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Geschichte der frühkindlichen Bildung in Deutschland | Bildung | bpb.de

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Geschichte der frühkindlichen Bildung in Deutschland

Diana Franke-Meyer

/ 17 Minuten zu lesen

Auch wenn Kindertageseinrichtungen heute ausdrücklich als Bildungseinrichtungen gelten, sind sie organisatorisch nicht Teil des Bildungssystems, sondern nach wie vor dem Kinder- und Jugendhilfesystem zugeordnet. Seit wann gibt es in Deutschland Einrichtungen zur Bildung, Erziehung und Betreuung kleiner Kinder? Warum sind sie entstanden und wie begründet sich ihre Trennung vom Schulbereich?

Kinderbewahrungsanstalt 1852 in Hamburg (© bpb)

Zur Entstehung der Kindertageseinrichtungen

Die Anfänge der Kindertageseinrichtungen gehen zurück auf die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. In dieser Zeit entstanden in Deutschland – wie auch in anderen Ländern Europas – vermehrt Einrichtungen der öffentlichen Kleinkindererziehung. Zwar gab es auch schon im 18. Jahrhundert Einrichtungen zur Betreuung von kleinen Kindern außerhalb der Familie, zu einer Gründungswelle kam es jedoch erst in den 1830er und 1840er Jahren. Dabei kann keineswegs von einer hinreichenden Bedarfsdeckung gesprochen werden, denn um 1850 existierten im deutschsprachigen Raum nur etwa 500 bis 600 Kindertageseinrichtungen. Auffällig dabei ist, dass sie häufig den Namensbestandteil Schule enthielten, wie z.B. in Kleinkinderschule, Spielschule, Aufsichtsschule, Warteschule oder Strickschule. Daneben gab es die Bezeichnungen Pflegeanstalt, Vorbereitungsanstalt oder Kleinkinderbewahranstalt, und ab 1840, den Ausdruck Kindergarten. Für Säuglinge und Kleinstkinder wurden ab 1844 die ersten Krippen eingerichtet, zunächst in Paris, dann in Wien und anschließend in Bayern, Württemberg und Preußen.

Nicht nur bei der Namensgebung, sondern auch bei der räumlichen und inhaltlichen Gestaltung der Einrichtungen orientierte man sich an der Schule. So gehörten zur Ausstattung oft Bilder- und Schiefertafeln sowie eine Wandtafel. Meist wurde auch nach einem Stundenplan gearbeitet, mit Gesangs-, Sinnes-, Sprach-, Schreib-, Rechen- und Anschauungsübungen, aber auch körperlichen Übungen, Handarbeiten und Spielen. Dabei zeigt sich, dass sowohl die in den Stundenplänen aufgeführten Unterrichtsinhalte, als auch die Art ihrer Vermittlung oftmals ein wohl durchdachtes Verhältnis zwischen frühkindlicher und schulischer Bildung aufwiesen.

Einer der ersten Hinweise über Kindertageseinrichtungen ist einem Reisebericht über die Niederlande am Ende des 18. Jahrhunderts zu entnehmen. Hier gab es Spielschulen, in denen kleine Kinder unter der Aufsicht älterer Frauen spielten, aber auch einen ersten Unterricht erhielten (siehe Infobox).

InfoboxSpielschulen im 18. Jahrhundert in den Niederlanden

Sobald ein Kind laufen kann, wird es in eine sogenannte Spielschule geschickt; eine Art von Institut, das, seiner Nützlichkeit wegen, allenthalben nachgeahmt zu werden verdient. Wittwen und andere bejahrte Frauenzimmer sind gemeiniglich die Aufseherin in diesen Schulen. Hier werden zehn, zwanzig und mehrere Kinder von gleichem Alter und Stande mit kleinen Beschäftigungen, vorzüglich aber mit ihnen angemessenen Zeitvertreiben unterhalten; hier lernen sie spielend buchstabiren, lesen, kleine moralische und geistliche Lieder, Stricken u.d.g. Spielen bleibt indessen immer ihre Hauptbeschäftigung. Der vorzüglichste Nutzen dieser Anstalten besteht ausgemacht darinne, daß auch die Kinder der gemeinsten Leute, unter einer beständigen Aufsicht stehn, sich mit ihres Gleichen weit besser vergnügen, als außerdem möglich wäre, und nicht in Gefahr kommen, auf allerhand Ausschweifungen zu geraten, deren Einfluß auf Sitten und Gesundheit oft den ganzen Lauf des Lebens hindurch empfunden wird. Noch unendlich mehr Nutzen ließ sich von diesen Spielschulen erwarten, wenn die Obrigkeit, allenfalls auch die Geistlichkeit, die Aufsicht darüber hätte, keine anderen Subjekte zu Schulfrauen wählte, als solche, die sich durch ihren gebildeten Verstand und sanften Karakter [sic!] auszeichneten, ihnen gute Kinderschriften zum Unterricht vorschrieben und darauf sähen, daß die Schulstuben geräumig genug wären, und nicht der schwarzen Höhle glichen, wie leider bis jetzt der Fall nur allzuoft ist, u. d. gl.

Grabner, Johann (1792): Ueber die vereinigten Niederlande. Briefe. Gotha: Carl W. Ettinger, S. 177 f.

Die ersten Kindertageseinrichtungen auf französischem Territorium waren vermutlich die ab 1770 von dem evangelischen Pfarrer Johann Friedrich Oberlin im Steintal (frz.: Ban de la Roche) in den Vogesen gegründeten Strickschulen und Kleinkinderschulen. Ganz im Sinne der damaligen Zielvorstellung einer Erziehung zu Fleiß, Regsamkeit und Arbeitsfreude, erhielten Kinder aus armen Familien in diesen Schulen eine Anleitung zur Verrichtung nützlicher Handarbeiten und wurden so frühzeitig an Arbeit gewöhnt. Daneben wurden sie an vier Tagen in der Woche in Lesen, Schreiben, Rechnen, Gesang, Naturgeschichte und biblischer Geschichte unterrichtet.

Als erste deutsche Kindertageseinrichtung gilt die 1802 durch die Fürstin Pauline zu Lippe-Detmold gegründete Aufbewahrungsanstalt kleiner Kinder. Hier wurden Kinder bis zum vierten Lebensjahr betreut, deren Eltern während der Sommermonate mit Ernte- und Feldarbeiten beschäftigt waren. Um einen Betreuungsplatz zu erhalten, mussten die Eltern nachweisen, dass sie aufgrund prekärer Lebensverhältnisse tatsächlich gezwungen waren, einer außerhäuslichen Tätigkeit nachzugehen. 1803 machte die Fürstin mit ihrem geheimnisvoll klingenden "Vorschlag, eine Pariser Mode nach Detmold zu verpflanzen" auf die Einrichtungen der öffentlichen Kleinkindererziehung aufmerksam (siehe Infobox).

InfoboxPauline zu Lippe-Detmold: Vorschlag, eine Pariser Mode nach Detmold zu verpflanzen

Ich wünsche und bitte, daß wir hier in Detmold […], die schnellsten sein mögen, eine neue Pariser Mode völlig und ganz nachzuahmen. – Freilich ist nicht von Farben, von Bändern, von Flitterstaat und glänzendem Spielwerk die Rede, sondern von einem schönen, zarten Zuge der Menschlichkeit, einer neuen Erfindung der wohltätigen Sorgfalt; aber so hört man mich und folgt mir ja wohl um so lieber.
Madame Buonaparte und mehrere zierliche und vornehme Damen in der unermeßlichen Hauptstadt des französischen Reichs wählten und errichteten mit wahrhaft weiblichem Schwestergefühl und beneidenswerter Feinheit in den Vierteln der großen Stadt Depots oder Säle, wo die zarten Kleinen armer, mit auswärtiger Arbeit beschäftigter Mütter einstweilen genährt, verpflegt, versorgt werden; jeden Morgen überbringen die dadurch beruhigten, beglückten Mütter ihre Kinder, jeden Abend holen sie sie freudig und dankbar wieder ab, und die Stifterinnen der milden Anstalt übernehmen wechselweise die Aufsicht. […] Welchem wirklichen weiblichen Herzen tut diese liebevolle, einfache, holde Idee nicht wohl, unaussprechlich wohl? Man gewinnt sie so lieb, daß man nicht begreift, wie sie so spät erst in Tätigkeit kam; man hadert mit seinem Kopfe und Herzen, daß man dahin geleitet, dazu durch Beispiele geweckt werden mußte und sie nicht selbst schon früher sich schuf. […] Wie manches bedrängte Weib wäre ihrer peinlichsten Sorgen entlastet, könnte den Ihrigen durch fleißige Arbeit und unermüdete Geschäftigkeit zu weiterem Emporkommen recht viel sein, wenn die Pflege ihrer Kinder bis zum vierten und fünften Jahre es nicht hinderte; wie manche muß die Kleinen verlassen und bebt nun im Kampf zwischen Brotsorgen und der Angst, wie es ihren armen Kindern ergehen wird, während sie fern ist.

Fürstin Pauline zu Lippe-Detmold (1803/1912): Vorschlag, eine Pariser Mode nach Detmold zu verpflanzen. In: Hennig, D. M.: Quellenbuch zur Geschichte der inneren Mission. Hamburg: Agentur des Rauen Hauses, S. 100 f.

Aber nicht nur in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland, sondern auch in Schottland und England gab es zu Beginn des 19. Jahrhunderts Tageseinrichtungen für kleine Kinder. Eine der ersten Einrichtungen wurde von dem britischen Unternehmer Robert Owen (1771–1858) im schottischen New Lanark gegründet. Owen war Besitzer einer Baumwollspinnerei. Für die Kinder seiner Arbeiter und Arbeiterinnen errichtete er verschiedene Erziehungseinrichtungen, darunter auch eine Kleinkinderschule (Infant School). Owens Erziehungseinrichtungen fanden breite Beachtung und inspirierten zu weiteren Einrichtungsgründungen. So eröffnete im Jahre 1820 im Londoner Stadtteil Spitalfield eine Kleinkinderschule, deren Leitung der Lehrer Samuel Wilderspin (1791–1866) übernahm. Bereits drei Jahre später veröffentlichte Wilderspin eine Schrift mit dem Titel: "On the Importance of Educating the Infant poor, from the age of eighteen month to seven years", die nach ihrer Übersetzung durch den Wiener Kaufmann Joseph Wertheimer (1800–1887) auch in deutschsprachigen Gebieten Verbreitung fand und damit den Bekanntheitsgrad der Kleinkinderschulen erhöhte.

In den Jahren 1824 und 1832 begab sich der evangelische Pfarrer Theodor Fliedner (1800–1864) auf Kollektenreisen, die ihn auch nach England führten. Hier lernte er die Londoner Kleinkinderschule kennen und eröffnete, angeregt durch diese Einrichtung, 1835 zunächst eine Strickschule in Düsseldorf und 1836 eine Kleinkinderschule in Kaiserswerth bei Düsseldorf, dem Ort seiner Pfarrgemeinde. Im gleichen Jahr begann er mit der Ausbildung von weiblichem Personal zur Erziehung kleiner Kinder und schuf damit die erste Ausbildungsstätte für frühpädagogische Fachkräfte in Deutschland. Die Sorge für kleine Kinder war ein Teilbereich des von Fliedner geschaffenen und noch heute existierenden diakonischen Werkes. Fliedner war neben Friedrich Fröbel (1782–1852) und Johannes Fölsing (1816–1882) einer der bedeutendsten Vertreter der öffentlichen Kleinkindererziehung im 19. Jahrhundert. Während Fröbel durch seinen 1840 begründeten Kindergarten und die damit verbundene Spielpädagogik einen relativ hohen Bekanntheitsgrad erreichte, sind die elementarpädagogischen Schriften Fölsings, die im 19. Jahrhundert weit verbreitet waren, heute nahezu in Vergessenheit geraten.

Gründe für die Entstehung von Kindertageseinrichtungen

Als Gründe für die Entstehung von Kindertageseinrichtungen lassen sich zwei Motive benennen: ein sozialfürsorgerisches und ein bildungspolitisches Motiv.

Das sozialfürsorgerische Motiv

Ein enormer Bevölkerungsanstieg, insbesondere in den unteren sozialen Schichten, führte im gesamten 19. Jahrhundert zu Massenarmut (Pauperismus) und einer damit verbundenen sozialfürsorgerischen Bedürftigkeit. Immer mehr Mütter waren gezwungen einer außerhäuslichen Erwerbsarbeit nachzugehen, da der alleinige Verdienst des Vaters zur Deckung der familialen Bedürfnisse nicht ausreichte. Allerdings waren die Mütter in der Entstehungszeit der Kindertageseinrichtungen nicht – wie vielfach behauptet wird – in Fabriken und Industriezentren beschäftigt, sondern arbeiteten z.B. als Heimarbeiterinnen in der Textilherstellung, als Fleisch-, Fisch-, Blumen- oder Gemüseverkäuferinnen, als Wäscherinnen oder als Tagelöhnerinnen, und natürlich als Bäuerinnen. Von einer flächendeckenden Industrialisierung in den deutschen Kleinstaaten kann für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts noch nicht gesprochen werden. Durch die massenhafte Erwerbsarbeit der Mütter verschlechterte sich jedoch die Betreuungssituation kleiner Kinder dramatisch. Sie verbrachten oft den ganzen Tag ohne Aufsicht auf der Straße oder wurden von älteren Geschwistern mehr schlecht als recht betreut. Angehörige der bürgerlichen Schichten wiesen auf die damit verbundenen Gefahren hin und versuchten durch die Gründung von Kindertageseinrichtungen Abhilfe zu schaffen (siehe Infobox).´

InfoboxZeitgenössische Aussagen, in denen die Notwendigkeit zur Schaffung von Kindertageseinrichtungen deutlich wird:

Geht man durch die Straßen der Dörfer, so stößt man überall auf Kinder, namentlich oft und viel auf kleine Kinder, die Niemand oder etwa einem wenig älteren übergeben sind, das selbst noch des Hirten bedürftig wäre. Sieht man eine Weile zu, so bemerkt man bald, wie wenig die edlen, die geistigen Kräfte geweckt werden, ja wie selbst die Körperkräfte nicht recht entwickelt und gepflegt werden, nicht bloß an den hütenden, […] sondern ebenso an den geschleppten, gezerrten, oft weinenden und schreienden, in Hitze, Kälte, Feuchtigkeit unbarmherzig preisgegebenen Kleinen.

Mann, Karl (1844): Weide meine Lämmer. In: Das Reich Gottes. Christliches Volksblatt für das Rheinland. 1. Jg., Nr. 16, S. 71.

Schon seit längerer Zeit lag mir der Zustand der hiesigen, kleinern, noch nicht schulpflichtigen Kinder am Herzen. Ich sah und muß leider noch sehen, wie Viele derselbsen ohne alle Aufsicht Tage lang, truppenweise auf den Straßen, hinter den Gärten, am Bache herumziehen und herumliegen, während die meisten Eltern derselben nothgedrungen ihren Feld- und anderen Arbeiten nachgehen müssen. Unglücksfälle und Verwilderung sind die nothwendigen Folgen davon. In kurzer Zeit hat es sich nach einander ereignet, daß zwei Kinder mit spitzen Instrumenten sich Jedes ein Auge so beschädigt haben, daß sie nunmehr einäugig sind; ein drittes fiel inʼs Wasser, und wäre ohne schnelle Rettung sicher verloren gewesen; ein viertes hat sich am Heerde verbrannt, und starb nach vier Wochen der furchtbarsten Schmerzen. Der moralische Schaden, welcher durch Mangel an Beaufsichtigung an den Kindern geschieht, ist indessen noch viel höher anzuschlagen, als jener leibliche. Kinder von drei bis vier Jahren kann man die gräulichsten Flüche ausstoßen hören; das Schaamgefühl wird frühzeitig abgestumpft, Roheit, Lügen, alle Arten von Unarten werden ihnen zur anderen Natur.

Ohne Verfasser (1844): Correspondenz. In: Das Reich Gottes. Christliches Volksblatt für das Rheinland. 1. Jg., Nr. 32, S. 140.

Mit ihren Forderungen befanden sich Gründer von Kindertageseinrichtungen jedoch unter erheblichem Legitimationsdruck, denn nach der damaligen bürgerlichen Familiennorm gehörten Betreuung, Erziehung und Bildung des kleinen Kindes zum primären Aufgabenkreis der Frau und damit in den Kreis der Familie. Kindertageseinrichtungen konnten also nur dann akzeptiert werden, wenn tatsächlich ein außerfamilialer Betreuungsbedarf, also eine Notsituation, vorhanden war (siehe Infobox).

InfoboxZeitgenössische Aussagen, in denen die bürgerliche Familiennorm und damit die Nothilfefunktion der Kindertageseinrichtungen deutlich werden:

Wir haben niemals verkannt, daß die Kinder in ihrem zarten Alter am besten in dem häuslichen Kreise, von den Aeltern, erzogen werden, wenn diese, namentlich die Mutter, die hinreichende Zeit, die rechte Liebe und Weisheit zu ihrer Erziehung besitzen. Aber in hiesiger Stadt gibt es, wie an andern größeren Orten, eine Menge Aeltern, welche durch ihren Broderwerb [sic!], durch Fabrik- und andere Arbeit den größten Theil des Tages ausser dem Hause zubringen müssen, oder durch strenge Berufsarbeit im Hause von der Pflege und Beaufsichtigung ihrer Kinder abgezogen werden, sodaß diese die meiste Zeit sich selbst überlassen bleiben.

Fliedner, Theodor (1836): Erster Jahresbericht über die evangelische Kleinkinderschule zu Düsseldorf. Hrsg. von dem dasigen Vereine für evangel. Kleinkinderschulen. Zum Besten der evangel. Kleinkinderschule zu Kaiserswerth. Düsseldorf: Jof. Wolf, S. 3.

Es ist freilich wahr, es wäre viel besser, die äußern Verhältnisse ließen es nicht zu, und alle Eltern wären fähig, ihre Kinder zu erziehen – Kleinkinderschulen sind nur Notheinrichtungen – geboten von der Noth und um abzuhelfen der Noth.

Ranke, Johann Friedrich 1853, zit. nach Erning, G. (Hrsg.) (1976): Quellen zur Geschichte der öffentlichen Kleinkindererziehung. Von der ersten Bewahranstalt bis zur vorschulischen Erziehung der Gegenwart. Kastellaun: Aloys Henn, S. 116.

Das bildungspolitische Motiv

Mit der Gründung von Kindertageseinrichtungen waren also zunächst Schutzabsichten und damit sozialfürsorgerische Motive verbunden. Daneben finden sich jedoch auch bildungspolitische Begründungen, die einen starken Schulbezug aufweisen. Die Vertreter dieser Position, die der Fröbelbewegung und/oder der Volksschullehrerschaft angehörten, forderten für tendenziell alle Kinder den Besuch einer vorschulischen Einrichtung, und zwar unabhängig von einem familiären Betreuungsbedarf. Damit verbunden war auch die Forderung, den vorschulischen Bereich ins Volksbildungswesen einzugliedern.

Während Theodor Fliedners Motive zur Gründung von Kindertageseinrichtungen mehr sozialfürsorgerischer Art waren, verfolgten Johannes Fölsing und Friedrich Fröbel eher pädagogische und damit bildungspolitische und schulbezogene Motive.

Für Fölsing, der 1843 in Darmstadt eine Kleinkinderschule für höhere Stände gründete, waren die Kleinkinderschulen schulvorbereitende Einrichtungen, die er als erste Stufe des Bildungssystems verstand. Wie Fliedner und Fröbel errichtete auch er ein eigenes Ausbildungsinstitut für frühpädagogisches Fachpersonal. Seine, aus heutiger Sicht durchaus aktuellen Gedanken zur frühkindlichen Bildung, wurden im 19. Jahrhundert zwar diskutiert, jedoch nicht umgesetzt und gerieten nach und nach in Vergessenheit.

Größere Bedeutung und Aufmerksamkeit erhielt dagegen der Thüringer Pädagoge Friedrich Fröbel, der Ende der 1830er Jahre damit begonnen hatte, den frühkindlichen Bildungsprozessen vermehrte Aufmerksamkeit zu schenken. Mit der Herstellung von Spielmaterialien und der Gründung einer Spiel- und Beschäftigungsanstalt, die er ab 1840 Kinder-Garten nannte, gab er seinen Gedanken zur frühkindlichen Bildung eine praktische Gestalt. Dabei konzipierte er seinen Kindergarten zunächst nicht als Betreuungseinrichtung außerhalb der Familie, sondern als Modellspielstätte für Mütter mit ihren Kindern und nannte ihn Anstalt zur Pflege des Beschäftigungstriebes für Kindheit und Jugend. Die Mütter sollten hier über die von ihm entwickelten Spielmaterialien, die Bedeutung des Spiels für die kindliche Entwicklung erkennen und mit ihren Kindern spielen lernen. Erst einige Zeit später erweiterte Fröbel seine Kindergartenidee zu einer frühkindlichen Einrichtung und gründete 1849 in Bad Liebenstein eine Ausbildungsstätte für Kindergärtnerinnen.

Von Anfang an verstand Fröbel den Kindergarten als frühkindlichen Bildungsort und achtete auf Kontinuität zur Schule. Im Mittelpunkt seiner Pädagogik stand die kindliche Selbsttätigkeit, die er durch das Spiel anregen und fördern wollte. Eine außergewöhnliche Vorgehensweise für die damalige Zeit, denn in den meist konfessionell geprägten Kleinkinderschulen und Bewahranstalten galt das Spiel eher als Belohnung für eine geleistete Arbeit. Die Leitbilder dieser Pädagogik waren eher Unterordnung, Gehorsam und Gewöhnung an Sittlichkeit.

Das preußische Kindergartenverbot

Einen herben Schlag erfuhr die Kindergartenpädagogik Fröbels durch das 1851 erlassene preußische Kindergartenverbot. Im reaktionären politischen Klima, das in Preußen nach der Niederschlagung der bürgerlich-demokratischen Revolution von 1848/49 vorherrschte, sahen die Behörden in den liberalen Fröbelschen Prinzipien der Freiwilligkeit, Selbsttätigkeit und allgemeinen Menschenbildung, eine Gefährdung der öffentlichen und staatlichen Ordnung (siehe Infobox). Das Kindergartenverbot bestand bis 1860. Friedrich Fröbel erlebte die Aufhebung nicht mehr. Er starb am 21. Juni 1852.

InfoboxPreußisches Kindergartenverbot:

Wie aus der Broschüre ›Hochschulen für Mädchen und Kindergärten etc.‹, von Karl Fröbel erhellt, bilden die Kindergärten einen Teil des Fröbelschen sozialistischen Systems, das auf Heranbildung der Jugend zum Atheismus berechnet ist. Schulen etc., welche nach Fröbelschen oder ähnlichen Grundsätzen errichtet werden sollen, können daher nicht geduldet werden.

Berlin, den 7. August 1851
Der Minister der Geistlichen-, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten (gez. von Raumer)
Der Minister des Innern (gez. von Manteuffel). Zitiert nach Prüfer, Johannes (1927): Friedrich Fröbel. Sein Leben und Schaffen. 3., völlig umgearbeitete und bedeutend erweiterte Auflage. Leipzig: Teubner, S. 126.

In dem Verbotsschreiben wird nicht Friedrich Fröbel, sondern sein Neffe Karl Fröbel genannt, der tatsächlich sozialistischen Ideen nahe stand. Bei der in dem Verbot genannten "Broschüre" handelt es sich um eine von Karl Fröbel zusammen mit seiner Frau Johanna publizierte Schrift, mit dem Titel "Hochschulen für Mädchen und Kindergärten als Glieder einer vollständigen Bildungsanstalt, welche Erziehung der Familie und Unterricht der Schule verbindet". Dass den preußischen Behörden keine Namensverwechslung unterlaufen ist, wird in folgendem Rundschreiben des preußischen Kultusministeriums deutlich.

Rundschreiben des preußischen Kultusministeriums an die Regierungen der Provinzen und Regierungsbezirke:

Durch die Verfügungen vom 17. Aug. und 22. Sept. 1851 ist der Königl. Regierung eröffnet worden, daß die nach den Systemen von Friedrich und Karl Fröbel eingerichteten sogenannten Kindergärten und Schulen als gemeingefährlich nicht weiter zu dulden seien.

Die wiederholten Gesuche, namentlich des Friedrich Fröbel, dieses Verbot aufzuheben, haben Verhandlungen und Erörterungen veranlaßt, deren hauptsächlichste Ergebnisse ich mich um so mehr bewogen finde, zur Kenntniß der Königl. Regierung zu bringen, als dieselben nicht nur die Verwerflichkeit des genannten Systems auch im Einzelnen darthun, sondern auch besonders geeignet scheinen, über Richtungen und Bestrebungen der Gegenwart auf dem Gebiete des Unterrichts und der Erziehung im Allgemeinen wichtige Aufschlüsse zu geben."

Aus den Schriften Friedrich Fröbels wie aus den andern auf die Kindergärten bezüglichen Druckschriften und aus zuverlässigen amtlichen Nachrichten über die Wirksamkeit und die Benutzung der Kindergärten ergiebt sich Folgendes:

Zunächst stellt sich daraus ein enger Zusammenhang der Friedrich Fröbel’schen Kindergärten mit den destructiven Richtungen auf dem Gebiet der Religion und Politik hervor. Es läßt sich statistisch nachweisen, daß dieselben im nördlichen Deutschland, namentlich in Nordhausen, Breslau, Dresden und Hamburg im engsten Anschlusse an die Tendenzen jener Richtungen von entschiedenen Vertretern der Demokratie, der freien Gemeinden und des Deutschkatholizismus in das Leben gerufen und begünstigt worden sind ….[…]

Ein Erziehungssystem, das von solchen Grundsätzen getragen wird, und in seiner Verworrenheit und Unklarheit, wie in seiner Entfremdung von allen positiven Grundlagen der Offenbarung der zersetzenden und zerstörenden Richtungen der Zeit ein willkommenes Mittel ist, um ihre Irrthümer in täuschender Hülle der Jugend einzupflanzen, muß auch seiner Theorie nach für ein gefährliches erklärt werden, welchem mit allen gesetzlich zulässigen Mitteln entgegenzutreten ist. Diesem Inhalte des Systems und dem offen ausgesprochenen Grundsätzen gegenüber, können die Lieder, Spiele und einzelnen Beschäftigungen in den Kindergärten, auf welche Fr. Fröbel großes Gewicht legt, welche aber anderwärts eben so gut und oft viel besser vorgeschlagen sind, nicht weiter in Betracht kommen. Die ausführlichen Beschreibungen dieser Kinderspiele und der auf sie gegründeten Erziehung rechtfertigen vielmehr das Urtheil, daß die in die Kinderspiele gebrachte Methode und die Anleitung, die Spielenden ihre Handlungen in Worte übersetzen zu lassen, zwar geeignet ist, frühzeitig Bewusstsein und überlegte Thätigkeit hervorzurufen, zugleich aber die Unbefangenheit des Kindes und das Gefühl seiner Abhängigkeit zu zerstören, während die consequente Fernhaltung nicht nur jedes positiven religiösen, sondern auch jedes überhaupt des Behaltens würdigen Inhalts eine sehr erfolgreiche Gelegenheit bietet, reflectirende, glaubens- und gewissenlose Schwätzer und in ihnen die Werkzeuge zur Entsittlichung des Volks und zur Untergrabung des Bestehenden heranbilden.

In dieser Darlegung wird die Königl. Regierung ausreichende Veranlassung finden, nicht nur das Verbot der Fr. Fröbelʼschen Kindergärten streng aufrecht zu erhalten, sondern auch der Anwendung von Grundsätzen, wie die bezeichneten … mit Entschiedenheit entgegenzutreten.

Zitiert nach Nacke, Karl (Hrsg.) (1853): Pädagogischer Jahresbericht für Deutschlands Volksschullehrer. Siebenter Band. Leipzig: Fr. Brandstetter, S. 355 ff.

Kontinuitäten, aber auch Brüche erlebte die Kindergartenpädagogik durch die Schüler und Schülerinnen Fröbels, die sich 1873 im Deutschen Fröbelverband zusammengeschlossen hatten. Die Fröbelianerin Bertha von Marenholtz-Bülow sorgte für eine Verbreitung der Kindergartenidee im europäischen Raum, brachte aber zugleich durch ihre sehr dogmatische Vorgehensweise den Kindergarten in die Kritik, einer Verschulungstendenz Raum zu geben. Die Großnichte Fröbels, Henriette Schrader-Breymann setzte hingegen mit dem Pestalozzi-Fröbel-Haus in Berlin neue konzeptionelle Akzente, indem sie den Kindergarten stärker an der Familienerziehung orientierte.

Das Verhältnis von Kindergarten und Schule aus historischer Perspektive

Staatliche Lenkung und Kontrolle

Anders als die Volksschulen, die sich im 19. Jahrhundert zu allgemeinen, öffentlichen und staatlich kontrollierten Bildungseinrichtungen entwickelten, entstanden die Kindertagesstätten als private Erziehungsanstalten in der Trägerschaft von Vereinen und häufig im Rahmen kirchlicher Gemeinden. Dabei wurden sie aufmerksam von den staatlichen Behörden beobachtet und durch Erlasse, Verfügungen und Instruktionen reglementiert. Ausgesprochen restriktive Bestimmungen, die sich auch auf die Namensgebung und die inhaltliche Ausgestaltung der Einrichtungen erstreckten, erließ beispielsweise 1839 das Königreich Bayern (siehe Infobox).

InfoboxStaatliche Lenkung und Kontrolle der Kindertageseinrichtungen im Königreich Bayern:

Die erwähnten Anstalten sollen keinen andern Zweck haben, als den kleinen, für die öffentlichen Schulen noch nicht reifen Kindern, Aufenthalt und Pflege in der Art angedeihen zu lassen, wie solche von verständigen und gewissenhaften Eltern zu gedeihlicher Entwicklung geistiger und leiblicher Kräfte für dieses zarte Jugendalter gewährt zu werden pflegen.

Auf diese ihre Bestimmung sind sie allenthalben zu beschränken, und es ist daher auch nicht zu gestatten, daß ihnen der noch hie und da übliche Name einer Kleinkinderschule beigelegt, oder daß den dabei beschäftigten Personen der Titel eines Lehrers oder einer Lehrerin verliehen werde. […]
Der Ertheilung eines eigentlichen Unterrichts haben sich die Pfleger und Aufseher dieser Anstalten gänzlich und strenge zu enthalten. Die Kinder sollen weder lesen noch schreiben lernen, weder mit rechnen noch mit sonst einem für die Schule gehörigen Lehrgegenstande anhaltend beschäftigt werden […].

Strauss, Friedrich von (1853): Fortgesetzte Sammlung der im Gebiete der inneren Staats-Verwaltung des Königreiches Bayern bestehenden Verordnungen von 1835 bis 1852, aus amtlichen Quellen bearbeitet. Vierter Band der neuen Folge. Als Fortsetzung der Döllingerʼschen Sammlung XXIV. Bd. München, S. 588 ff.

Fürsprecher und konzeptionelle Ideen zur Verbindung von Kindergarten und Schule

Interessanterweise waren es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts größtenteils Schulpädagogen, die in den frühkindlichen Einrichtungen eine bedeutende Grundlage der Volksbildung sahen. Ihr Interesse zeigte sich insbesondere 1848 auf der Gründungsversammlung des Allgemeinen Deutschen Lehrervereins in Eisenach, auf der sie ein einheitliches Volksschulsystem forderten, das mit dem Kindergarten beginnen und mit der Hochschule enden sollte. Vergleichbare Gedanken finden sich auch bei dem Pädagogen und Theologieprofessor Friedrich H. Chr. Schwarz (1766–1837), der 1832 in seiner Schrift Die Schulen die Bewahranstalten und Kleinkinderschulen als erste Stufe in das öffentliche Schulwesen einordnete.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren es dann vor allem die Anhängerinnen und Anhänger der Fröbelpädagogik, die den Kindergarten als unterste Stufe im Schulsystem verankern wollten. Immer wieder diskutierten sie die Frage, wie eine Kooperation zwischen Kindergarten und Schule gelingen könne und legten interessante Thesen dazu vor.

Ein bedeutender Vertreter der Fröbelbewegung war der Gothaer Elementarschullehrer und Seminardirektor August Köhler (1821–1879). Wiederholt forderte er eine Verbindung von Kindergarten und Schule. Dabei stand für ihn fest, dass diese Verbindung nur gelingen könne, wenn der Kindergarten seine bisherige Selbständigkeit aufgibt und vollkommen in das Schulsystem integriert wird. Konsequenterweise nahm er dabei auch das Ausbildungssystem in den Blick und forderte eine Doppelqualifizierung zur Kindergärtnerin und Lehrerin. Er selbst hatte ein solches Ausbildungsinstitut in Gotha gegründet, in der Hoffnung, dass nach seinem Beispiel weitere solcher Schulen entstehen werden (siehe Infobox).

InfoboxVom Deutschen Fröbelverband vorgelegte Thesen für eine Verbindung von Kindergarten und Schule:

"Einleitendes: Die Verbindung von Kindergarten und Schule ist um beider Anstalten willen anzustreben. […]

A. Äußere Verbindung

.

  1. 1. Der Kindergarten wird in den äußern Klassenverband der Schule eingereiht […] und mit ihr, wenn möglich, räumlich in Verbindung gebracht. […]

  2. 2. Die Aufsicht über den Kindergarten gebührt dem Dirigenten der Schule, der mit der Kindergartenpädagogik vertraut sein muß. […] Die Oberaufsicht fällt dem Staate zu, der sich durch seine Organe, durch Schulinspektoren, Kreisschulräte etc. vertreten läßt. […]

  3. 3. Die Eltern der Schulgemeinde sind gehalten, ihre Kinder ein Jahr vor dem gesetzlichen Eintritt in die Schule dem Kindergarten zuzuführen. […]

  4. 4. Der Besuch des Kindergartens vor genannter Frist ist erwünscht, bleibt aber dem Ermessen der Eltern überlassen. Auf alle Fälle werden für Kinder solchen Alters besondere Abteilungen errichtet. […]

  5. 5. Die Versetzung aus der Kindergartenklasse in die Schulklasse erfolgt nur nach erlangter Schulreife der Kinder. […]

  6. 6. Die Vorbildung der Kindergärtnerin zur Leitung der obersten Abteilung des Kindergartens hat sich auf Theorie und Praxis des Kindergartens und auf das Gesamtgebiet des Elementarunterrichts mit seinen grundlegenden Disziplinen, insbesondere auf Psychologie zu erstrecken. […]

  7. 7. Kindergärtnerinnen, welche es mit Kindern unter fünf Jahren zu thun haben, bedürfen der Kenntnis des Elementarunterrichts nicht. […]

  8. 8. Der Elementarunterricht in den beiden ersten, beziehungsweise vier ersten Schuljahren fällt kindergärtnerisch vorgebildeten Lehrerinnen zu oder auch solchen Lehrern, die in der Volksschulpädagogik, in der Theorie und Praxis des Kindergartens genügend unterrichtet sind. […]

  9. 9. Nur solche Kindergärtnerinnen, welche die genügende Ausbildung in einem staatlich anerkannten Seminare erhalten haben, besitzen das Recht der Anstellung. […]

  10. 10. Um auch in kleinern Städten und Orten die Gründung von Kindergärten im Anschluß an die Schule zu ermöglichen, ist es wünschenswerth, daß Kindergärtnerinnen die Befähigung als Handarbeits- oder Turnlehrerinnen für Mädchenschulen erlangen. […]

  11. 11. Die Kindergärtnerin hat als berechtigtes Mitglied des Lehrerkollegiums an den Konferenzen und Beratungen, welche dem Interesse der gesamten Schule gelten, teilzunehmen. […]

B. Innere Verbindung.

  1. 1. Der Kindergarten behält seine Methode, d. h. seine ihm eigentümlichen Erziehungsgänge, Erziehungsformen, Erziehungsapparate etc. bei, nimmt jedoch die für die Schule vorzubereitenden Anschauungen in seine Lehrgänge mit auf. […]

  2. 2. Der Kindergarten schließt prinzipiell die schulische Bearbeitung eines Lehrstoffes aus, selbst den schulischen Anschauungsunterricht und das Schulturnen. […]

  3. 3. Die Schule bekennt sich neben dem Prinzip der Anschauung auch zu dem Prinzip der Darstellung […] und trägt letzterm, im strengsten Anschluß an den Kindergarten, soweit als thunlich, Rechnung. […]

  4. 4. Als neuen Stoff nimmt die Schule darstellende Beschäftigungen, wöchentlich mindestens zwei Stunden, als obligatorischen Lehrgegenstand auf. […]"

Köhler, August (1885): Die Pädagogik des Kindergartens. 2., verb. Aufl. hrsg. von A. Weber, Weimar: H. Böhlau, S. 271-273 (Hervorhebungen im Orig.).

Warum Schule und Kindergarten getrennte Bereiche blieben

Alle Bestrebungen dieser Art blieben jedoch erfolglos. Die Volksschullehrerschaft, die größtenteils männlich besetzt war, zeigte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts keinerlei Interesse an den vorschulischen Einrichtungen, in denen in erster Linie Frauen tätig waren. Im Gefolge der Revolution von 1848/49 war die Volksschullehrerschaft zudem selbst durch reaktionäre staatliche Maßnahmen in die Schranken gewiesen worden. Auf ein dezidiert anti-emanzipatorisches Bildungsprogramm verpflichtet und vom Ministerium misstrauisch beobachtet, konzentrierten sie sich auf das Kerngeschäft Schule. Die wiederholt von Seiten der Fröbelbewegung geforderte Verbindung von Kindergarten und Schule wurde deshalb von ihnen ignoriert oder direkt abgewiesen. Auch die deutschen Bildungsbehörden waren zu keinerlei Zugeständnissen bereit. Sie nahmen die Bitten der Fröbelpädagoginnen und -pädagogen höflich entgegen, taten aber nichts. Warum sollten sie auch? Sie hatten genug damit zu tun, das Volksschulwesen flächendeckend auszubauen. Die Forderungen nach einer Verbindung von Kindergarten und Schule blieben deshalb folgenlos und verloren zunehmend an Vehemenz, sodass die schulbezogenen Aufgaben des Kindergartens gegen Ende des 19. Jahrhunderts weitestgehend verloren gingen.

Daneben waren es aber vor allem die Veränderungen in der Trägerlandschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die die schulbezogenen Aufgaben in den Hintergrund treten ließen. Auf der einen Seite standen die großen konfessionellen Träger, auf der anderen Seite stand der Deutsche Fröbelverband. Für die evangelische wie für die katholische Seite waren die Einrichtungen primär familienunterstützende Nothilfeeinrichtungen. Sie verfolgten ein sozialfürsorgerisches Motiv und sortierten deshalb schulbezogene Aufgaben nahezu völlig aus. Mit ihrem Verständnis als ganztägige Betreuungseinrichtung trafen die konfessionellen Träger die Bedarfslagen der Familien aus den Unterschichten jedoch entschieden besser, als die Fröbelschen Kindergärten, die meist nur wenige Stunden am Vor- und Nachmittag geöffnet hatten und sich als frühkindliche Bildungseinrichtungen verstanden.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kam es dann zu einer Annäherung zwischen dem Fröbelverband und den konfessionellen Trägern. Mit dem Konzept des Volkskindergartens begannen die Fröbelpädagoginnen und -Pädagogen nun auch die familienunterstützende Betreuungsfunktion zu berücksichtigen und ließen nach und nach den Gedanken der Integration des Kindergartens in das allgemeine Bildungssystem fallen. Gleichzeitig begannen sie eine eigenständige Kindergartenpädagogik zu begründen, die sich bewusst von der Schule abzugrenzen versuchte. Deutlich wurde die neue Schwerpunktsetzung im Jahre 1920 auf der Reichsschulkonferenz, auf der es kaum noch Stimmen für eine Verbindung von Kindergarten und Schule gab. Mit der Verabschiedung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes im Jahre 1922, dem Vorläufer unseres heutigen Kinder- und Jugendhilfegesetzes, wurde von administrativer Seite die traditionelle Fürsorgefunktion der Kindertagesstätten festgeschrieben.

Die (Wieder-) Annäherung von Schule und Kindergarten

Erst in der bildungspolitischen Aufbruchsphase der 1960er und 1970er Jahre stand der Bildungsauftrag des Kindergartens in der Bundesrepublik Deutschland erneut zur Diskussion. So wurden etwa im Strukturplan für das Bildungswesen des Deutschen Bildungsrates, der unter Mitarbeit von Politikern und Experten Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Bildungssystems vorlegte, weiterreichende Überlegungen zur Bedeutung der frühkindlichen Bildung und ihrer Verbindung mit dem Schulsystem angestellt (siehe Infobox).

InfoboxAuszug aus dem Strukturplan des Deutschen Bildungsrates von 1970

Einbeziehung des Kindergartens in das Bildungssystem

Das Ziel, im Rahmen der Elementarerziehung schon das kleine Kind in den Wirkungsbereich sorgfältig überlegter und geplanter Lernprozesse zu bringen, bedeutet, daß die Lern- und Erziehungsprozesse von Anfang an auf Kontinuität angelegt und auf ihre weitergehende Qua¬lität hin überprüft werden müssen. Durch derart neu gestaltete Inhalte und Methoden werden die Kindergärten zu einem unverzichtbaren Bestandteil des gesamten Bildungssystems. Dazu gehört, dass alle Kinder in gleicher Weise kontinuierlich und konsequent gefördert werden. Die Forderung nach einer inhaltlichen und methodischen Qualitätssteigerung der Kindergärten schließt deshalb die Verpflichtung ein, den Elementarbereich drastisch auszubauen.

Kindergarten und Schule

Im künftigen Bildungssystem folgt dem Kindergarten die Eingangsstufe des Primarbereichs, deren Besuch für alle Kinder nach dem 5. Geburtstag bindend sein soll. Die Eingangsstufe im Primarbereich darf jedoch nicht auf Kosten des Ausbaus des Elementarbereichs eingerichtet werden. Vielmehr sind beide Bereiche prinzipiell gleich berechtigt zu erweitern. Beim Nachholbedarf des Kindergartens ist insbesondere auf die derzeitige Diskrepanz zwischen den Arbeitsbedingungen für Erzieher in Kindergärten und den Arbeitsbedingungen in Schulen zu verweisen, die bereits bewirkt, daß die Schule die qualifizierten sozialpädagogischen Kräfte mit Hilfe besserer Besoldung, verminderter Arbeitsbelastung und großzügiger Ferienregelung anzieht. Um der drohenden Gefahr einer weiteren Verschlechterung der Personalsituation des Kindergartens zu begegnen, sollten die Arbeitsbedingungen für sozialpädagogische Kräfte im Elementarbereich allmählich auf das Niveau im schulischen Bereich angehoben werden. Um eine Kontinuität des Erziehungsgeschehens in den verschiedenen Einrichtungen zu sichern, sollten die Ansätze zu einer Zusammenarbeit und gegenseitigen Verständigung von Kindergarten und Grundschule stärker fortentwickelt werden. Die Zusammenarbeit sollte sich auf die Abstimmung der Erziehungsprogramme beider Einrichtungen und auch auf die gegenseitige Beratung bei pädagogischen Problemen im Einzelfall erstrecken. Das gilt besonders in der Übergangszeit bis zur Schaffung der Eingangsstufe im Primarbereich, in der auch die Kindergärten die Aufgabe haben, Förderkurse für die fünf- bis sechsjährigen Kinder einzurichten. Wenn die Eingangsstufe an den Schu¬len eingeführt wird, sollen Fachkräfte aus dem Elementarbereich mitwirken, die auf diesem Gebiet bereits Erfahrungen gesammelt haben. Auf der Ebene der Verwaltung sollte die Zusammenarbeit von Kindergarten und Schule institutionell abgesichert werden. Bei Trennung der Zuständigkeiten sollte die jeweils nicht federführende Gruppe beratend mitwirken.

Ausbau der Institutionen

Das Ziel ist ein zweijähriger Elementarbereich als freiwilliges Angebot für alle Kinder von drei und vier Jahren, dem eine zweijährige Eingangsstufe im Primarbereich folgt. Der statistisch wahrscheinliche Bedarf für einen voll ausgebauten Elementarbereich beträgt zwei Millionen Plätze. In Kindergärten vorhanden sind etwa eine Million Plätze. Mittelfristig (bis 1980) sollte das Ziel eine Gruppenstärke von 20 Kindern mit einem Erzieher beziehungsweise Sozialpädagogen und einer qualifizierten Hilfskraft für jeweils zwei Gruppen angestrebt werden.

Deutscher Bildungsrat (Hrsg.) (1970): Empfehlungen der Bildungskommission: Strukturplan für das Bildungswesen. Stuttgart: Klett, S. 112 sowie 119-120.

Der Kindergarten wird seit dieser Zeit als "Elementarbereich" des Bildungssystems verstanden – allerdings nur dem Namen nach. Auf der Ebene der gesetzlichen Zuständigkeiten blieb die Sonderstellung der frühkindlichen Bildung erhalten: Während etwa die Gestaltung des Schulwesens als Bereich der Kulturpolitik im Wesentlichen den Landeskultusministerien obliegt, gehört der Kindergarten organisatorisch nach wie vor zum Kinder- und Jugendhilfebereich und damit zum Bereich der öffentlichen Fürsorge. Aus der im Strukturplan empfohlenen "Einbeziehung des Kindergartens in das Bildungssystem" ergaben sich lediglich landesgesetzliche Aufforderungen zur Zusammenarbeit von Kindergarten und Schule. Als ein wesentliches Ergebnis der Bildungsreform der 1960er und 1970er Jahre kann allerdings die Verabschiedung von Kindertagesstättengesetzen auf Bundeslandebene genannt werden, wodurch ein höherer Verbindlichkeitsgrad (z.B. zu Fragen der Finanzierung oder der Ausstattung von Kitas) angestrebt wurde. Ein anderes Ergebnis ist in dem quantitativen Ausbau der elementarpädagogischen Einrichtungen zu sehen, in dessen Zuge bis heute eine nahezu flächendeckende Angebotsstruktur entstanden ist. Eine Integration des Kindergartens in das bestehende Bildungssystem erfolgte jedoch nicht.

Frühkindliche Bildung in der DDR

Eine vollkommen andere Entwicklung vollzog sich in der DDR. Hier hatte der Kindergarten einen klaren schulvorbereitenden Charakter. Er gehörte zum Zuständigkeitsbereich des Ministeriums für Volksbildung und bildete die erste Stufe des sozialistischen Schulsystems (siehe Infobox).

InfoboxAuszug aus dem Gesetz zur Demokratisierung der deutschen Schule von 1946

Die demokratische Einheitsschule umfaßt die gesamte Erziehung vom Kindergarten bis zur Hochschule und gliedert sich nach Aufgaben, die aus den gesellschaftlichen Bedürfnissen erwachsen. Sie baut sich nach folgenden Grundsätzen auf:

a) Vorstufe (Kindergarten):
Der Kindergarten gilt als vorschulische Erziehungseinrichtung. Er hat die Aufgabe, die Kinder zur Schulreife zu führen.

b) Grundstufe (Grundschule):
Bei vorhandener Schulreife treten alle Kinder, die drei Monate vor Beginn des Schuljahres das 6. Lebensjahr vollendet haben, in die Grundschule ein. Die Grundschule ist obligatorisch. Sie umfasst acht Klassen […].

Zitiert nach Krecker, Margot (Hrsg.) (1971): Quellen zu Geschichte der Vorschulerziehung. Berlin: Volk und Wissen, S. 355 f.

Die zentrale Aufgabe des Kindergartens bestand darin, die Kinder systematisch auf die Schule vorzubereiten. Um dieses Ziel zu erreichen, aber auch um Frauen an der sozialistischen Produktion zu beteiligen, existierte in der DDR ein nahezu vollständig ausgebautes System der Kindertagesbetreuung – von der Kinderkrippe über den Kindergarten bis zum Hort. Entsprechend dieser Bereiche gab es spezielle Ausbildungsformen für den Beruf der Krippenerzieherin, der Kindergärtnerin und der Hortnerin. Die Ausbildung zur Kindergärtnerin konzentrierte sich auf den Altersbereich der drei- bis sechsjährigen Kinder und dauert ab 1974 drei Jahre.

Ab 1968 gab es in der DDR einen einheitlichen Bildungs- und Erziehungsplan für Kindergärten, der 1985 zum Programm für die Bildungs- und Erziehungsarbeit im Kindergarten erweitert wurde (siehe Infobox). Mit dem Programm für die Erziehungsarbeit in Kinderkrippen existierte ab 1985 auch eine staatliche Planungsvorgabe für die im Gesundheitsbereich angesiedelten Kinderkrippen. In Anbetracht dieser klaren staatlichen Zielvorgaben konnte sich in der DDR – anders als in der Bundesrepublik – keine Trägervielfalt und damit auch keine konzeptionelle Vielfalt der Kindertagesstätten entwickeln.

InfoboxBetonung der Notwendigkeit von Bildungs- und Erziehungsplänen im Kindergarten

Die Ergebnisse der Bildungs- und Erziehungsarbeit in unseren Kindergärten haben bestätigt, daß sozialistische Erziehung ohne Planmäßigkeit, ohne konkrete Zielstellung und Bestimmung des Inhalts der pädagogischen Arbeit nicht möglich ist.
Deshalb ist der Bildungs- und Erziehungsplan des Kindergartens ein wichtiges Mittel, das den Kindergärtnerinnen hilft, den ganzen Tag sinnvoll für die gesunde und allseitige Entwicklung der Kinder zu nutzen.

Regierung der Deutschen Demokratischen RepublikMinisterium für Volksbildung (1970): Bildungs- und Erziehungsplan für den Kindergarten. Berlin: Volk und Wissen, S. 6.

Frühkindliche Bildung: Das Zauberwort der aktuellen Reformdebatte

Nach der ersten bundesdeutschen Vorschulreform in den 1960er und 1970er Jahren, sind seit der Jahrtausendwende die Kindertagesstätten und damit die frühe Kindheit wieder verstärkt in den Blick geraten. Das neue Zauberwort heißt jetzt frühkindliche Bildung. Ausgelöst durch die ernüchternden Ergebnisse der ersten PISA-Studie im Jahr 2000 sollen die Kindertagesstätten nun zu frühkindlichen Bildungseinrichtungen werden. Dabei wird den deutschen Kindertageseinrichtungen im Vergleich mit dem europäischen Ausland ein erheblicher Nachholbedarf zugeschrieben. Dieser bezieht sich auf die Einrichtungsqualität, auf den weiteren Ausbau der Betreuungsplätze und –zeiten sowie auf die Ausbildung der Fachkräfte. Der Umgang mit Heterogenität, Diversität und die damit verbundenen Fragen der Inklusion sowie die Krippenpädagogik stellen weitere aktuelle Herausforderungen für die Kindertagesstätten dar. Daneben gibt es seit einigen Jahren erste Ansätze für Funktionserweiterungen, die beispielsweise darin bestehen, dass sich die Kindertagesstätten zu Familienzentren erweitern und im Sozialraum vernetzen sollen.

In den aktuellen Reformdebatten werden die elementarpädagogischen Einrichtungen immer wieder als frühkindliche Bildungseinrichtungen bezeichnet. Dadurch wird der Eindruck vermittelt, dass die Kindertagesstätten ihren bildungspolitischen Standort innerhalb des Bildungssystems haben. Die außerfamiliale Betreuung kleiner Kinder ist in Deutschland jedoch seit der Zuordnung zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetz im Jahre 1922 ein Teilbereich der Kinder- und Jugendhilfe und damit ein Teilbereich der öffentlichen Fürsorge. Betrieben werden die Kindertageseinrichtungen von Trägern der öffentlichen Jugendhilfe (Städte, Gemeinden und Kreise) und der freien Jugendhilfe (Kirchengemeinden, Wohlfahrtsverbände, Vereine, Elterninitiativen). Das wesentliche Merkmal der Zusammenarbeit zwischen öffentlicher und freier Trägerschaft besteht in dem Prinzip der Subsidiarität (Nachrangigkeit), d.h. die Träger der öffentlichen Jugendhilfe stellen erst dann geeignete Maßnahmen zu Verfügung, wenn diese von keinem freien Träger erfüllt werden. Gleichzeitig gewährt der Gesetzgeber den Trägern der freien Jugendhilfe eine inhaltliche Gestaltungsfreiheit mit dem Ergebnis, dass die deutsche Kita-Landschaft durch konzeptionelle Vielfalt geprägt ist. Die Kindertagesbetreuung kann dabei sowohl in Kindertageseinrichtungen (Krippen, Kindergärten und Horten), als auch in verschiedenen Formen der Kindertagespflege erfolgen.

Elementarpädagogische Bildungs- und Erziehungspläne

Anders als in der Schule gibt es für die Kindertagesstätten keine curricularen Festlegungen. Zwischen 2002 und 2006 wurden jedoch in allen Bundesländern elementarpädagogische Bildungs- und Erziehungspläne veröffentlicht, mit dem Ziel eine gewisse Einheitlichkeit in die konzeptionelle Vielfalt der Kindertageseinrichtungen zu bringen. Ausgangspunkt war auch hier wieder der vergleichende Blick mit dem europäischen Ausland, denn seit 1966 gibt es beispielsweise elementarpädagogische Bildungs- und Erziehungspläne in Finnland und Norwegen, seit 1998 in Schweden, seit 1999 in Schottland und seit 2000 in England. Angestoßen wurde die Einführung der elementarpädagogischen Bildungs- und Erziehungspläne durch einen im Jahr 2002 erlassenen Beschluss der Jugendministerkonferenz, in dem die Kindertageseinrichtungen erstmals als Bildungseinrichtungen verstanden wurden (siehe Infobox).

InfoboxAuszug aus dem Beschluss der Jugendministerkonferenz vom 06./07. Juni 2002:

Über die in diesem Beschluss dargelegten allgemeinen Bildungsaufgaben der Kinder- und Jugendhilfe hinaus, sieht die Jugendministerkonferenz aus aktuellen Gründen die Notwendigkeit – nicht zuletzt ausgelöst durch die aktuelle Bildungsdiskussion und durch die Ergebnisse der PISA-Studie – die besondere Bedeutung des Bildungsauftrags der Einrichtungen der Kinderbetreuung im Vorschulalter zu unterstreichen und auch ihre Verantwortung für ein gelingendes Aufwachsen zu betonen, der nur durch eine Verbindung von Bildung, Erziehen und Betreuen entsprochen werden kann. Dabei kommt der Bildung – auch im Sinne der Förderung der Selbstbildung – eine grundlegende Bedeutung zu. Denn so wie gerade in diesem Alter durch Bildung wichtige Grundlagen für die weiteren Bildungsprozesse und für die Herausbildung von Fähigkeiten für das Lernen und Aneignen komplexer Zusammenhänge gelegt werden können, so können in den Einrichtungen durch eine unzureichende Stimulierung der kindlichen Bildungspotenziale Benachteiligungen verstärkt werden.

Die Jugendministerkonferenz teilt die Auffassung der Sachverständigenkommission des 11. Kinder- und Jugendberichtes der Bundesregierung, dass Kindertagesstätten nicht allein als Spielraum zu verstehen sind und sich auch der Bildung im ganzheitlichen Sinne widmen müssen. […] Sie will mit diesem Beschluss den Stellenwert frühkindlicher Bildungsprozesse und die Bildungsleistungen der Tageseinrichtungen für Kinder hervorheben und – angesichts der neuen Herausforderungen an die Förderung von Kindern – zugleich die Notwendigkeit einer neuen Bildungsoffensive betonen.

[…]

Die Jugendministerkonferenz teilt grundsätzlich die aktuell erhobenen Forderungen nach einer Qualifizierung der Bildungsmöglichkeiten in der frühen Kindheit. […] So hält sie es für wichtig, im Alltag der Kinderbetreuung nach wie vor bestehende Vorbehalte gegen systematisches »Lernen« und strukturierte Bildungsprozesse abzubauen.

Eine besondere Anforderung sieht die Jugendministerkonferenz in einer intensiven Kooperation zwischen Kinderbetreuungseinrichtungen und Grundschulen. Hierdurch können gegenseitige Erfahrungen und Anforderungen ausgetauscht und Erwartungen an den Kindergarten präziser formuliert werden. Die Kooperation verbessert die Möglichkeiten der Grundschule, an den Bildungsprozessen der Kindertagesstätte anzuknüpfen.

[…]

Die Jugendministerkonferenz sieht die Kindertageseinrichtungen in der Pflicht, Kinder nach ihren individuellen Fähigkeiten zu fördern, Lernen frühzeitiger anzusetzen und sich stärker dem Gemeinwesen zu öffnen. Sie fordert die öffentlichen und freien Träger auf, gemeinsam mit den Ländern – den Bildungsauftrag in der Kindertagesbetreuung zu intensivieren, im Rahmen ihrer Möglichkeiten konsequent umzusetzen und neue Wege der Gestaltung von Bildungsprozessen zu initiieren. […]

Jugendministerkonferenz (2002): TOP 4, Bildung fängt im frühen Kindesalter an. Beschluss vom 06./07. Juni 2002. Internetquelle: www.jfmk.de

2004 konkretisierten die Jugendminister zusammen mit den Kultusministern ihre Vorstellungen zur frühkindlichen Bildung in einem Gemeinsamen Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen. In diesem Beschluss wurden die Bundesländer dazu aufgefordert elementarpädagogische Bildungs- und Erziehungspläne zu entwickeln und zu veröffentlichen, auf deren Grundlage die Kindertageseinrichtungen träger- bzw. einrichtungsspezifische Konzeptionen erstellen sollen. Dieser Aufforderung folgten alle Bundesländer. Die damit angestoßene Entwicklung ist vollkommen neu, denn nie zuvor hat es – im Gegensatz zur DDR – in der Bundesrepublik etwas Vergleichbares gegeben.

Anders als in der DDR weisen die aktuellen elementarpädagogischen Bildungs- und Erziehungspläne jedoch eher Empfehlungscharakter auf und verstehen sich als Orientierungshilfe zur pädagogischen Gestaltung der frühkindlichen Bildungsarbeit. Sie sind in enger Absprache mit den freien Trägern der Jugendhilfe entstanden und belassen den Kindertageseinrichtungen einen großen pädagogischen Freiraum. Dadurch wird gewährleistet, dass sich alle frühpädagogischen Konzeptionen, wie zum Beispiel die Waldorfpädagogik, die Montessoripädagogik, der Situationsansatz oder auch die Reggio-Pädagogik, in den Bildungs- und Erziehungsplänen wiederfinden können. Damit stellt sich jedoch die Frage, welchen Zweck die Bildungs- und Erziehungspläne erfüllen sollen bzw. können und ob sie zur Qualitätsverbesserung der Kindertagesstätten tatsächlich einen wesentlichen Beitrag leisten. Gleichzeitig drängt sich die Frage auf, inwiefern die aktuellen Forderungen nach einer Verbindung von Kindergarten und Schule dazu führen könnten, dass zukünftig die konzeptionelle Vielfalt der Kindertagesstätten zugunsten eines einheitlichen und verbindlichen Bildungsplanes aufgegeben wird. Dies wäre jedoch mit einem Autonomieverlust der freien Träger verbunden. Bisher verhielten sich die Träger der freien Jugendhilfe zu den Entwicklungen der gegenwärtigen Reformdebatten erstaunlich schweigsam, allerdings wurde bislang ihre Betätigungsfreiheit auch nicht wirklich angegriffen. So sind die Bildungs- und Erziehungspläne auf der Ebene von Empfehlungen verblieben, ohne Verbindlichkeit und unter Berücksichtigung der konzeptionellen Vielfalt.

Schlussbemerkungen

In den aktuellen Reformdebatten steht die Forderung nach einer Verbindung zwischen Kindergarten und Schule erneut auf der Tagesordnung. So geht es darum zu klären, wie die Kinder in den Kindertagesstätten auf die Schule vorbereitet werden können und in welcher Weise die Schule an vorschulische Bildungsprozesse anknüpfen kann. Den Kindertagesstätten wird damit ein vorschulischer Bildungsauftrag zugeschrieben, der im Kinder- und Jugendhilfegesetz allerdings so nicht zu finden ist. So nennt der Gesetzgeber im Paragraph 22 als Aufgabe der Kindertagesstätten neben Erziehung und Betreuung zwar auch Bildung, allerdings ohne diesen Begriff näher zu bestimmen bzw. diesen in ein Verhältnis zu Schule zu setzen. Von einem vorschulischen Bildungsauftrag des Kindergartens kann also nach wie vor nicht die Rede sein. Allerdings findet sich in den Kita-Gesetzen der Bundesländer häufig der Hinweis, dass der Kindergarten einen eigenständigen Bildungsauftrag habe. Mit dieser Formulierung grenzte sich der Kindergarten ursprünglich von der Schule ab. Im Zuge der aktuellen Reformdebatten, in denen es darum geht, die Bildungsprozesse des Kindergartens mit denen der Schule in eine Verbindung zu bringen, scheint ein Festhalten an der Formulierung des eigenständigen Bildungsauftrages merkwürdig. So soll der Kindergarten einerseits mit der Schule eine fruchtbare Verbindung eingehen und sich andererseits über seine Eigenständigkeit von ihr abgrenzen. Der dadurch erzeugte Widerspruch verlangt eine Klärung der Frage, wie frühkindliche Bildung zu konzipieren ist, ohne dabei eine Abgrenzung zur Schule vornehmen zu müssen. Dabei sollte sich die Bildungsarbeit des Kindergartens jedoch nicht einseitig an der Schule orientieren, sondern auch die Grundschule am Kindergarten.

Weiterführende Literatur

Allen, A. T. (1994): Öffentliche und private Mutterschaft: die internationale Kindergartenbewegung 1840–1914. In: Jacobi, J. (Hrsg.): Frauen zwischen Familie und Schule. Professionalisierungsstrategien bürgerlicher Frauen im internationalen Vergleich. Köln/ Weimar/ Wien: Böhlau Verlag, S. 7–27.

Erning, G./ Neumann, K./ Reyer, J. (Hrsg.) (1987): Geschichte des Kindergartens. 2 Bde. Freiburg: Lambertus

Franke-Meyer, D. (2011): Kleinkindererziehung und Kindergarten im historischen Prozess. Ihre Rolle im Spannungsfeld zwischen Bildungspolitik, Familie und Schule. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Konrad, F.-M. (2012): Der Kindergarten. Seine Geschichte von den Anfängen bis in die Gegenwart. 2., überarb. und aktualisierte Aufl., Freiburg im Breisgau: Lambertus. Reyer, J. (2006): Einführung in die Geschichte des Kindergartens und der Grundschule. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Reyer, J. (2015): Die Bildungsaufträge des Kindergartens. Geschichte und aktueller Status. Weinheim & Basel: Beltz Juventa.

Reyer, J./ Franke-Meyer, D. (Herbst 2015): KlassikerInnen der Pädagogik der frühen Kindheit. Weinheim & Basel: Beltz Juventa.

Wasmuth, H. (2011): Kindertageseinrichtungen als Bildungseinrichtungen. Zur Bedeutung von Bildung und Erziehung in der Geschichte der öffentlichen Kleinkindererziehung in Deutschland bis 1945. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Link zum Bildarchiv zur Bildungsgeschichte: Externer Link: Projekt Pictura Pedagogica

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Dr. Diana Franke-Meyer, geb. 1973, ist Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Elementarpädagogik an der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der Geschichte und aktuellen Entwicklung der öffentlichen Kleinkindererziehung.