Seit Anfang der 1980er Jahre sind Mädchen in deutschen Schulen erfolgreicher als Jungen
Tatsächlich erzielen Jungen im Durchschnitt schlechtere Ergebnisse in Kompetenztests (mit Ausnahme von Mathe und Naturwissenschaften), werden seltener für das Gymnasium empfohlen, erreichen im Durchschnitt niedrigere Bildungsabschlüsse und verlassen die Schule häufiger ohne einen Schulabschluss (Schipolowski, u.a., 2019; Stanat, u.a., 2018). Gleichzeitig ist der Anteil weiblicher Lehrkräfte gestiegen (Neugebauer & Gerth, 2013). Im Schuljahr 2021/2022 waren laut dem Statistischen Bundesamt insgesamt 708.967 Lehrkräfte an den allgemeinbildenden Schulen in Deutschland angestellt (Destatis, 2022). Davon waren 517.410, also 73 Prozent der Lehrkräfte weiblich (Destatis, 2022). An Grundschulen lag der Anteil weiblicher Lehrkräfte sogar bei 89 Prozent (Destatis, 2022). Leitet man aus diesem Zusammenhang allerdings eine Ursache-Wirkung-Beziehung ab, begeht man einen sogenannten kausalen Fehlschluss. Nur weil es mehr Lehrerinnen an Schulen gibt und Jungen gleichzeitig in der Schule weniger erfolgreich sind, bedeutet das noch lange nicht, dass der hohe Anteil an Lehrerinnen auch die Ursache für den geringeren Bildungserfolg von Jungen ist.
In wissenschaftlichen Studien, die die Ursache-Wirkung-Beziehung zwischen dem Geschlecht der Lehrperson und dem Schulerfolg untersucht haben, zeigen sich meistens keine Effekte auf den Kompetenzerwerb und die Schulnoten der Schüler:innen (Coenen u.a., 2018; Kleen u.a., 2022; Neugebauer & Gerth, 2013). Nur in wenigen Studien konnten leichte Tendenzen festgestellt werden, nach denen Mädchen bessere Leistungen zeigten, wenn sie von einer weiblichen im Vergleich zu einer männlichen Lehrkraft unterrichtet wurden (Helbig, 2012; Hwang & Fitzpatrick, 2021; Lee u.a., 2018). Gleichzeitig machte es für die Leistung von Jungen allerdings keinen Unterschied, welches Geschlecht die Lehrkraft hatte.
Warum Jungen im Bildungssystem weniger erfolgreich sind als Mädchen, bleibt dennoch eine wichtige Frage, für die es breiter interdisziplinärer Forschungsanstrengungen bedarf. Neben der Feminisierung der Schule gibt es andere Erklärungsansätze, wie zum Beispiel, dass Mädchen nachweislich eher über lernförderliche Eigenschaften, wie Selbstdisziplin, soziale Fähigkeiten oder lernförderliche Motivation verfügen, die mit besseren Noten einhergehen (Hannover & Wolter, 2020). Lange Zeit, so das Argument, waren Mädchen wegen geschlechterstereotypischer Rollenbilder und Begabungsvorstellungen im Bildungssystem benachteiligt und insbesondere in den höheren Bildungsgängen wenig vertreten. Mit dem Abbau solcher Stereotype und der zunehmenden Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern würden Mädchen jetzt jedoch die Möglichkeit erhalten ihr tatsächliches akademisches Potenzial zu verwirklichen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es keine gesicherten Befunde gibt, die Grund zu der Annahme geben, dass der hohe Anteil weiblicher Lehrkräfte in den Schulen ausschlaggebend für das schlechtere Abschneiden von Jungen ist. Eine Erhöhung des Anteils männlicher Lehrkräfte, wie sie immer wieder gefordert worden ist, dürfte daher wenig dazu beitragen, die bestehenden Geschlechterunterschiede im Bildungserfolg zu vermindern.