Bildungsungleichheiten zwischen den Bundesländern – ein Überblick
Andere Bundesländer, andere Aussichten. Die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen hängen in Deutschland auch davon ab, wo sie zur Schule gehen. Ein Überblick über die wichtigsten Unterschiede.
Der Bildungsstand eines Menschen ist nicht nur in Deutschland in vielerlei Hinsicht zentral für Arbeitsmarkt- und Lebenschancen. Hat man ein Studium abgeschlossen, so ist das Risiko von Arbeitslosigkeit gering und das Einkommen vergleichsweise hoch. Hat man hingegen die Schule nur mit einem Hauptschulabschluss oder sogar ohne einen solchen verlassen, ist es schwer, einen Ausbildungsplatz zu finden. Entsprechend hoch ist dann das Arbeitslosigkeits- und Armutsrisiko. Auch andere wichtige Gesichtspunkte wie etwa Gesundheit und politische Partizipation stehen in engem Zusammenhang mit dem Bildungsstand. Nicht nur Abschlüsse, auch die im Bildungssystem erworbenen Kompetenzen sind für das spätere Leben von großer Bedeutung. Auf grundlegendem Niveau lesen, schreiben und rechnen zu können ist heute mehr denn je Voraussetzung einer vollwertigen gesellschaftlichen Teilhabe.
Spätestens seit PISA ist allgemein bekannt, dass Bildungschancen ungleich verteilt sind: etwa nach sozialer Herkunft, Geschlecht und ethnischer Herkunft. Weniger bekannt ist vielleicht, dass auch das Bundesland, in dem ein junger Mensch zur Schule geht, erheblichen Einfluss auf seine Bildungschancen hat. Im Folgenden zeigen wir anhand von ausgewählten Daten über Schülerkompetenzen, Bildungsbeteiligung, Schulabschlüsse sowie Schulkarrieren, wie sich die Bildungschancen und -ergebnisse junger Menschen zwischen den Bundesländern unterscheiden.
Kompetenzen
Mit den Daten der Ländervergleichsstudien des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) können die Kompetenzstände von Schülerinnen und Schülern aus einzelnen Bundesländern erfasst werden. [1] Die IQB-Vergleichsstudien untersuchen anhand von Kompetenztests, inwieweit Schülerinnen und Schüler die für alle Bundesländer geltenden Bildungsstandards erfüllen.i
Bildungsstandards

Betrachtet man das Niveau der durchschnittlichen Lesekompetenz (getestet 2008/09) in den einzelnen Bundesländern, offenbart sich ein leichtes Süd-Nord-Gefälle. Im Süden Deutschlands zeigen sich tendenziell höhere Lesekompetenzen (Köller u.a. 2010: 6, Abb. 1).

Darüber hinaus lässt sich mit den IQB-Ländervergleichen das Ausmaß von "Kompetenzarmut" in der Schülerschaft bestimmen. Dafür werden die Schülerinnen und Schüler in allen Fachdomänen entsprechend ihrer Testergebnisse einer von fünf Kompetenzstufen zugeordnet. Die Schülerinnen und Schüler, deren Testergebnisse unterhalb der Kompetenzstufe II liegen, lassen sich in Anlehnung an die PISA-Terminologie als "Risikogruppe" definieren. Sie verfügen in der getesteten Fachdomäne über nur elementarste Fähigkeiten, die "einer praktischen Bewährung in lebensnahen Kontexten nicht standhalten" (Deutsches PISA-Konsortium 2001: 363). Betrachtet man den 2012 getesteten Bereich Mathematik, zeigen sich von Bundesland zu Bundesland große Unterschiede im Umfang dieser Risikogruppe (siehe Abb. 2): In den Stadtstaaten, Hessen, dem Saarland und Nordrhein-Westfalen umfasste sie jeweils mehr als 25 Prozent der Schülerschaft, in Sachsen dagegen "nur" 11,5 Prozent (siehe Abb. 2).
Bundesländerunterschiede offenbart die IQB-Vergleichsstudie auch hinsichtlich des Einflusses, den die soziale Herkunft der Schülerinnen und Schüler auf ihre Kompetenzentwicklung ausübt.

Bildungsbeteiligung und Abschlüsse
So sehr Kompetenzunterschiede zwischen den Bundesländern in der Folge von PISA und Co. zum Thema geworden sind, wichtiger ist – zumindest in Deutschland – etwas anderes: der Erwerb eines Bildungsabschlusses. Eine Lehrstelle wird nicht für gute Testergebnisse vergeben, sondern weil der Bewerber oder die Bewerberin einen Schulabschluss mit bestimmten Noten vorweisen kann. Abiturienten bekommen einen Studienplatz in einem begehrten Fach nicht, weil sie bei der IQB-Vergleichsstudie gut abgeschnitten, sondern weil sie eine gute Abiturnote erzielt haben. Doch auch bei den Schulabschlüssen gibt es große Unterschiede zwischen den Bundesländern: Während 2013 in Hamburg 53 Prozent eines Altersjahrgangs die allgemeine oder fachgebundene Hochschulreife erreichten und somit berechtigt waren, an deutschen Universitäten zu studieren, galt dies in Bayern und Sachsen-Anhalt lediglich für 30 bzw. 32 Prozent.


Bundesländerunterschiede kommen übrigens auch bei der Berechnung von Abschlussnoten zum Tragen. Dazu ein besonders markantes Beispiel: Selbst bei gleichen Noten in der gymnasialen Oberstufe und den Abiturprüfungen können aufgrund unterschiedlicher Einbringungsregelungen und Berechnungsgrundlagen je nach Bundesland unterschiedliche Abiturdurchschnittsnoten herauskommen. Im Extremfall kann ein Schüler, der in einem Bundesland mit seinen Noten nicht einmal zur Abiturprüfung zugelassen wird, in einem anderen Bundesland das Abitur mit einer Durchschnittsnote von 1,9 abschließen (Helbig/Nikolai 2015: 227).
Schulkarrieren
Nicht minder problematisch ist die Tatsache, dass Schülerinnen und Schüler im Laufe ihrer Schulkarriere in manchen Bundesländern wesentlich häufiger mit Erfahrungen des Scheiterns konfrontiert sind, als in anderen: So mussten in Bayern im Schuljahr 2013/14 rund 4 Prozent der Schülerschaft eine Klasse wiederholen, in Sachsen und Schleswig-Holstein waren es mit 1,5 Prozent weniger als halb so viele (siehe Abb. 6).
Fazit
Je nachdem, welche Dimension man betrachtet, schneiden die Bundesländer unterschiedlich gut ab. Mal gehört ein Bundesland zu den "Gewinnern", mal zu den "Verlierern". Das bedeutet aber auch, dass die Bildungs- und Lebenschancen von Schülerinnen und Schülern in ganz erheblichem Maße davon abhängen, in welchem Bundesland sie zur Schule gehen. Über die Prozesse und Mechanismen, die diese ungleichen Bildungschancen hervorbringen, wissen wir allerdings noch immer relativ wenig. Denn in der Bildungsforschung wurde der Bundesländervergleich bislang stark vernachlässigt. Hier ist in Zukunft mehr Forschung nötig.[Eine Diskussion möglicher Ursachen für Bundesländerungleichheiten in der Bildung findet sich in diesem Beitrag.]
Literatur
Deutsches PISA-Konsortium (Hrsg.) (2001): PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich. Opladen: Leske + BudrichHelbig, M. & Nikolai, R. (2015): Die Unvergleichbaren. Der Wandel der Schulsysteme in den deutschen Bundesländern seit 1949. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Abrufbar online: http://www.pedocs.de/volltexte/2015/11095/pdf/Helbig_Nikolai_ 2015_Die_Unvergleichbaren.pdf
Köller, O., Knigge, M. & Tesch, B. (Hrsg.) (2010): Sprachliche Kompetenzen im Ländervergleich. Befunde des ersten Ländervergleichs zur Überprüfung der Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss in den Fächern Deutsch, Englisch und Französisch. Zusammenfassung. Abrufbar online: https://www.iqb.hu-berlin.de/laendervergleich/LV08_09
Pant, H. A., Stanat, P., Schroeders, U., Roppelt, A., Siegle, T., & Pöhlmann, C. (Hrsg.) (2013): IQB-Ländervergleich 2012. Mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenzen am Ende der Sekundarstufe I. Münster/New York/München/Berlin: Waxmann. Abrufbar online: https://www.iqb.hu-berlin.de/laendervergleich/lv2012/Bericht
Statistisches Bundesamt (2014a): Fachserie 11 Reihe 4.3.1. Nichtmonetäre hochschulstatistische Kennzahlen 1980-2013. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt.
Statistisches Bundesamt (2014b): Fachserie 11.1 – Allgemeinbildende Schulen. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt.