Was meint „gendern“?
Würde man Menschen in Deutschland befragen, was sie konkret unter „gendern“ verstehen, dann würde man wohl recht verschiedene Antworten erhalten. Denn „das“ Gendern gibt es nicht, sondern mehrere Varianten davon, ob und wie unterschiedliche Geschlechter bei der Bezeichnung von Personen, Berufen oder Gruppen adressiert werden:
So galten lange Zeit allein grammatikalisch männliche Bezeichnungen als ausreichend, um sich damit auf alle Mitglieder einer Gruppe zu beziehen, auch wenn es sich dabei weder ausschließlich, noch mehrheitlich oder überhaupt um männliche Personen handelt („generisches Maskulinum“, von „generisch“: allgemeingültig, wie bei „die Schüler“, „die Experten“, „die Wähler“).
Inzwischen werden im Deutschen auch Formulierungen genutzt, die alle Geschlechter ausdrücken, auf die sich eine Aussage bezieht. Menschen „gendern“ in diesem Sinne (vom englischen Wort „gender“, bezogen auf gesellschaftliche Vorstellungen von Geschlecht), indem sie etwa die weibliche und männliche Bezeichnung für Personen oder Gruppen als Paarform gemeinsam nennen – lang (wie „Schülerinnen und Schüler“) oder kurz mit Schrägstrich (wie „Fahrradfahrer/-in“), oder mit dem sogenannten „Binnen-I“, bei dem die weibliche Wortendung mit großem „I“ sichtbar an die männliche angefügt wird (wie „PolitikerInnen“). Zudem werden auch neutrale Formulierungen genutzt, die keinem bestimmten Geschlecht zugeordnet sind (wie „Auszubildende“, „Lehrkräfte“).
Häufiger diskutierte Varianten sind inzwischen jene, die Personen aller Geschlechter in kurzer Form zugleich adressieren sollen. Dafür werden grammatikalische Sonderzeichen wie Sternchen (Asterisk), Unterstrich („Gender-Gap“), Medio- und Doppelpunkt in Bezeichnungen eingefügt (wie „Akteur*innen“, „Schüler_innen“, „Ingenieur:in“), die neben männlicher und weiblicher Form weitere Geschlechteridentitäten repräsentieren.
Worüber wird diskutiert?
Jene, die „das Gendern“ befürworten und jene, die es ablehnen, ringen dabei zum einen um die Entwicklung der deutschen Sprache. Für die einen bedeutet geschlechtergerechte Sprache an sich, für andere die Verbreitung bestimmter Varianten davon einen Bruch mit den Traditionen und Regeln des Deutschen. Mit der Nutzung von sogenannter „Gender-Sprache“ würden nun nicht nur Geschlechterzugehörigkeiten überbetont, sondern auch die Sprache in einer Weise verkompliziert, die den Alltag und insbesondere das Sprachenlernen erschwere. Insofern wirken eigentlich inklusiv gemeinte „gegenderte“ Formulierungen selbst diskriminierend, weil sie eine Reihe von Menschen von einer kompetenten Nutzung ausschließen (siehe Beitrag:
Demgegenüber argumentieren Menschen, die das Gendern befürworten, dass das sogenannte „generische“ Maskulinum keineswegs neutral war oder gewesen sei. Vielmehr schließe es Menschen anderer Geschlechtszugehörigkeit sprachlich aus. Denn männliche Bezeichnungen würden intuitiv eher mit männlichen Bildern und Eigenschaften in Verbindung gebracht, hinter denen Personen anderer Geschlechtszugehörigkeit verschwinden. Insofern dokumentiere es lediglich eine lange Zeit auch die Sprache prägende gesellschaftliche Vorrangstellung von Männern (siehe Beitrag:
Während oftmals sprachästhetische und -praktische Fragen im Vordergrund von Debatten um „das Gendern“ stehen, verbinden sie sich teilweise auch mit den zugrundeliegenden gesellschaftspolitischen Fragen, ob und inwiefern unterschiedliche Arten von Geschlecht gleichermaßen anerkannt und – ebenso in der Sprache – gleichberechtigt behandelt werden sollen (als Überblick siehe Dossier Externer Link: "Gendern: Ein Pro und Contra" der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg). Immer wieder werfen sich Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Perspektiven gegenseitig vor, dass die Sprache von der jeweils anderen Seite gesellschaftspolitisch vereinnahmt und gemäß der eigenen Vorstellungen nicht nur moralisch beurteilt, sondern auch reglementiert werde.
"Gendern" als bildungspolitisches Thema
Mit Blick auf die gesetzlich verankerte Gleichstellung von Frauen und Männern haben die meisten Bundesländer, zahlreiche Kommunen und Behörden seit Beginn der 1990er Jahre Regeln für eine geschlechtergerechte Verwaltungssprache etabliert, die vor allem auf ausgeschriebene Paarformen und deren der amtlichen Rechtschreibung entsprechende Kurzform setzt, sowie auf geschlechtsneutrale Begriffe. Das „Gendern“ wurde erst in den letzten Jahren mit den gesellschaftlichen Diskussionen um die Zulässigkeit von Wortbinnenzeichen zum Gegenstand der Bildungspolitik. Im Zentrum steht dabei die Frage, welche Schreibweisen in staatlich verantworteten Bildungseinrichtungen, insbesondere an Schulen, als korrekt genutzt, gelehrt und gelernt werden sollen.
Richtlinien hierfür erarbeitet seit 2004 der Rat für deutsche Rechtschreibung, ein zwischenstaatliches Gremium von Sprachexpertinnen und -experten, das für alle deutschsprachigen Länder und Regionen Europas die Regeln der deutschen Rechtschreibung für die öffentliche Verwaltung und für Bildungseinrichtungen fortschreibt. Seine Aufgabe ist es, neuere schriftsprachliche Entwicklungen in den Gesellschaften zu beobachten und das gemeinsame Regelwerk nur im unerlässlichen Maß und wissenschaftlich begründet anzupassen, damit die Einheitlichkeit der Rechtschreibung im deutschsprachigen Raum gewahrt bleibt. Der Rat kann Empfehlungen zum Umgang mit neuen sprachlichen Phänomenen abgeben, hat selbst jedoch keine (bildungs-)politische Befugnis. Dies ist Sache der dafür politisch legitimierten Institutionen in den beteiligten Ländern oder Regionen.
In seiner Stellungnahme zum Thema Gendern (2023) unterstützte der Rat grundsätzlich die Verwendung geschlechtergerechter Sprache. Mit Blick auf Formulierungen, die bisher nicht geregelte Wortbinnenzeichen (wie Sternchen, Doppelpunkt und Binnen-I) enthalten, entschied er jedoch, diese nicht in den Bestand der Neuauflage des amtlichen Regelwerks aufzunehmen. Denn ihre orthografische Einordnung und damit ihr grammatikalischer Status seien wissenschaftlich noch ungeklärt (siehe Infobox: Stellungnahme des Rats für deutsche Rechtschreibung). Der Rat hielt jedoch fest, dass sich die Arten des sprachlichen Genderns gesellschaftlich noch in Entwicklung befänden und daher weiter beobachtet würden. Für das Erlernen der deutschen Sprache empfahl er: An Grundschulen sei Deutsch anhand der amtlichen Rechtschreibung zu vermitteln, damit Lernende zunächst eine sichere Rechtschreibekompetenz aufbauen können. An weiterführenden Schulen, in denen Sprache auch im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen thematisiert und gelernt wird, sei es jedoch Sache der Schulpolitik, zu entscheiden, wie Lehrkräfte mit gesellschaftlich vorfindbaren Varianten des Genderns umgehen und ob sie diese in die Bewertung von Schulleistungen einbeziehen. An Hochschulen seien Schreibweisen mit Gender-Sonderzeichen inzwischen verbreitet, ihre rechtliche Einordnung – nicht zuletzt im Kontext der Wissenschaftsfreiheit – jedoch noch unklar.
Seit der Stellungnahme sowie der Neuauflage des „Amtlichen Regelwerks für die deutsche Rechtschreibung“ 2024 haben sich die Bundesländer bildungspolitisch unterschiedlich zum Thema positioniert. Im Rahmen ihrer „Kulturhoheit“ sind sie für die Schulpolitik zuständig. Einige der Kultusministerien machen keine konkreten Vorgaben zum Umgang mit verschiedenen Varianten des Genderns in den von ihnen verantworteten Bildungseinrichtungen. Andere Kultusministerien untersagen Lehrkräften und Schulleitungen aller Schularten über ein Gebot zur Nichtnutzung die Verwendung von Binnen-I und Gender-Sonderzeichen für die schulbezogene schriftliche Kommunikation, etwa mit Blick auf Lehrmaterialien, Schuldarstellung und Elternkommunikation. In schriftlichen Leistungen von Schülerinnen und Schülern seien entsprechende Wortbinnenzeichen als (Folge-)Fehler anzustreichen; in einigen der Länder auch als Punktabzug in die Bewertung von Prüfungsleistungen einzubeziehen. In anderen Bundesländern wiederum gilt, dass mit Wortbinnenzeichen gegenderte Schreibweisen weder eingefordert, noch sanktioniert werden dürfen. Zwar werden sie auch als Abweichung von der amtlichen Rechtschreibung angestrichen, aber im Grunde bleibt es Schülerinnen und Schülern, Lehrkräften und Schulleitungen überlassen, ob sie diese im schulischen Schriftverkehr verwenden.
Wie schriftliches Gendern mit Sonderzeichen an Schulen bewertet wird, hängt also vom jeweiligen Bundesland und teils vom Ermessen einzelner Schulen oder Lehrkräfte ab. Ab dem Schuljahr 2027/28 soll die Neufassung der amtlichen Rechtschreibung gemäß der Konferenz der Kultusministerinnen und -minister (KMK) deutschlandweit verbindlich umgesetzt werden. Was dies konkret für den Umgang mit Wortbinnenzeichen in der schulischen Praxis bedeutet, ist indes noch unklar.
Wie denken junge Menschen darüber?
Wie aber stehen Teenager, Jugendliche und junge Erwachsene selbst zum Gendern, wenn es um die Verwendung von Sonderzeichen in Worten geht? Diese Frage wurde ihnen im Rahmen der Shell Jugendstudie 2024 gestellt, einer seit 1953 etwa aller vier Jahre durchgeführten repräsentativen Untersuchung zu Einstellungen, Werten und Sozialverhalten junger Menschen in Deutschland.