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Politisch Handeln: Ziel und Inhalt der politischen Bildung? | Bildung | bpb.de

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Politisch Handeln: Ziel und Inhalt der politischen Bildung?

Kerstin Pohl

/ 9 Minuten zu lesen

Demokratie bedeutet Volksherrschaft: Die Bürgerinnen und Bürger als Souverän üben die politische Macht aus. Heißt das, dass sie alle politisch handeln sollen? Folgt daraus, dass die politische Bildung die Aufgabe hat, sie zum politischen Handeln zu befähigen – und sie auch dazu zu bewegen?

Graffiti: Widerstand Systemdefekt (© TimToppik / www.photocase.de )

Politisches Handeln als Ziel der politischen Bildung wird kontrovers beurteilt. Noch kontro-verser sind die Ansichten zur Frage, ob politisches Handeln auch schon im Rahmen von Seminaren oder im Unterricht zur politischen Bildung stattfinden sollte.

Hier wird unter politischem Handeln "ein zielgerichtetes Verhalten der Bürger/-innen mit Bezug auf Politik und politische Entscheidungen" verstanden (Pickel 2012, S. 40). Politisches Handeln ist damit etwas anderes als soziales Handeln: Wenn Schülerinnen und Schüler im Rahmen von Projekten zum Service-Learning zum Beispiel in ein Altenheim gehen, den Senioren vorlesen oder ihnen den Umgang mit dem PC beibringen, ist das zunächst soziales Handeln. Erst wenn die Schüler/-innen öffentlich die strukturellen Verhältnisse in dem Altenheim thematisieren, zum Beispiel indem sie die Anzahl der Pflegekräfte im Verhältnis zu den Senioren kritisieren, handeln sie politisch (vgl. Nonnenmacher 2011, S. 93).

Politisches Handeln als Ziel der politischen Bildung

Es ist unstrittig, dass eine Demokratie Bürgerinnen und Bürger braucht, die politisch handeln. Allerdings gibt es unterschiedliche Ansichten zu der Frage, wie viele aktiv handelnde Bürger/-innen eine Demokratie braucht und wie viele sie überhaupt vertragen kann. Neben dem pragmatischen Argument, dass außerhalb kleiner politischer Einheiten - wie etwa einem Dorf - direkte politische Mitwirkung für eine große Zahl an Bürgerinnen und Bürgern oder gar für alle praktisch nicht zu organisieren ist, hängt die Antwort auf diese Frage auch vom Demokratieverständnis und vom Menschenbild ab.

Vereinfacht gesagt gehen Anhänger/-innen einer "repräsentativen Demokratie" davon aus, dass die Mehrheit der Bürger/-innen weder über das notwendige Interesse noch über die notwendigen Kompetenzen verfügt, die Politik aktiv mitzubestimmen. Ein demokratisches System, in dem nur die wirklich interessierten und kompetenten Bürger/-innen sich in Parteien engagieren und einige zu Berufspolitikerinnen und -politikern werden, erscheint vor diesem Hintergrund ideal. Befürworter/-innen einer repräsentativen Demokratie erwarten von den gewählten politischen Eliten rationalere und effektivere Entscheidungen als von den "Normalbürgern" und sind der Meinung, für diese reichten die regelmäßig stattfindenden Wahlen als Mittel der politischen Partizipation aus.

Die Anhänger/-innen einer "partizipativen Demokratie" glauben hingegen, dass möglichst viele Bürger/-innen die Politik an möglichst vielen Stellen aktiv mitgestalten sollten. Sie trauen dies den Menschen zu und gehen außerdem davon aus, dass sie durch die aktive Mitgestaltung der Politik ihre politischen Kompetenzen noch stärken können. Sie erhoffen sich durch eine breitere Partizipation auch bessere Ergebnisse der Politik, weil so die Interessen, Werte und Potenziale von deutlich mehr Menschen bei den politischen Entscheidungen zum Tragen kommen. Sie möchten daher bestehende Mitwirkungsmöglichkeiten ausbauen, z. B. durch den verstärkten Einsatz von Bürgerforen oder den Ausbau der Volksgesetzgebung.

Diese Ausführungen verdeutlichen, dass die Vorstellung über die Frage, welche Rolle das politische Handeln als Ziel der politischen Bildung spielen sollte, immer von den demokratietheoretischen Grundannahmen abhängt.

In der Politikdidaktik wurden deshalb unterschiedliche "Bürgerleitbilder" als mögliche Ziele der politischen Bildung diskutiert (vgl. Breit/Massing 2002):

  • "Reflektierte Zuschauer/-innen" informieren sich regelmäßig über Politik und sind in der Lage, rational begründete Wahlentscheidungen zu treffen.

  • "Interventionsfähige Bürger/-innen" engagieren sich darüber hinaus punktuell in der Politik, immer dann, wenn ihre eigenen Interessen besonders betroffen sind.

  • "Aktivbürger/-innen" engagieren sich dauerhaft und Politik ist ein wesentlicher Bestandteil ihres Lebens.

Welche Konsequenzen haben diese Bürgerleitbilder für die praktische politische Bildung?

Es ist offensichtlich, dass die drei Typen von Bürgerinnen und Bürgern jeweils unterschiedliche "Kompetenzen" benötigen.

  • "Reflektierten Zuschauer/-innen" brauchen vor allem Wissen über politische Inhalte; sie müssen das Gefüge der politischen Institutionen kennen und wissen, wie politische Prozesse innerhalb des politischen Systems ablaufen.

  • "Interventionsfähigen Bürger/-innen" müssen darüber hinaus wissen, an welchen Stellen und mit welchen Mitteln sie sich politisch beteiligen können. Sie brauchen kommunikative und strategische Fähigkeiten, um sich einzubringen.

  • "Aktivbürger/-innen" benötigen neben politischem Wissen und politischen Fähigkeiten vor allem eins: die Motivation, dauerhaft viel Zeit und Energie für politisches Engagement aufzubringen.

Welche dieser Kompetenzen soll nun die politische Bildung vermitteln?

Anhänger/-innen der repräsentativen Demokratie setzen vor allem auf die Vermittlung von politischem Wissen. Anhänger/-innen der partizipativen Demokratie sind hingegen der Meinung, politische Bildung müsse auch kommunikative und strategische Fähigkeiten fördern, und ihre Adressaten zum Engagement motivieren. Hier deutet sich an, dass die demokratietheoretischen Vorstellungen auch Konsequenzen für die Wahl der Methoden der politischen Bildung haben: Für die Ausbildung interventionsfähiger Bürger/-innen und Aktivbürger/-innen sind handlungsorientierte Methoden, bei denen die notwendigen Kompetenzen zum Mitmachen schon im Bildungsprozess gefördert werden, besonders wichtig.

Die Diskussion über die Bürgerleitbilder fand vor allem im Rahmen der schulischen politischen Bildung statt. Die Politikdidaktiker/-innen haben hier sehr unterschiedliche Positionen. Wolfgang Sander beispielsweise ist der Meinung, man dürfe Schülerinnen und Schülern kein Bürgerleitbild vorgeben: "In der Demokratie gibt es eine Vielzahl legitimer Bürgerrollen […]. Politische Bildung hat hier die Aufgabe, Menschen darin zu unterstützen, je für sich ihre eigene Bürgerrolle zu finden" (Sander 2008, S. 49). Andere Autoren wie beispielsweise Paul Ackermann plädieren dagegen für die Vorgabe eines Bürgerleitbildes: "Anstatt eines politischen Dauerengagements halte ich den politischen Interventionsbürger für ein realistisches Ziel. […] Die Schülerinnen und Schüler sollten demnach im Unterricht nicht nur lernen, über politische Ereignisse und Probleme zu urteilen, sondern auch, wie sie sich selbst in die Politik einmischen können, um ihre oder auch die Interessen anderer zu vertreten" (Ackermann 2004, S. 95).

Paul Ackermann argumentiert nicht demokratietheoretisch, sondern pragmatisch. Pragmatische Argumente vertreten auch viele andere Politikdidaktiker und/-Politikdidaktikerinnen, denn für den Politikunterricht stehen nur wenige Stunden zur Verfügung und es scheint kaum realisierbar, viele Schülerinnen und Schüler in dieser kurzen Zeit zu Interventions- oder sogar Aktivbürger/-innen zu machen.

Politisches Handeln im Rahmen der politischen Bildung

Die zweite Kontroverse im Zusammenhang mit dem politischen Handeln dreht sich um die Frage, ob auch schon im Rahmen von Seminaren oder im Unterricht zur politischen Bildung reales politisches Handeln stattfinden sollte. Frank Nonnenmacher fragt: "Welche Möglichkeiten bestehen legitimerweise, wenn eine Lerngruppe (oder ein nennenswerter Teil von ihr) am Ende einer intensiven Beschäftigung mit einem umstrittenen Thema […] zu der Auffassung gelangt, die Sache dürfe nicht mit einem gut begründeten Urteil stehen bleiben, vielmehr müssten auch die Konsequenzen nicht nur erörtert, sondern praktisch angegangen werden"? (Nonnenmacher 2010, S. 466).

Der außerschulische politische Bildner Benedikt Widmaier spricht sich für politisches Handeln im Rahmen politischer Bildung aus: Zur politischen Bildung gehöre auch die "Anregung und Begleitung von politischer Aktion" (Widmaier 2011, S. 145), weil nur so die zur Partizipation notwendigen Fähigkeiten trainiert würden. Zudem könnten die Lernenden dabei Selbstwirksamkeits-Erfahrungen machen: Sie erfahren, dass sie durch ihr Handeln die Politik beeinflussen können und diese Erfahrung werde zum "Motor" für weitere, eigenständige politische Partizipation (ebd., S. 148).

Der Politikdidaktiker Joachim Detjen ist demgegenüber skeptisch: Die "zum politischen Handwerk gehörenden Handlungen lernt man in Parteien, Verbänden und Bürgerinitiativen, also im realen politischen Leben. Was die Schule hingegen tun kann, ist, kognitive Voraussetzungen für späteres politisches Handeln zu schaffen, mithin über die verfassungsrechtlich zulässigen politischen Beteiligungsmöglichkeiten zu informieren" (Detjen 2012, S. 235). Auch er sieht Gelegenheiten zum politischen Handeln, die sich aus dem Unterricht ergeben, diese seien aber darauf beschränkt, "dass eine Klasse auf Probleme in der Gemeinde aufmerksam macht oder in Planungen der Gemeinde interveniert" – zum Beispiel bei Spielplätzen oder Freizeitanlagen (Detjen 2012, S. 235).

Auch die Politikdidaktikerin Monika Oberle ist zunächst zurückhaltend und schreibt: "Politische Partizipation als Messlatte für erfolgreichen Unterricht verträgt sich schlecht mit dem ersten der Beutelsbacher Prinzipien, dem Überwältigungsverbot. Freiheit mündiger Bürger/-innen bedeutet auch Freiheit zum Nicht-Handeln […]. Wer das Gegenteil behauptet, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, die Lernenden überwältigen zu wollen". Gerade im schulischen Kontext könnten die Leistungsbewertung und gruppendynamische Prozesse "die freie Handlungsentscheidung einzelner Lernender" einschränken. Monika Oberle sieht Ausnahmen zum Beispiel bei politischen Aktionen zur "Verteidigung der grundlegenden Normen des Grundgesetzes" oder wenn die Schüler/-innen die Möglichkeit haben, parallel alternative Partizipationsgelegenheiten zu nutzen und zwischen diesen zu wählen, etwa in Form unterschiedlicher Online-Petitionen (Oberle 2013, S. 159).

Gegen die Argumente zur besonderen Wirksamkeit realer politischer Partizipation wird in der Politikdidaktik häufig auf die Möglichkeit des simulativen Handelns verwiesen: Auch handlungsorientierte Makromethoden wie Planspiele oder die Simulation von Talkshows können nach Ansicht vieler Politikdidaktiker/-innen die methodischen, strategischen und kommunikativen Kompetenzen fördern, die zur politischen Partizipation notwendig sind und somit Selbstwirksamkeitserfahrungen ermöglichen.

Frank Nonnenmachers eingangs zitierte Frage, wie Lehrende reagieren sollen, wenn der Wunsch zur politischen Partizipation von den Lernenden selbst geäußert wird, ist damit aber noch nicht beantwortet. Er selbst plädiert für das politische Handeln der Schülerinnen und Schüler, formuliert aber klare Bedingungen: "Das sich aus dem Unterricht heraus ergebende politische Engagement muss erstens auf einer möglichst breiten Wissensbasis in Bezug auf das Thema erfolgen. Eine Sachanalyse muss vorausgehen. Zweitens muss die eigentliche Aktion für jeden einzelnen Teilnehmenden, Lehrer wie Schüler, absolut freiwillig sein, d.h. in aller Regel auch außerhalb der offiziellen Unterrichtszeit. Abstinenzen dürfen nicht diffamiert oder sanktioniert werden. Drittens muss eine demokratische Öffentlichkeit hergestellt werden. Sie sorgt für die damit verbundene sichtbare Verantwortungsübernahme der ‚Aktivisten‘ und für ein Klima der Diskursivität, das die Persönlichkeit entwickelt und weitere Lernanlässe begründet" (Nonnenmacher 2010, S. 466). Sind diese Bedingungen erfüllt, so ist die politische Aktivität der Schüler/-innen nach Ansicht von Frank Nonnenmacher "nicht nur legitim, sondern im Sinne einer aufklärerischen und kritischen politischen Bildung erwünscht" (Nonnenmancher 2011, S.96).

Politisches Handeln in der außerschulischen politischen Bildung

Die außerschulische politische Bildung hat eine ganz andere Tradition als die schulische politische Bildung – die "Aktionsorientierung" ist Teil ihrer Geschichte. Nicht nur politisch ausgerichtete Bildungsträger wie Gewerkschaften oder parteinahe Stiftungen, sondern sogar die Volkshochschulen verstanden sich als Teil der politischen Öffentlichkeit. So gehörten in Volkshochschulen in den 1970er-Jahren zum Beispiel "Stadtteilarbeit" in Form der Unterstützung oder sogar Gründung kommunalpolitisch aktiver Bürgerinitiativen sowie "Zielgruppenarbeit", die der Solidarisierung mit Frauen, Lehrlingen, Arbeitslosen oder anderen benachteiligten Gruppen galt, vielerorts zum Selbstverständnis. Schon damals gab es allerdings Kritik an dieser Aktionsorientierung, die später dann zunahm: Die Trennung von Lernen und Handeln, von Aktion und Reflexion wurde immer stärker eingefordert (vgl. Hufer 2012, S. 324-329).

Trotzdem spielt das politische Handeln in der außerschulischen politischen Bildung auch heute noch eine größere Rolle als in der schulischen politischen Bildung. Die Gefahr der Indoktrination ist geringer, weil die Teilnehmenden erwachsen sind und freiwillig kommen, weil sie den Veranstaltungen jederzeit wieder fern bleiben können und weil sie keine Zensuren erhalten. Die außerschulische politische Bildung kann deshalb auch heute noch die Chance ergreifen, "in einer durch Pluralisierung, Vielfalt und Differenz sowie der daraus resultierenden Unübersichtlichkeit gekennzeichneten politischen Kultur gestaltend und vermittelnd zu wirken" (Beer 2004, S. 43). Sie kann einen Teil der politischen wirksamen demokratischen Öffentlichkeit bilden, denn "sie gibt den Raum ab, indem die neuen politischen Themen und Forderungen artikuliert, begründet und verteidigt werden" (Massing 2011, S. 161).

Literatur

Paul Ackermann, "Der interventionsfähige Bürger scheint mir ein realistisches Leitbild für die politische Bildung zu sein", in: Kerstin Pohl (Hrsg.), Positionen der politischen Bildung 1. Ein Interviewbuch zur Politikdidaktik, Schwalbach/Ts. 2004, S. 88-103.

Wolfgang Beer, "Eine thematisch begründete Erweiterung der politischen Bildung ist die systematische Ausweitung der Interdisziplinarität um den Bereich der Naturwissenschaften und der Technologieentwicklung", in: Klaus-Peter Hufer/Kerstin Pohl/Imke Scheurich (Hrsg.), Positionen der politischen Bildung 2. Ein Interviewbuch zur außerschulischen Jugend- und Erwachsenenbildung, Schwalbach/Ts. 2004, S. 36-57.

Gotthard Breit/Peter Massing (Hrsg.), Die Rückkehr des Bürgers in die politische Bildung, Schwalbach/Ts. 2002.

Hubertus Buchstein, Divergierende Konzepte Politischen Handelns in der Politikwissenschaft, in: Weißeno/Buchstein 2012, S. 18-38.

Joachim Detjen, Das Handeln in der politikdidaktischen Theoriebildung, in: Weißeno/Buchstein 2012, S. 226-241.

Klaus-Peter Hufer, Reflektion oder Aktion. Die Diskussion in der politischen Erwachsenenbildung, in: Weißeno/Buchstein 2012, S. 320-334.

Bettina Lösch/Andreas Thimmel (Hrsg.), Kritische politische Bildung. Ein Handbuch, Schwalbach/Ts. 2010.

Peter Massing, Theoretische und normative Grundlagen politischer Bildung, in: ders., Politikdidaktik als Wissenschaft. Ausgewählte Aufsätze. Studienbuch, Schwalbach/Ts. 2011.

Frank Nonnenmacher, Analyse, Kritik und Engagement – Möglichkeit und Grenzen schulischen Politikunterrichts, in: Lösch/Thimmel 2010, S. 459-470.

Frank Nonnenmacher, Handlungsorientierung und politische Aktion in der schulischen politischen Bildung. Ursprünge, Grenzen und Herausforderungen, in: Benedikt Widmaier/Frank Nonnenmacher (Hrsg.), Partizipation als Bildungsziel. Politische Aktion in der politischen Bildung, Schwalbach/Ts. 2011, S. 83-99.

Monika Oberle, Der Beutelsbacher Konsens – Richtschnur oder Hemmschuh politischer Bildung?, in: Politische Bildung, (2013) 1, S. 156-161.

Susanne Pickel, Das politische Handeln der Bürgerinnen und Bürger – ein Blick auf die Empirie, in: Weißeno/Buchstein 2012, S. 39-57.

Wolfgang Sander, Politik entdecken - Freiheit Leben. Didaktische Grundlagen politischer Bildung, Schwalbach/Ts. 2008.

Georg Weißeno/Hubertus Buchstein (Hrsg.), Politisch Handeln. Modelle, Möglichkeiten, Kompetenzen, Opladen/Berlin/Farmington Hills 2012, S. 320-334.

Dr. Kerstin Pohl ist Professorin für Didaktik der Sozialkunde/Politik in Mainz. Promotion und Schuldienst in Berlin. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Unterrichtsplanung, gesell-schaftstheoretische Grundlagen und Konzeptionen der politischen Bildung.