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Rechtsterroristen im Staatsdienst? | Rechtsextremismus | bpb.de

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Rechtsterroristen im Staatsdienst?

Tanjev Schultz Prof. Dr. Tanjev Schultz

/ 8 Minuten zu lesen

In Deutschland ist eine Debatte über rechtsextreme Umtriebe in den Sicherheitsbehörden entbrannt. Im Laufe des Jahres 2020 sorgten zahlreiche Fälle für Aufsehen, beispielsweise rechtsextreme Chats.

Toreinfahrt des Militärischen Abschirmdienstes (MAD). Eine Kernaufgabe des MAD ist die Informationssammlung zu Zwecken der Extremismus- bzw. Terrorismusabwehr, auch in den Reihen der Bundeswehr. Er wirkt auch an Sicherheitsüberprüfungen mit. (© picture alliance / Geisler-Fotopress | Christoph Hardt/Geisler-Fotopress)

In Bayern wurden Beamte suspendiert, die der „Reichsbürger“-Szene angehörten. In Berlin soll ein Ermittler, der gegen Neonazis vorgehen sollte, selbst in radikalen Kreisen verkehrt haben. In Sachsen riefen Polizeihochschüler rechtsextreme Parolen. In Nordrhein-Westfalen wurde gegen mehr als 200 Beamte ermittelt, die sich in Chatgruppen rassistisch und rechtsextremistisch geäußert haben sollen. Ähnliche Vorfälle gab es in anderen Bundesländern. Polizisten und Soldaten der Bundeswehr sollen Feindeslisten erstellt und sich auf einen „Tag X“ der Machtübernahme vorbereitet haben. In Hamm wurde einem Verwaltungsmitarbeiter der Polizei vorgeworfen, eine rechte Terrorzelle – die „Gruppe S.“ – unterstützt zu haben. In Hessen wurden Polizisten verdächtigt, hinter Drohschreiben zu stecken, in denen Personen des öffentlichen Lebens, darunter die Kabarettistin Idil Baydar und die Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız, mit dem Tode bedroht wurden. Die Briefe waren mit dem Kürzel „NSU 2.0“ versehen, angelehnt an die Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ („NSU“), die zehn Menschen ermordet hatte. Die Drohschreiben enthielten teilweise geheime Informationen wie etwa eine gesperrte Privatadresse. Solche Daten waren zuvor von Polizeicomputern abgerufen worden. Im Mai 2021 wurde in Berlin ein mutmaßlicher Rechtsextremist, der nicht bei der Polizei gearbeitet hat, als Tatverdächtiger festgenommen. Ob die Polizei damit vollständig entlastet ist, müssen die weiteren Ermittlungen zeigen.

Diese und weitere Vorfälle haben die Öffentlichkeit in jedem Falle alarmiert, zugleich entwickelte sich ein Deutungskampf: Handelt es sich bei den eben erwähnten Geschehnissen um Einzelfälle, die wenig über den Sicherheitsapparat insgesamt aussagen, oder um bereits etablierte rechtsextreme Strukturen innerhalb der deutschen Sicherheitsbehörden?

Wichtige Unterscheidungen

In der öffentlichen Debatte ist immer häufiger zu beobachten, dass unterschiedliche Ebenen bzw. Begrifflichkeiten nicht mehr trennscharf voneinander diskutiert werden. Eingangs genannte Beispiele, die für rechtsextreme Einstellungen im deutschen Sicherheitsapparat sprechen können, werden vermengt mit jüngsten Vorfällen und Untersuchungen, die den Begriff des „institutionellen Rassismus“ in den Mittelpunkt rücken. Aus wissenschaftlicher Perspektive erscheint es notwendig, diese verschiedenen Ebenen zu unterscheiden: Auf der einen Seite wird von bewussten rechtsextremen Einstellungen gesprochen. Personen mit solchen Einstellungen wollen – auch unter Anwendung von Gewalt – die freiheitliche demokratische Grundordnung ersetzen durch ein autoritäres oder totalitäres staatliches System mit nationalistischem und rassistischem Gedankengut als Grundlage der Gesellschaftsordnung. Auf der anderen Seite haben wir es mit rassistischem Verhalten zu tun, das womöglich unbewusst und nur von einzelnen Personen ausgeht oder das auf Strukturen beruht, deren Rolle für eine mögliche Diskriminierung nicht hinterfragt wird. Deshalb müssen wir unterscheiden: Einstellungen und Verhalten sind nicht dasselbe; zudem gibt es einerseits bewusste, beabsichtigte Handlungen und Handlungsfolgen sowie andererseits unbewusste, unbeabsichtigte Handlungen und Handlungsfolgen. Analysen können sich auf einzelne Personen (Beamte) beziehen oder auf Gruppen (Teams, Kollegenkreis) und Organisationen (Behörden, Dienststellen) mit ihrer jeweiligen Betriebskultur. So lässt sich der Begriff des „institutionellen Rassismus“ besser verstehen: Dieser unterstellt nicht, dass die einzelnen Beamten bewusst rassistische Ziele verfolgen. Vielmehr geht es um Effekte, die auf unhinterfragten Routinen beruhen.

Institutioneller Rassismus kann sich sehr subtil äußern. Erfahrungsgemäß trifft der Begriff bei vielen Beamten und Politikern auf Ablehnung, weil der Vorwurf des Rassismus mit bewusster Diskriminierung verbunden wird. Zahlreiche Menschen berichten von negativen Erfahrungen mit der Polizei in den sozialen Medien oder im Netz. Wie verbreitet sie sind, darüber fehlen verlässliche Angaben. Eine zunächst erwogene Studie des Innenministeriums zu dieser Fragestellung fand bislang nicht statt. Die Fachhochschule Polizei Sachsen-Anhalt erkennt in einer Studie aus dem Jahr 2014 über den Umgang mit „migrantischen Opferzeugen“ Hinweise auf eine unzureichende Sensibilität der Beamten im Umgang mit den Betroffenen. Als eine Ursache werden „sozial-kommunikative Kompetenzdefizite“ genannt. Als rassistisch erlebte Erfahrungen der Menschen, die in der Studie befragt wurden, könnten die Folge solcher Kompetenzdefizite sein und sind nicht zwingend die Folge eines rassistischen oder rechtsextremen Weltbildes der Beamten.

Auf der anderen Seite wächst die Bedrohung der Öffentlichkeit durch den Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik durch jüngste Anschläge und Anschlagspläne. Die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) und der Anschlag auf eine Synagoge in Halle durch den Rechtsterroristen Stephan Balliet im Jahr 2019 sowie der Anschlag in Hanau im Jahr 2020 offenbaren eine Qualität der Gewalt, die mit einem „institutionellen Rassismus“ kaum zu vergleichen ist. Weitere Anschläge wurden nur verhindert, weil rechtsextreme und rechtsterroristische Gruppen und Vereinigungen wie die „Old School Society“ im Jahr 2015 oder die „Gruppe S.“ im Jahr 2020 rechtzeitig enttarnt werden konnten. Allerdings zeigen die Fälle der „Gruppe S.“ und des „NSU 2.0“, dass auch Mitarbeiter von Behörden durchaus in solche terroristischen Aktivitäten eingebunden gewesen sein könnten.

Laut einer Unterrichtung durch das Parlamentarische Kontrollgremium vom Dezember 2020 diagnostizieren das Bundesamt für Verfassungsschutz und der Militärische Abschirmdienst (MAD) „eine besorgniserregende reale und digitale Vernetzung“. Zwei Jahre lang sind die Gremien der Frage nachgegangen, ob es ein Netzwerk aus Rechtsextremisten innerhalb der Sicherheitsbehörden gibt, das womöglich Umsturzpläne verfolgt. Zwar hätten sie keine Beweise für eine „Schattenarmee“, die einen gewaltsamen Umsturz plane, gleichwohl sehen die Geheimdienste „rechtsextreme organisierte Strukturen (Netzwerke) mit Bezügen zur Bundeswehr und anderen Sicherheitsbehörden“. Auslöser für die Untersuchungen war der Fall Franco A., ein Oberstleutnant der Bundeswehr, der 2017 am Flughafen in Wien festgenommen wurde, weil er eine unerlaubte Schusswaffe nach Deutschland habe schmuggeln wollen. Die Ermittler stießen in der Folge auf Verbindungen zum sogenannten „Hannibal“-Netz und zu einem vom Verfassungsschutz beobachteten Verein namens „Uniter“.

„Auf dem rechten Auge blind“?

Die getroffenen Unterscheidungen zeigen einerseits, dass die Sicherheitsbehörden nicht leichtfertig als Hort von Rechtsterroristen dargestellt werden sollten. Sie zeigen andererseits, dass es zu einfach wäre, die Probleme auf jene Fälle zu reduzieren, in denen sich Beamte unverhohlen zu rechtsextremen Einstellungen bekennen. Zum einen kann es verdeckte Netzwerke geben, die nicht so leicht zu erkennen sind. Zum anderen wirken in den Behörden strukturelle und kulturelle Faktoren, die teilweise unabhängig von den expliziten Einstellungen der Beamten problematisch sind.

Wenn beklagt wird, die Behörden seien „auf dem rechten Auge blind“, unterstellt dies nicht unbedingt, dass die verantwortlichen Beamten selbst Rechtsextremisten sind. Der Vorwurf kann sich auf eine Reihe anderer Aspekte beziehen:

  • die Stigmatisierung von Menschen und Gruppen durch Praktiken wie „Racial Profiling“, unsensible Kommunikation und unverhältnismäßige Ermittlungsmethoden,

  • die Tatsache, dass die Sicherheitsbehörden nach 1945 zahlreiche Alt-Nazis beschäftigten,

  • das vermeintliche politische und amtliche Unterschätzen oder Verharmlosen des Rechtsextremismus,

  • das Fehlen von Ressourcen und Expertise im Kampf gegen den Rechtsextremismus,

  • das Bestehen kontraproduktiver Strukturen im Sicherheitsapparat (z. B. im föderalen Aufbau und im Nebeneinander von Polizei und Verfassungsschutz),

  • das Anwenden untauglicher Mittel im Kampf gegen den Rechtsextremismus (z. B. durch den Einsatz von V-Leuten, die selbst Straftaten begehen oder dazu anstacheln),

  • das Auftreten von Fehlern oder Fehlverhalten sowie das Vertuschen von Fehlern oder Fehlverhalten im Zusammenhang mit Ermittlungen (z. B. gegen Asylbewerber oder gegen Rechtsextremisten),

  • den Geheimnisverrat sowie Hilfeleistungen von Beamten an befreundete oder verwandte Rechtsextremisten.

Bei einem Blick auf die rechtsterroristische Geschichte der Bundesrepublik ist eine Tendenz, rechtsextreme Gewalt als Taten von Einzeltätern abzutun und ihren Hintergrund zu ignorieren, zu erkennen. So war es beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980, das erst Jahrzehnte später offiziell als rechter Terroranschlag anerkannt wurde. Auch im Fall der „NSU“-Morde hatten die Behörden den rechtsextremen Zusammenhang zunächst nicht erkannt und stattdessen die Familien der Opfer verdächtigt. Dieses Versagen ist eklatant und lässt sich zumindest teilweise auch durch rassistisch geprägte Denkschablonen erklären. Das bedeutet aber nicht, dass die Verantwortlichen mit Terroristen sympathisiert oder zusammengearbeitet hätten.

Eindeutiger ist der Fall, wenn sich Beamte bewusst rechtsextrem betätigen; dies war der Ausgangspunkt der aktuellen Debatte. Über das Ausmaß solcher Fälle herrscht dennoch wenig Klarheit, weil solide Statistiken dazu fehlen. Zudem sind auch hier Differenzierungen angebracht: zwischen strafbarem und nicht-strafbarem Verhalten. Viele Äußerungen, die von der Öffentlichkeit als radikal oder rassistisch eingestuft werden, sind juristisch nicht so eindeutig zu bewerten. Allerdings gelten für Beamte strengere Erwartungen mit Blick auf die Treue zur Verfassung. Deshalb sind unter Umständen, wenn das Strafrecht nicht greift, zumindest noch Disziplinarmaßnahmen möglich.

Ausmaß des Problems

Häufig ist das Argument zu hören, die Polizei sei ein „Spiegel der Gesellschaft“, so sei es nicht überraschend, wenn auch in ihren Reihen rechtsradikale Einstellungen auftreten. Dieses Argument übersieht, dass an Polizisten höhere Anforderungen gestellt werden müssen als an die Vertreter anderer Berufe. Zudem fällt auf, dass die Polizei keineswegs ein Abbild der Bevölkerung ist. Sie beschäftigt noch immer relativ wenige Menschen mit Migrationshintergrund.

Bundesweite Befragungen, die für die Gegenwart repräsentativ Aufschluss über die Einstellungen von Beamten geben könnten, liegen nicht vor. In Hessen wurde im Auftrag der Landesregierung 2020 eine Online-Umfrage mit über 4.000 hessischen Polizisten, Verwaltungsbeamten und Tarifbeschäftigten durchgeführt, die ergab, dass sich fast zwei Drittel der Befragten politisch in der Mitte einordneten, 1,6 Prozent als „rechts“ und 0,1 Prozent als „ausgeprägt rechts“. Zum Vergleich: In der derselben Umfrage bezeichneten sich 2 Prozent der Befragten als „links“ und 0,2 Prozent als „ausgeprägt links“. Laut Studie stimmten 28 Prozent der Befragten der Aussage zu, Deutschland würde ein islamisches Land, „wenn wir nicht aufpassen“, was in einigen Reaktionen als „beunruhigend“ empfunden oder als Indiz für eine „rechte Einstellung“ der Beamten gewertet wurde. Die Fragestellung und damit die Antwort haben aber laut Experten des Wissenschaftlichen Beirats der Studie wenig Aussagekraft, mehrere Fragen zu extremen Positionen seien gestrichen worden. Der Wissenschaftler Rafael Behr stellte die Aussagekraft der Studie infrage, da die Teilnehmerquote weniger als 25 Prozent betrug. Immerhin hatte das Landeskriminalamt zeitgleich bei 65 Polizisten einen Verdacht rechtsradikaler und rassistischer Einstellungen formuliert, gegen 13 Beamte wurde zu dem Zeitpunkt deswegen ermittelt.

Bundesweite Zahlen

Über die bundesweite Zahl rechtsextremer Vorfälle existieren bisher wenig verlässliche Angaben. Laut einer erstmals erfolgten Zusammenstellung des Bundeamts für Verfassungsschutz gab es zwischen Januar 2017 und April 2020 insgesamt 319 rechtsextreme Verdachtsfälle in den Sicherheitsbehörden der Bundesländer, 58 Verdachtsfälle in den Sicherheitsbehörden des Bundes und 1.064 Verdachtsfälle in der Bundeswehr. Häufige Vorkommnisse waren demnach politisch motivierte Beleidigungen sowie einschlägige Social-Media-Posts und -Nachrichten. Teilweise endeten die Ermittlungen ohne Schuldspruch, weil sich der Vorwurf nicht erhärtete oder die Tat als zu unbedeutend eingestuft wurde. Viele Verfahren waren noch anhängig, als der Verfassungsschutz den Bericht veröffentlichte, etliche Verfahren kamen in den folgenden Monaten hinzu. Die Vielzahl neuer Fälle – wie die mehr als 200 Verdachtsfälle in Nordrhein-Westfalen – könnten ein Indiz dafür sein, dass die Behörden heute aufmerksamer für das Thema sind als früher.

Ermittlungen in den eigenen Reihen sind für die Behörden stets heikel. Die Befürchtung, dass sich ihr Eifer dabei in Grenzen hält, ist nicht aus der Luft gegriffen. Laut einer Studie von Kriminologen der Ruhr-Universität Bochum gibt es ein großes Dunkelfeld unrechtmäßiger Polizeigewalt. Wird doch mal ein Strafverfahren eingeleitet, führt dies selten zu einer Anklage – in weniger als zwei Prozent der Fälle. Fast immer werden die Verfahren eingestellt.

Die Behörden und ihre Beamten sollen für eine Gleichbehandlung der Bürger stehen, unabhängig von Herkunft, Religion und Hautfarbe. Deshalb ist jeder rechtsextreme Vorfall, aber auch jeder Hinweis auf unrechtmäßiges Verhalten oder Formen des institutionellen Rassismus erschütternd. Solche Fälle rütteln am Vertrauen der Bürger und stehen im Widerspruch zu den hohen Ansprüchen, die sich die Behörden im Rechtsstaat auch selbst setzen.

Fussnoten

Tanjev Schultz ist ein deutscher Hochschullehrer, Journalist und Publizist. Aktuell arbeitet er als Professor für Journalistik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.