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Bildung ist ein Überlebensinstrument - weltweit | Bildung | bpb.de

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PISA & Co. – eine kritische Bilanz Video: Die Studie Abiturnoten Infografik: PISA 2022: Mathe-Kompetenzen sinken Infografik: Leistungsniveau und Chancengleichheit Infografik: PISA 2018: Hohe Schulleistungen und Chancengleichheit kein Zielkonflikt Infografik: Wie gut können Grundschüler:innen Mathe? Infografik: Wie gut können Grundschüler:innen Lesen? Infografik: Wie gut können Neuntklässler:innen Mathe? Infografik: Wie gut können Schüler:innen am Gymnasium Mathe? Ungleichheiten Bundesländerungleichheiten Bildungsungleichheiten - mögliche Ursachen Lehrkräfte & Bildungsungleichheit Schule & Bildungsungleichheit Brennpunktschule - ein Praxisbericht Infografik: Herkunft gleich Zukunft? "Wer kann, schickt seine Kinder auf eine bessere Schule" Geschichte Geschichte der allgemeinen Schulpflicht Schulgeschichte bis 1945 Kampf um die Schulstruktur Demokratisierung der Schulkultur Infografiken: Welche Schulen besuchten Achtklässler:innen in Deutschland, 1960-2012? 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Wie Bewegung den Lernprozess unterstützt Berufliche Bildung Berufsbildungsgesetz Berufsbildungsgesetz Zeitleiste: Berufsbildungsgesetz Duale & schulische Berufsausbildung Datenreport: Duale Ausbildung Duale Berufsausbildung Schulische Ausbildung Qualität dualer Ausbildung Dual und schulisch im Vergleich Bildungs-Schisma Ausbildungschancen Übergangsbereich Forschung Übergangsbereich Teilhabe durch Ausbildung Ausbildungschancen von Hauptschülern Interview: Geflüchtete Ausbildungsreife Berufswahl Interview: Berufsorientierung Berufswahl und Geschlecht Podcast: Berufswahl Grafiken zur Beruflichen Bildung Interaktive Grafik: Ausbildung, Übergangsbereich oder Studium? Interaktive Grafik: Bildungswege nach der Schule Infografik: Schulabschlüsse von Berufsanfänger/innern Infografik: Anteil der 25-34-Jährigen ohne Berufsabschluss Grafik: Berufsbildung für Jugendliche mit max. mittlerem Abschluss Grafik: Übergangsbereich oder Berufsausbildung? Interaktive Grafik: Schützt Bildung vor Arbeitslosigkeit? Interaktive Grafik: Arbeitslosigkeitrisiko Infografik: Wie hat sich die Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt entwickelt? Infografik: Bildungschancen verschiedener sozialer Klassen Infografik: Wie unterscheidet sich die Ausbildungsteilhabe zwischen jungen Menschen deutscher und nicht-deutscher Herkunft? Hochschule Studiengebühren? Bildungsaufstieg Interview: Powerpoint Qualitätspakt Lehre Hochschulen im Wettbewerb Hochschulen in Deutschland Interview: "Die Vergangenheit wird idealisiert" Grafiken zu Hochschule Infografik: Wie das Elternhaus den Bildungsweg prägt Interaktive Grafik: Nutzen eines Hochschulstudiums Interaktive Grafik: Entscheidung für das Studienfach Infografik: Wie sicher war die Entscheidung für ein Studium? Interaktive Grafik: Was haben Studierende aus ihrem bisherigen Studium mitgenommen? Grafik: Für wen stand ein Studium von vornherein fest? Infografik: Das monatliche Budget von Studierenden Infografiken: Welcher Anteil der jungen Erwachsenen je Bundesland erlangte das (Fach-)Abitur? (1995-2008) Infografik: Wachsender Studentenberg – Entwicklung der Studierendenzahlen in Deutschland Interaktive Grafik: Beliebte Studienfächer Geschichte des Bildungssystems Bildungsgeschichte im Überblick Überblick Geschichte des Bildungssystems Strategien für Chancengleichheit Entwicklung der Bildungsbereiche Frühkindliche Bildung Zeitleiste der frühkindlichen Bildung Schulgeschichte bis 1945 Schulgeschichte nach 1945 Abitur im Wandel Kampf um die Schulstruktur Demokratisierung der Schulkultur Strategien für Chancengleichheit Lebenslanges Lernen Bildungsexpansion Folgen der Bildungsexpansion Bildung, Erziehung und Lernen Helene Lange Bildung in der DDR Wie der sozialistische Staat die Bildungseinrichtungen prägte Von der Krippe bis zur Hochschule – das Bildungssystem der DDR Schulsystem der DDR Literatur Zahlen und Infografiken Grafiken: Soziale Rahmenbedingungen Infografik: Bevölkerungsstruktur in Deutschland Infografik: Wie veränderten sich die Geburtenzahlen in den Bundesländern? (1990-2012) Infografik: Arbeitnehmer im Inland nach Wirtschaftssektoren (1950-2012) Grafiken: Frühkindliche Bildung Infografik: Kita-Besuch Kinder unter 3 Jahre Kita-Besuch Kinder > 3 Jahre Bildungsbeteiligung Kinder < 3 Jahre Infografik: Betreuungsbedarf nach Bundesländern Infografik: Bildungsbeteiligung Kinder > 3 Jahre Infografik: Kitanutzung Infografik: Bildungsbeteiligung Kinder < 3 Jahre Migrationshintergrund Infografik: Kitabetreuung OECD-Länder Infografik: Betreuungsverhältnisse in der Krippe Infografik: Personalschlüssel Kita Infografik: Ausgaben OECD Infografik: Betreuungskosten OECD Grafiken: Schule Infografik: Schulabschlüsse in Deutschland Inwieweit glauben junge Menschen an gleiche Bildungschancen? Gute Bildung – wovon hängt sie ab? Das denken junge Leute Infografik: PISA 2022: Mathe-Kompetenzen sinken Grafiken: Berufsbildung Interaktive Grafik: Ausbildung, Übergangsbereich oder Studium? Infografik: Schulabschlüsse von Berufsanfänger/innern Infografik: Anteil der 25-34-Jährigen ohne Berufsabschluss Grafik: Berufsbildung für Jugendliche mit max. mittlerem Abschluss Grafik: Übergangsbereich oder Berufsausbildung? Infografik: Bildungschancen verschiedener sozialer Klassen Infografik: Wie unterscheidet sich die Ausbildungsteilhabe zwischen jungen Menschen deutscher und nicht-deutscher Herkunft? Infografik: Wie hat sich die Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt entwickelt? Grafiken: Hochschule Infografiken: Welcher Anteil der jungen Erwachsenen je Bundesland erlangte das (Fach-)Abitur? (1995-2008) Infografik: Wachsender Studentenberg – Entwicklung der Studierendenzahlen in Deutschland Interaktive Grafik: Beliebte Studienfächer Infografik: Wie sicher war die Entscheidung für ein Studium? Interaktive Grafik: Nutzen eines Hochschulstudiums Interaktive Grafik: Entscheidung für das Studienfach Interaktive Grafik: Was haben Studierende aus ihrem bisherigen Studium mitgenommen? Infografik: Wie das Elternhaus den Bildungsweg prägt Infografik: Das monatliche Budget von Studierenden Grafiken: Private Bildung Infografik: Wie verbreitet sind Privatschulen und wer betreibt sie? Infografik: Bildungseinrichtungen in privater Trägerschaft Infografik: Entwicklung öffentlicher und privater Bildungsangebote Infografik: Anzahl der Privatschulen in Deutschland, 1992-2012 Infografik: Anzahl der Privatschulen in Deutschland nach Schularten, 1992 - 2012 Infografik: Anteil der Privatschülerinnen und -schüler an der Schülerschaft in Deutschland, 1992-2012 Infografik: Wer nimmt Nachhilfeunterricht in Anspruch? Infografik: Wieviel wird jährlich für Nachhilfe je Schüler:in ausgegeben? Grafiken: Bildungsungleichheit Karte: Klassenwiederholer:innen an allgemeinbildenden Schulen Infografik: Herkunft gleich Zukunft? Infografik: Soziale Herkunft & die Chance auf ein Studium Infografik: Wie gut können Neuntklässler:innen Mathe? Infografik: Wie gut können Grundschüler:innen Mathe? Infografik: Wie gut können Grundschüler:innen Lesen? Infografik: Wie gut können Schüler:innen am Gymnasium Mathe? Welche Reformen für Kita und Schule befürworten Erwachsene? Sonderpädagogische Förderung in Deutschland Infografik: PISA 2018: Hohe Schulleistungen und Chancengleichheit kein Zielkonflikt Infografik: Welcher Anteil aller Schüler:innen lernt an einer Förderschule? Armut und Grundschulen Infografik: Förderung durch Eltern Infografik: Leistungsniveau und Chancengleichheit Grafiken: Erträge von Bildung Infografik: Bildungsleistungen und langfristiges Wirtschaftswachstum (1960-2000) Infografik: Entwicklung der Arbeitslosenquote je nach Bildungsstand (1975-2011) Infografik: Erwerbsstatus von Erwachsenen mit geringen Lese- und Schreibfähigkeiten (2010) Infografik: Durchschnittliches Brutto-Einkommen von Frauen und Männern je nach Bildungsabschluss (2010) Infografik: Politisches Interesse je nach Schulabschluss (2010) Infografik: Wie beeinflussten Alter und Bildungsabschluss die Teilnahme an der Bundestagswahl 2009? Infografik: Welchen Einfluss hat der Schulabschluss auf die Teilnahme an politischen Aktivitäten? (2008) Infografik: Wie beeinflusst der Schulabschluss die Mitgliedschaft in Vereinen und Organisationen? (2010) Interaktive Grafik: Schützt Bildung vor Arbeitslosigkeit? Interaktive Grafik: Arbeitslosigkeitrisiko Infografik: Bevölkerungsstruktur in Deutschland Infografik: Wie veränderten sich die Geburtenzahlen in den Bundesländern? (1990-2012) Infografik: Arbeitnehmer im Inland nach Wirtschaftssektoren (1950-2012) Glossar Redaktion Digitalisierung und Bildung Stimmt's?

Bildung ist ein Überlebensinstrument - weltweit Transkript einer Rede von Lothar Krappmann

Lothar Krappmann

/ 9 Minuten zu lesen

Bildungsforscher Lothar Krappmann hat als Mitglied im UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes Bildungshunger weltweit erlebt: von Schulen chinesischer Wanderarbeiter bis hin zu Flüchtlingscamps in Somalia und Afghanistan. Sein Plädoyer: Bildung ist ein (Über-)Lebensinstrument – in Entwicklungs- wie auch in entwickelten Ländern!

Werd’ ich gehört? Werd’ ich gebraucht? Wie Teilhabe soziales Vertrauen stärkt

Ich saß acht Jahre lang im Ausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte des Kindes, und insofern habe ich Bildungsfragen in den letzten zehn Jahren aus einer weltumspannenden Perspektive wahrgenommen.

Dieser Ausschuss ist ein Gremium von 18 Personen aus allen Weltregionen. Die Europäer sind in der Minderheit. Ich glaube, das sollte man wirklich ausdrücklich sagen. 193 Staaten haben die Konvention über die Rechte des Kindes ratifiziert, und der Ausschuss hat die Aufgabe zu überprüfen, ob die Staaten sich an die Konvention halten. Tun sie, soll ich sagen, natürlich, tun sie nicht. Und insofern hat der Ausschuss sehr viel Arbeit, die Artikel der Konvention durchzugehen, zu denen die Regierungen, die eingeladen werden, in ihrem Bericht Rede und Antwort stehen und mit ihnen über die Verletzung der Kinderrechte unter den Artikeln der Konvention zu sprechen. Viele NGOs hören manchmal mit Erstaunen, was ihre Regierungen sagen, merken sich das sehr gut und führen die Diskussion, die wir in Genf führen, zu Hause weiter. Alles ist öffentlich, ich denke, das ist der Druck, der dann auch aus diesen Sitzungen heraus entsteht.

Wenn man aus einem Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in so ein Gremium kommt, sagen die anderen: Du kümmerst dich um Schule und Bildung. Und das habe ich auch gerne angenommen, Schule, vorschulische, frühkindliche Bildung, Bildung und Berufsausbildung, Schulbildung und Mädchen, Schulbildung, Kinderarbeit, Ernährung, Gesundheit, Gewalt in der Schule und nicht zuletzt und ganz zentral Beteiligung der Kinder in der Schule. Ich konnte einiges an Erfahrung einbringen. Ich habe Schulforschung mit Kindern gemacht, unter Kindern sitzend, es war wahnsinnig interessant, und mir sind die Augen übergegangen bei dieser Arbeit. Es gibt viel Begrüßenswertes, das muss man auch sagen, aber es gibt auch sehr viel ungeheuer Deprimierendes, Schockierendes, aussichtslos Erscheinendes.

Es gibt einen großen Bildungshunger in der Welt. Ich wurde einmal vom Ausschuss nach Somalia in ein Camp mit landesintern geflüchteten Menschen, displaced persons, natürlich auch Kinder, geschickt. Die Eltern haben für ihre Kinder, weil es niemand anders getan hat, eine Schule gegründet. Da gab es keine staatliche Verwaltung, die das tun konnte. Ich war in China für einen Ausschuss, wo Wanderarbeiter, die aus dem desolaten Westen des Landes in den prosperierenden Osten kommen, Schulen für ihre Kinder verlangten, die ihnen aber die Kommunen nicht einrichteten, weil die sagten, wir sind nicht für die Wanderarbeiter und ihre Kinder zuständig. Die Eltern haben diese Schulen selbst aufgebaut, bis der Staat eingegriffen hat, klar, in China, weil er sagte, so geht es nicht, wir müssen die Schulen machen und kontrollieren.

Ein großer Anteil der 67 Millionen Kinder, die nach UNESCO-Daten nicht die Schule besuchen, gehen deswegen nicht in die Schule, weil sie in einem Land mit Kampfhandlungen oder Gewaltdrohung leben – Afghanistan ist ein Beispiel dafür –, vielleicht auch in einem von Naturkatastrophen verwüsteten Land. Der UN-Ausschuss drängt inzwischen darauf und hat mit dafür gesorgt, dass die Öffnung oder Wiedereröffnung von Schulen zu den Notfallmaßnahmen gehören, die zur Ersten Hilfe zählen, wenn Organisationen in ein Land kommen, um dort zu helfen; nicht nur ein Dach über dem Kopf, nicht nur Ernährung, sofort auch Schulen. Schule hat sich als der Ort für Kinder erwiesen, der ein Stück Normalität wiederherstellt und an dem Kinder, die aus ihrer Sicht und ihrer Betroffenheit wichtigen Hilfen bekommen, falls Schule sich auf die spezifische Situation der Kinder einlässt. Grundlegende praktische Fähigkeiten, Ernährung, Nahrungsmittel, Gesundheit, Gefahrenwahrnehmung – Minen –, Risikobewusstsein generell, Hilfe für traumatisierte Kinder, Einbeziehung der Eltern, Unterstützung beim Sich-Gehör-verschaffen, damit benötigte Hilfe mobilisiert wird und ankommt und trifft.

Hier in einem Camp, in einem Lager zeigt sich, was Schule, was Bildung wirklich sein kann, nämlich ein Überlebensinstrument. Schule im Camp, Überleben und Beteiligung sind mir daher zu Schlüsselbegriffen, zu Begriffen mit symbolischem Gehalt für Bildung geworden. Und ich werde gleich erläutern, mit welchen Aufgaben sich auch unsere Schulen, unser Bildungssystem hier in Deutschland konfrontieren sollte. Aber zunächst noch mal zurück zu den Ländern, die mit Schwierigkeiten kämpfen, die allgemeine Schulpflicht wenigstens für eine sechsjährige Grundschule voll durchzusetzen. Warum ist das denn so schwer? Da gibt es zum einen die politisch, systemisch, institutionellen Probleme, ein Bildungswesen zu etablieren, von Schulbauten mit Wasser und Strom über Lehrerbildung bis hin zu einer Schulverwaltung.

Das sind die Probleme, mit denen sich Katharina Tomasevski, frühere UN Bildungsberichterstatterin, in einem Vier-Punkte-Programm beschäftigt hat. Sie nannte das, wir müssen Availability und Accessibility, Vorhandensein und Zugangsmöglichkeiten zu Schulen prüfen. Und auch da gibt es übrigens Fortschritte. Da gibt es aber zum anderen, das sind ihre nächsten beiden Punkte, die Fragen der Akzeptanz der Schule und der Lebens-, Überlebensdienlichkeit der Schulen, Exceptibility, Adaptability. Sind Schulen annehmbar, passen sie sich überhaupt den Erfordernissen, in denen Kinder leben, an? Oder eben auch: Helfen sie den Kindern zu überleben? Oft ist die Situation übrigens in den Camps kaum besser, als die bei den Menschen außen herum.

Entwicklungshelfer haben mir gesagt, wenn wir irgendetwas im Camp tun, müssen wir es gleich auch nebenan tun, sonst entstehen Spannungen zwischen der Bevölkerung außerhalb und innerhalb. Helfen die Schulen zu überleben? Es ist ein großes Problem, dass angemeldete Kinder die Schule nicht regelmäßig besuchen, sie nach wenigen Jahren wieder verlassen, keine Abschlüsse machen, nicht auf die weiterbildenden Schulen überwechseln, weil, wie sie sagen, Schule nichts bringt. Ich habe einige Male Regierungsvertreter, die bei unserem Ausschuss waren, gefragt: Ist es für die Kinder Ihres Landes wirklich hilfreich, wirklich sinnvoll, zur Schule zu gehen? Was bieten denn Ihre Schulen überhaupt den Kindern?

Ich erinnere mich an ein Klassenzimmer in Hargeysa in Somalia, das beherrscht war vom riesigen Bild eines Elefanten. Ein eindrucksvolles Bild, von einem mächtigen Tier, das in dem Land überhaupt nicht vorkommt. Lernt man nichts Brauchbareres, wenn man Vater und Mutter im Haus oder auf dem Feld hilft oder als Handlanger auf einem Bau mitarbeitet oder in einer Werkstatt nebenan herumschraubt, anstatt in eine Schule zu gehen, oft ohne Bücher, ganz zu schweigen von fehlender Elektronik und Computern, mit einem Lehrer, der die Kinder prügelt und die Mädchen bedrängt?

UNICEF hat ein Programm entwickelt, das demonstriert, dass man auch unter erbärmlichen Umständen attraktiv Schule machen kann. Das Erfolgsrezept lässt sich mit einem Wort darstellen: Schule mit den Kindern, auch mit den Eltern, das ist natürlich wichtig, aber ich will von der Schule mit Kindern sprechen. Sie gehen in eine Schule, die mit den Kindern klärt, was von Nutzen ist zu lernen. Beteiligung, Demokratie im Anfang vor Ort. Da muss man sich keine Sorgen machen, dass Kinder etwa nicht Lesen, Schreiben, Rechnen lernen wollen, das wollen sie, aber sie wollen noch viel mehr, sie wollen etwas, was ihnen hilft, mit ihrem Leben in diesen Ländern zurechtzukommen. Sie wollen wissen und wollen Lösungen finden für Ernährung, für Wasser, für Sauberkeit, für Toiletten, für Krankheit, für Behinderung durch Explosionen, Minen, für AIDS, Gewalt, für das Zusammenleben unter diesen erbärmlichen Umständen. Beteiligung ist nicht ein Programmpunkt, Beteiligung ist in diesen Schulen alles.

Und Demokratiepädagogik muss man nicht in diese Schulen bringen, sie ist längst am Werk, obwohl niemand das Wort schon einmal gehört hat. Was wir etwas hilflos Demokratiepädagogik nennen und einführen wollen, ist die Grundlage, ohne die diese Schulen gar nicht an ihrem Überlebens-Curriculum arbeiten können. Es geht um das Überleben der Kinder. UNICEF nennt diese Schulen die childfriendly schools und hat ein umfassendes Programm entwickelt, um Schulen in den Ländern, in denen UNICEF tätig ist, zu beeinflussen. Es sollte eigentlich child rights schools heißen, aber diejenigen, die das Programm entwickelt haben, wollten die Schulverantwortlichen nicht verschrecken. Es gibt viel Unaufgeklärtheit und Angst vor Kinderrechten. In Klammern: (Auch die Schulen, die ich gesehen habe von UNICEF, haben Probleme.) Bitte nehmen Sie das Bild erst einmal so hin, und lassen Sie uns hierher in unser Land zurück springen.

Ich behaupte, dass man dieselbe Geschichte von der Überlebensschule an einigen Stellen mit ein paar anderen Worten für unser Land einfach wiederholen kann. Zunächst scheinen Überleben, Camp, Lager Begriffe zu sein, die verführen, das alles für so weit weg zu halten. Das aber entspricht weder intellektuellen Analysen noch dem Gefühl, das in vielen Menschen steckt. Wir leben im Wandel, in Transition, im Übergang, in der Krise, unter dem Druck von Migration, sozialer Ungleichheit, Knappheit und all den Nebenwirkungen, die dazu kommen. Wir wissen, dass es so nicht weitergeht wie bisher, haben einige der Bedrohungen erkannt und ahnen, dass wir sie nicht mit einem technischen Supertrick, sondern nur durch neue Lebensformen bewältigen können. Ist das nicht Überlebenssituation in einem Camp?

Auch unsere Kinder wissen, dass nicht der curriculare Elefant an der Wand das Überleben sichern wird. Natürlich wollen sie lesen, schreiben und rechnen lernen und in allen PISA- und sonstigen Tests genug Punkte sammeln, aber wenn man mit ihnen redet – und ich habe es wirklich oft genug in meinen Kinderforschungen getan –, dann erfährt man, wie genau sie wissen, dass das Leben ganz andere Themen und Probleme für sie bereithält: Klimawandel, Ernährung, Wasser, Energie, Arbeitslosigkeit, soziale Ungleichheit, Gewalt, Zusammenleben in einer heterogenen Welt, in einer friedlosen Welt. Sie haben Sorgen, sie haben Ängste, sie haben Hoffnungen, sie wollen ein gutes Leben, aber wer nimmt sich dieser Kinder an? Wo ist die Schule, die das Recht der Kinder darauf erfüllt, die Fähigkeiten zu entwickeln, die man für gemeinsames Überleben in diesen Zeiten des Wandels, der Veränderung, des heraufziehenden Neuen braucht.

Mit der Ratifikation der Kinderrechtskonvention hat auch unser Staat den Kindern die Schule zugesichert, die sie auf die reale Welt vorbereitet. Es ist eine Schule, die auf das Kindeswohl ausgerichtet ist (Artikel 3), ein Wohl, das unter Beteiligung der Kinder zu bestimmen ist (Artikel 12), und die inhaltlich von den Zusicherungen der Konvention bestimmt ist. Beteiligung ist das Entwicklungsmedium der Kinder. Durch Beteiligung können sie ihre Sicht, ihre Ängste, ihre Erfahrungen einbringen, können sie die Schwierigkeiten entdecken, können sie ihre Fähigkeiten entwickeln, ihren Blick für gute Lösungen, für Fairness, für Gerechtigkeit schärfen. Beteiligung, aber nicht nur an von anderen, von Experten gesetzten Themen, sondern Beteiligung impliziert auch das Recht der Kinder, die Themen mitzubestimmen und auf die Tagesordnung der Schule zu setzen, das, was sie bedrängt: Gewalt, Drogen, Zukunftssorgen, Umwelt.

Dies zeigt, dass Beteiligung nicht eine Formalie ist, Beteiligung ist auch unter unseren in die Krise geratenen Lebensverhältnissen eine Überlebensnotwendigkeit, denn die neue Lebensformen, die wir brauchen, können nicht der heranwachsenden Generation auferlegt werden, wenn sie 18 geworden ist, sondern diese Lebensform müssen mit den Kindern gemeinsam entstehen. Und wir überleben nur, wenn Menschen sich nicht mit Hauen und Stechen von knappen Ressourcen den größten Anteil zu sichern versuchen, sondern wenn sie gelernt haben, miteinander auszuhandeln, durchaus auch miteinander auszustreiten, wie die knappen Ressourcen zum besten Vorteil für alle genutzt werden können.

Beteiligung, Demokratiekompetenz sind zukunftssichernd. Wir sind ein Entwicklungsland, das seine Kinder braucht. Was tun? Wir haben die Kinderrechtskonvention, die Kindeswohl, Entwicklung und Beteiligung ins Zentrum stellt. Und doch glaube ich nicht, dass man irgendetwas vorschlagen kann, was sie gleichsam über Nacht zur Realität macht. Ich habe drei Punkte. Es besorgt mich, dass die Konvention nicht genug bekannt ist, und zwar bei Erwachsenen und Kindern. Man sagt oft, die Kinder kennen sie nicht. Stimmt, aber der Anteil nimmt übrigens zu. Aber auch die Erwachsenen müssen sie kennen und vor allem begreifen. Und daher schlage ich vor, eine Einheit Kinderrechte, insbesondere Beteiligung von Kindern in alle Ausbildungen für Berufe, die mit Kindern kooperieren, zu integrieren. Zum Zweiten, die neue Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderung hat eine unabhängige Monitoringstelle, die beobachtet, wie die Konvention umgesetzt wird und die Empfehlungen ausspricht. Eine solche unabhängige Einrichtung ist auch für die Überwachung der Kinderrechte und ihrer Umsetzung dringend erforderlich und sollte unter die Fittiche des Deutschen Menschenrechtsinstituts, das sichert ihre Unabhängigkeit.

Drittens, ich möchte, dass alle Schulen sich die Kinderrechtskonvention vornehmen und bestimmen, welche Artikel der Konvention für sie eine besondere Bedeutung haben und woran diese Schule konkret arbeiten sollte. Sich vornehmen verlangt, dass Lehrer, Eltern und Kinder, Schüler gemeinsam Themen festlegen. Solche Themen könnten Gewalt in der Schule, Integration randständiger Kinder, ungesunde Arbeitsweisen in der Schule, Beschämung von Kindern mit Lernschwächen, aber auch curriculare Erweiterungen, Energie und Schule, Plastik, Inklusion sein. Nicht als curriculare Themen der Schule, sondern als Lebensthema der Kinder und nicht für die Freizeitbeschäftigung am Nachmittag der Ganztagsschule, sondern als Kernthemen des Unterrichts mit dem Ziel, etwas gemeinsam zu erarbeiten, was das Zusammenleben verändert, was Überleben sichert und was Demokratie entstehen lässt, immer wieder neu entstehen lässt mit den Kindern.

Stuttgart, 27. April 2012

Weitere Inhalte

Dr. Lothar F. Krappmann ist Honorarprofessor für Soziologie der Erziehung an der Freien Universität Berlin und Gastwissenschaftler für Entwicklungspsychologie am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Er wurde 2003 in den UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes gewählt und 2007 für weitere vier Jahre in diesem Amt bestätigt.