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Inklusion: eine Schule für alle Kinder? | Bildung | bpb.de

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Inklusion: eine Schule für alle Kinder?

Barbara Kerbel

/ 9 Minuten zu lesen

Unter dem Schlagwort "Inklusion" wird in Politik, Wissenschaft und Praxis darüber diskutiert, ob Kinder mit und ohne Handicap gemeinsam unterrichtet werden sollen. Ein Überblick über kontroverse Fragen und die wichtigsten Stimmen in der Debatte.

Inklusionsklasse an einer Grundschule. Zahlreiche Modellschulen im ganzen Bundesgebiet haben bereits gezeigt, dass Kinder mit und ohne Behinderungen sehr erfolgreich gemeinsam lernen. (© picture-alliance/dpa)

Alle Kinder sollen gemeinsam zur Schule gehen – egal ob sie blind sind oder taub, im Rollstuhl sitzen oder Verhaltensprobleme haben, egal ob sie langsam lernen oder kein Handicap haben. Diese Schule für alle wird unter dem Schlagwort "Inklusion" diskutiert.

Was heißt Inklusion?

Inklusion kommt vom lateinischen Verb "includere", das bedeutet einschließen, enthalten. Der Begriff geht noch über "Integration" hinaus. Während das Prinzip der Integration Kinder mit Behinderungen in ein bestehendes System aufnimmt, verlangt Inklusion, das System zu verändern: Alle Schulen sollen demnach so ausgestattet werden, dass sie jedem Kind gerecht werden können. Das schließt nicht nur Kinder mit Behinderungen ein, sondern auch Kinder, die in Armut leben, schlecht Deutsch sprechen, psychische Probleme oder chronische Krankheiten haben.

Eine inklusive Schule würde für Deutschland die größte Schulreform seit der Einführung der gemeinsamen Grundschule im Jahr 1920 bedeuten. Denn das deutsche Schulsystem ist streng gegliedert. Nach der Grundschule, die in Berlin und Brandenburg sechs und in allen anderen Bundesländern vier Jahre dauert, wurden die Kinder traditionell auf Gymnasien, Realschulen und Hauptschulen verteilt. Kinder mit Behinderungen kommen oft noch während der Grundschulzeit auf Sonder- oder Förderschulen. Zwar wurden in den vergangenen Jahren in vielen Bundesländern integrierte Schulformen geschaffen – zum Beispiel wurden Haupt- und Realschulen zu Sekundarschulen vereinigt und Gemeinschaftsschulen eingerichtet, in denen die Kinder auch weit über die Grundschulzeit hinaus gemeinsam lernen. An der grundsätzlichen Logik der Aufteilung der Schülerinnen und Schüler auf unterschiedlich anspruchsvolle Schultypen hat sich dadurch aber kaum etwas geändert. Das Modell der Inklusion stellt dieses System grundsätzlich infrage.

Die Vereinten Nationen und die deutsche Politik

Im März 2009 trat in Deutschland die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) in Kraft. Interner Link: Artikel 24 der Konvention garantiert das Recht auf inklusive Bildung. Dafür "gewährleisten die Vertragsstaaten ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen (...)", heißt es im Text. Kinder mit Behinderungen dürften nicht vom "allgemeinen Schulsystem" ausgeschlossen werden.

Die Bundesländer müssen die Konvention umsetzen

Bildung ist in Deutschland Aufgabe der Bundesländer. Nicht nur der Bund, auch die Länder haben die UN-BRK unterzeichnet. Sie müssen ihre Schulen nun so reformieren, dass die Vorgaben der Konvention erfüllt werden. Aber was bedeutet ein Schulsystem im Sinn der Konvention? Schon in diesem Punkt herrscht Streit.

Diejenigen, die Inklusion strikt befürworten, darunter Expertinnen und Experten für Völkerrecht, folgern aus dem Vertragstext die vollständige Abschaffung der Sonderschulen. Befürworter des gegliederten Schulsystems argumentieren dagegen, dass die Sonderschulen Teil des allgemeinen Schulsystems seien – und damit zur Inklusion im Sinn der Konvention beitragen.

Verteilung der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf auf die einzelnen Förderschwerpunkte (Interner Link: Mehr dazu...)

Über diese Frage wird in Politik, Wissenschaft und Praxis gestritten. Dabei argumentieren Politikerinnen und Politiker von CDU und CSU meist für das gegliederte System und die Beibehaltung der Sonderschulen, während die aus der SPD, dem Bündnis90/Die Grünen und der Linkspartei eher für gemeinsame Schulen werben. Aber auch innerhalb der Parteien gibt es dazu kontroverse Positionen.

Die Reform hat begonnen

Unterdessen hat die Reform begonnen. In einigen Bundesländern werden bereits Sonderschulen aufgelöst – die Schülerinnen und Schüler werden an Regelschulen eingeschult, die Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen dorthin versetzt. Dabei geht es im ersten Schritt fast überall um Kinder mit Problemen des Lernens, der emotional-sozialen Entwicklung und der Sprache (die sogenannten LES-Förderschwerpunkte). Fast drei Viertel aller Diagnosen entfallen auf diese Förderbereiche, andere Behinderungen wie etwa Seh- und Hörbehinderungen sind viel seltener. Langfristig bedeutet Inklusion aber, dass alle Kinder gemeinsam unterrichtet werden, ungeachtet der Art ihrer Behinderung.

Die Sonderschulpädagogik

Welcher Anteil der Schülerschaft wird an Förderschulen unterrichtet? (Interner Link: Mehr dazu...) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Bei 6 bis 7 Prozent der Schülerinnen und Schüler in Deutschland wird ein sonderpädagogischer Förderbedarf diagnostiziert; das entspricht etwa 500.000 Kindern. Die meisten von ihnen besuchen eine Sonder- oder Förderschule, nur etwa 30 Prozent gehen in eine Regelschule. Dabei gibt es aber sehr große Unterschiede zwischen den Bundesländern.

Eine eigene Schule für jede Behinderungsart

Das Sonderschulsystem ist selbst stark untergliedert. Es gibt unter anderem eigene Schulen für blinde, gehörlose, körperbehinderte, geistig behinderte, lernbehinderte und sprachbehinderte Kinder. Die sonderpädagogischen Lehrkräfte sind speziell für den Umgang mit einzelnen Behinderungen ausgebildet; an den Universitäten gibt es dafür jeweils eigene Lehrstühle. So ist ein sehr differenziertes Parallelsystem entstanden.

Die Kinder sind meist unter sich

Die Betreuung an den Sonderschulen ist intensiv und gilt als fachlich hoch spezialisiert; eine Lehrkraft unterrichtet meist nur wenige Kinder. Diejenigen, die Sonderschulen befürworten, sprechen oft von einem Schutzraum, in dem die Kinder am besten gefördert werden könnten. Die Sonderschulen haben aber einige große Nachteile: Die Kinder mit Behinderungen sind fast immer unter sich. Oft liegen die Schulen am Stadtrand, weit entfernt von den Wohnorten der Kinder. Die Schülerinnen und Schüler werden früh zu Hause abgeholt und abends zurückgebracht. Nur jedes vierte Kind an einer Sonderschule macht einen Schulabschluss; entsprechend schwer ist für die meisten der Weg ins Berufsleben. Wer eine Sonderschule besucht, ist oft gesellschaftlich stigmatisiert – und bleibt es auch später.

Welcher Anteil der Schülerinnen und Schüler bekommt einen sonderpädagogischen Förderbedarf diagnostiziert? (Interner Link: Mehr dazu...) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Der Ausbau der Inklusion soll dabei helfen, diese Nachteile auszugleichen. Damit ändern sich auch die Aufgaben der sonderpädagogischen Lehrkräfte. Wird eine Sonderschule geschlossen, verlieren die Lehrkräfte meist ihren gewohnten Arbeitsplatz und müssen an eine Regelschule wechseln. Dort erwarten sie neue Herausforderungen: größere Klassen, mehr Fachunterricht, Kinder mit vielfältigeren Problemen.

Geht durch Inklusion Fachwissen verloren?

Um diesen Aufgaben gerecht werden zu können, muss die Ausbildung der sonderpädagogischen Lehrkräfte reformiert werden. Viele von ihnen fürchten aber, dass Fachwissen verloren geht, wenn die strikte Spezialisierung gelockert wird. Mit solchen Befürchtungen ist oft auch die Sorge verbunden, Privilegien zu verlieren. Denn zurzeit werden sonderpädagogische Lehrkräfte bezahlt wie Gymnasiallehrerinnen und -lehrer, also deutlich besser als Lehrkräfte an Grundschulen. Gäbe es irgendwann nur noch einen Schultyp, müsste die Politik auch die Bezahlung angleichen. Das weckt Ängste – und Widerstand gegen die Inklusion.

Die Regelschulpädagogik

Viele Lehrkräfte an Regelschulen haben in ihrem Berufsleben bisher nur Schülerinnen und Schüler ohne Behinderungen unterrichtet. Als Folge des Parallelsystems der Schultypen war Inklusion in ihrer Ausbildung bisher kaum ein Thema – und wenn, dann vor allem im Fach Grundschulpädagogik.

Welcher Anteil der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf besucht eine Regelschule? (Interner Link: Mehr dazu...) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Für die Lehrkräfte ändert sich durch Inklusion nicht nur der Arbeitsalltag, sondern auch das Anforderungsprofil. Sie müssen sich auf stärker gemischte Gruppen einstellen, neue Unterrichtsmethoden verwenden – und häufiger im Team arbeiten, mit sonderpädagogischen Lehrkräften, Erzieherinnen und Erziehern sowie Schulhelferinnen und -helfern. In einer sehr gemischten Klasse kann nicht nur frontal unterrichtet werden. Stattdessen muss der Unterricht individueller gestaltet sein. Die Lehrkraft braucht Arbeitsblätter auf verschiedenen Schwierigkeitsniveaus, welche die Schülerinnen und Schüler selbstständig bearbeiten – jede und jeder im eigenen Tempo. Ein Kind mit Konzentrationsproblemen braucht vielleicht öfter eine Pause; eines mit Lernschwierigkeiten mehr Zeit, bis es den Stoff für die Prüfung sicher kann; leistungsstarke Kinder brauchen Extraaufgaben, wenn sie mit dem Unterrichtsstoff schon fertig sind. Das alles muss die Lehrkraft im Blick behalten.

Um dafür Methoden und Fähigkeiten entwickeln zu können, brauchen die Lehrkräfte Fortbildungsangebote und Beratungsmöglichkeiten im Schulalltag. Zurzeit fühlen sich viele von ihnen durch die neuen Aufgaben überfordert.

Die Schulen stellt die Inklusion vor ganz praktische Herausforderungen. So sind viele Gebäude nicht barrierefrei. Viele Schulen haben außerdem viel zu wenig Platz, was die Unterrichtsgestaltung schwierig macht. Denn zum individualisierten Unterricht gehört es auch, die Klassen für einzelne Aufgaben oder Fächer teilen zu können – was ohne zusätzliche Räume nur schwer gelingen kann; in Berlin etwa gibt es Lehrkräfte, die sich für die Kleingruppenarbeit mit ihren Schülerinnen und Schülern im Mehrzweckraum auf den Boden setzen, weil sie keinen freien Raum finden.

Ein großes Problem vieler Schulen ist auch die schwierige Personalsituation. Im Zuge der Einführung der Inklusion haben zwar viele Schulen Sonderpädagogen und Sonderpädagoginnen dazubekommen, welche die Regelschullehrkräfte im Unterricht unterstützen und sich gezielt um Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf kümmern sollen. Tatsächlich haben aber viele Schulen so wenig Lehrkräfte, dass sie die sonderpädagogischen Fachkräfte zum Beispiel brauchen, um kranke Kolleginnen und Kollegen im regulären Unterricht zu vertreten.

Lehrerverbände wie die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) kämpfen aus diesen Gründen vehement für eine bessere Ausstattung der Schulen.

Was kostet Inklusion?

Die Frage nach den Kosten ist sehr umstritten. Zum einen befürchten Lehrkräfte und Eltern, dass Inklusion zum Sparmodell wird – indem die Länder etwa Sonderschulen schließen, ohne in den Ausbau der Regelschulen zu investieren. Denn dieser kostet Geld. Einer Studie der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2012 zufolge kosten allein die zusätzlich benötigten Lehrkräfte bundesweit 660 Millionen Euro pro Jahr. Finanziert werden muss außerdem der barrierefreie Ausbau der Schulen, die Fortbildung der Lehrkräfte sowie Beratungsangebote für Lehrkräfte und Eltern. Jedoch verweisen einige Bildungsexpertinnen und -experten darauf, dass vor allem die Übergangsphase teuer wird; langfristig koste Inklusion nicht mehr als das aufwendige Parallelsystem aus Regel- und Sonderschulen.

Geld oder pädagogische Haltung?

Die Frage der Finanzierung nimmt in der öffentlichen Diskussion um Inklusion breiten Raum ein. Viele sehen in einer besseren personellen und räumlichen Ausstattung der Schulen die Schlüsselfrage, um bei Lehrkräften und Eltern Akzeptanz zu schaffen. Andere wiederum betonen, dass die Grundhaltung der Lehrkräfte mindestens ebenso wichtig sei für das Gelingen von Inklusion: Fehle die grundsätzliche Bereitschaft, sei auch mit der besten Ausstattung wenig zu erreichen. Auch komme in Forderungen darüber, welche Ausstattung Schulen für die Umsetzung von Inklusion brauchen, immer auch die in Lehrerkollegien vorherrschende Haltung gegenüber Inklusion zum Ausdruck: Wer sich für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf nicht zuständig fühlt, wird vermutlich eher fordern, dass im Unterricht durchgehend eine sonderpädagogische Lehrkraft dabei sein muss. Wo aber Kollegien Inklusion zu ihrem eigenen Anliegen machen, sei sie durchaus mit weniger Mitteln umsetzbar – das zeigen viele Beispiele.

Die Wissenschaft: Wo lernen Kinder am besten?

Am besten lernen Kinder dann, wenn ihre Mitschülerinnen und Mitschüler ungefähr die gleichen Fähigkeiten haben wie sie selbst: Dieser Grundsatz galt in Deutschland viele Jahre lang – und viele Bildungspolitikerinnen und -politiker, aber auch Lehrkräfte, etwa vom Deutschen Lehrerverband, sind weiterhin davon überzeugt. Diese Idealvorstellung homogener Lerngruppen ist die Grundlage für das gegliederte deutsche Schulsystem.

Die Inklusion stellt dieses Prinzip radikal infrage. Zahlreiche Modellschulen im ganzen Bundesgebiet haben bereits gezeigt, dass Kinder mit und ohne Behinderungen sehr erfolgreich gemeinsam lernen. Allerdings gibt es in Deutschland bislang nur wenige wissenschaftliche Studien, die den Lernerfolg von Kindern im inklusiven Unterricht ausgewertet haben. Die vorhandenen Studien deuten auf einen Vorteil des gemeinsamen Unterrichtes im Vergleich zu Sonderschulen hin.

So haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Berliner Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) Daten aus dem Bundesländervergleichstest 2011 analysiert. Sie verglichen Schülerinnen und Schüler mit diagnostizierten LES-Förderschwerpunkten, die entweder eine Förderschule oder eine Regelschule besuchten. Das Ergebnis: Kinder mit Förderbedarf, die eine Regelschule besuchten, konnten besser lesen, zuhören und rechnen als die Kinder an einer Förderschule. (Am größten war der Unterschied für die Kinder mit Lernschwierigkeiten. Sie profitierten der Studie zufolge offenbar am meisten vom gemeinsamen Unterricht.)

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Bielefeld in einer ersten Auswertung ihrer Langzeitstudie BiLief zum Lernerfolg von Kindern mit Lernproblemen: Nach den ersten drei Jahren konnten die Kinder im gemeinsamen Unterricht deutlich besser lesen und schreiben als die Kinder an Förderschulen. Die Ergebnisse des bislang weitreichendsten Schulversuchs haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Rostock im Juni 2015 vorgestellt. Im Rahmen des "Rügener Inklusionsmodells" (RIM) wurden zum Schuljahr 2010/2011 auf der Insel Rügen alle Sonderschulklassen für die LES-Förderschwerpunkte abgeschafft und alle Erstklässlerinnen und Erstklässler gemeinsam eingeschult. Die Leistungen der Kinder wurden mit Grundschul- und Förderschulklassen in Stralsund verglichen.

Die Leistungen der inklusiven Klassen auf Rügen entsprachen nach vier Jahren dem landesweiten Leistungsdurchschnitt. Die leistungsschwächsten Rügener Schülerinnen und Schüler erreichten in Mathematik und Deutsch nach drei Jahren den Leistungsstand, den die Stralsunder Vergleichskinder erst nach vier Jahren erzielten. Und: Den Kindern, die im Untersuchungszeitraum im inklusiven Modell lernten, ging es im Durchschnitt besser als den Kindern in der Vergleichsgruppe.

Die Eltern: Die beste Schule für mein Kind

Welche ist die beste Schule für mein Kind? Zu dieser Frage gibt es auch unter Eltern von Kindern mit Behinderungen verschiedene Positionen. Manche wollen ihr Kind unbedingt an einer Regelschule nahe dem Wohnort unterbringen. Oft kämpfen Eltern, auch mithilfe von Behindertenverbänden und Elterninitiativen, bis vor Gericht um einen Schulplatz an einer Regelschule. Andere Eltern haben Angst, ihr Kind könnte in einer Regelschule nicht gut genug gefördert werden, und entscheiden sich daher für einen Platz an einer Sonderschule.

Auf der anderen Seite befürchten viele Eltern von Kindern ohne Behinderung, dass die Regelschulen es nicht schaffen können, Kindern mit und ohne Behinderung gleichzeitig gerecht zu werden. Oft hört man in der Debatte die damit verbundene Sorge, Inklusion gehe zulasten der leistungsstarken Schülerinnen und Schüler.

Eine im Juli 2015 veröffentlichte repräsentative Elternumfrage im Auftrag der Bertelsmann Stiftung hat gezeigt, dass Eltern dem gemeinsamen Unterricht grundsätzlich skeptisch gegenüberstehen: 60 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass Kinder mit Behinderungen in Sonderschulen besser gefördert werden; 51 Prozent glauben, dass Kinder ohne Behinderung im gemeinsamen Unterricht gebremst werden. Allerdings änderte sich die Meinung der Eltern, als sie nach ihren konkreten Erfahrungen gefragt wurden: 68 Prozent der Eltern, deren Kinder inklusive Schulen besuchen, gaben an, dass sie mit der individuellen Förderung ihrer Kinder zufrieden sind. Von nicht-inklusiven Schulen sagten das nur 58 Prozent der Eltern. Das zeigt: Persönliche Erfahrung erhöht die Akzeptanz für Inklusion.

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Barbara Kerbel, geboren 1978, ist Journalistin mit den Schwerpunkten Bildung, Soziales und Gesellschaft. Sie hat in Gießen Diplom-Psychologie studiert und im Anschluss bei der "Süddeutschen Zeitung" volontiert. Seit 2010 arbeitet sie als Autorin und freie Redakteurin in Berlin, unter anderem für den Berliner "Tagesspiegel", das Wirtschaftsmagazin "brand eins" und die Sprachlernzeitschrift "Deutsch perfekt".