Die ungleiche Bürgergesellschaft – Warum soziale Ungleichheit zum Problem für die Demokratie wird
Die Möglichkeiten zum politischen Engagement haben in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen. Allerdings ist auch die soziale Ungleichheit gestiegen: Insbesondere Menschen mit niedrigem Bildungshintergrund wirken immer seltener politisch mit. Warum ist das so und wie lässt sich dem entgegenwirken?
"Decisions are made by those who show up." So lautet das Credo demokratischer Beteiligung, das dem amerikanischen Präsidenten Harry S. Truman zugeschrieben wird. Frei übersetzt bedeutet es: Entscheidungen werden von denjenigen getroffen, die sich daran beteiligen. So banal dieser Satz klingt, verweist er doch auf eine wesentliche Errungenschaft moderner Demokratien: Alle Bürgerinnen und Bürger eines Landes werden an den politischen Entscheidungen, die das Gemeinwohl betreffen, beteiligt: Sie haben das Recht, in freien Wahlen über die Zusammensetzung des Parlamentes oder der Regierung mitzubestimmen, die dann stellvertretend für sie die politischen Programme entwerfen und auf den Weg bringen. Dabei ist der Gang zur Wahlurne aller paar Jahre längst nicht die einzige Möglichkeit, Einfluss zu nehmen. Denn alle Bürgerinnen und Bürger können selbst Mitglied einer Partei werden und deren Wahlprogramme und politische Forderungen direkt mitbestimmen, vorausgesetzt, sie nehmen an den Sitzungen und Diskussionen der Partei teil. Über diese klassischen Formen der Beteiligung hinaus können sie aber auch politischen Verbänden und Initiativen beitreten, beispielsweise Umweltschutzverbänden oder lokalen Bürgerinitiativen. Oder sie engagieren sich eher temporär, etwa in Demonstrationen, Flashmobs oder Onlinekampagnen.
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Bürgergesellschaft
Grundlage dafür bilden die zahlreichen Initiativen und Vereine, die wesentlich vom freiwilligen Engagement getragen werden. Der Begriff wurde im deutschsprachigen Raum insbesondere durch Georg Wilhelm Friedrich Hegel geprägt, der mit Bürgergesellschaft eine eigene Sphäre zwischen Staat und Familie bezeichnet.
Ralf Dahrendorf beschreibt Bürgergesellschaft treffend als das "schöpferische Chaos der vielen, vor dem Zugriff des (Zentral-)Staates geschützten Organisationen und Institutionen". Es handelt sich also um einen gesellschaftlichen Bereich, der Privatsphäre und politische Sphäre verbindet. Damit erklärt sich auch die große Bedeutung der Bürgergesellschaft für die politische Teilhabe, die in den neueren sozialwissenschaftlichen Diskussionen u.a. von Jürgen Habermas thematisiert worden ist.
Er definiert die Bürgergesellschaft als den entscheidenden Ort für einen kollektiven Verständigungsprozess zwischen Menschen, der weder durch die Profitinteressen der Wirtschaft noch durch die Machtinteressen des Staates gelenkt werden darf. Bürgergesellschaft wird somit zum Ort der gelebten Demokratie, wo abseits von Wahlen und Abstimmungen gesellschaftliche Prozesse durch das freiwillige Engagement von Bürgerinnen und Bürgern gestaltet werden können.
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Wie hat sich die politische Beteiligung über die Zeit entwickelt?
Seit Langem lässt sich in Deutschland ein Trend weg von den klassischen Formen der politischen Partizipation hin zu alternativen Formen beobachten. Hierzu ein paar Zahlen:- Die Beteiligung an Bundestagswahlen ist in Deutschland von über 90 Prozent in den 1970er Jahren auf 71,5 Prozent im Jahr 2013 gesunken.
- Konnten alle im Bundestag vertretenen Parteien 1990 noch 3,65 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung als Mitglieder rekrutieren, sind es 2011nur noch 1,86 Prozent. Den größten Mitgliederschwund haben dabei die beiden großen Volksparteien SPD und CDU zu verzeichnen.
- Auch der Anteil an gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern hat in den letzten Jahrzehnten stark abgenommen. Lag der gewerkschaftliche Organisationsgrad 1960 noch bei 34,2 Prozent ist er im Jahr 2000 auf 21,6 Prozent gesunken. Heute liegt er Schätzungen zufolge nur noch bei knapp unter 20 Prozent.
