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Bildungsrecht – wie die Verfassung unser Schulwesen (mit-) gestaltet | Bildung | bpb.de

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Bildungsrecht – wie die Verfassung unser Schulwesen (mit-) gestaltet

Michael Wrase

/ 9 Minuten zu lesen

Das Grundgesetz stellt die Schule unter Aufsicht des Staates. Doch nicht immer sind seine Entscheidungen mit den Grundrechten der Eltern und Kinder vereinbar. Welche Rechte und Pflichten hat der Staat und wer entscheidet im deutschen Föderalismus darüber, wie schulische Bildung organisiert wird?

Artikel 7 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland: "Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates". (© picture-alliance/chromorange )

Bildung hat in unserer demokratischen Gesellschaft einen hohen Stellenwert. Deutlicher denn je rückt heute in das öffentliche Bewusstsein, dass eine gute (Aus-)Bildung eine unverzichtbare Voraussetzung für ökonomischen Wohlstand, persönliche Selbstbestimmung sowie Teilhabe am sozialen und politischen Leben ist. Um zu gewährleisten, dass jeder Heranwachsende unabhängig von seinem Elternhaus eine gute Bildung erhält, liegt das Schulwesen hierzulande in staatlicher Verantwortung – so bestimmt es Art. 7 Abs. 1 GG. Diese Verantwortung übt der Staat vor allem über das (Bildungs-) Recht aus, also dadurch, dass er Gesetze und Verordnungen erlässt, welche die Ausgestaltung des Schulwesens regeln.

Welche Funktion hat das (Bildungs-)Recht?

Das Recht hat dabei zwei wesentliche Funktionen, die für die Gestaltung des Bildungssystems von großer Bedeutung sind:

Zum einen schafft es Rechtssicherheit, indem es Verantwortlichkeiten und verbindliche "Spielregeln" für alle Beteiligten festlegt: Es macht Schülern, Eltern, Lehrern, Beamten und Politikern Vorgaben für ihr Handeln, setzt Gebote – das bekannteste: die Schulpflicht – und Verbote und sagt, was passieren soll, wenn sich Personen nicht daran halten. Im Konfliktfall können die Betroffenen klagen. Dann müssen die Gerichte überprüfen, ob gegen das Recht verstoßen wurde oder nicht – wenn beispielsweise eine Schülerin aus religiösen Gründen nicht am gemeinsamen Sportunterricht teilnehmen möchte, die Schulverwaltung sie aber nicht von der Schulpflicht befreit.

Zum anderen ist das Recht aber auch ein Motor für Veränderungen: Wollen Landespolitikerinnen und -politiker das Schulsystem umgestalten, etwa eine neue Schulform einführen oder die Regelungen zum Übergang in die Sekundarstufe verändern, so wird die entsprechende Reform durch Parlamentsgesetze, vor allem die Schulgesetze und die darauf aufbauenden Verordnungen und Verwaltungsvorschriften der Landesministerien verbindlich umgesetzt. Dann ist das Recht das zentrale Mittel, um politische und soziale Ziele zu erreichen.

Schulrecht – wer ist zuständig?

Nach dem deutschen Grundgesetz sind die 16 Bundesländer für den Bereich der Schule weitgehend allein zuständig. In Ausübung der sogenannten Kulturhoheit entscheidet jedes Land selbst, wie es sein Schulwesen gestaltet und seine Lehrkräfte ausbildet. In Fragen von länderübergreifender Bedeutung wie beispielsweise der gegenseitigen Anerkennung von Schulabschlüssen stimmen sich die Länder in der Kultusministerkonferenz (KMK) untereinander ab – der Bund darf ihnen in ihre Schulpolitik nicht hineinreden.

InfoboxKultusministerkonferenz – 16 Länder an einem Tisch

Die Kultusministerkonferenz (KMK) ist eine regelmäßige Versammlung der für Bildung, Wissenschaft und Kultur zuständigen Minister bzw. Senatoren aller 16 deutschen Bundesländer. Aufgrund des (Bildungs-)Föderalismus entscheiden die Bundesländer über ihre Kultur- und Bildungspolitik weitgehend allein (Kulturhoheit). Die 1948 gegründete Kultusministerkonferenz soll dabei das nötige Maß an Einheitlichkeit sicherstellen: in Fragen der Bildung und Erziehung, der Hochschulen und Forschung sowie bei kulturellen Angelegenheiten. Den Beschlüssen und Absprachen der KMK gehen mitunter langwierige Verhandlungen voraus, da in politisch strittigen Fragen Kompromisse zwischen Ländern mit SPD-Regierung (sogenannte A-Länder) und Ländern mit Unionsregierung (sogenannte B-Länder) ausgehandelt werden müssen. Die Beschlüsse der KMK werden für die einzelnen Bundesländer erst bindend, wenn sie ins jeweilige Landesrecht, d.h. in Gesetze, Rechtsverordnungen oder Verwaltungsvorschriften, umgesetzt worden sind.

Dieser Grundsatz des Bildungsföderalismus hat in Deutschland eine lange Tradition. Mit der Verfassungsreform von 2006 ("Föderalismusreform II") wurde er aber weiter verschärft: Nach dem sogenannten Kooperationsverbot ist es dem Bund nunmehr auch untersagt, den Ländern Geld für bestimmte bildungspolitische Maßnahmen zur Verfügung zu stellen. Denn schon darin sahen viele Kultusminister eine unzulässige Einmischung in ihre Kulturhoheit. Mitunter findet der Bund zwar durch "Hintertüren" doch noch Wege, die Länder im Bildungsbereich zu unterstützen, etwa indem Maßnahmen zum Kita-Ausbau und der energetischen Sanierung von Schulen als "Investitionshilfen" zur Ankurbelung der Bauwirtschaft deklariert werden. Dennoch wird der Handlungsspielraum des Bundes durch die in der Verfassung festgeschriebenen Zuständigkeiten eng begrenzt.

Allerdings ist die Kompetenzverteilung im Bildungsbereich in Deutschland ein fortwährender Streitpunkt. So wird nicht selten darauf hingewiesen, dass die alleinige Länderhoheit mit der Forderung des Grundgesetzes nach "Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet" (Interner Link: Art. 72 Abs. 2) in einem Spannungsverhältnis steht. Über Parteigrenzen hinweg fordern Experten und Politiker – bis hin zur Bundeskanzlerin – größere Einflussmöglichkeiten des Bundes; die dafür notwendige Verfassungsänderung droht aber (bislang) immer am Widerspruch einzelner Bundesländer zu scheitern.

Schulpolitische Entscheidungen werden hierzulande also vor allem von den Ländern getroffen. Aus Gründen der Gewaltenteilung müssen alle wesentlichen Fragen des Schulrechts in den Schulgesetzen geregelt und von den jeweiligen Landesparlamenten beschlossen werden. Denn nur die Parlamente sind direkt vom Volk gewählt und damit unmittelbar demokratisch legitimiert. Schulverwaltungen, Lehrer, Schüler und Eltern müssen sich an den gesetzlichen Vorgaben orientieren können und wissen, was von ihnen erwartet wird und wann sie gegen das Gesetz verstoßen. Das ist ein Gebot des Rechtsstaats. Wesentliche Fragen des Schulrechts sind alle grundlegenden Entscheidungen über das Schulsystem und solche, die den Schülern Pflichten auferlegen oder sie in ihren Grundrechten betreffen. Im Gesetz festgeschrieben werden muss danach etwa die Festlegung der allgemeinen Schulpflicht, das Angebot der verschiedenen Schulformen (BVerfGE 45, 400 - Oberstufenreform) oder die Voraussetzungen, unter denen in die Grundrechte von Eltern und/oder Schülern eingegriffen werden kann, beispielsweise wenn ein Schüler von der Schule entlassen werden soll (BVerfGE 58, 257 – Schulentlassung). Dabei ist nicht immer ganz klar, ob eine schulische Maßnahme so gravierend ist, dass sie die Grundrechte berührt und daher als Gesetz formuliert sein muss. Mit dieser Frage musste sich das Bundesverfassungsgericht mehrfach befassen. Sehr umstritten war beispielsweise die Einführung neuer Rechtschreibregeln durch Erlass der Kultusministerien (siehe Infobox).

InfoboxLeitentscheidung BVerfGE 98, 218 – Rechtschreibreform, Urteil des Ersten Senats vom 14. Juli 1998

Die von der Kultusministerkonferenz 1995 eingeführte Reform der deutschen Rechtschreibung in den Schulen bedurfte nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts keiner gesetzlichen Grundlage. Die Verfassungsrichter stimmen darin überein, dass Grundrechte der Schüler oder Eltern in diesem Fall nicht berührt wurden:

"An dieser Einschätzung ändert es nichts, daß durch die vorliegende Rechtschreibreform im Schulunterricht Rechtschreibregeln und Schreibweisen eingeführt werden, die nicht nur das Ergebnis einer historisch gewachsenen, vom Staat unbeeinflußten Schreibentwicklung sind und auch nicht lediglich eine sich im gesellschaftlichen Bereich immerhin anbahnende Schreibentwicklung vorwegnehmen, sondern jedenfalls teilweise auf reformerische Entscheidungen staatlicher Entscheidungsträger zurückgehen. Zwar wird dies dazu führen, daß Eltern, die wie die Beschwerdeführer an der traditionellen Rechtschreibung festhalten wollen, (auch) im Umgang mit ihren Kindern mit Schreibweisen konfrontiert werden, die sie für sich und für ihre Kinder ablehnen. Doch sind die Auswirkungen der konkreten Regelungen über die neue Schreibung auf das Elternrecht […] im Umfang verhältnismäßig gering […]. Unabhängig davon werden Schriftbild und Lesbarkeit von Texten durch die neuen Regeln und Schreibweisen kaum, zumindest nicht in dem Maße beeinträchtigt, daß darunter ernstlich Verständlichkeit und Verständigung litten. Schriftliche Kommunikation ist deshalb weiterhin möglich, und zwar auch zwischen "Altschreibern", die in ihren Texten unverändert die traditionelle Schreibung verwenden, und "Neuschreibern", die den reformierten Schreibweisen folgen. In der mündlichen Verhandlung haben das im Grunde auch die Kritiker der Rechtschreibreform nicht bestritten." (253 f.)

Bildung und Erziehung – Sache der Eltern und/oder des Staates?

Aber auch die Landesgesetzgeber sind bei der Gestaltung des Schulsystems rechtlich nicht völlig frei. Sie müssen die höherrangigen Vorgaben des Grundgesetzes beachten. Hierbei sind vor allem der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag (Interner Link: Art. 7 Abs. 1 GG), die Rechte der Schülerinnen und Schüler (Interner Link: Art. 2 Abs. 1, Interner Link: Art. 12 Abs. 1 GG) und nicht zuletzt die Rechte der erziehungsberechtigten Eltern (Interner Link: Art. 6 Abs. 2 GG) von großer Bedeutung.

"Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht", so heißt es in Interner Link: Art. 6 Abs. 2 GG. Die Aufgabe, Kinder zu sozial eigenverantwortlichen Menschen zu erziehen, liegt damit in erster Linie bei den Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten. Diese Aufgabe ist zwar ausdrücklich auch ein Recht der Eltern. Doch steht ihnen dieses Recht nicht zum Eigennutz zu. Sie müssen es vielmehr, wie es das Bundesverfassungsgericht betont, "zum Wohle ihres Kindes" wahrnehmen, dürfen ihre Kinder also nicht für sich ausnutzen. Tun sie dies, kann und muss ihnen im schlimmsten Fall die elterliche Sorge entzogen werden.

Neben die Erziehungsverantwortung der Eltern tritt jedoch der verfassungsrechtliche Auftrag des Staates, jedem Kind die Erziehung und Bildung zu verschaffen, die es zur gleichberechtigten Teilhabe am gesellschaftlichen und beruflichen Leben benötigt. Daraus folgt die Pflicht, "ein Schulsystem zu gewährleisten, das allen jungen Bürgern gemäß ihren Fähigkeiten die dem heutigen gesellschaftlichen Leben entsprechenden Bildungsmöglichkeiten eröffnet" (BVerfGE 34, 165, 182 – Hessische Förderstufe). Interner Link: Art. 7 Abs. 1 GG zum Schulwesen enthält diesen Bildungs- und Erziehungsauftrag des Staates zwar nicht unmittelbar, setzt ihn aber als gegeben voraus. Eine wesentliche Ergänzung findet er im Recht des Kindes auf gesellschaftliche Teilhabe durch Bildung, wie es unter anderem in Art. 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 und in Art. 13 des UN-Sozialpakts als verbindliche internationale Übereinkommen anerkannt wird. In diesem Sinne hat es auch der Soziologe und Politiker Ralf Dahrendorf (1965) ausgedrückt: Bildung ist ein elementares Bürger- und Menschenrecht. Als solches schafft es erst die Basis, um andere Grundrechte wie die Meinungs-, die Informations- und die Berufsfreiheit (die meisten Berufe sind an bestimmte Bildungsabschlüsse geknüpft!) und das politische Beteiligungsrecht selbstbestimmt wahrnehmen zu können. Mit dem Bildungssystem erfüllt der Staat somit seine Aufgabe, jungen Menschen unabhängig von ihrem Elternhaus diejenigen Kompetenzen, Fertigkeiten, aber auch erzieherischen Werte zu vermitteln, die sie für ihr Leben unter den heutigen wirtschaftlichen, ökologischen, technischen und sozialen Umständen brauchen. Durch diesen Zweck ist seine Aufgabe zugleich begrenzt. Gerade in erzieherisch sensiblen Fragen, wie bei Vermittlung von Glaubens- oder Weltanschauungsinhalten, muss sich der Staat in der Schule möglichst neutral verhalten und den Vorstellungen und Bedürfnissen der Eltern beziehungsweise der mündigen Schüler ausreichend Raum lassen (siehe Infobox).

InfoboxLeitentscheidung BVerfGE 93, 1 – Kruzifix, Beschluss des Ersten Senats vom 6. Mai 1995

Die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates bedeutet, dass er nicht eine bestimmte Religion oder Weltanschauung bevorzugen und diese als besonders befolgungswürdig darstellen darf. Allerdings darf in der Schule auf das Christentum im Sinne eines historisch "prägenden Kultur- und Bildungsfaktors" Bezug genommen werden (so BVerfGE 41, 29 - Simultanschule; BVerfGE 41, 65 – christliche Gemeinschaftsschule).

Das verbindlich angeordnete Anbringen von Kreuzen oder Kruzifixen in Bayrischen Klassenräumen (ohne Widerspruchsmöglichkeit) verstößt allerdings nach einer berühmten und seinerzeit sehr umstrittenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gegen das Neutralitätsgebot, weil die Schüler diesem christlichen Symbol ständig und zwangsweise ausgesetzt sind:

"Zwar ist es richtig, daß mit der Anbringung des Kreuzes in Klassenzimmern kein Zwang zur Identifikation oder zu bestimmten Ehrbezeugungen und Verhaltensweisen einhergeht. Ebensowenig folgt daraus, daß der Sachunterricht in den profanen Fächern von dem Kreuz geprägt oder an den von ihm symbolisierten Glaubenswahrheiten und Verhaltensanforderungen ausgerichtet wird. Darin erschöpfen sich die Einwirkungsmöglichkeiten des Kreuzes aber nicht. Die schulische Erziehung dient nicht nur der Erlernung der grundlegenden Kulturtechniken und der Entwicklung kognitiver Fähigkeiten. Sie soll auch die emotionalen und affektiven Anlagen der Schüler zur Entfaltung bringen. Das Schulgeschehen ist darauf angelegt, ihre Persönlichkeitsentwicklung umfassend zu fördern und insbesondere auch das Sozialverhalten zu beeinflussen. In diesem Zusammenhang gewinnt das Kreuz im Klassenzimmer seine Bedeutung. Es hat appellativen Charakter und weist die von ihm symbolisierten Glaubensinhalte als vorbildhaft und befolgungswürdig aus. Das geschieht überdies gegenüber Personen, die aufgrund ihrer Jugend in ihren Anschauungen noch nicht gefestigt sind, Kritikvermögen und Ausbildung eigener Standpunkte erst erlernen sollen und daher einer mentalen Beeinflussung besonders leicht zugänglich sind." (20)

Schulpflicht und Erziehungsziele – (wie) können die Eltern mitreden?

Der verfassungsrechtliche Bildungs- und Erziehungsauftrag des Staates rechtfertigt die Schulpflicht, also die zwangsweise durchsetzbare Pflicht zum Besuch einer Schule, die in allen deutschen Bundesländern gilt. Im schlimmsten Fall kann diese Pflicht sogar mithilfe der Polizei durchgesetzt werden. Eine Befreiung von der Schulpflicht ist hierzulande selbst dann nicht möglich, wenn die Erziehungsberechtigten einen den schulischen Lernzielen vergleichbaren Privatunterricht sicherstellen. In vielen anderen Staaten der Welt dagegen dürfen Kinder teilweise auch zu Hause von ihren Eltern unterrichtet werden. Dort besteht eine allgemeine Bildungspflicht statt der Schulpflicht. Ein Recht auf Homeschooling, das unter anderem von radikalen bibelgläubigen christlichen Eltern gefordert wird, lässt sich aus dem deutschen Grundgesetz aber nicht herleiten. Denn der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag ist dem Elternrecht nicht nach-, sondern gleichgeordnet. Der Staat hat demnach ein eigenes legitimes Interesse daran, die Kinder gemeinsam mit anderen in der Schule zu unterrichten, wo sie bestimmte demokratische Werte sowie das Miteinander und die Toleranz gegenüber Andersdenkenden lernen (BVerfGK 1, 141 - Homeschooling). Allerdings können die Eltern ihre Kinder in Privatschulen unterrichten lassen.

Das Recht der Eltern, ihre Kinder in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu erziehen, muss zwar auch im Unterricht respektiert werden. Das geht aber nicht so weit, dass die Eltern Einfluss auf die Unterrichtsinhalte nehmen könnten. So hat das Bundesverfassungsgericht ein Recht auf Befreiung etwa vom Sexualkundeunterricht abgelehnt, da die Sexualerziehung – auch wenn sie über die reine Faktenvermittlung hinausgeht – zur Gesamtbildung gehört, die für ein selbstbestimmtes Leben wichtig ist. Die Eltern müssen allerdings über die im Unterricht vermittelten Methoden und Inhalte der Sexualerziehung informiert werden, sodass sie darauf reagieren können, wenn sie selbst mit dem Kind sprechen und ihre eigene Sicht vermitteln (BVerfGE 47, 46 – Sexualkundeunterricht). Nur in ganz besonderen Ausnahmefällen können die Eltern ihre Kinder vom Unterricht befreien lassen (siehe Infobox).

InfoboxLeitentscheidungen BVerwGE 94, 82 – koedukativer Sportunterricht, Urteil des 6. Senats vom 25. August 1993 und BVerwG 6 C 25.12., Urteil des 6. Senats vom 11. September 2013

In seiner früheren Rechtsprechung sah das Bundesverwaltungsgericht eine Befreiung vom Schwimm- oder koedukativen Sportunterricht ausnahmsweise als geboten an, wenn die Schüler beziehungsweise ihre Eltern ein zwingendes Glaubensgebot nachweisen konnten, das dem gemeinsamen Unterricht entgegenstand (BVerwGE 94, 82). Diese Ausnahme von der allgemeinen Schulpflicht sei mit dem staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag vereinbar, weil die Teilnahme am Sportunterricht keine maßgebliche Bedeutung für den Schulabschluss habe:

"Nach dem Text der bezeichneten Sure sollen gläubige Frauen ihre Blicke niederschlagen, ihre Scham hüten und ihre Reize nicht zur Schau tragen […]. Insoweit hat die Klägerin nachvollziehbar dargelegt, dass sie dieses Glaubensgebot in dem Sinne verstehe, dass es Mädchen ihres Alters eine entsprechende Verhüllung ihres Körpers auch im Sportunterricht vorschreibe, wenn dieser in Gegenwart von Jungen stattfinde; dabei müsse sie immer befürchten, auch bei weit geschnittener Kleidung die Konturen ihres Körpers zu zeigen oder ihr Kopftuch zu verlieren und derart die Gebote ihres Glaubens zu verletzen; das mache ihr die Teilnahme am Sportunterricht zusammen mit Jungen unzumutbar. Auch dürfe sie Jungen mit zweckentsprechend knapp geschnittener oder eng anliegender Sportkleidung bei ihren Übungen nicht zusehen und müsse körperliche Berührungen mit Jungen vermeiden, was ihr jedoch in einem gemeinsamen Sportunterricht mit Jungen nicht möglich sei. Da die Klägerin diese für sie verbindlichen Vorschriften aus ihrem Glauben herleitet, genießt sie insoweit den Schutz des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG.

Diesem Grundrecht der Klägerin auf Respektierung ihres Glaubens steht zwar der dem Beklagten obliegende staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag, Art. 7 Abs. 1 GG, kraft dessen er an der von der Klägerin besuchten öffentlichen Schule im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht einen gemeinsamen Sportunterricht für Jungen und Mädchen eingerichtet hat, prinzipiell gleichgeordnet gegenüber. Dieser Konflikt kann bei einer Abwägung aller zu berücksichtigenden Gesichtspunkte aber in der Weise zu einem schonenden Ausgleich (vgl. dazu BVerfGE 41, 65, 78 und 52, 223, 251 f.) gebracht werden, dass der Klägerin ein Anspruch auf vollständige Befreiung vom Sportunterricht (nur) für den Fall zugestanden wird, dass der Sportunterricht vom Beklagten [dem Schulträger] für Mädchen ihres Alters ausschließlich in der Form eines gemeinsamen (koedukativen) Unterrichts für Mädchen und Jungen angeboten wird." (88 f.)

In seiner Entscheidung vom 11. September 2013 (6 C 25.12) hat das Bundesverwaltungsgericht diese Rechtsprechung nun allerdings geändert, da die Klägerin mit einem Burkini, einem Ganzkörperschwimmanzug für muslimische Frauen, unter Wahrung der religiösen Bekleidungsvorschriften am Schwimmunterricht teilnehmen konnte. Darauf, dass der Schwimmunterricht keine entscheidende Bedeutung für das Erreichen der Bildungsziele hat, soll es nach der neuen Entscheidung nicht mehr ankommen:

"Ist die staatliche Pflicht zur Rücksichtnahme auf religiöse Belange aus Gründen der Praktikabilität und insbesondere auch aufgrund der Integrationsfunktion der Schule im Prinzip begrenzt, so folgt hieraus für alle Beteiligten, dass sie in einem bestimmten Umfang Beeinträchtigungen ihrer religiösen Überzeugungen als […] Begleiterscheinung des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags und der seiner Umsetzung dienenden Schulpflicht hinzunehmen haben, d.h. nicht über das Recht verfügen, ihnen beliebig auszuweichen. Hierdurch ist zugleich sichergestellt, dass der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag […] gleichmäßig gegenüber sämtlichen Schülern erfüllt wird. Eine Befreiung wegen befürchteter Beeinträchtigungen religiöser Positionen hat danach die Ausnahme zu bleiben." (Rn. 17).

Streitbar erscheinen vor allem auch die Aussagen zur Wirkung des Burkinis auf die Mitschüler:

"Zwar ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Anblick eines Burkini einzelne Mitschüler zu intoleranten sozialen Reaktionen veranlassen könnte, wenngleich die dahingehende Gefahr schon deshalb begrenzt sein dürfte, weil […] das Tragen eines solchen Kleidungsstücks mittlerweile sowohl in islamisch geprägten Ländern wie auch in Deutschland Verbreitung gefunden hat. Allerdings muss derjenige, der auf die konsequente Umsetzung seiner religiösen Überzeugungen im Rahmen des Schulunterrichts dringt und von der Schule in diesem Zusammenhang Rücksichtnahme einfordert, seinerseits grundsätzlich akzeptieren, dass er sich hierdurch in eine gewisse, für andere augenfällig hervortretende Sonderrolle begeben kann. Hieraus erwachsende Belastungen sind nur dann unannehmbar, wenn sie ein noch angemessenes Maß überschreiten."

Recht auf Bildung – wo bleiben die Rechte der Kinder?

Nicht immer ausreichend beachtet wird, dass der Bildungsauftrag des Staates mit einem eigenen Recht der Schulkinder auf gleichberechtigte Teilhabe am staatlichen Bildungssystem einhergeht. Ein solches Recht auf Bildung ist in verschiedenen internationalen Übereinkommen wie dem Internationalen Pakt für soziale und kulturelle Rechte, der UN-Kinderrechtskonvention, dem 1. Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention und nicht zuletzt der EU-Grundrechtecharta verankert; ebenso findet es sich in fast allen Verfassungen der Bundesländer.

Wichtige Anforderungen des Rechts auf Bildung sind im gegenwärtigen deutschen Schulsystem aber nicht erfüllt. Das betrifft zum einen verbotene Diskriminierungen. Kinder werden, wie verschiedene Studien übereinstimmend belegen, beim Übergang auf die Haupt- und Realschule oder das Gymnasium aufgrund ihrer sozialen beziehungsweise ethnischen Herkunft benachteiligt – ein deutlicher Widerspruch zum Prinzip der Leistungsgerechtigkeit. Auch verlässt noch immer eine erhebliche Zahl von Schülern das deutsche Bildungssystem ohne Abschluss und ohne ausreichende Kompetenzen. Bildungsarmut aber führt zu sozialer und beruflicher Ausgrenzung.

Durch die Unterzeichnung der 2008 in Kraft getretenen UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen hat sich die Bundesrepublik dazu verpflichtet, ein inklusives Bildungssystem zu gewährleisten (Art. 24). Dies bedeutet, dass alle Kinder mit einer sogenannten Behinderung das Recht auf den Besuch einer Regelschule haben und dort gemeinsam mit anderen (nicht behinderten) Kindern zu unterrichten sind. Die Bundesländer müssen dieses Recht umsetzen, tun sich allerdings sehr schwer damit, weil dies weitreichende Reformen des Schulwesens voraussetzt. Denn hierzulande lernen noch immer etwa vier bis fünf Prozent aller Schulkinder separat in Sonder- beziehungsweise Förderschulen, eine im internationalen Vergleich sehr hohe Zahl. Verschiedene Klagen gegen die Sonderschulzuweisungen sind bereits anhängig.

InfoboxInfobox Leitentscheidung BVerfGE 96, 288 – integrative Beschulung, Beschluss des Ersten Senats vom 8. Oktober 1997

In seiner Entscheidung von 1997 hat das Bundesverfassungsgericht einen unbedingten Anspruch eines körperlich behinderten Kindes auf Unterrichtung an einer Regelschule abgelehnt. Diese Rechtsprechung muss allerdings vor dem Hintergrund der inzwischen in Kraft getretenen Behindertenrechtskonvention, die in Art. 24 ein unbeschränktes Recht auf inklusive Beschulung enthält, überprüft und voraussichtlich geändert werden. In seiner früheren Entscheidung verlangt das Gericht zumindest eine genaue Prüfung und Abwägung im Einzelfall, ob eine integrative Beschulung des Kindes unter den an der jeweiligen Schule gegebenen Bedingungen möglich ist:

"Bei der Entscheidung der Schulbehörde darüber, an welcher Schule behinderte Kinder und Jugendliche im Einzelfall zu erziehen, zu unterrichten und auf das spätere Leben in der Gemeinschaft mit Nichtbehinderten vorzubereiten sind, sind nicht nur das Recht des Schülers auf eine seine Anlagen und Befähigungen möglichst weitgehend berücksichtigende Ausbildung (Art. 2 Abs. 1 GG) und das Recht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG zu beachten, den Bildungsweg in der Schule für ihr Kind im Rahmen von dessen Eignung grundsätzlich frei zu wählen (vgl. BVerfGE 34, 165 [184]). Zu berücksichtigen sind vielmehr auch die zusätzlichen Bindungen, die sich für die Schulbehörde aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ergeben.

Da (…) der benachteiligende Charakter einer Maßnahme nicht ohne Rücksicht auf eine mit ihr einhergehende spezifische Förderung beurteilt werden kann, bedeutet das in dieser Regelung enthaltene Benachteiligungsverbot allerdings nicht, daß die Überweisung eines behinderten Schülers an eine Sonderschule schon für sich eine verbotene Benachteiligung darstellt. Das gilt auch dann, wenn die Entscheidung der Schulbehörde gegen den Willen des Behinderten oder seiner Erziehungsberechtigten ergeht. Nur die Überweisungsverfügung, die den Gegebenheiten und Verhältnissen des jeweils zu beurteilenden Falles ersichtlich nicht gerecht wird, ist durch Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG untersagt. Eine solche Entscheidung ist nicht nur dann anzunehmen, wenn ein Kind oder Jugendlicher wegen seiner Behinderung auf eine Sonderschule verwiesen wird, obwohl seine Erziehung und Unterrichtung an der allgemeinen Schule seinen Fähigkeiten entspräche und ohne besonderen Aufwand möglich wäre. Eine Benachteiligung im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG kommt vielmehr auch dann in Betracht, wenn die Sonderschulüberweisung erfolgt, obgleich der Besuch der allgemeinen Schule durch einen vertretbaren Einsatz von sonderpädagogischer Förderung ermöglicht werden könnte.

Ob letzteres der Fall ist, ob sich also beispielsweise durch die Bereitstellung einer zusätzlichen sonderpädagogischen Lehrkraft oder, soweit gesetzlich vorgesehen, durch die Einrichtung einer Integrationsklasse eine integrative Beschulung erreichen läßt, die das behinderte Kind mit Aussicht auf Erfolg durchlaufen kann, ist das Ergebnis einer Gesamtbetrachtung im Einzelfall." (306 f.)

Die bestehende Kluft zwischen Recht und Realität macht deutlich: Das bundesdeutsche Bildungssystem steht vor großen Herausforderungen. Handlungspflichten für Politik und Gesetzgebung ergeben sich dabei nicht nur aus moralischen oder politischen Erwägungen. Vielmehr spielen die Rechte der Schulkinder eine bedeutende Rolle. Sie fordern ein Schulsystem, das Diskriminierungen unterbindet und ein Mindestmaß an Chancengleichheit verwirklicht. Schule wird sich verändern müssen, um den unterschiedlichen Bedürfnissen und Lebenssituationen der Schülerinnen und Schüler besser gerecht zu werden. Das Recht ist somit nicht für immer "in Stein gemeißelt", um ein Schulsystem in seiner bestehenden Form zu erhalten. Es ist im Gegenteil auch ein Motor für notwendige Reformen.

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Michael Wrase ist Jurist und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) in der Projektgruppe der Präsidentin. Die Schwerpunkte seiner Arbeit liegen in den Bereichen Verfassungsrecht, Bildungs- und Sozialrecht sowie Rechtssoziologie.