionalen und sozialen Einsamkeit führen. Der damit einhergehende soziale Rückzug sowie Frust- und Wutgefühle können wiederum weitere Ausgrenzungen und Einsamkeitsempfinden zur Folge haben.

Erschwerter Aufbau von Beziehungen nach Zugehörigkeit in extremistischen Gruppierungen

Die Wiedereingliederung in die Gesellschaft nach einer Phase extremistischer Zugehörigkeit ist mit erheblichen sozialen Hürden verbunden. Die Wiederaufnahme vorheriger familiärer und freundschaftlicher Kontakte ist schwierig; der Aufbau neuer sozialer Beziehungen stellt ein noch größeres Problem dar. Denn die Klient:innen stehen nun vor der Herausforderung, Lücken in ihrer Biografie, die beispielsweise durch Auslandsaufenthalte oder Haftstrafen entstanden sind, in den neuen sozialen Kontexten oder bei der Arbeitssuche zu erklären, ohne Ablehnung oder Angst auszulösen. Ein offener Umgang resultiert oft in Ausgrenzungserfahrungen und Stigmatisierung, was bestehende Einsamkeitsgefühle verstärken oder neue auslösen kann. Aber auch ein Verschweigen und somit das Verbergen eines Teils der eigenen Identität kann Einsamkeit zur Folge haben, denn die Zeit in der extremistischen Gruppe hat aufgrund der intensiven Erfahrungen zu tiefgreifenden identitätsbezogenen Veränderungen geführt. Dass diese Erfahrungen aus Angst vor Stigmatisierung nicht mitgeteilt werden können oder, wenn mitgeteilt, auf Unverständnis, Angst oder Ablehnung stoßen, erschwert die Rückkehr in das vorherige soziale Umfeld oder eine Integration in neue Kontexte. Das Gefühl der Fremdheit und des Nicht-Verstanden-Werdens und die daraus resultierende Einsamkeit bleibt dann auch bei einer äußerlich erfolgreichen Reintegration (zum Beispiel in den Arbeitsmarkt) bestehen.

Distanzierungsberatung als Chance

Subjektive Wahrnehmung versus äußere Beobachtung

Während Einsamkeit in wissenschaftlichen Diskursen klar definierbare Merkmale aufweist, präsentiert sie sich in der Beratungspraxis mit Klient:innen der tertiären Islamismusprävention oft diffus und indirekt. Statt direkter Aussagen, wie „Ich fühle mich einsam“ fallen oft Umschreibungen wie „Keiner versteht mich“, „Ich fühle mich wie abgeschnitten von allen“, „Ich passe nirgendwo rein“ oder „Ich verbringe viel Zeit alleine“, die auf ein tieferliegendes Einsamkeitsgefühl hindeuten können. Alternativ kann Einsamkeit durch die Berater:innen vermutet oder von Angehörigen angesprochen werden. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die äußere Beobachtung nicht zwingend mit dem subjektiven Empfinden der Klient:innen übereinstimmt.

Systemische Berater:innen interpretieren Einsamkeit nicht primär als individuelles Defizit, sondern betrachten sie im Kontext von gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen sowie des sozialen Umfeldes der Klient:innen und damit als systemisches Phänomen. Sie verstehen das individuelle Einsamkeitserleben ihrer Klient:innen als ein subjektives Empfinden, das verschiedene Leidensstufen annehmen kann. Dabei ist es zentral, dass die Berater:innen berücksichtigen, dass Einsamkeit oft mit Schamgefühlen einhergeht, da sie als Tabu gilt und unter Umständen als Zeichen persönlichen Versagens interpretiert wird, sodass es den Betroffenen in der Regel schwerfällt, über diese Gefühle zu sprechen.

Distanzierungsberatung als geschützter Raum

In der Distanzierungsberatung kann hier gezielt angesetzt werden. Zum einen, indem die Klient:innen mit den Berater:innen offen über ihre Erlebnisse und Empfindungen sprechen können, ohne Angst vor Stigmatisierung, Ausschluss oder Abwertung haben zu müssen; zum anderen, indem gemeinsam Strategien entwickelt werden, was und wie die Klient:innen in welchen Kontexten über ihre Vergangenheit sprechen. So können sie Handlungssicherheit und im Umgang mit Außenstehenden die notwendige kommunikative Sensibilität entwickeln, wie ein:e Berater:in es anonym mit Blick auf einen Klienten beschreibt, der aus dem Gebiet des „Islamischen Staats“ zurückgekehrt ist: „Man kann den Betroffenen in der Beratungsarbeit helfen, da sprachfähig zu werden, also die Fähigkeit zu entwickeln, zu wissen, wie rede ich überhaupt über meine Zeit damals, die Jahre, die ich da [in Syrien] war. Wie kann ich das Leuten erklären, dass es die nicht erschreckt und wegstößt und denen Angst macht.“

Darüber hinaus zeigt die Erfahrung aus der Distanzierungsberatung, dass es ratsam ist, die Klient:innen dazu zu befähigen, Einsamkeit als Teil des (aktuellen) Selbst anzuerkennen und parallel dazu andere Identitätsaspekte zu stärken. Auch die Aktivierung von Ressourcen, die Stärkung von Selbstwirksamkeit und Selbstwertgefühl sowie das Erfüllen von Bedürfnissen nach Anerkennung und Zugehörigkeit erweisen sich in der Praxis als hilfreich. Zu diesem Zweck bietet sich ein breites Spektrum an Beratungsmethoden an. Die Methodenwahl erfolgt sowohl spezifisch je nach Klient:innengruppe (Inhaftierte, Geflüchtete, Rückkehrer:innen, Jugendliche, etc.) als auch in von den Berater:innen reflektierten, individuellen Vorgehensweisen. Folgende Methoden werden von den Berater:innen dabei häufig eingesetzt:

  • Achtsamkeitsübungen können helfen, Gefühle von Einsamkeit bewusst zu betrachten und zu akzeptieren, was zur Offenheit gegenüber anderen führen kann.

  • Biografiearbeit ermöglicht das Erkennen von Ursachen für Einsamkeit und die biografische Einordnung.

  • Kreative Ansätze: Malen und Schreiben können helfen, sich über andere Ausdruckswege mitzuteilen und in Kontakt zu kommen und so das Gefühl der Einsamkeit zu verringern und das Selbstwertgefühl zu stärken.

  • Rollenspiele/Perspektivwechsel, zum Beispiel „Einsamkeit auf den Stuhl setzen und mit ihr reden“.

  • Niedrigschwellige Angebote: Ungezwungene Zusammenkünfte, Ehrenamt, Sportvereine, Tierheime können erste Schritte zum Aufbau neuer Kontakte sein.

Fazit

Einsamkeit führt zwar nicht zwangsläufig zu Extremismus, aber sie trägt zu einer Vulnerabilität bei, die Radikalisierungsprozesse begünstigen und eine Hürde bei der Distanzierung darstellen kann. Es hat sich gezeigt, dass Einsamkeit im Zusammenspiel mit weiteren Kontextfaktoren zu betrachten ist und jede Hilfe – neben der Distanzierung von einer extremistischen Ideologie und dem Herstellen von sozialen Kontakten – auch die zugrunde liegenden emotionalen und sozialen Bedürfnisse sowie die weiteren Kontextfaktoren adressieren sollte. Gerade der systemische Ansatz aus der Beratungsarbeit bietet hier eine sinnvolle Unterstützung und Intervention. Zentral sind Maßnahmen, die Beziehungen stärken, denn diese zielen letztlich immer auf eine Verringerung von Einsamkeit. Die Stärkung von verbindenden Kontakten und des Gefühls von Zugehörigkeit und Anerkennung erhöht zudem die Resilienz gegen weitere beziehungsweise künftige extremistische Ansprachen. Dafür bietet die Distanzierungsberatung eine Vielfalt an Ansätzen und Methoden. Ganz konkret sei hier auf die Beratungs- und Therapietools zur Einsamkeit von Maren Lammers und Isgard Ohls (2023) sowie auf praxisorientierte Bücher zur (systemischen) Beratung hingewiesen (unter anderem Schwing/Fryszer 2018; Schlippe/Schweitzer 2016).

Quellen / Literatur

Barrelle, Kate (2015): Pro-integration, Disengagement and Desistance. In: Terrorism and Political Violence, 27 (2), S. 203-224.

Baumeister, Roy F./Leary, Mark R. (1995): Externer Link: The Need to Belong. Desire for Interpersonal Attachments as a Fundamental Human Motivation. In: Psychological Bulletin 3, S. 497-529.

Dittmar, Vera (2023): Systemische Beratung in der Extremismusprävention. Theorie, Praxis und Methoden, Stuttgart.

Hawkley, Louise/Cacioppo, John (2010): Externer Link: Loneliness matters: a theoretical and empirical review of consequences and mechanisms. In: Ann Behav Med., 40 (2), S. 218-227.

Jasko, Katarzyna/LaFree, Gary/Kruglanski, Arie (2018): Externer Link: Quest for significance and domestic radicalization. In: Political Psychology, 39 (1), S. 59-83.

Kuckartz, Uwe (2012): Qualitative Inhaltsanalyse. Methoden, Praxis, Computerunterstützung, Weinheim und Basel.

Lammers, Maren/Ohls, Isgard (2023): Therapie-Tools: Kränkung und Einsamkeit, Weinheim und Basel.

Luhmann, Maike (2022): Externer Link: Definitionen und Formen der Einsamkeit. In: KNE Expertise, 1/2022 (letzter Abruf am: 16.09.2025).

Moghaddam, Fathali (2005): The Staircase to Terrorism. In: American Psychologist, 60 (2), S. 161-169.

Neu, Claudia/Küpper, Beate/Luhmann, Maike (2023): Extrem einsam? Die demokratische Relevanz von Einsamkeitserfahrungen unter Jugendlichen in Deutschland, Berlin.

Schlippe, Arist von/Schweitzer, Jochen (2016): Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung. Das Grundlagenwissen, Göttingen.

Schobin, Jacob (2022): Externer Link: Einsamkeit, Gesellschaft und Demokratie: Einstellungen und Teilhabe. KNE Expertise 22/2022, hrsg. von Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (letzter Abruf am: 16.09.2025).

Schwing, Rainer/Fryszer, Andreas (2018): Systemisches Handwerk. Werkzeug für die Praxis, Göttingen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. In diesem Beitrag werden Ergebnisse mehrerer kooperierender Projekte zusammengetragen, an denen der Träger IFAK e. V. beteiligt ist. Bei den Projekten handelt es sich um (1) Grenzgänger ProKids, (2) die Fach- und Beratungsstelle Islamismus und Flucht und (3) KN:IX connect | Verbund für Islamismusprävention und Demokratieförderung. Grenzgänger ProKids wird durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gefördert. Die Fach- und Beratungsstelle Islamismus und Flucht wird gefördert durch das BAMF und das Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen (MKJFGFI). KN:IX connect | Verbund für Islamismusprävention und Demokratieförderung wird im Programmbereich „Entwicklung einer bundeszentralen Infrastruktur“ im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gefördert. Für inhaltliche Aussagen und Meinungsäußerungen tragen die Publizierenden dieser Veröffentlichung die Verantwortung.

  2. Der Begriff „Verschwörungsmentalität“ verweist auf eine sozialpsychologische Ebene: Er umschreibt, ob und in welchem Ausmaß eine Person dazu tendiert, Verschwörungserzählungen als Wahrheit anzusehen (Neu et al. 2023, S. 18). Indikatoren, die auf eine Verschwörungsmentalität hindeuten, sind unter einsamen Menschen ausgeprägter als unter nicht-einsamen Menschen (ebd., S. 5).

  3. Grundlegend können alle Beratungsansätze wirkungsvoll zum Thema Einsamkeit eingesetzt werden. Die Besonderheit des systemischen Beratungsansatzes besteht darin, dass der:die Klient:in von vornherein in seinem:ihren sozialen System reflektiert wird (Dittmar 2023, S. 68). Sofern diese Beziehungen „qualitativ gut“ sind, können sie Einsamkeit mindern.

  4. Genogramme und Netzwerkkarten sind systemische Methoden der Beratungsarbeit, in denen Klient:innen vertieft ihre Beziehungen reflektieren können. Darüber erhalten sie Impulse zur Neugestaltung beziehungsweise Veränderung von Beziehungen. Bei Genogrammen werden Familienbeziehungen reflektiert (Dittmar 2023, S. 174) und können u. a. Freundschaftsbeziehungen betrachtet werden (ebd., S. 183).

  5. In dem Forschungsprojekt wurde untersucht, wie sich Einsamkeit in Prozessen der Radikalisierung und Deradikalisierung zeigt, welche Erfahrungen Berater:innen im Umgang mit diesem Thema gesammelt haben und welche Beratungsstrategien sich als besonders nützlich erwiesen haben, um Einsamkeit zu reduzieren und Rückfallrisiken langfristig zu senken. Dafür wurden Gruppendiskussionen mit Fachkräften, Forschenden und Berater:innen im Feld der Distanzierung und im Ausstieg durchgeführt und diese nach Kuckartz (2012) ausgewertet Es konnten sowohl etablierte Konzepte zu Einsamkeit als auch neue, praxisnahe Deutungsmuster erhoben und systematisiert werden.

  6. Siehe dazu im Detail den Trendreport zur Einsamkeit, der Ende 2025 im KN:IX-Verbundprojekt veröffentlicht wird.

  7. Das Projekt Grenzgänger ProKids (IFAK e. V.) bietet bundesweit eine pädagogische und therapeutische Begleitung für Kinder aus islamistischen Kontexten.

  8. Zudem zeigen sich je nach Klient:innengruppe unterschiedliche Ausprägungen von Einsamkeit. Diese können dementsprechend von Berater:innen adressiert werden (beispielsweise bei Geflüchteten durch die Fach- und Beratungsstelle Islamismus und Flucht / IFAK e. V.).

  9. Wie offen dies geschehen kann, hängt auch von anhängigen oder zu erwartenden Strafprozessen ab.

Weitere Inhalte

Dr. Vera Dittmar leitet die Forschungsstelle Deradikalisierung (FORA) als wissenschaftliche Begleitung der Beratungsstelle Grenzgänger (IFAK e.V.) in Kooperation mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Ihre Themen sind systemische Beratung in der Extremismusprävention, Einsamkeit in Beratungsprozessen, Kinder von IS-Rückkehrerinnen sowie Islamismusprävention im Kontext Flucht. Zudem ist Sie Forschungsreferentin bei KN:IX connect | Verbund Islamismusprävention und Demokratieförderung.

Anja Herrmann ist Sozialwissenschaftlerin und seit 2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Forschungsstelle Deradikalisierung (FORA). Die FORA begleitet die Projekte des Beratungsnetzwerks Grenzgänger mit wissenschaftlicher Praxisforschung und beschäftigt sich mit Themen wie Systemische Beratung in der Extremismusprävention, Kinder von IS-Rückkehrerinnen, Extremismusprävention im Kontext Flucht und psychische Auffälligkeiten in der Distanzierungsberatung. Seit 2025 arbeitet sie darüber hinaus bei KN:IX connect | Verbund Islamismusprävention und Demokratieförderung.