Qualitätssicherung in der betrieblichen Bildung: Komplexe Anforderungen an alle Akteure
Die duale Berufsausbildung gilt als erfolgreiches Modell der Fachkräftesicherung. Die Qualitätsentwicklung in der betrieblichen Berufsausbildung kann jetzt dank einer Modellversuchsreihe von vielfältigen Anstößen und transferierbaren Ergebnissen profitieren.
Die Passungsprobleme auf dem Ausbildungsstellenmarkt haben sich 2014 weiter vergrößert. Die Erhebung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) über neu abgeschlossene Ausbildungsverträge ergab, dass "insgesamt 37.100 der von der Bundesagentur für Arbeit registrierten Ausbildungsstellen bis zum Bilanzierungsstichtag 30. September nicht besetzt werden" konnten, während 81.200 registrierte Ausbildungsstellenbewerber unversorgt waren. [1]
Die Vertragslösungsquote ist hoch.[2] Die duale Berufsbildung steht heute vor der doppelten Aufgabe, einerseits schwächere Bewerber(innen) zu integrieren, andererseits – im Wettbewerb mit akademischen Bildungsgängen – Leistungsstärkeren attraktive Angebote zu machen. Das stellt hohe Anforderungen an die Qualitätsentwicklung. Um die Bereitstellung hochwertiger Lernangebote muss es dabei ebenso gehen wie um die Aufnahmefähigkeit des Systems – es gilt, alle mitzunehmen.[3]
Vielfältige Anstöße und transferierbare Ergebnisse zur "Qualitätsentwicklung und -sicherung in der betrieblichen Berufsausbildung" hat der gleichnamige BIBB-Förderschwerpunkt erbracht, der in den Jahren 2010 bis 2014 mit zehn Modellversuchen unter Beteiligung von rund 390 Betrieben durchgeführt wurde.[4] Der vorliegende Artikel gibt einen Überblick über die Qualitätssicherung in der betrieblichen Bildung im deutschen dualen System, stellt dann einige zentrale Modellversuchsergebnisse vor und umreißt abschließend kurz, welche bildungspolitischen Aufgaben sich bei der Weiterentwicklung der Systemqualität stellen.
Qualität durch Dualität
Schon hinter der bildungspolitischen Entscheidung für eine dual strukturierte, auf dem Prinzip der Beruflichkeit basierende Ausbildung stehen dezidierte Qualitätsvorstellungen. Mit seiner starken betrieblichen Säule integriert das duale System Lehren und Lernen in Anwendungszusammenhänge: Handlungskompetenz soll in Handlungskontexten entwickelt werden. Das sichert die Bedarfs- und Realitätsnähe der Lehr-Lernarrangements, wirkt motivierend, weil die Praxisrelevanz des Gelernten unmittelbar erfahrbar wird, und bietet Vorteile für Lernende, denen schulische Lernformen Schwierigkeiten bereiten. Gesetzlich fixiertes Ziel ist es, "die für die Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit in einer sich wandelnden Arbeitswelt notwendigen beruflichen Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten (berufliche Handlungsfähigkeit)" zu vermitteln.[5]Vereinheitlichung und Standardisierung der arbeitsprozessintegrierten Ausbildung wurden im vergangenen Jahrhundert entscheidend durch Initiativen der Wirtschaft vorangetrieben.[6] Eine staatliche "Regelung des Lehrlingswesens" wurde vor allem von gewerkschaftlicher Seite bereits im Deutschen Reich gefordert, kam jedoch trotz einiger Gesetzesinitiativen nicht zustande. In der Bundesrepublik wurde die Ordnungsarbeit für die berufliche Bildung bis 1969 vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHT), dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) betrieben, dann auf Grundlage des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) unter gleichgewichtiger Mitwirkung von staatlichen Akteuren sowie Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern vom Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung (seit September 1976: Bundesinstitut für Berufsbildung) koordiniert. In einem moderierten Prozess entstehen so bis heute verbindliche Ausbildungsordnungen, die, dem Prinzip der Beruflichkeit verpflichtet, auf die Vermittlung von Handlungskompetenz in breit angelegten Tätigkeitsfeldern angelegt sind.
Als weiteres qualitätssicherndes Element auf Systemebene ist die Berufsschule zu nennen. Der Berufsschulunterricht im Umfang von mindestens zwölf Wochenstunden soll die betriebliche Ausbildung unterstützen, aber auch "kompensierend" und "ergänzend" wirken. Zu seinen Aufgaben zählen der Ausgleich von Defiziten der Auszubildenden etwa in der Beherrschung ausbildungsrelevanter Kulturtechniken, ihre Weiterentwicklung mit Blick auf berufliche Anwendungszusammenhänge und das "systematische, theoretisch gesteuerte" Lernen, das sich beim Lernen in Handlungssituationen nicht durchgehend sicherstellen lässt. "Kompensation" und "Ergänzung" stehen im Vordergrund, wenn die Berufsschule nicht unmittelbar berufsbezogene allgemeinbildende Inhalte vermittelt und sich um die Stärkung von staatsbürgerlicher Verantwortung, extrafunktionalen Kompetenzen und Berufsidentität bemüht.[7]
Qualitätssicherung im dualen System
Die beschriebenen systemischen Entscheidungen machen Ausbildungsqualität aber noch nicht zum Selbstläufer, bedeutet die große Stärke des Lernens im Arbeitsprozess doch zugleich eine beträchtliche Herausforderung für alle Akteure.[8] Angesiedelt "im Spannungsfeld betriebswirtschaftlicher und pädagogischer Logiken", muss es "unter den Perspektiven von ‚Gewinnorientierung‘ und ‚Bildungsorientierung‘ gestaltet werden".[9] Schon die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen ist in hohem Maße abhängig von der wirtschaftlichen Situation der Betriebe,[10] was immer wieder zu Marktungleichgewichten führt.[11] Ausbildungserfordernisse sind mit Zwängen und Handlungsdruck der betrieblichen Praxis auszubalancieren. Wo dies nicht geschieht, ist die Ausbildung gekennzeichnet durch mangelhafte Planung und Organisation und wird nur mit geringer Intensität betrieben.[12]Dabei sind Organisation und Gestaltung des Lernens im Arbeitsprozess anspruchsvolle Aufgaben. Längst hat die konzeptionelle Entwicklung handlungsorientierter Ansätze vom einfachen Schematismus der sogenannten Beistelllehre mit den Phasen "Vormachen" und "Nachmachen" über die Vier-Stufen-Methode ("Vorbereiten – Vormachen/Erklären – Nachmachen und erklären lassen – Selbstständig anwenden") zum Konzept der vollständigen Handlung ("Informieren – Planen – Entscheiden – Ausführen – Kontrollieren – Auswerten") geführt. Findet Lernen im Arbeitsprozess weitgehend selbstständig oder gar projektförmig statt, haben Ausbildende die Rolle von Moderatoren und Lernbegleitern zu übernehmen.[13]
Der Gesetzgeber sieht sich vor der Aufgabe, die betriebliche Ausbildung in einer Weise zu regeln, die das öffentliche Interesse, das sich auf sie richtet, angemessen zur Geltung bringt, ohne die betriebliche Ausbildungsbereitschaft zu untergraben,[14] also das Verhältnis der beiden "Logiken" betrieblicher Ausbildung auch ordnungspolitisch auszubalancieren. Gesetzliche Vorkehrungen betreffen zunächst die Sicherung elementarer Voraussetzungen einer geregelten betrieblichen Ausbildung.[15] So darf nach §28 BBiG nur ausbilden, wer das Kriterium der persönlichen und fachlichen Eignung erfüllt, und es muss im Ausbildungsbetrieb eine(n) gemäß Ausbilder-Eignungsverordnung (AEVO) geprüfte(n) Ausbildende(n) geben.[16] Weiterhin sind zu nennen: die Feststellung der Eignung von Ausbildungsstätten (§27 BBiG), die Verpflichtung, "die Zahl der Auszubildenden in einem angemessenen Verhältnis zur Zahl der Ausbildungsplätze oder zur Zahl der beschäftigten Fachkräfte" zu halten (ebd.), die Überwachung und Beratung ausbildender Betriebe durch die zuständige Stelle (§76 BBiG) und die Verpflichtung, "Auszubildende (…) zum Führen von schriftlichen Ausbildungsnachweisen anzuhalten, soweit solche im Rahmen der Berufsausbildung verlangt werden, und diese durchzusehen" (§14 BBiG). Die Vorgaben der Ausbildungsordnung sind gemäß §11 (1) BBiG in einen betrieblichen Ausbildungsplan zu überführen, der unmittelbarer Bestandteil des Ausbildungsvertrags wird. Das Prüfungswesen (§§37–50a BBiG) wird von den "zuständigen Stellen" verantwortet. Für Industrie und Handel sowie das Handwerk sind das die jeweiligen Kammern. Mit dem – anderen Bildungsbereichen fremden – Prinzip "Wer lehrt, prüft nicht" wurde gegenüber den ausbildenden Betrieben ein weiteres Kontrollelement etabliert.
Für den Fall, dass Betriebe den Anforderungen, die eine Ausbildung an sie stellt, mit den vorhandenen Ressourcen nicht entsprechen können, wurden Unterstützungsmöglichkeiten geschaffen. Dazu gehören überbetriebliche Ausbildungszentren, die als "dritter Lernort" Ausbildungselemente übernehmen, die beispielsweise kleinere Unternehmen nicht abzudecken vermögen,[17] Ausbildungsverbünde, die Betriebe gemäß §10 (5) BBiG mit anderen Betrieben eingehen können, wenn sie einzelne Ausbildungsabschnitte nicht anbieten können,[18] und Externes Ausbildungsmanagement als ergänzende Dienstleistung Dritter.[19]
Ausbildungsbegleitende Hilfen können von förderungsbedürftigen jungen Menschen gemäß §75 Sozialgesetzbuch III wahrgenommen werden. Es handelt sich um Maßnahmen "1. zum Abbau von Sprach- und Bildungsdefiziten, 2. zur Förderung fachpraktischer und fachtheoretischer Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten und 3. zur sozialpädagogischen Begleitung". Sie übernehmen kompensatorische Funktionen, die die Betriebe und Berufsschule überfordern würden, jedoch für den Ausbildungserfolg erforderlich sind.
Als aktuelle Initiative ist das (bislang in Projekten erprobte) Modell der Assistierten Ausbildung zu nennen, das die Förderung einer individualisierten Betreuung von Ausbildung durch Bildungsdienstleister gemäß den Problemlagen von Auszubildenden und Betrieben vorsieht. Es soll vom Ausbildungsjahr 2015/2016 an zunächst befristet bis 2018 umgesetzt werden, um mehr benachteiligten jungen Menschen einen Berufsabschluss zu ermöglichen.
Da die betriebsnahe Ausbildung auf Lösungskonzepte für neue Problemlagen und berufspädagogische Innovationen angewiesen ist, diese aber unter dem Handlungsdruck der betrieblichen Praxis kaum beziehungsweise nur unter Sonderbedingungen entwickelt werden können, wurden als Qualitätsentwicklungsinstrumente im deutschen dualen System auch Modellversuche vorgesehen. Ihre Förderung ist – "einschließlich wissenschaftlicher Begleituntersuchungen" – gemäß §90 (3) BBiG ebenfalls Aufgabe des BIBB.[20]
Last, not least ergreifen die Betriebe selbst Maßnahmen zur Qualitätssicherung in der Ausbildung. Sie nutzen unter anderem Selbsteinschätzungen der Auszubildenden, Checklisten zur Kontrolle vermittelter Ausbildungsinhalte, Einführungsprogramme für neue Auszubildende, Leitlinien für die Unterweisung von Auszubildenden oder regelmäßige Ausbilderrunden. Einige dieser Instrumente finden einer BIBB-Befragung zufolge in deutlich über der Hälfte der Betriebe Anwendung.[21] Es bestehen jedoch nach wie vor erhebliche Qualitätsunterschiede je nach Wirtschaftsbereich, Branche, Ausbildungsberuf und Betriebsgröße. Führend in Sachen Ausbildungsqualität sind die Großbetriebe, wie regelmäßig beispielsweise der Ausbildungsreport des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) auf der Basis von Auszubildendenbefragungen feststellt.[22] Eine in Bremen durchgeführte Regionalstudie kam zu ähnlichen Ergebnissen. Bemerkenswerterweise wurde hier aber auch ermittelt, dass die Auszubildenden in Kleinstbetrieben – unter anderem wegen der besseren Kommunikationsmöglichkeiten – zufriedener waren als diejenigen in Kleinbetrieben mit zehn bis 49 Mitarbeitenden.[23] Branchendifferenzierungen lassen sich aus der Vertragslösungsquote erschließen, auch wenn diese nicht nur von der Ausbildungsqualität, sondern auch von Faktoren wie der Attraktivität der jeweiligen Zielberufe abhängt.[24]